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2. DIE GÜRBE

2.4 Die Gürbe vor 1855

3.1.2 Murgänge

In alpinen oder voralpinen Gebieten ist es möglich, dass das Geschiebe während grosser Hochwasserereignisse nicht nur fluvial, sondern auch murgangartig transportiert wird. Hierbei verbinden sich die Feststoffe derart mit dem Wasser, dass sie sich gemeinsam bewegen.31 Murgänge (auch «Mure» oder im Schweizer Dialekt «Rüfe» genannt) sind ein «lang-sam bis schnell fliessendes Gemisch von Wasser und Feststoffen mit einem hohen Feststoffanteil, das häufig in mehreren Schüben niedergeht.»32 Zur Entstehung von Murgängen braucht es ein grosses Schuttangebot, ein grosses Wasserangebot und genügendes Gefälle.33 Muren treten demnach im Hochgebirgsraum und in den Voralpen auf, wo sich erosionsanfälliger Untergrund wie Flysch oder quartäre Ablagerungen befinden, welche das Lockermaterial liefern. All diese Kriterien treffen auf den Gebirgsteil der Gürbe zu: Mit den vorherrschenden geologischen Gegebenheiten, dem grossen Gefälle von rund 15 Prozent und den intensiven Niederschlägen ist das Gerinne der Gürbe sowie dasjenige einzelner Seitenbäche poten-ziell murganggefährdet.34 Als auslösende Ereignisse kommen langandau-ernder oder heftiger Niederschlag und/oder intensive Schneeschmelze in Frage.35 Murgänge gehen in Wildbächen häufig mit grossen Hochwasser-ereignissen einher beziehungsweise sind ein Teil davon. Sie stehen oftmals auch im Zusammenhang mit Rutschungen, da durch die Material einträge die Sohle des Wildbachgerinnes stärker beansprucht wird, was zu massi-ver Erosion im Bachbett führen kann. Rutschungen erhöhen damit die Masse an Feststoffen in einem Gewässer.36

31 Vgl. Vischer 2003: 12; Bezzola 2005: 165.

32 Loat, Meier 2003: Art. 421.

33 Zu den Bedingungen zur Entstehung von Murgängen vgl. Romang 2004: 25–27.

34 Nach den in der Folge des Hochwasserereignisses vom 29. Juli 1990 erstellten Unter-suchungen könnte sich im Extremfall ein Murgang aus dem Schwändlibachgraben durch Erosion im Gürbebett bis in den Raum Hohli auf ein Geschiebevolumen von 70 000–90 000 m3 aufladen. Mit dem Sicherheitszuschlag ist also ein potenzielles Mur-gangvolumen von 100 000 m3 denkbar. Der Maximalabfluss wird auf rund 30 km/h geschätzt, die maximale Reichweite auf 2 km (bis in den Bereich der Blumensteinbrücke).

Vgl. Integralbericht 1991: 12.

35 Spreafico, Weingartner 2005: 104.

36 Vgl. z. B. Bezzola 2005: 165.

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Im Oberlauf der Gürbe besteht die Gefahr einer Kombination von Rutschungen und Murgängen sowohl im Hauptgerinne wie auch in den Seitenbächen, welche durch die Rutschgebiete fliessen. Durch die Boden-bewegungen kann der Lauf der Seitenbäche verschoben werden, was zu Infiltration in den Anriss-Spalten und daraus folgend zu neuen Rutschun-gen führen kann. Dadurch wird die Aktivität der Hauptrutschmassen er-höht: Es kommt zum Stau von Nebenbächen und anschliessend zu Muren.

Die Murgänge können entweder in den flachen Hangpartien oberhalb der Gürbe entwässern oder aber das Gürbebett erreichen. Letzteres kann zu einem Stau der Gürbe führen. Nach dem Geologen Peter Kellerhals ist dies aber nicht zwangsläufig problematisch, da die Murgangereignisse in der Regel mit Hochwasserperioden zusammenfallen und so das in das Gürbebett transportierte Schuttmaterial meist durch normalen Geschie-betrieb abgetragen werden kann. Bei schweren Hochwasserereignissen können die Muren jedoch auch erst im Bereich des Schuttkegels entstehen und damit das Siedlungsgebiet erreichen.37

Insbesondere wegen dem Transport grosser Feststoffmengen können Murgänge zu bedeutenden Schäden führen.38 Diese gleichen grundsätz-lich den durch Hochwasser mit intensivem Geschiebetransport verursach-ten Schäden. Wenn die Abfluss- und Transportkapazität zu klein ist, tre-ten Bäche über die Ufer und lagern die Feststoffe ausserhalb des Gerinnes ab. Auch hier besteht die Gefahr von Verklausungen. Insbesondere in stark verbauten Gerinnen, aber auch auf dem überbauten Wildbachschutt-kegel oder bei einer Überlastung des Vorfluters39 können die Schäden durch den Geschiebeeinstoss sehr gross werden.40

