• Keine Ergebnisse gefunden

In dem in Feilchenfelds Buch enthaltenen Auf-satz „Die Bedeutung der Einwanderung aus Deutschland für das jüdische Palästina” berich-tet auch Dr. Ludwig Pinner, Ex-Direktoriums-Mitglied der Haavara-Gesellschaft, von den Vorteilen aus dem Transfer-Abkommen:

»Die an Wertpapieranlagen gewöhnten Ein-wanderer aus Deutschland schufen erstmalig die Möglichkeit eines modernen Finanzmark-tes. Aus dem damals gegründeten Clearing-haus entwickelte sich später die Tel Aviver Börse. Der Einfluss der deutschen Einwan-derergruppe auf die Entwicklung des jüdi-schen Palästina fand seinen Ausdruck jedoch nicht nur in der wirtschaftlichen und gesell-schaftlichen Sphäre; er war auch bedeu-tungsvoll im kulturellen Bereich, auf wissen-schaftlichem und künstlerischem Gebiet. Die moderne Ausstattung der Krankenhäuser, die die Haavara ermöglicht hatte, machte Palästina zu einem medizinischen Zentrum ersten Ranges. Von besonderer Bedeutung war es für die Entwicklung des Hochschul-wesens, dass Wissenschaftler von Rang in den Stab der jungen Lehr- und Forschungs-stätten eintraten. Auf künstlerischem Gebiet ist vor allem der Beitrag der deutschen Ein-wanderer zum Musikleben hervorzuheben.

Das von Bronislaw Hubermann ins Leben ge-rufene Philharmonische Orchester, das heute internationalen Ruf genießt, wurde bei sei-ner Gründung 1936 fast ausschließlich mit Künstlern besetzt, die aus Deutschland ge-kommen waren.«

Dr. Pinner fasst über die Bedeutung der Haa-vara-Zuwanderung für die Jischuw, die

Juden-heit in Palästina, zusammen:

»Der Einsatz dieser Menschen in Forschungs-und Lehrstätten, in Wirtschaft Forschungs-und Verwal-tung, im öffentlichen Leben und in der Ver-teidigungsorganisation war von unermess-licher Bedeutung für die Vorbereitung des Jischuw auf die schicksalhaften Aufgaben, die ihm bevorstanden.«

In seinem Buch „The Transfer-Agreement. The Untold Story of the Secret Pact Between the Third Reich & Jewish Palestine” (New York/

London 1984) schreibt der US-jüdische Ge-schichtsforscher und Publizist Edwin Black über

den Ertrag von Haavara für die zionistischen Bestrebungen in Palästina:

»Einige größere Industrieunternehmen wur-den mit diesen Geldern gegründet und große Mengen an Material wurden gelagert, ein-schließlich Kohle, Bewässerungsleitungen, Eisen- und Metallprodukten für Gesellschaf-ten und Unternehmen, die noch im Aufbau begriffen waren. Von 1933 bis 1941 wurden annähernd 100 Einwanderungssiedlungen entlang der strategischen Korridore in West-galiläa, der Küstenebene und in der nördli-chen Negevwüste geschaffen. Fast 60 dieser Siedlungen wurden zwischen 1936 und 1940 ins Leben gerufen. Die meisten waren nur möglich, weil Haavara oder mit dem Trans-fer-Abkommen zusammenhängende Fonds den zionistischen Agenturen zum Landkauf und zur Landentwicklung zugute kamen.«

Das Transfer-Abkommen habe das jüdische Pa-lästina so weit entwickelt, dass es nach dem Krieg überhaupt in der Lage gewesen sei, Hun-derttausende Juden von überall her in kurzer Frist aufzunehmen und ein eigenständiger Staat zu werden.

»The Transfer Agreement made a state«,

Anfang 1939: Warte-schlange ausreisebe-gehrender Juden vor dem Berliner „Palesti-ne & Orient-Lloyd”.

behauptet Black sogar. Dieses bekräftigend, charakterisiert der US-jüdische Publizist Haa-vara als

»an indispensable factor in the creation of the State of Israel«.

