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Geologie und Böden

Im Dokument Der Hochwasserschutz an der Gürbe (Seite 60-70)

2. DIE GÜRBE

2.2 Geologie und Böden

Die geologischen Gegebenheiten im Einzugsgebiet der Gürbe sind sehr vielfältig, da aufgrund der Lage im Übergangsbereich zwischen Mittel-land und Voralpen sowohl alpine Gesteine als auch Teile des mittelländi-schen Molasse-Plateaus vorkommen. Insbesondere das Gebiet des Ober-laufs weist einen komplexen geologischen Bau auf (Abbildung 2.4).

Von ihrem Ursprung bis zur Mündung durchfliesst die Gürbe vier tektonische Einheiten: die Klippendecke, die Gurnigeldecke, die Molasse und die quartären Ablagerungen. Der südlichste und oberste Teil des Ein-zugsgebiets mit dem Quellkessel befindet sich im Bereich der Klippen-decke mit den steil aufragenden Kalkfelsen der Stockhornkette. Deren Basis bildet verwitterungsanfälliger, weicher und oft wasserführender Gips, welcher mit Rauhwacke vermengt ist. Darüber liegen gefaltete Kalke, Dolomite und Mergelkalke.20

Unterhalb der Klippendecke, am Fuss des Quellkessels, folgt die Gur-nigeldecke, bestehend aus Wildflysch im Süden und Gurnigelflysch im Norden. Diese Sedimentgesteine setzen sich aus einer Wechsellagerung von marinen Sandsteinen, Tonschiefern, Mergeln und Kalksteinen

zusam-19 Bachmann 2009c: 48.

20 INTERPRAEVENT (Hg.) 1992: 1.

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men.21 Sie sind sehr weich und leicht erodierbar. Durch die grosse Verwit-terungsanfälligkeit der Flyschzone konnte die Gürbe ihre tiefe Schlucht bilden. Auch die zahlreichen Seitenbäche gruben sich tief in den weichen Untergrund ein und bildeten eine zerklüftete Landschaft mit Gräben und Rücken. Flysch ist wasserundurchlässig und dadurch rutschungsanfällig.22

Nördlich der Flyschzone folgt, als dritte geologische Einheit, die Molasse. Im Bereich des Oberlaufs ist die Subalpine Molasse vorherrschend.

Sie besteht aus stark verwitterungsanfälligen Mergeln und härteren, im Gelände oft Rippen bildenden Sandsteinen. Die Sedimente der Molasse wurden vor 20 bis 5 Millionen Jahren im Zuge der Entstehung der Alpen an deren Rand abgelagert. Während der zweiten Hälfte der Alpenfaltung wurden die helvetischen und penninischen Decken über die alpenrand-nahe Molasse geschoben, so dass die Molasseschichten unter die Voralpen

21 Jäckle 2013a: 53; Von Känel 1993: A2.

22 Bachmann 2009b: 9. Vgl. zu den Rutschungen Kap. 3.1.3.

Abb. 2.4: Geologische Karte der Gantrischregion, 1:200 000.

Nicht massstäblich dargestellt.

Quelle: swisstopo. reproduziert mit bewilligung von swisstopo (bA16062).

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abtauchten und von älteren Flyschschichten überlagert wurden.23 Die Kombination von verwitterungsanfälligem Flysch auf den aus dünnem, glimmerreichen Mergel bestehenden Molasseschichten führt zu einer star-ken Geschiebeanfall, da die wasserundurchlässigen Mergelschichten im durchnässten Zustand sowohl Basis wie auch Schmiermittel für die Ab-fuhr des Geschiebes sind.24 Allgemein transportieren Wildbäche aus Flyschzonen immer viel Schutt in die Talzone.

Wiederum nördlich dieser Subalpinen Molasse folgt das Molassevor-land (autochthone Mittelländische Molasse), das vorwiegend aus Sedimen-ten der Unteren Süsswassermolasse und der Oberen Meeresmolasse besteht.

Die dominierenden Gesteinsarten sind Kalksandsteine, sandig-tonige Mergel und Nagelfluhbänder.25 Der Mittel- und Unterlauf der Gürbe liegt im Bereich dieser geologischen Einheit.

Die vierte Einheit bilden schliesslich die quartären Ablagerungen.

