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Naturräumliche Beschreibung

Im Dokument Der Hochwasserschutz an der Gürbe (Seite 53-60)

2. DIE GÜRBE

2.1 Naturräumliche Beschreibung

Das Gürbetal – hier definiert als das durch die Gürbe entwässerte Gebiet – ist eine parallel zum Aaretal verlaufende Talfurche südlich der Stadt Bern.1 Das Gebiet befindet sich in der Zone des Übergangs vom Mittelland zu den Voralpen. Insbesondere der südlichste Teil weist voralpinen Charak-ter auf.2 Entsprechend der geographischen Lage verfügt das Tal über eine abwechslungsreiche Landschaft: Markante Berggipfel, bewaldete Voralpen, die Gürbeschlucht, die breite und flache Ebene und die langen Hügelzüge an den Talseiten prägen das Bild.

Südlich ist das Gürbetal durch das zur Stockhornkette gehörende Gantrisch- und Gurnigelgebiet abgegrenzt (vgl. Anhang 1). Hier befin-det sich mit dem 2 176 Meter über Meer hohen Gantrisch auch der höchste Punkt des Tals. Im Südosten, über der Quersenke von Seftigen, liegt die Amsoldinger Platte mit einer Drumlinlandschaft (schildförmige Hügel auf Grundmoräne) und den Moränenseen Dittlig- und Geistsee.

Nördlich der Amsoldinger Platte schliesst das Plateau von Kirchdorf an.

Dieses erhebt sich zum Belpberg, der östlichen Abgrenzung des Tals. Der Hügelzug des Belpbergs trennt das Gürbetal vom parallel verlaufenden Aaretal, bis er im Bereich von Belp wieder steil auf den Talgrund abfällt.

Im Westen grenzt der Längenberg das Gürbetal vom Schwarzenburger-land ab. Beide Seitenhänge sind durchschnittlich 300 Meter hoch.

1 Zu den im Einzugsgebiet der Gürbe inkl. Fallbach liegenden politischen Gemeinden vgl. Anhang 2.

2 Die Lage zwischen Mittelland und Voralpen ist an den physiografischen Gebietskenn-grössen sichtbar: Der höchste Punkt des Einzugsgebiets liegt auf über 2 000 Metern über Meer, der Höhe der ersten Voralpenkette, der tiefste hingegen auf nur rund 500 Metern über Meer.

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Die Talebene zwischen dem Belpberg und dem Längenberg ist rund 12 Kilometer lang, aussergewöhnlich flach und wird gemeinhin als wesent-liches Landschaftselement des Gürbetals wahrgenommen. Die Ebene ist im südlichen Teil bis Gelterfingen ungefähr 1500 Meter breit, verengt sich dann gegen Norden und weist zuunterst noch eine Breite von knapp 600 Metern auf. Bei Belp verengt sich das Tal und vereinigt sich schliess-lich im acht Quadratkilometer grossen Becken von Belp mit dem Aaretal.

Die Grösse des Einzugsgebiets der Gürbe beträgt insgesamt 131,2 Quadrat-kilometer (Tabelle 2.1).

Tab. 2.1: Physiografische Kenngrössen des Gürbe-Einzugsgebiets.

Quellen: HAdEs: Tafel 1.2; bVE geoportal des kantons bern; swisstopo: Landeskarte 1:25 000; Jäckle 2013a: 10; scherrer, frauchiger 2011: 4.

Morphologisch lässt sich das Gürbetal in zwei Teile einteilen: Das südliche obere und das nördliche untere Tal. Hauptunterschied dieser Abschnitte ist das Gefälle. Die Zweiteilung ist auch ein wesentliches Merkmal des namensgebenden Gewässers dieser Region, der Gürbe.3 Bei diesem knapp 29 Kilometer langen Fluss aus dem Einzugsgebiet der Aare unterscheidet sich der steile Oberlauf stark vom flachen Unterlauf. Dies wird als zwei-teiliges Gerinne bezeichnet und ist für Fliessgewässer in Gebieten zwischen dem Mittelland und den Voralpen typisch.

3 Aus naturräumlicher Sicht wird üblicherweise nur zwischen Ober- und Unterlauf der Gürbe unterschieden. Der Mittellauf, der hinsichtlich der Organisation des Hochwas-serschutzes von Bedeutung ist, gehört zum Unterlauf.