Bis zum „letzten Gespräch”, April 1945

Dr. Nahum Goldmann, Prof. Chaim Weizmanns Nachfolger als Führer der zionistischen Welt-bewegung, verteidigte in seinem Memoiren-werk „Staatsmann ohne Staat” (Köln/Berlin 1970) das Haavara-Abkommen mit Hitler wie folgt:

»Dadurch gelang es achtzigtausend deut-schen Juden, nach Palästina auszuwandern;

sie haben dort sehr bedeutsame Leistungen vollbracht und gehörten zu den schöpfe-rischsten Elementen beim Aufbau des Lan-des.«

Wenn es nach der NS-Führung gegangen wäre, hätte die jüdische Auswandererzahl noch um ein Mehrfaches höher gelegen. Es war vor al-lem London, das den jüdischen Exodus nach

Pa-lästina, britisches Herrschaftsgebiet, mit allen Schikanen drosselte.

Als Haavara-Generalmanager bis in die Kriegs-zeit hinein wirkte der bereits erwähnte jüdische Jurist Dr. Werner Feilchenfeld. Der 1895 in Ber-li n geborene Arztsohn hatte bis 1933 als Syn-dikus der Berliner Industrie- und Handelskam-mer gearbeitet. Ende 1934 verlegte er sein Tätigkeitsfeld nach Palästina. Nach dem Zwei-ten Weltkrieg schuf er in den USA den „Service for Israel” („Care"-Pakete für den jüdischen Staat). Seit 1951 in Amerika lebend, war er — nun Spezialist für die Durchsetzung von Wie-dergutmachungsansprüchen gegen die Deut-schen — am Knüpfen des „Netzes” beteiligt.

1985 verschied er in Hollywood.

Im erwähnten Buch des Leo-Baeck-Instituts über den „Haavara — Transfer” erfährt man von Feilchenfelds Bemühungen nach 1933, in Ver-handlungen mit den Regierungen etlicher Staa-ten — etwa der polnischen, ungarischen und der tschechoslowakischen — Regelungen nach Art des Abkommens zwischen den Zionisten und Deutschland zu erreichen. Es gelang ent-weder gar nicht oder nur partiell. Immerhin aber haben, so weiß Edwin Black,

»wenigstens sechs europäische Länder das Transfer-Abkommen nachgeahmt«.

Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kam Haavara peu ä peu, ab 1942/43 gänzlich zum Erliegen. Versuche, neue Fäden für ein „Bezie-hungsgeflecht” zwischen Nationalsozialismus und Zionismus zu knüpfen, blieben erfolglos:

Auf das Paktangebot des militanten Zionisten-führers Avraham Stern (dessen Bewegung auch der nachmalige israelische Ministerpräsident Schamir angehörte), das Anfang 1941 via Franz von Papen, einst Kanzler und Vizekanzler und nunmehr deutscher Botschafter in Ankara, nach Berlin übermittelt worden war, ging Hitler nicht ein. Stern wollte mit Hilfe der Achsenmächte Englands Herrschaft in Palästina brechen, um dort den ersehnten Judenstaat gründen zu kön

-nen. Und die von Hitler im Krieg gebilligten Of-ferten des Reichsführers SS an den Westen (Freigabe von Juden gegen ein Arrangement in Richtung auf Sonderfrieden) stießen bei der Führung der zionistischen Internationale und in Washington überwiegend, bei den Briten total auf Ablehnung.

Erstaunlicherweise aber scheint der Faden nie gänzlich gerissen zu sein. So berichtet der is-raelische Jad-Vaschem-Historiker Prof. Yehuda Bauer in seinem Werk „Freikauf von Juden?”

von einem letzten Treffen unbekannten exakten Beratungsgegenstandes zwischern Himmler und einem Vertreter des Jüdischen Weltkongresses, Norbert Masur aus Schweden. Vermutlich ging es um Chancen zum Sonderfrieden in letzter Minute. Diese „ganz unglaubliche Begegnung”

(Bauer) hat Ende April 1945, also unmittelbar vor NS-Toresschluss, stattgefunden.

