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Hochwasser und Überschwemmungen

Im Dokument Der Hochwasserschutz an der Gürbe (Seite 80-86)

2. DIE GÜRBE

2.4 Die Gürbe vor 1855

3.1.1 Hochwasser und Überschwemmungen

Aus hydrologischer Perspektive unterscheiden sich Hochwasser und Über-schwemmungen voneinander. Als Hochwasser wird ein Wasserstand oder Abfluss eines Gewässers bezeichnet, der deutlich über dem langjährigen Mittelwert liegt.6 Dieser wird anhand der Abflussmessungen ermittelt.

Hochwasser sind bei Fliessgewässern eine natürliche Erscheinungsform und werden erst ab einer bestimmten Grösse zur Kenntnis genommen.

Insbesondere die häufigen kleineren Hochwasserabflüsse, die meistens keine Schäden verursachen und an die sich das Ökosystem und die Men-schen angepasst haben, werden kaum beachtet. Nach Armin Petrascheck interessieren aus Sicht der Umwelt diejenigen Abflüsse, bei welchen der Geschiebetrieb einsetzt, Auen benetzt werden oder das Flussbett verän-dert wird. Aus der Sicht der Gesellschaft hingegen stossen die hohen Ab-flüsse oftmals erst auf Resonanz, wenn sie zu einer Überschwemmung führen und so anthropogene Nutzungen beeinträchtigen oder die tägliche Routine stören.7 Eine Überschwemmung beziehungsweise Überflutung ist die vorübergehende Bedeckung einer Landfläche ausserhalb des Gewäs-serbetts mit Wasser. Wenn dabei auf der überfluteten Fläche mitgeführte

5 Detailliertere Informationen zu den Schäden sind in den Ausführungen zu einzelnen Hochwasserereignissen in Kap. 3.3 zu finden.

6 Loat, Meier 2003: Art. 80. In der Hydrologie werden den Spitzenabflussmengen ver-schiedene Wahrscheinlichkeiten (Wiederkehrperioden) zugeordnet. Ein HQ10 ist bei-spielsweise ein 10-jährlich wiederkehrendes Ereignis, ein HQ100 ein 100-jährliches.

7 Petrascheck 2003: 69. Vgl. dazu auch Deutsch 2007: 39.

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Feststoffe abgelagert werden, wird von einer Übersarung gesprochen.8 In vielen historischen Quellen werden die Begriffe «Hochwasser» und

«Überschwemmung» nicht sauber getrennt oder sogar synonym verwen-det. Da die Hochwasser häufig erst aktenkundig werden, wenn sie zu Überschwemmungen führen, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass meistens Überschwemmungen gemeint sind. Diese allge-meine Feststellung gilt jedoch nicht für die Wildbäche, da in deren stei-len Schluchten das Wasser trotz grosser Abflussmengen streckenweise kaum über die Ufer treten, aber dennoch grosse Schäden verursachen kann. Auch aus Sicht des Hochwasserschutzes sind nicht nur die Über-schwemmungen, sondern auch die Hochwasserabflüsse von Interesse. Aus diesen Gründen werden die Begriffe in der vorliegenden Untersuchung möglichst präzise verwendet. Sofern keine klare Abgrenzung zu machen ist, wird «Hochwasser» beziehungsweise «Hochwasserereignis» als Ober-begriff verwendet.