Einzugsgebietsfläche 131,2 km2

Oberes Bilanzgebiet bis Pegel Burgistein: 52,9 km2 Oberes Einzugsgebiet ohne Fall- und Mettlenbach: 12,1 km2 Unteres Bilanzgebiet: 78,3 km2

Mittlere Gebietshöhe Mittlere Einzugsgebietshöhe: 816 m ü. M.

Oberes Bilanzgebiet: 1021 m ü. M.

Unteres Bilanzgebiet: 678 m ü. M.

Höchster Punkt 2176 m ü. M.

Tiefster Punkt 508 m ü. M.

Mittlere Geländeneigung Oberlauf: 12,9° bzw. 23 % Unterlauf: 6,3° bzw. 11 %

Länge Hauptgerinne 28,7 km

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Der Oberlauf umfasst den Gewässerabschnitt von der Quelle bis zum Übergang in die flache Talebene. Dessen Einzugsgebiet ist 52,9 Quadrat-kilometer gross. Zum Oberlauf gehört auch der circa 2,5 Kilometer lange Schwemmkegel von Wattenwil und Blumenstein. Danach folgt der rund 20 Kilometer lange Unterlauf mit einer Einzugsgebietsgrösse von 78,3 Qua-dratkilometern.4 Im Bereich des Belper Beckens mündet der Fluss in der Gemeinde Kehrsatz rund zehn Kilometer südlich von Bern schliesslich in die Aare. Die zwei Gerinneteile der Gürbe werden im Folgenden genauer vorgestellt.

Der Oberlauf der Gürbe

Im oberen Abschnitt hat die Gürbe Wildbachcharakter, da hier die klas-sischen Merkmale eines Wildbachs – die geringe Grösse des Fliessgewäs-sers, das streckenweise grosse Gefälle, der rasch und stark wechselnde Ab-fluss sowie die zweitweise hohe Feststoffführung – allesamt auftreten.5 Das Einzugsgebiet des Oberlaufs umfasst nur 12–13 Quadratkilometer (ohne Fall- und Mettlenbach, welche beim Pegel Burgistein mitgerech-net werden). Problemlos erfüllt wird auch das Kriterium des grossen Ge-fälles: Auf einer Strecke von knapp zehn Kilometern beträgt das mittlere Gefälle des Gürbeoberlaufs 6–20 Prozent.6 Sein Abfluss kann in Einzel-jahren stark vom langjährigen Mittel abweichen. Neben den monatlichen Abflussschwankungen sind besonders auch die Hochwasserereignisse

4 HADES: Tafel 1.2.

5 Im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in der Fachliteratur wird der Begriff «Wild-bach» sehr unterschiedlich verwendet. Nach dem Wörterbuch Hochwasserschutz des Bun-desamts für Wasser und Geologie ist ein Wildbach ein «kleineres natürliches Fliess-gewässer mit streckenweise grossem Gefälle, rasch und stark wechselndem Abfluss und zeitweise hoher Feststoffführung.» Loat, Meier 2003: Art. 186. Etwas präziser werden die Wildbäche in der Ereignisanalyse Hochwasser 2005 definiert: «Als Wildbäche werden hier die Gewässer mit intensivem Feststofftransport bezeichnet, deren Einzugsgebiets-fläche kleiner als 25 km2 ist und welche in der Regel steiler als 5–10 % sind.» Wild-bäche sind somit kleiner und als Gebirgsflüsse, deren Einzugsgebiete grösser als 25 km2 sind und die mit unter 5–10 % ein geringeres Gefälle aufweisen. Bezzola, Hegg 2007:

164. Nach der Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen ist ein Wildbach ein «kleiner, zeitweilig oder ständig steil abwärts führender Gebirgswasser-lauf mit heftigen und plötzlichen hohen Wasserständen, dessen Wasserabfluss bzw.

Transport fester Bestandteile grosse Schwankungen aufweist». FAO 1986: 105.

