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Erste Koordinationsversuche und wiederholte Vorstösse für die Korrektion der Gürbe

Im Dokument Der Hochwasserschutz an der Gürbe (Seite 172-177)

5. DIE SCHUTZBEMÜHUNGEN AN DER GÜRBE

5.1 Frühe Hochwasserschutzmassnahmen und der holprige Weg zur Gürbekorrektion

5.1.2 Erste Koordinationsversuche und wiederholte Vorstösse für die Korrektion der Gürbe

Während über Jahrhunderte nur punktuelle und individuelle Korrektions-massnahmen vorgenommen worden waren, rückten ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend grossräumigere Projekte in den Bereich des Möglichen. Solche Unternehmen verlangten eine Koordination und Or-ganisation der betroffenen Landeigentümer. Ein erster Anstoss für eine Vereinigung ging von Friedrich von Tscharner (1780–1862) aus der Fa-milie der Besitzer des Schlosses Kehrsatz aus. Mit Vorträgen gelang es Tscharner im Winter 1807/1808, die Grundbesitzer des Mündungsgebiets der Gürbe zu vereinen und eine Gütergemeinde zu gründen. Für die Ko-ordination der Hochwasserschutz- und Entwässerungsmassnahmen in diesem sowohl von Gürbe als auch Aare bedrohten Gebiet erstellte die Organisation ein Reglement, welches vorsah, dass die Anstösser einmal jährlich ihren Gewässerabschnitt ausräumen und die Böschung reinigen sollten. Weiterhin sollten sie auch die Wege und Brücken unterhalten.

Nach dem Reglement konnten die Anstösser jedoch nicht dazu gezwun-gen werden, die allfälligezwun-gen Schutzdämme zu pflegezwun-gen oder gar neue zu er-richten.31 Gemäss Walter Kirchhoff führten einerseits Streitigkeiten über die Lastenverteilung – nach dem Reglement hatten einzig die Gürbeanstös-ser die Lasten zu tragen, nicht aber alle Moosbesitzer – und andererseits die fehlenden Hochwasserschutzmassnahmen im mittleren und oberen Gürbetal dazu, dass Tscharners Bemühungen nie die gewünschte Wirkung erzielten.32

Quellenausschnitte weisen darauf hin, dass immer wieder Anläufe dazu unternommen wurden. Ein sehr früher Beleg über die Versuche, die Gürbe zum Flössen von Holz zu nutzen, stammt aus der Berner-Chronik des Valerius Anshelm. Im fünften Band seiner Chronik schreibt er zu den Bauten im Jahr 1523: «Item, mit verlorner arbeit und kos-ten, die Gürben zur holzflötze.» Damit belegt Valerius Anshelm auch frühe Wasserbau-ten an der Gürbe. Vgl. Historischer Verein des Kantons Bern (Hg.) 1896. Aufgrund der Eigenschaften und der geringen Grösse der Gürbe dürfte das Flössen und die Trift an diesem Fluss jedoch insgesamt unbedeutend gewesen sein.

31 Eine Transkription des Reglement[s] der Besitzern von Grundeigenthum auf den Mösern zu Belp und Kehrsatz und dortigen Anstössern an die Gürben vom 31. Januar 1808 ist im Nachlass von Hans Egger Staatsarchiv des Kantons Bern zu finden (StAB N Egger 20).

32 TBA (Hg.) 1951: 2–4.

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Grosse Aktualität erhielten der Hochwasserschutz und nun auch die Korrektion des gesamten Gürbelaufs in den 1830er-Jahren. Dies stand in en-gem Zusammenhang mit den in diesen Jahren ausgeführten Arbeiten an der Aare.33 1832 ersuchte der Regierungsstatthalter des Amts Seftigen den Ber-ner Regierungsrat um eine Korrektion des Gürbelaufs.34 Dieser begrüsste die vorgebrachten Ideen und beauftragte das Baudepartement, sich der Sache anzunehmen. Dem Regierungsstatthalter wurde mitgeteilt, dass der Regie-rungsrat «gerne die allfälligen Vorschläge der Interessenten in Bezug auf die Anordnung dieser gewiss sehr wünschenswerthen Flusskorrektion» entge-gennehmen werde.35 Am 1. Mai 1833 traf beim Regierungsrat eine weitere Bittschrift um eine Verbesserung der Zustände an der Gürbe ein: Die Gü-terbesitzerkommission der Kirchgemeinde Belp bat um eine Flusskorrektion.