Natürliche Hochwasser sind, mit Ausnahme von Schwallwellen, die beim Ausbruch von aufgestautem Wasser entstehen, eine Reaktion auf Niederschläge. Ihr Ausmass steht somit in engem Zusammenhang mit der Menge, der Dauer und der Intensität der Niederschläge. In der Schweiz entsteht die überwiegende Zahl von Hochwassern durch Starknieder-schlag.9 Dieser kann entweder kurz und intensiv (eine bis mehrere Stun-den, 40–80 mm/h) oder länger und weniger intensiv sein (ein bis meh-rere Tage, 100–400 mm/d).10 In grösseren Einzugsgebieten führen üblicherweise längere Ereignisse von bis zu mehreren Tagen Dauer, in kleineren und mittleren Einzugsgebieten oft ein heftiger Gewitterregen – also ein kurzes, intensives Starkregenereignis – zu Hochwasser. Wo und wie oft diese Starkregenereignisse entstehen, hängt unter anderem von

8 Vgl. Loat, Meier 2003: Art. 462; PLANAT 2017b. In Berichten über Hochwasserereig-nisse wird häufig nicht zwischen Überflutungen und Übersarungen unterschieden und die beiden Prozesse unter dem Begriff «Überschwemmung» zusammengefasst.

Ausser bei Ereignissen, bei denen bekannt ist, dass einem der beiden Prozesse eine grosse Bedeutung zukommt, wird dies in der vorliegenden Arbeit übernommen.

9 Für die Einstufung eines Niederschlags als Starkniederschlag gibt es unterschiedliche Definitionen. Kriterien sind Schwellenwerte, eine Anzahl stärkerer Ereignisse oder die höchsten jährlichen Niederschläge. Vgl. Loat, Meier 2003: Art. 9; Spreafico, Weingartner 2005: 18.

10 Frei 2003: 61.

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der Topografie eines Gebietes und den damit verbundenen Effekten ab.11 Die Schneeschmelze allein führt selten zu Hochwasser. Allerdings kön-nen sich die Schneeschmelze-Abflüsse mit den Regenmengen kumulie-ren. Weiter trägt die Schneeschmelze auch dadurch zur Hochwasserbil-dung bei, dass durch sie die Speicher eines Einzugsgebiets derart aufgefüllt sein können, dass die Niederschläge direkt in Abfluss umgewandelt wer-den.12 Zwischen der Niederschlagsmenge und -intensität und der Höhe der Abflussspitze besteht nicht zwangsläufig ein direkter Zusammenhang.

Ob und wie es infolge eines Niederschlagsereignisses zu einem Hochwas-serabfluss kommt, hängt auch von der Vorgeschichte – also von vorausge-gangenen Niederschlagsperioden oder der Akkumulation grosser Schnee-massen – und damit einhergehend vom hydrologischen Zustand des Einzugsgebietes ab.13 Jedes Hochwasser ist das Ergebnis einer Ursachen-konstellation und verfügt, trotz allgemeiner Gesetzmässigkeiten, über einen einmaligen Charakter. Grundsätzlich tritt unter natürlichen Klimabedin-gungen eine erhebliche Schwankung in der Häufigkeit von Überschwem-mungen auf.14

An der Gürbe wirkt sich das zweiteilige Gerinne, also die grossen Unterschiede zwischen Ober- und Unterlauf, auf Entstehung, Art und auch Schäden von Hochwassern und Überschwemmungen aus. Für diese spielen wie üblich sowohl die Niederschläge wie auch der Zustand des Einzugsgebietes eine wichtige Rolle. Besonders den Böden kommt eine grosse Bedeutung zu. Im oberen Einzugsgebiet zeichnen sich diese durch eine grosse Wasserundurchlässigkeit und geringe Speicherfähigkeit und dadurch einen raschen Abfluss aus. Im Unterlauf ist die Abflussbildung aufgrund der vorherrschenden Bodenarten deutlich verzögert, wodurch grössere Wassermengen vorübergehend gespeichert werden können.15

Die Spitzenabflüsse im Oberlauf werden üblicherweise durch kurze und intensive Starkniederschläge verursacht. Wie bereits in Kapitel 2.3 erläutert, ist an der oberen Gürbe die Wahrscheinlichkeit von intensiven Gewittern aufgrund der geografischen Lage hoch. Im Unterlauf hinge-gen verursachen langandauernde Rehinge-genfälle von mehr als einem Tag