6 Vgl. Jäckle 2013a: 80–81.

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massgeblich. Die Abflussspitzen dieser Naturereignisse können die Mit-telwerte der kleinsten oder mittleren Jahresspitzen um ein mehrfaches übertreffen. Dies hat insbesondere die Hochwasserkatastrophe von 1990 bestätigt (vgl. Kapitel 3.3). Dieses Ereignis ist nicht nur ein Beispiel für die extremen Abflussschwankungen, sondern auch für den raschen Hoch-wasseranstieg der Gürbe. Die Abflussspitze in Burgistein wurde am 29. Juli 1990 innerhalb einer halben Stunde erreicht. Die Variation der Hochwas-serspitzen der gesamten Gürbe ist deutlich kleiner und auch im Vergleich zu anderen voralpinen Einzugsgebieten gering, da der Unterlauf eine Re-tentionswirkung7 entfaltet. Bei Wildbächen ist die Feststoffführung zeit-weise hoch. Es gibt Seiten- und Tiefenerosion in weiten Teilen des Ge-rinnes, und zudem spielt Wildholz eine wichtige Rolle. Aufgrund der geologischen Gegebenheiten ist das Geschiebepotenzial der Gürbe sehr hoch, auch ist sie ein murfähiges Gerinne (vgl. dazu Kapitel 2.2 und 3.1).8 Wildbäche gliedern sich aus geomorphologischer Sicht räumlich in die drei Teile Einzugsgebiet, Gerinne und Schwemmkegel.9 Das Einzugsgebiet des Gürbeoberlaufs befindet sich am nördlichen Abhang der Stockhorn-kette im Kessel zwischen Gantrisch und Nünenenflue auf der Alp Ober-nünenen. Auf der Höhe von 1 685 Metern über Meer befindet sich hier der Ursprung des Gewässers.10 Noch als kleines Rinnsal fliesst das Wasser die ersten Kilometer durch den sogenannten Quellkessel. Der 300 Meter tiefe Kessel umfasst eine Fläche von 8,8 Quadratkilometern.11 Danach stürzt das Wasser im sogenannten Gürbefall die Tschingelflue hinunter (Abbildung 2.1).

7 Als Retention wird die Abminderung des Spitzenabflusses durch den Rückhalt eines Teils des abfliessenden Wassers im Einzugsgebiet bezeichnet. Die typischste Retention ist die Überflutung der Vorländer, selten kann auch das Gerinne selbst einen dämpfen-den Einfluss auf die Hochwasserspitze haben. Eine wirksame Retention im Gerinne ist möglich, wenn das Gefälle kleiner als 1 % ist, das Gerinne rau ist und der Abfluss rasch ansteigt. Obwohl in der Schweiz sehr selten, sind diese Voraussetzungen an der Gürbe erfüllt. Spreafico, Weingartner 2005: 67.

8 Vgl. Jäckle 2013a: 82–84.

9 Diese räumliche Einteilung entspricht im Wesentlichen der prozessorientierten Eintei-lung in Entstehung, Verlagerung (Transit) und Ablagerung (Wirkung). Vgl. Romang 2004: 20. Vgl. dazu auch Kienholz et al. 1998: 11–13.

10 ASF (Hg.) 1977: 45.

11 Leuenberger 1935: 36–37.

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Abb. 2.1: Karte des oberen Einzugsgebiets der Gürbe, 1:25 000.

Nicht massstäblich dargestellt.

Quelle: swisstopo. reproduziert mit bewilligung von swisstopo (bA16062).

Die Einzugsgebiete von Wildbächen zeichnen sich durch die verästelten Gewässernetze, die Erosionstrichter und Schutthalden aus.12 Unterhalb der Alp Tschingel, auf der Höhe von rund 1 300 Meter über Meer, vereinigt sich die Gürbe mit mehreren Wildwassergräben, wovon der Schwändlibach der grösste ist. An diesen obersten Teil des Einzugsgebiets schliesst im Osten unmittelbar das Einzugsgebiet des Fallbachs an, einem der wichtigsten Zu-flüsse der Gürbe. Er entspringt den steilen Hängen zwischen Wirtneren und Homad und verfügt ebenfalls über einen ausgeprägten Quellkessel. Dieser wird auch vom Blattenheidgraben und Sulzgraben, zwei wichtigen Zuflüs-sen des Fallbachs, durchflosZuflüs-sen. Die Bäche vereinigen sich in der Fallbach-schlucht. Obschon der Fallbach ebenfalls ein Wildbach mit einem beträcht-lichem Einzugsgebiet ist und direkt an die Gürbe angrenzt, sind die beiden Gewässer nicht zu vergleichen, insbesondere da sich ihr geologischer Un-tergrund stark unterscheidet. Die Gesteine im Einzugsgebiet der Gürbe sind weicher und weniger stabil, wodurch dieser Wildbach deutlich mehr Ge-schiebe liefert und die Rutschungs- und Murganggefahr deutlich grösser ist als am Fallbach (vgl. Kapitel 2.2).13