Sie entstanden durch die Vergletscherung und die nachfolgenden fluvio-glazialen Aktivitäten der Gletscherflüsse. Das Gürbetal war phasenweise vom Rhonegletscher sowie von lokalen Vergletscherungen bedeckt. Am wichtigsten war aber ein Seitenarm des Aaregletschers, der das gesamte Tal vom Stockental her bedeckte und sich im Belper Becken mit dem Aa-regletscher vereinigte.26 Insbesondere die letzten zwei grossen Eiszeiten Riss (230 000–130 000 Jahre vor heute) und Würm (100 000–10 000 Jahre vor heute) hinterliessen ihre Spuren. Die fluvioglazialen Aktivitäten form-ten das heutige Relief in den obersform-ten Molasseschichform-ten und prägform-ten die Landschaft in grossem Masse. So entstanden beispielsweise die zahlreichen Seitenmoränen, Schuttkegel, Schotterterrassen, Drumlins, Findlinge oder Kiesablagerungsstellen.27 Durch den Rückzug der Gletscher bildeten sich auch die feuchten Senken, die durch Grundmoränenwälle abgeschlossen und mit undurchlässigem Glaziallehm abgedichtet waren. Dies führte zum Entstehen von Mooren und Seen wie den kleinen Moränenseen Dittlig-, Geist- oder Gerzensee.

23 Jäckle 2013a: 30.

24 ASF (Hg.) 1977: 45.

25 Von Känel 1993: A2.

26 Vgl. WEA (Hg.) 1995: 23; Bachmann 2009b: 9.

27 Vgl. dazu Jäckle 2013a: 86–89.

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In der Talebene sind aufgrund der fluvioglazialen Prozesse Über-schwemmungslehme, Tone, Kies, Sande, tonig-sandiger Silt, Seekreide, Torf und Schottervorkommen vorhanden.28

Die Gesteine bilden das Ausgangsmaterial der Böden, denn der Un-tergrund ist zusammen mit den lokalklimatischen Bedingungen, der Vege-tation und der Geomorphologie für die Bodenbildung bestimmend.29 Im Einzugsgebiet der Gürbe sind verschiedenste Böden vorhanden, die sich unter anderem hinsichtlich ihrer Abflusskapazität bei Niederschlägen un-terscheiden. Während einige Bodenarten grosse Wassermengen aufneh-men können, bildet sich bei anderen rasch Oberflächenabfluss oder Ab-fluss im Boden. Demensprechend tragen die Böden unterschiedlich stark zur Hochwasserbildung bei.30 Grundsätzlich kann in stark vernässten und flachgründigen Böden oder Felsoberflächen nur wenig Wasser gespeichert werden. Tiefgründige und durchlässige Böden über Lockermaterial hin-gegen können den Abfluss stark verzögern.31

Folgende Böden sind im Gürbetal vorherrschend: Im Bereich der Klippen-decke treten flachgründige, schwach entwickelte Böden mit geringem Speichervermögen auf (Rendzinen, Regosole, Lithosole). In der unter-halb gelegenen Flyschzone der Gurnigeldecke herrschen feuchte und nasse Böden vor (Gleye, vergleyte Braunerden und Regosole). Ihre Wasser-durchlässigkeit ist gehemmt, das Wasserspeichervermögen gering bis mäs-sig. Sowohl auf den flachgründigen Böden am Gantrisch-Nordhang wie auch auf den feuchten Böden am Gurnigel-Osthang ergibt das grössten-teils einen raschen Abfluss.32 In den Talbereichen mit Subalpiner und Mit-telländischer Molasse, welche meist von würmeiszeitlichen Ablagerungen überdeckt sind, bildeten sich im flachen Gelände Braunerden.33 Mehr als die Hälfte des Gebietes ist von diesen Bodentyp bedeckt. Sie sind

tief-28 Von Känel 1993: A3.

29 Institut für Hydromechanik und Wasserwirtschaft, ETH Zürich (IHW) (Hg.): Die Hochwasser der Gürbe (Entstehung, Ablauf, Häufigkeit). Zürich 1997: 8. Archiv WBV OG. Diese Quelle wird im Folgenden mit «IHW (Hg.) 1997» abgekürzt.

30 Vgl. dazu IHW (Hg.) 1997: 8–9.

31 IHW (Hg.) 1997: 10.

32 Nur in Gebieten mit grösserer Lockermaterialunterlage, beispielsweise durch Stein-schläge oder Moränenablagerungen, ist die Abflussbildung verzögert. Vgl. IHW (Hg.) 1997: 9.