Diese ersten Anläufe für eine umfassende Korrektion kamen vorerst aber noch nicht zur Ausführung, was Walter Kirchhoff der fehlenden Subventi-onierung und den politischen Wirrnissen dieser Zeit zuschreibt.36

Ab Mitte der 1840er-Jahre folgten mehrere weitere Vorstösse und Bitt-schriften. 1845 ersuchte die Gemeinde Mühlethurnen die Regierung um eine Staatssubvention für ihre Schwellenbauten. Der Regierungsrat lehnte die finanzielle Hilfe weiterhin ab, stellte der Gemeinde aber kostenlos einen Schwellenmeister zur Verfügung.37 Am 6. November 1846 forderten dann zahlreiche Grundbesitzer aus verschiedenen Gemeinden des Tals in einer Petition an den Grossen Rat die Korrektion der Gürbe.38 Die Bittschrift war auch von neun, zumindest teilweise im Gürbetal ansässigen und somit di-rekt betroffenen Grossräten unterschrieben. Diese setzten sich auch in der folgenden Ratssitzung intensiv für das Anliegen ein. Letztendlich konnte die Petition, wohl auch dank ihren Fürsprechern, die bernische Regierung

33 Bericht des Regierungsstatthalters von Seftigen an den Regierungsrat der Republik Bern. 26.11.1832. Amtsberichte 1832. Aus: Gürbe. Reinschriften. Transkribiert von Hans Egger. StAB N Egger 20. Der direkt die Gürbe betreffende Aareabschnitt Mün-singen–Kehrsatz wurde zwischen 1824 und 1859 verbaut. Im Zuge dieser wurde in den 1830er-Jahren bereits auch die Gürbemündung befestigt. Vischer 2005: 130. Vgl.

zur Korrektion der Aare Kap. 4.1.2.

34 TBA (Hg.) 1951: 4.

35 Sitzung vom 16.02.1833. In: Manual des Regierungsrathes 9 (1833): 294. StAB A II 1143.

36 TBA (Hg.) 1951: 4.

37 TBA (Hg.) 1951: 4.

38 Protokoll der Sitzung des Grossen Rathes vom 06.11.1846. In: Tagblatt des Grossen Rathes des Kantons Bern 30/2 (1846): 6. StAB LS AMS 3 TGR.

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überzeugen. Endlich stimmte sie der geplanten Korrektion der Gürbe zu und erklärte sich bereit, die Vorarbeiten dafür zu übernehmen.39

In den Sommern 1845 und 1846 ereigneten sich mehrere schaden-bringende Überschwemmungen, nach denen 1847 aus mehreren Gemein-den erneut Bittschriften für Hochwasserschutzmassnahmen eingingen. Sie verschafften der Petition von 1846 zusätzliches Gewicht.40 Noch im sel-ben Jahr erteilte der Regierungsrat der Baudirektion den Auftrag, Profile aufzunehmen und die Pegel messen zu lassen.41 Geplant wurden nicht nur die Kanalisierung des Unterlaufs der Gürbe und die Entsumpfung der Talebene, sondern auch die Verbauungen in der Gebirgspartie.42

Als zu Beginn der 1850er-Jahre noch immer nicht gebaut wurde – der leitende Ingenieur hatte die Pläne nicht wie vereinbart geliefert – wurden die Grundeigentümer erneut aktiv. Im Februar 1851 versammelten sie sich im Wirtshaus zu Kirchenthurnen und formulierten ein Gesuch, das wiederum die Inangriffnahme der Korrektionsarbeiten und eine staatliche Finanzierung forderte. Im April 1851 folgte ein Schreiben von einem «Comite von Besit-zern des Thurnenmooses». Dieses fragte den Regierungsrat an, ob der Staat nicht die Korrektion und Entsumpfung in die Hand nehmen wolle und, falls nicht, ob das Komitee eine Entsumpfungsgesellschaft bilden und die Sache auf der Grundlage der vom Staat erstellten Studien selbst in Angriff nehmen könne. Der Staat sicherte den Grundeigentümern seine Unterstützung zu.