12 Vischer 2003: 143.

13 Technischer Bericht Projekt Fallbach 1945: 1. StAB V Obere Gürbe 6.

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Die Gürbe verlässt nach der Einmündung des Schwändlibachgrabens den Quellkessel und fliesst nordostwärts in die steile Gürbeschlucht. Hier hat das Wasser eine tiefe Schlucht in die Bergflanke eingefressen.Auf die-ser Strecke münden beidseitig zahlreiche Seitenbäche in die Gürbe (Ab-bildung 2.2).

Abb. 2.2: Hydrologische Karte des Oberlaufs der Gürbe.14

Quelle: bVE: geoportal des kantons bern. kartengrundlage: swisstopo. reproduziert mit bewilligung von swisstopo (bA16062).

14 Diese Karte zeigt den aktuellen Zustand der Gewässer.

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Diese oft gefährlichen Wildbäche entwässern das Gebiet an der Ost-flanke des Gurnigels und die Nordhänge der Wirtneren. Die wichtigsten Zuflüsse sind der Meierisligraben und der Tiefengraben. Im Übergang der Schluchtstrecke in den Schwemmkegel zwischen Hohli und der Forst-sägebrücke nimmt das Gefälle markant ab. Während es im Gebirgsteil zwischen 6–20 Prozent beträgt, sind es hier noch 1–2 Prozent.15 Hier la-gert die Gürbe daher den Grossteil ihres Geschiebes ab. Nach der rund 2,5 Kilometer langen Übergangszone, wo auch der Fallbach in die Gürbe einmündet, geht sie schliess lich in den Unterlauf über.

Der Unterlauf der Gürbe

Im Gegensatz zum Oberlauf ist der Unterlauf des Flusses durch das ge-ringe Gefälle charakterisiert. Mit einer Neigung von nur 0,15–0,4 Prozent auf einer Strecke von rund 20 Kilometern ist der Gewässerabschnitt sehr flach.16 Während die Gürbe im Oberlauf Wildbachcharakter hat, ist ihr flacher Unterlauf aufgrund des geringen Ge-fälles, der Einzugsgebietsgrösse und der sekundären Rolle von Geschietransportprozessen als Talfluss zu be-zeichnen.17 Auch hier nimmt das Ge-wässer mehrere Seitenbäche auf (Abbildung 2.3).

Abb. 2.3: Hydrologische Karte des Unterlaufs der Gürbe.18

Quelle: bVE: geoportal des kantons bern.

kartengrundlage: swisstopo. reproduziert mit bewilligung von swisstopo (bA16062).

15 Bundesbeschluss 1892: 362.

16 BWG (Hg.) 2004: 4.

17 Vgl. z. B. Bezzola, Hegg 2007: 167.

18 Diese Karte zeigt den aktuellen Zustand der Gewässer.

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Die Mehrheit der im Unterlauf einmündenden Seitenbäche entspringt dem linksseitigen Längenberg. Bei Gewitterregen können diese rasch an-schwellen und viel Wasser und Geschiebe Richtung Tal und Gürbe führen.

Der wichtigste Zufluss des Unterlaufs ist aber die Müsche. Die Grosse Müsche hat ihren Ursprung in dem auf der Amsoldinger Platte gelegenen Geistsee, wendet nach Norden, durchfliesst Gurzelen und tritt schliesslich in die Gürbetalebene ein. Die Quelle der Kleinen Müsche liegt südlich von Seftigen.19 Der Lauf und Mündungsort der Grossen und Kleinen Mü-sche sind im Zuge der Hochwasserschutzarbeiten stark verändert worden (vgl. dazu Kapitel 5.4).

Nachdem die Gürbe die flache Talebene und das Becken von Belp durchflossen hat, mündet sie schliesslich unterhalb von Selhofen in der Gemeinde Kehrsatz in die Aare. Der Bereich des Belpmooses gehört zum Flussgebiet der Gürbe und der Aare.

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