33 IHW (Hg.) 1997: 8.

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gründig, gut durchlässig und haben ein hohes Infiltrations- und Wasser-speichervermögen. Dementsprechend haben die Braunerden eine verzö-gernde Wirkung auf den Abfluss.34

An den steileren Seitenhängen des Belpbergs und Längenbergs ent-standen flachgründigere Braunerden mit geringerem Wasserspeicherver-mögen (Ranker, Regosole). In den Moränenlandschaften zwischen Am-soldingen und Seftigen bildeten sich in den abflusslosen Senken Moore mit Gleyböden respektive vergleyten Braunerden. Die Böden entlang des Längenbergs, des Belpbergs und des Gebiets Amsoldingen-Seftigen sind allgemein sehr durchlässig, wodurch nur stark verzögert Abfluss entsteht und grosse Niederschlagsmengen gespeichert werden können. Nur in steileren Hanglagen ist die Abflussbildung etwas schneller. Im Talboden der Gürbe ist sie, obwohl dort Gleyböden vorkommen, aufgrund des schwachen Gefälles gering.35

2.3 Hydrologie

Die Lage der Gürbe in der Zone des Übergangs vom Mittelland zu den Voralpen widerspiegelt sich nicht nur in den physiografischen Gebiets-kenngrössen wie dem höchsten und tiefsten Punkt, was sich auch in den hydrologischen Parametern zeigt. Im Folgenden werden die für das Ver-ständnis der Hochwassersituation grundlegenden Parameter Niederschlag und Abfluss untersucht. Da diese zeitlich variabel sind und der Abfluss stark vom Zustand des Gewässers und seines Umlands abhängt, sind einige Aussagen nicht für einen längeren Zeitraum gültig.

Niederschlag

Die Niederschlagsverhältnisse eines Gebietes sind von verschiedenen Fakto-ren geprägt. Wichtig ist besonders die Lage im Hinblick auf die Gebirge: Ob Talboden oder Gipfelregion, Luv- oder Leelage, oder auch die Ausrichtung beeinflussen das Geschehen stark. Der Richtwert der mittleren jährlichen Niederschlagshöhe nördlich der Voralpen beträgt rund 2000 Millimeter pro

34 Jäckle 2013a: 32–33.

35 Vgl. IHW (Hg.) 1997: 8–9.

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Jahr.36 Im Einzugsgebiet der Gürbe ist die jährliche Niederschlagssumme insgesamt geringer, wobei aber grosse lokale Differenzen innerhalb des Ge-biets bestehen. Von Norden nach Süden, also von der zum Mittelland gehö-renden Gürbetalebene zum Gantrischgebiet im Bereich der Voralpen, gibt es einen starken Niederschlagsanstieg. Im unteren Einzugsgebiet beträgt die Niederschlagssumme rund 1100 Millimeter pro Jahr, oben im Gantrisch-gebiet hingegen rund 2000 Millimeter (Abbildung 2.5).37

Das Gantrischgebiet befindet sich entlang des nördlichen Alpen-kamms und liegt somit in einer der niederschlagsreichsten Zonen der Schweiz. Aufgrund der mit der Höhe zunehmenden Niederschläge und der Schneeschmelze ist das Feuchteangebot in erhöhten Gebieten beson-ders im Frühjahr und Frühsommer deutlich höher als in den Tieflagen.38

36 HADES: Tafel 2.6.

37 Jäckle 2013a: 15.

38 Aufgrund der an den Gebirgen aufsteigenden Luftmassen nehmen die Niederschläge mit der Höhe zu. Auf der Alpennordseite nimmt der jährliche Niederschlag im Mittel rund 70–80 mm pro 100 m Höhe zu, wobei dieser nicht sehr straffe Zusammenhang vor allem für Gebiete unter 1500 m ü. M. gilt. Spreafico, Weingartner 2005: 15. Die Niederschlags-station Gurnigelbad auf 1200 m ü. M. misst 10–20 % mehr Niederschlag als die sechs Ki-lometer entfernte, auf 655 m ü. M. liegende Station Blumenstein. WEA (Hg.) 1995: 32.

Abb. 2.5: Räumliche Niederschlagsverteilung im Einzugsgebiet der Gürbe und in den Berner Alpen.

Quelle: schwarb et al. 2001: Tafel 2.6.