Massenverbrechen an Juden Bei alledem darf nicht vergessen werden, dass der schon von vornherein widerwärtige, selbst tadellos vaterländische deutsche Juden nicht verschonende NS-Antisemitismus im Laufe der NS-Jahre immer schrecklichere Formen annahm und schon beim Pogrom der „Reichskristall-nacht” seine schäbige Fratze gänzlich ungeniert zeigte.

Weitere Marksteine dieses düsteren Kapitels deutscher Zeitgeschichte:

12. November 1938: Beschluss, dass die Ju-den eine „Sühneleistung” in Höhe von einer Milliarde Mark aufbringen müssen.

15. November 1938: Ausschluss jüdischer Kinder vom allgemeinen Schulbesuch.

13. Dezember 1938: Verordnung über die Zwangsveräußerung jüdischer

Gewerbe-betriebe.

17. Januar 1939: Aufhebung des Mieter-schutzes für Juden.

Geschändete Synagoge („Kristallnacht", 1938); antijüdische Hetze 12. Oktober.1939: Erste Deportationen von

Juden aus Österreich und Böhmen nach Po-len

23. November 1939: Einführung des Juden-sterns im Generalgouvernement.

10. Februar 1940: Erste Deportationen von Juden aus dem Altreich nach Osten.

30. April 1940: Errichtung eines ersten Ghettos (Lodz).

22. Oktober 1940: Zwangsaussiedlung von Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saar-gebiet nach Südfrankreich.

7. März 1941: Beginn des Einsatzes deut-scher Juden zur Zwangsarbeit.

1. September 1941: Einführung des Juden-sterns im Deutschen Reich.

14. Oktober 1941: Beginn der allgemeinen Deportationen von Juden aus dem Reich nach Osten.

Im weiteren Verlauf des Krieges kam es zum immer grausameren Wüten von Einsatzgruppen, deren blutigen Schlägen auch massenhaft un-schuldige Zivilpersonen zum Opfer fielen, und zur KZ-Barbarei in Todeslagern wie Auschwitz, die Hekatomben an Opfern forderte. Eine abscheuliche nationalsozialistische Kollektiv-schuldpropaganda lastete die Verantwortung an Ausbruch und Bestialisierung des Krieges (etwa durch den alliierten Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung und den nicht minder kriegsvölkerrechtswidrigen sowjetischen Par-tisanenkampf) den Juden in ihrer Gesamtheit an.

Juden, die gegen das Haavara-,,Appeasement"

opponiert hatten, sahen sich nun in ihrer Hal-tung bestätigt und betrachteten die diversen Kriegserklärungen, die von manchen führenden jüdischen Repräsentanten schon 1933 an das vom Antisemiten Hitler regierte Deutschland

Jüdische Opfer 1945. Die Massenmorde im Zwei-ten Weltkrieg zählen zu den dunkelsZwei-ten Kapiteln der Geschichte.

gerichtet worden waren, als gewissermaßen doppelt gerechtfertigt. (Weiterführend: Hartmut Stern, „Jüdische Kriegserklärungen an Deutsch-land”, Wortlaut, Vorgeschichte, Folgen, Mün-chen 2000, 2. Auflage.)

Vor diesem Hintergrund formulierte Siegfried Moses die eingangs dieses Kapitels zitierte zio-nistisch-israelische Doktrin vom „deutsch-jüdi-schen Kriegszustand seit 1933”, die als Grund-lage von Entschädigungsansprüchen an die Deutschen, Teil der Staatsräson Israels (offiziel-le Bewertung Deutschlands als „Feindstaat”, ursprünglich in die Pässe eingetragenes Verbot

für Israelis, nach Deutschland zu reisen usw.) und Leitfaden des künftigen „Netzes” diente.

Die Rolle von HICEM und