11 Caviezel 2007: 21.

12 Vgl. Vischer 2003: 9; Spreafico et al. 2003: 16–17.

13 Vgl. dazu Spreafico, Weingartner 2005: 64; PLANAT 2017b; Petrascheck 2003: 70.

14 Pfister 1998: 5.

15 Vgl. dazu Jäckle 2013a: 64–70; IHW (Hg.) 1997: 8–10. Vgl. dazu auch Kap. 2.2.

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Dauer, bestimmt durch grossskalige Wettersysteme, die höchsten Abfluss-spitzen. Nach ausgiebigen, langandauernden Niederschlägen mit Zent-rum im oberen Einzugsgebiet der Gürbe können zudem sowohl in Bur-gistein wie auch in Belp hohe Abflusswerte erreicht werden.16

Im Oberlauf treten, wie in Wildbachsystemen typisch, Hochwasser mit intensiven Feststoffumlagerungen und -ablagerungen auf. Charakte-ristisch sind geringe Wassertiefen, hohe Geschwindigkeiten, schwer er-fassbare Fliesswege und vor allem die grosse Bedeutung der Feststoffver-lagerung.17 Das Erd- und Gesteinsmaterial ist dabei die dominierende Komponente. Auf weiten Strecken des Gerinnes tritt Seiten- und Tiefen-erosion auf, und Wildholz spielt eine wichtige Rolle.18 Die Feststoffe wer-den bei Hochwasser vom Wasser mittransportiert, bewegen sich aber – im Gegensatz zu einem Murgang, wo sie sich mit dem Wasser verbinden – deutlich langsamer als die Strömung.19 Während eines Hochwasserereig-nisses kann es zu Wechseln zwischen den fluvialen Prozessen und Mur-gängen kommen. Die durch Gewitter verursachten Hochwasser im Gürbeoberlauf zeichnen sich zudem durch hohe spezifische Abflüsse, aber geringe Volumina aus. Die Abflussspitzen sind üblicherweise nur im Oberlauf hoch, da sie im Talbereich durch die Retention gedämpft wer-den, so dass sie bei der Messstation Belp schliesslich nicht mehr extrem sind.20 Besonders schadensanfällig ist im Oberlauf die Zone des Über-gangs in den Gemeinden Blumenstein und Wattenwil (Abbildung 3.1).

Die Gürbe verliert hier stark an Gefälle, was zur Ablagerung der Feststoffe führt. Insbesondere der auf dem Gemeindegebiet von Wattenwil liegende Gürbeabschnitt mit seinem scharfen Bogen und der Aufnahme des Fall-bachs ist häufig von Überschwemmungen betroffen.21

16 IHW (Hg.) 1997: 5–6.

17 Unter Feststoffen wird die Gesamtheit der festen Stoffe im Wasser verstanden, also das Geschiebe, die Schwebstoffe, das Geschwemmsel und das Eis. Spreafico, Weingartner 2005: 101. Feststoffe werden in jedem natürlichen Fliessgewässer aufgenommen bzw.

mobilisiert, transportiert und abgelagert. Die Abläufe dieser Prozesse werden in Kien-holz et al. 1998: 14–22 ausführlich erläutert.

18 Jäckle 2013a: 82.

19 Vischer 2003: 12.

20 IHW (Hg.) 1997: 7.

21 Technischer Bericht Projekt Fallbach 1945. StAB V Obere Gürbe 6.

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Abb. 3.1: Karte der Übergangszone zwischen Wattenwil und Blumenstein, 1:25 000.

Nicht massstäblich dargestellt.

Quelle: swisstopo. reproduziert mit bewilligung von swisstopo (bA16062).