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Im Sommer ist der Niederschlagsgradient ausgeprägter als während dem Rest des Jahres, was auf die stärkere Konvektion zurückzuführen ist. Das Phänomen erklärt die bekannte Gewitterneigung des Gantrischgebiets:

Zwischen dem Gantrisch und der westlich gelegenen Kaiseregg bildet sich bei sommerlichen Flachdrucklagen ein konvergentes Windfeld, da in die-sem Bereich die verschiedenen Talwindsysteme der umliegenden Täler zusammentreffen, was das Aufsteigen der Luftmassen und die Entstehung von Gewittern begünstigt. Diese Gewitter – oft bei Südwestlagen ent-stehend – werden über dem Gantrischgebiet aufgrund thermischer und dynamischer Effekte noch verstärkt. Im Einzugsgebiet der Gürbe sind demnach hohe Tagesniederschlagsmengen möglich: Werte von 40 bis 50 Millimetern pro Tag sind hier keine Seltenheit.39

Neben den kurzen und intensiven Starkregenereignissen verzeichnet das Gürbetal auch langandauernde Niederschläge. Sie sind durch gross skalige Wettersysteme verursacht und treten das ganze Jahr hindurch auf.40 Lang-andauernde Niederschläge können im Oberlauf und insbesondere auch im Unterlauf der Gürbe Hochwasserereignisse verursachen (vgl. Kapitel 3.1.1).

Abfluss

Bis ins 18. Jahrhundert bestand wenig Bedarf zur systematischen Erhe-bung von Abflüssen, da sich der Hochwasserschutz auf die Ufersicherung und die Erhaltung eines genügenden Freibords beschränkte und sich des-sen Akteure höchstens für die Wasserstände interessierten (vgl. Kap. 4.1.1).

Letztere wurden anhand von Merkpunkten an Brücken, Mauern oder sonstigen Uferanlagen bestimmt.41 Eine instrumentelle Weiterentwick-lung der Hochwassermarken sind die Pegel. Die ersten regelmässigen Pe-gelmessungen der Schweiz stammen wie auch die ersten Luftdruck-, Temperatur- und Niederschlagsmessreihen von Johann Jakob Scheuchzer.

Dieser Naturforscher las zwischen 1708–1731 die Pegel des Ausflusses des Zürichsees in die Limmat ab.42 Weitere See- und Flusspegelmessstationen

39 ASF (Hg.) 1977: 45.

40 Spreafico, Weingartner 2005: 18.

41 Von grosser Wichtigkeit für die Qualität der Wasserstandsbeobachtungen war, wie gut der Beobachter das Gewässer kannte. Caviezel 2007: 20.

42 Pfister 1998: 46.

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wurden im Laufe des 18. und vor allem im 19. Jahrhundert errichtet.43 Mit dem Aufkommen der Gewässerkorrektionen benötigten die Wasserbauer aber zunehmend auch Abflusswerte, um die Kapazität der neuen Fluss-bette zu berechnen.44 In der Anfangszeit bestand zwischen den verschie-denen Messstationen kein Zusammenhang. Eine Vereinheitlichung erreichte erst das Eidgenössische Hydrometrische Zentralbureau in den 1860er-Jah-ren.45 Das Messnetz wurde im Laufe der Jahrzehnte stetig erweitert. Ne-ben den eidgenössischen Stationen kamen ab Mitte des 20. Jahrhunderts auch kantonale und private hinzu.46

Wie bei vergleichbaren kleinen und mittleren Flüssen wurden auch an der Gürbe die ersten Wasserstandsmessungen im Rahmen der Grossen Gürbekorrektion vorgenommen.47 In den folgenden Jahrzehnten wurden keine konstanten Messungen durchgeführt. Den Startpunkt der regelmäs-sigen Erhebungen markierte die Errichtung des Limnigraphen in der Stockmatt bei Belp 1922. Vollständige Daten sind ab 1923 vorhanden.48 Erst 1982 nahm die Landeshydrologie den Pegel in Burgistein in Betrieb, der das Abflussgeschehen des Oberlaufs der Gürbe ermittelt.49 Der mitt-lere Jahresabfluss der Gürbe in Belp beträgt 2,62 m3/s (Messperiode 1923–

2010), derjenige in Burgistein 1,33 m3/s (Messperiode 1982–2008). Fluss-abwärts nimmt der Abfluss trotz einer Vervielfachung des Einzugsgebiets unterproportional zu.50 Verantwortlich für den höheren Abfluss in Belp ist hauptsächlich die Müsche. Die maximale Abflussspitze und das

mini-43 Nach Christian Pfister wurden in Genf von 1739–1752 die Wasserstände abgelesen, am Bodensee ab 1797, am Rhein ab 1808, am Zürichsee wieder ab 1810, am Neuenburger-see ab 1817 und ab 1829 am Lago Maggiore. Vgl. Pfister 1998: 46.

