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Eigenwerbung des Zentralratsblattes

»Als führender publizistischer Vertreter des deutschen Judentums nach 1945 trat er ge-gen die Kollektivschuldthese und für diplo-matische Beziehungen zwischen der Bundes-republik und Israel ein.«

Marx kam ursprünglich aus der nationalen Ju-gendbewegung. 1913 hatte er am Treffen der Bünde auf dem Hohen Meißner teilgenommen.

Im Ersten Weltkrieg diente er als Frontsoldat (EK 1). In Weimarer Zeit betätigte er sich als Journalist und Funktionär der Deutschen Demo-kratischen Partei (DDP), die sich zu einem Libe-ralpatriotismus bekannte. 1933 ging er ins Saargebiet, später begab er sich wegen der Hitlerdiktatur ins Exil nach England. Bald nach Kriegsende kehrte er zurück nach Deutschland.

Seit dem Tode von Marx, 1966, der übrigens alle Avancen etablierter Parteien, für sie zu kandidieren, mit dem Wort zurückgewiesen hatte: „Ich bin doch kein Hofjude!” und dessen gesammelte Reden und Aufsätze der Nach-kriegszeit den treffenden Titel „Brücken schla-gen” tragen, wich man in der „Allgemeinen”

und im Zentralrat an sich immer mehr vom rela-tiv moderaten Verständigungskurs ab.

Es gibt freilich auch andere, unbeirrt der Aus-söhnung verpflichtete Kräfte im Judentum der Bundesrepublik, die sich gegenwärtig bezeich-nenderweise oft nur „hinter vorgehaltener Hand” äußern. Dass sie in der Defensive be-findlich erscheinen, hat allerdings auch mit ei-nem deutschen Nationalmasochismus in Politik und Medien zu tun, dessen Huldiger nach ewi-ger unversöhnlicher Anklage ewi-geradezu gieren.

„Was der Staat Israel garantiert”

» Wir Juden Deutschlands sind tief verbun-den mit Israel, auch mit der übrigen Diaspo-ra ... Als Teil des „jüdischen Volkes” sind wir Kosmopoliten und den Juden Israels, Amerikas und anderswo besonders verbun-den«,

verkündete Michael Wolffsohn, einer der be-kanntesten Israeliten der Bundesrepublik, am B.

Mai 2003 in seiner Betrachtung „Wo stehen Is-rael und die Diaspora am fünfundfünfzigsten Geburtstag des jüdischen Staates?” auf der Ti-telseite der „Jüdischen Allgemeinen”. Er fuhr fort:

»Der Staat Israel garantiert Diasporajuden existenzielle Selbstbestimmung, sofern seine Existenz gesichert ist.«

Weiter hieß es aus Wolffsohns Feder im Zen-tralratsblatt — unter ausdrücklicher Anspielung auf „israelische Gegengewalt zum Terror der zweiten Intifada” und auf den neuerlichen Waf-fengang der Westalliierten gegen Israels Erz-feind, den Irak des Saddam Hussein:

»Anders als für Kirchenvertreter und gute Deutsche ist für uns Juden Krieg nicht nur verderblich.«

Michael Wolffsohn ist 1947 in Tel Aviv geboren worden. 1954 vollzog seine Familie die Jerida (also den „Abstieg”) nach Deutschland. Von 1967 bis 1970 diente er als Soldat, dann als Offizier von Zahal, der israelischen Armee. Seit 1981 wirkt er als Professor für Neuere Ge-schichte an der Bundeswehrhochschule in München. Gelegentlich hat er mit überzeugen-den Argumenten gegen antideutsche Übertrei-bungen bei der so genannten Vergangenheits-bewältigung Stellung genommen und sich als

„deutsch-jüdischer Patriot” bezeichnet.