Die grossen Hochwasser des Unterlaufs verfügen normalerweise über ge-ringere spezifische Abflüsse, aber über deutlich grössere Volumina als die-jenigen des Oberlaufs.22 Bei ihnen spielen die Geschiebetransportprozesse nur eine sekundäre Rolle. Grosse Hochwasserabflüsse führen hier vor al-lem zu Überflutungen.23 Aufgrund des geringen Gefälles kann das Wasser einige Tage stehen bleiben.24 Am stärksten überflutungsgefährdet ist der Raum Selhofen-Belpmoos-Belpau im Mündungsbereich. Dieses Gebiet gehört zu zwei Flussräumen; hier können sowohl die Gürbe wie auch die Aare zu Überflutungen führen. Bei Hochwasser der Aare ist es zudem möglich, dass die Gürbe zurückgestaut wird und ihr Pegel dadurch

an-22 Jäckle 2013a: 71; IHW (Hg.) 1997: 7.

23 Vgl. z. B.: Bezzola, Hegg 2007: 172.

24 Vgl. z. B.: O. A.: Bern. In: Intelligenzblatt für die Stadt Bern, 04.08.1851.

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steigt.25 Wie vergangene Ereignisse gezeigt haben, können sich die beiden Gewässer auf der überfluteten Fläche auch verbinden, so beispielsweise im Mai 1999, als die Aare im Raum Selhofen quer in die Gürbe floss.26

Gemäss den verschiedenen vorherrschenden Prozessen unterscheiden sich die Hochwasserschäden in den zwei Talbereichen deutlich.27 Im Wildbachteil führen vor allem die mitgeführten Feststoffe zu Schäden.

Das Gesteinsmaterial und Treibholz können durch die reibende und fei-lende Wirkung das Gewässerbett und die Infrastrukturbauten beschädi-gen.28 Besonders gefährlich sind hier auch die sogenannten Verklausun-gen, bei welchen sich Bäume und Blöcke an Hindernissen verfangen und so das Wasser zunächst zurückstauen, bis die Barriere unter dem Wasser-druck nachgibt und so einen Schwall erzeugt. Ähnliches geschieht bei der Blockierung des Abflusses durch seitliche Murgänge oder Rutschungen.

Abhängig von der Gewässerstrecke, der Abflussmenge und der Feststoff-fracht können im Oberlauf auch Überschwemmungen und Übersarun-gen zu Schäden ausserhalb des Gerinnes führen.29 Die aus dem Wildbachteil mitgeführten Feststoffe werden grösstenteils in der Übergangszone abge-lagert. Bei sehr starken Hochwasserereignissen kommt es auch vor, dass das Geschiebe und Holz bis in die flache Talebene getragen wird. Tritt dies ein, entstehen dort deutlich grössere Schäden als durch reine Über-flutungen, welche hauptsächlich für junge Pflänzchen eine Gefahr sind, ansonsten aber nur geringe Schäden verursachen.30 Sowohl im oberen wie auch im unteren Gürbetal können auch die Seitenbäche bemerkenswert grosse Schäden verursachen. Diejenigen des oberen Einzugsgebiets füh-ren wie die Gebirgs-Gürbe häufig viel Geschiebe mit sich, wähfüh-rend die-jenigen des unteren oft mitten durch die Siedlungsgebiete fliessen.

25 Vgl. z. B.: Das Schweiz. Dep. des Innern an den Bundesrat. 22.02.1899. BAR E 19 1000/43 Nr. 1412.

26 Aufgrund einer besonderen stationären Konstellation von zwei Tiefdruckgebieten im Einzugsgebiet und einer starken Erwärmung mit grossem Schmelzwasseranfall führte die Aare vom 14.–16. Mai 1999 extremes Hochwasser, das grosse Überschwemmungen verursachte. Vgl. dazu Hügli 2007: 62.

27 Zu Hochwasserschäden im Allgemeinen vgl. Merz 2006: 189–258.

28 Lange, Bezzola 2006: 1.

29 Vgl. Bezzola, Hegg 2007: 164.

30 Vgl. Glaser et al. 2002: 19.

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