Er wollte die Aufsicht über die Arbeiten übernehmen und sich finanziell be-teiligten. Die eigentlichen Lasten sollten aber den Landbesitzern überlassen bleiben.43 Trotz mehrerer weiterer Ansuchen und Verhandlungen liess sich der Staat nicht auf einen konkreten Beitrag festlegen und verlangte zuerst die Fertigstellung der Pläne und des Kostenvoranschlags. Diese gingen, nach Androhung rechtlicher Schritte, im Frühjahr 1853 mit einer Verspätung von

39 Protokoll der Sitzung des Grossen Rathes vom 14.11.1846. In: Tagblatt des Grossen Rathes des Kantons Bern 43/2 (1846): 2. StAB LS AMS 3 TGR.

40 Egger 1958: 26. Zu den Überschwemmungen der 1840er-Jahre siehe die Chronik der historischen Schadensereignisse an der Gürbe (Anhang 3).

41 TBA (Hg.) 1951: 6.

42 Bereits von Anfang an war demnach geplant, den Oberlauf der Gürbe mit Trom-schwellen zu verbauen, durch welche der Geschiebeanfall geringer werden sollte. Vgl.

Protokoll der Sitzung des Regierungsrats vom 19.04.1851. In: Manual des Regierungs-rates 149 (1851): 279. StAB A II 1283.

43 Protokoll der Sitzung des Regierungsrats vom 19.04.1851. In: Manual des Regie-rungsrates 149 (1851): 271–272. StAB A II 1283.

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mehreren Jahren endlich ein. Der Kostenvoranschlag sah eine Bausumme von 400 000 Franken (42 422 963 Fr.) vor, was umgerechnet einen Preis von 75,50 Franken (8 007 Fr.) pro Jucharte bedeutete. Der Regierungsrat argu-mentierte, dass dies im Vergleich zu anderen Korrektionen ein geringer Preis sei, der sich sicherlich lohnen werde.44 Auf der Basis der nun vorliegenden Beschlüsse und Pläne erhielt der Regierungsstatthalter des Amtes Seftigen den Auftrag, eine gesetzliche Körperschaft zur Ausführung der Arbeiten zu bilden. Ähnliche Entsumpfungsgenossenschaften entstanden in diesem Jahr-zehnt auch in anderen Kantonsteilen.45 In der Folge wurde zudem ein Aus-schuss der Güterbesitzer ernannt, welcher die Arbeiten prüfen und über das weitere Vorgehen verhandeln sollte.46 1853 und 1854 gingen die technischen und organisatorischen Vorarbeiten intensiv weiter. In zähen Verhandlungen wurde weiterhin über die geplanten Bauten und über die Kostenverteilung diskutiert. In Anbetracht der absehbaren hohen Kosten gelangte eine Gruppe von Grundbesitzern aus verschiedenen Talgemeinden im Oktober 1854 mit einer mit dutzenden Unterschriften versehenen Bittschrift an die Regierung von Bern. Darin war festgehalten:

«Es möchte von dem Projekt der Staate, in Betracht der unerschwinglichen Kosten abstrahirt und also den angebrachten Gründen der Intenten Rechnung getragen werden, in dem auf keine Art die Entsumpfung besser und wohlfeiler geschehen kann als wie sie angegeben worden.»47

Schliesslich wurden Art, Umfang und Finanzierung der auszuführenden Massnahmen in einem Gesetzestext festgelegt. Das Gesetz, betreffend die Korrektion der Gürbe wurde im Regierungsrat am 13. Oktober 1854 dis-kutiert, am 28. November dem Grossen Rat vorgelegt und am 4. Dezem-ber 1854 auch vom Regierungsrat abschliessend genehmigt.48 Auf dieser Basis konnten die Arbeiten endlich in Angriff genommen werden.

44 Protokoll der Sitzung vom 20.04.1853. In: Manual des Regierungsrathes 163 (1853):

371–372. StAB A II 1297.

45 Pfister 1995: 329.

46 TBA (Hg.) 1951: 8.

47 Vorstellung der Burgergemeinden und Partikularen im Amtsbezirk Seftigen an den Direktor des Entsumpfungswesens zu Handen des Tit. Grossen Raths des Kantons Bern. 15.10.1854. StAB BB X 4517.

48 Gesetz betreffend die Korrektion der Gürbe. 1. Dezember 1854. In: Gesetze, Dekrete und Verordnungen des Kantons Bern 9 (1854): 182–187. Diese Quelle wird im Folgen-den mit «Gesetz Gürbe 1854» abgekürzt. Das handschriftliche Original des Gesetzes ist im Staatsarchiv des Kantons Bern gelagert (StAB BB X 4517).