Infolge von Ereignissen wie Möllemanns Israel-Kritik und dem deutschen Widerspruch gegen Bushs Irak-Krieg sieht sich Wolffsohn allerdings in seinem Bi-Patriotismus erschüttert. So riet er in der „Jüdischen Allgemeinen” vom 26. Sep-tember 2002 unter der Schlagzeile „Allein auf weiter Flur. Juden fühlen ihre Interessen von

keiner Partei richtig vertreten” plötzlich:

»Deutschlands Juden brauchen fortan jen-seits der Parteien einen wichtigen strategi-schen Partner. Sie fänden ihn in der deutsch-türkischen Gemeinschaft. Wie wir ist sie eine (wenngleich erheblich größere) Minder-heit, sie ist pro-westlich, marktwirtschaftlich und lehnt, gerade weil muslimisch, den Isla-mismus ab. Deutschlands Juden und Türken sollten sehr bald eine Koalition der Minder-heiten schmieden.«

Woher der Professor seine Erkenntnisse von ei-nem „pro-westlichen, anti-islamistischen” Tür-kentum in der Bundesrepublik bezieht, bleibt dunkel. Weit überwiegend jedenfalls wird von starker Hinwendung hiesiger Türken zum Isla-mismus und Nationalismus, oft auch zu beiden zugleich, berichtet.

Bündnis ohne Bündnispartner Vorangegangene Versuche eines jüdisch-türki-schen Schulterschlusses, der wohl eine Kopie des inzwischen weitgehend wieder aufgelösten

„historischen Bündnisses” zwischen Juden und Schwarzen in den USA werden soll, stießen jü-discherseits auf wenig Gegenliebe.

Über eine „Türkisch-Jüdische Begegnung”, zu der die Berliner Israelitengemeinde geladen hatte und bei der Zentralratschef Ignatz Bubis, der grüne Bundestagsabgeordnete aus türki-scher Familie Cem Özdemir und Jeff Camhi, einziger jüdischer Abgeordneter im türkischen Parlament (der ehemalige türkische Außen-minister Ismail Cem gehört zu den „Dönne”, so-zusagen pro forma zum Islam konvertierte Ju-den, so etwas Ähnliches wie Marranen auf christlicher Seite) als Podiumsdiskutanten auf-tauchten, schrieb die „Allgemeine Jüdische”

am 29. Oktober 1998:

»Von Gemeinsamkeiten über eine bloße Presseerklärung hinaus keine Spur; anstatt einem Gefühl der Verbundenheit nachzuspü-ren und sich über womöglich ähnliche Erfah-rungen von Juden und Türken in Berlin zu verständigen, glänzten die Mitglieder der Jü-dischen Gemeinde im eigenen Haus durch Abwesenheit ... „Peinlich”, so das Fazit ei-ner amerikanischen Zuhörerin.«

Im Übrigen ist es zwar richtig, dass die Türkei seit Jahren ein außen- und militärpolitisches Bündnis mit den USA und Israel betreibt — na-türlich um nichts Anderes als um eigener Vor-teile willen. Zutreffend ist weiter, dass Juden

im Osmanischen Reich im Handel und Finanz-wesen eine prominente Rolle spielen konnten.

Es stimmt aber auch, dass die Juden da, wo sie heute Minderheit gegenüber den Türken sind, nämlich in der Türkei, offenbar einer ster-benden Spezies angehören. Jedenfalls hieß es am 27. März 2003 in der Jüdischen Allgemei-nen über die „etwa 23 000 bis 25 000 Juden, davon 22 000 in Istanbul, unter den 57

Millio-nen Türken”:

»Die jüdische Gemeinschaft hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verringert. Vie-le türkische Juden emigrierten in die USA oder nach Israel. Die Sterberate in den jüdi-schen Gemeinden ist dreimal höher als die Geburtenrate. Hinzu kommt der soziale Druck, sich in der muslimischen Mehrheits-gesellschaft zu assimilieren. Etwa ein Viertel der rund viertausend jungen jüdischen Sin-gles werden Muslime heiraten.«

Die kleine jüdische Gemeinde in der Türkei sei von einer

»nationalistischen und konservativen Gesell-schaft umgeben«,

zitiert das Zentralratsblatt den jüdisch-türki-schen Historiker Rifat Bali. Robert Schild, jüdi-scher Eisen- und Stahlhändler in Istanbul, macht sich Sorgen wegen

»Antisemitismus in der konservativen und is-lamisch-fundamentalistischen Presse«.

Und die Vizepräsidentin der jüdischen Gemein-schaft in der Türkei, Lina Filiba, beklagt, dass man keinerlei staatliche Finanzhilfen erhalte.

Historiker Bali meint, dass der Beitritt der Tür-kei zur EU von den dortigen Juden als das Günstigste für sie und alle Minderheiten, gera-dezu als „ein Traum”, betrachtet werde, denn dies sei

»die beste Medizin gegen alle radikalen Isla-misten hierzulande«.