44 Vischer 2003: 32. Vgl. dazu Kap. 4.1.2.

45 Das Eidgenössische Hydrometrische Zentralbureau entstand aus der Initiative der Natur-forschenden Gesellschaft der Schweiz. 1872 wurde es verstaatlicht. Vgl. Vischer 2003: 32.

46 Spreafico, Weingartner 2005: 52.

47 Von 1867 bis 1873 wurden im Zuge der Korrektionsarbeiten regelmässig die Wasser-stände der Gürbe in Belp gemessen. Die Tabellen und grafischen Auswertungen dieser Messungen werden im Bundesarchiv aufbewahrt. BAR E 3210 (A) 1000/739 Nr. 221.

48 Leuenberger 1935: 42. Die Pegelmessstation in Belp wurde 1991 und 1996 verlegt.

IHW (Hg.) 1997: 4.

49 Diese Station wird seit 2009 vom Amt für Wasser und Abwasser des Kantons Bern (AWA) betrieben. Scherrer, Frauchiger 2011: 6.

50 Ingenieurgemeinschaft Integralprojekt Gürbe: Integralprojekt Gürbe. Generelle Sanie-rungsvarianten. 20. Dezember 1991: 5. Archiv WBV OG Abteil Integralprojekt. Diese Quelle wird im Folgenden mit «Integralbericht 1991» abgekürzt.

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male Tagesmittel zeigen die Spannweite der Abflussschwankungen der Gürbe. In Belp betrug das minimale Tagesmittel 0,10 m3/s (1947, Mess-periode 1923–2010), in Burgistein 0,13 m3/s (1985, Messperiode 1982–

2008). Der maximale Abfluss belief sich in Belp auf 59,3 m3/s (1938), im Burgistein auf 92,5 m3/s (1990).51 Die Spitzenabflüsse werden in Kapitel 3.2 ausführlich behandelt.

Zur Beschreibung des jahreszeitlichen Verlaufs der Wasserführung werden Fliessgewässer verschiedenen Abflussregimes zugeteilt. Diese bezeichnen die langjährigen mittleren saisonalen Schwankungen des Abflusses.52 Die Zuge-hörigkeit zu einem Abflussregime hängt von Faktoren wie den klimatischen Verhältnissen und der Einzugsgebietshöhe ab. Abhängig davon haben die Abflussregimes andere dominierende Steuerfaktoren.53 Einzelne Einzugs-gebiete können mehreren Abflussregimetypen angehören. Dies trifft auf die Gürbe zu: Die charakteristische Lage des Einzugsgebiets am Übergang zwi-schen Voralpen und Mittelland beziehungsweise das zweiteilige Gerinne dieses Gewässers widerspiegelt sich auch in den Abflussregimes.54

Der Oberlauf der Gürbe wird dem «Regime nivo-pluvial préalpin»

zugeordnet. Bei diesem Typ ist die Schneeschmelze der massgebliche Steuer-faktor. Der Maximalabfluss tritt im Frühjahr auf, wobei dies an der Gürbe etwas verspätet im Doppelmonat Mai/Juni ist.55 Neben dem

51 Vgl. Jäckle 2013a: 25; BAFU: Hydrologische Daten und Vorhersagen. 2159 Gürbe Belp, Mülimatt 01.01.1974–31.12.2014. Tagesmaxima; AWA: Gürbe Burgistein. Abfluss 01.01.2009–09.02.2015.

52 Das Abflussregime bezeichnet die langjährigen mittleren saisonalen Schwankungen des Abflusses. Diese werden mit dem Pardé-Koeffizienten (PKi) beschrieben, einem Quo-tienten aus dem langjährigen mittleren Monats- und Jahresabfluss. Vgl. Jäckle 2013a: 20;

Aschwanden, Weingartner 1985: 5–6.

53 Kriterien für die Typisierung sind der Zeitpunkt des Abflussminimums, des abfluss-reichsten Doppelmonats (maximale Abflussfracht zweier benachbarter Monate) und die Variationsbreite des Regimes (die Differenz zwischen dem minimalen und maxi-malen Pardékoeffizienten in einem Jahr). Vgl. Aschwanden, Weingartner 1985: 5–8.