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5.2 1855–1881: Die Grosse Gürbekorrektion

Mit dem Beschluss der bernischen Regierung, die Gürbe von ihrer Mün-dung bis hinauf in den Oberlauf zu korrigieren und zu verbauen, wurde eine Entwicklung in Gang gesetzt, welche das Gewässer und das Tal tief-greifend verändern sollte. Obwohl in der Literatur und in verschieden jüngeren Quellen als Dauer der Gürbekorrektion der Zeitraum 1855–1911 zu finden ist, wird hier das Jahr 1881 als Endpunkt festgelegt.49 Das bis heute verbreitete Abschlussjahr 1911 ist nämlich in den zeitgenössischen Quellen nirgends zu finden ist; es scheint, als sei es erst nachträglich be-stimmt und seitdem unbedacht wiederholt worden zu sein.50 Eine genaue Betrachtung der Baugeschichte zeigt nämlich, dass wenig für einen Ab-schluss im Jahr 1911 spricht. Weder hinsichtlich der Präventionsprojekte noch hinsichtlich der Organisation des Hochwasserschutzes ist dann eine klare Zäsur zu erkennen.51 Ein deutlicher Bruch ist hingegen 1881 fest-stellbar: In diesem Jahr wurde erstmals ein ergänzendes Korrektionspro-jekt ausgearbeitet und dem Kanton und neu auch dem Bund zur Subven-tionierung vorgelegt. Zudem wurden die Kostenbeiträge des beteiligten Grundeigentums für dieses grosse Projekt nicht mehr über die Mehrwert-schatzungen errechnet, sondern durch die Schwellenkataster ermittelt

49 Den Zeitraum 1855–1911 wird beispielsweise in Dubler 2007; Uttendoppler 2012: 45 oder Egger 1955: 28 genannt. In den älteren Quellen findet sich entweder das Jahr 1881 oder das Jahr 1892 als Endpunkt der Korrektion. Zum Jahr 1881 vgl. z. B. TBA (Hg.) 1951: 55; Zusammenstellung der Verbauungen der Gürbe und ihrer Zuflüsse; Entwässe-rungen und Meliorationen. 01.05.1928. Archiv TBA OIK II 3052; zum Jahr 1892 vgl. H., C.: Im Tal der Gürbe. In: Neue Berner Zeitung, 11.02.1942; Leuenberger 1935: 36.

50 Tatsächlich sorgte die Frage nach dem Endpunkt der Korrektion bereits bei den Zeit-genossen für Verwirrung. Dies hing eng mit der Differenz zwischen den Erwartungen und der eingetretenen Wirkung der Hochwasserschutzmassnahmen zusammen (vgl.

dazu Kap. 6.2). Da sich lange nicht der gewünschte Erfolg einstellte und immer weiter gebaut werden musste, schien selbst den Hochwasserschutzakteuren nie klar gewesen zu sein, ob die Korrektion nun fertig sei. Möglicherweise ist die von Leuenberger ge-troffene Aussage, dass das Werk 1911 «im grossen und ganzen abgeschlossen» war, der Grundstein für die Verbreitung dieser Jahreszahl. An anderen Textstellen nennt Leuen-berger jedoch auch das Jahr 1892 als Endpunkt der Korrektion und resümiert, dass das Werk erst heute [1936] vollendet dastehe. Vgl. Leuenberger 1936: 36, 44–46.

51 1911 waren bereits mehrere ergänzende Hochwasserschutzprojekte vollendet, was auch die Liste der Projekte deutlich zeigt (Anhang 4). Ein Bruch ist allenfalls im Jahr 1910 zu erkennen, als das grosse Ergänzungsprojekt von 1900 abgeschlossen wurde und die Pro-jekte fortan nach Ober- und Unterlauf aufgeteilt wurden (vgl. dazu Kap. 5.3).

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(vgl. dazu Kapitel 6.3.3). Damit unterschieden sich das Projekt 1881 und dessen Nachfolger massgeblich von den zwischen 1855–1881 vorgenom-menen Massnahmen. Es ist also dem Wasserbauingenieur Walter Kirch-hoff zuzustimmen, welcher über die Initiierung des Projekts 1881 schrieb:

«Mit dieser Handlung treten wir in eine neue Phase der Gürbebaugeschichte. Zum erstem Male wird Bundeshilfe nachgesucht, gleichzeitig aber ist auch das Kapitel

‹Entsumpfung› erledigt, denn von nun an handelt es sich nur noch um Flusskor-rektion und Wildbachverbauung.»52

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