54 Jäckle 2013a: 20.

55 Die Gürbe passt nicht vollständig in das zeitliche Verteilungsmuster des «Regime nivo-plu-vial préalpin», da der abflussreichste Doppelmonat Mai/Juni und nicht wie üblich im April/

Mai ist. Abflussspitzen im Mai/Juni werden üblicherweise in Einzugsgebieten mit einer mittleren Höhe von über 1400 m ü. M. registriert. Obwohl die mittlere Gebietshöhe der oberen Gürbe nur 1021 m ü. M. beträgt, muss beachtet werden, dass das Einzugsgebiet bis über 2000 m ü. M. reicht. Aschwanden, Weingartner 1985: 15; Jäckle 2013a: 22.

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Maximum im Frühjahr folgt in der zweiten Jahreshälfte, an der Gürbe im Dezember, ein sekundäres Maximum durch den Niederschlag des Spätherbstes. Das Abflussminimum liegt im Winterhalbjahr. An der Gürbe ist es im Februar. Der Abflussverlauf über die Monate ist beim

«Regime nivo-pluvial préalpin» relativ ausgeglichen. Einzeljahre unter-scheiden sich deutlich von der Mittelwertskurve, Maxima können in allen Monaten auftreten.56

Im Unterlauf verändert sich das Abflussregime zum «Regime pluvial supérieur», einem typisch mittelländischen Regime mit Einzugsgebiets-höhen zwischen 700 und 900 Metern über Meer. Hier löst der Nieder-schlag den Schnee als Hauptsteuerfaktor des Abflussgeschehens ab, ob-wohl der Schnee durch das Schmelzwasser aus dem Oberlauf auch hier für das Wasserangebot im Frühjahr verantwortlich ist.57 Die maximalen Abflüsse treten im Frühjahr auf. An der Gürbe in Belp ist der abfluss-reichste Doppelmonat Mai/Juni, die abflussabfluss-reichste Zeit ist im Mai. Dies ist für dieses Regime vergleichsweise spät und liegt am hoch gelegenen oberen Einzugsgebiet. Im Gegensatz zum «Regime nivo-pluvial préalpin»

liegt das Abflussminimum des «Regimes pluvial supérieur», beeinflusst durch die höhere Verdunstung im Sommerhalbjahr. In Belp liegt es im Oktober. Die Variationsbreite ist kleiner als beim «Regime nivo-pluvial préalpin».58 Das Nebeneinander der zeitlich variierenden Steuerfaktoren (Regen und Schneeschmelze beziehungsweise der Zeitpunkt ihres Auf-tretens) führt in Einzeljahren zu grossen Abweichungen von den langjäh-rigen Monatsmitteln. Daher kann an der Gürbe – wie beim «Regime nivo-pluvial préalpin» und beim «Regime pluvial supérieur» üblich – nicht von den mittleren monatlichen Abflüssen auf die monatlichen Abflüsse eines Einzeljahres geschlossen werden.59

In engem Zusammenhang mit dem Niederschlag hat sich der Abfluss im Lauf der Zeit verändert. Brauchbare Daten dazu bestehen für die Zeit

56 Aschwanden, Weingartner 1985: 15.

57 Aschwanden, Weingartner 1985: 16.

58 Die Mittelwertskurve der Gürbe bei Belp zeigt eine typische Variationsbreite, aber einen vergleichsweise ruhigen Kurvenverlauf. Die Spitze im Frühjahr ist deutlich zu erken-nen, was für das «Regime pluvial supérieur» untypisch ist. Dies könnte nach Jäckle 2013a:

23 auf den Einfluss des Oberlaufs oder auch auf die anthropogene Beeinflussung des Gewässers zurückzuführen sein.

59 Jäckle 2013a: 24.

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ab 1960.60 Wie Selina Jäckle ermittelt hat, veränderte sich die Nieder-schlags- und Abflussmenge sowie die Variabilität im Einzugsgebiet der Gürbe in der Zeit von 1961–2007 zwar nur geringfügig. Im Laufe dieser Jahrzehnte wandelte sich aber das saisonale Verhalten. Im Vergleich zu den ersten Jahrzehnten gelangte der Niederschlag gegen Ende des 20. Jahrhunderts im Frühjahr immer früher zum Abfluss. Grund dieser Veränderung ist die Höhe der Schneefallgrenze. Durch das wärmere Klima setzte die Schneeschmelze früher ein. Auch fielen im Winter im-mer mehr Niederschläge als Regen und flossen somit unmittelbar ab, ohne als Schneedecke gespeichert zu werden.61

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