Eines der grössten Murgangereignisse im Einzugsgebiet der Gürbe war dasjenige im Tiefengraben vom 22. April 1987, als 40 000 m3 Material murgangähnlich abrutschten. Ausgelöst wurde das Ereignis durch die starke Durchnässung der Böden als Folge der raschen Schneeschmelze in Kombination mit einem Gewitter. Zuvor hatten sich im instabilen Gebiet

37 INTERPRAEVENT (Hg.) 1992: 3.

38 Nach Romang 2004: 25 können Murgänge auch in verhältnismässig kleinen Einzugs-gebieten Feststoffmengen in der Grössenordnung von zehn- bis hunderttausend(en) von Kubikmetern umsetzen. Die Abflusshöhen und Durchflussmengen können damit diejenigen der Hochwasserabflüsse derselben Gerinne um ein Mehrfaches übersteigen.

39 Als Vorfluter wird ein Gewässer bezeichnet, das einen oder mehrere Zuflüsse aufnimmt.

Loat, Meier 2003: Art. 324.

40 Spreafico, Weingartner 2005: 104.

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bereits mehrere Rutschungen ereignet. Durch den Murgang entstanden grosse Schäden an den Bachverbauungen – rund 150 Schwellen wurden zerstört – sowie Verwüstungen im Bachbett, im Wald, an Brücken und an Strassen. Für die Aufräumarbeiten standen 70 Personen aus dem Wehr-dienst und Zivilschutz im Einsatz.41

3.1.3 Rutschungen

Rutschungen, also «hangabwärts gerichtete Bewegung von Erd-, Fels- oder Lockergesteinsmassen längs einer Gleitfläche»,42 sind besonders im oberen Gürbetal eine bedeutende Naturgefahr. Sie ereignen sich an mässig bis steilen Hängen mit 10° bis 40° Neigung. Ihre Erscheinungen können sich hinsichtlich Grösse, Tiefe oder Form der Gleitfläche stark unterschei-den, auch laufen sie je nach Untergrundstruktur, Gesteinsbeschaffenheit und Beteiligung von Wasser sehr unterschiedlich ab. Für die Auslösung von Rutschungen ist das Zusammenspiel von mehreren Faktoren ausschlag-gebend. Einerseits braucht es Grundvoraussetzungen hinsichtlich der geo-logischen Gegebenheiten, der Hangneigung, der Hydrologie, der Erosion, der Vegetation und der menschlichen Aktivitäten (z. B. Bauarbeiten), wel-che zu einer eingeschränkten Stabilität des Hanges führen. Andererseits müssen auslösende Ereignisse wie Starkniederschläge, langandauernde Niederschläge oder Schneeschmelze auftreten. Wenn diese auslösenden Mechanismen dazu führen, dass die einer Rutschung entgegenwirkenden Kräfte (Reibungskraft und Kohäsion) schwächer sind als die treibenden Kräfte (Schwerkraft), gerät ein Hang ins Rutschen.43

Im oberen Einzugsgebiet der Gürbe sind aufgrund der naturräumlichen Gegebenheiten grosse Gebiete rutschungsgefährdet. Durch den dominie-renden Flysch – ein aufgrund des grossen Anteils an Tonmineralen, der geringen Verfestigung und der teilweise starken Deformation während

41 Vgl. Röthlisberger 1991: 99; Peter Kellerhals und Charles Haefeli Ing.: Bericht Rutschung Tiefengraben. 24.11.1987. Archiv WBV OG; Peter Kellerhals und Charles Haefeli Ing.:

Ergänzungen zur Risikoanalyse betreffend den Murgang aus dem Tiefengraben.

19.09.1989. Archiv WBV OG, Ordner Korrespondenzen 1.1.1985–1989; Ryser, Monique:

Erdrutsch verschüttete 30 Jahre Arbeit. In: Berner Zeitung, 24.04.1987. Zu den Folgen dieses Ereignisses für den Hochwasser- und Rutschungsschutz vgl. Kap. 5.5.

42 Loat, Meier 2003: Art. 431.

43 BAFU (Hg.) 2015.

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der Gebirgsbildung geologisch instabiles Gestein – in Kombination mit der steilen Topografie herrschen hier verbreitet ungünstige Voraussetzun-gen.44 Neben dieser Flyschzone sind auch die angrenzenden Gebiete mit subalpiner Molasse und Moränenablagerungen rutschungsanfällig. Im Oberlauf der Gürbe sind somit immer wieder Teilflächen in Bewegung, wobei sowohl grossräumige, langfristige als auch kleine lokale Rutschun-gen auftreten. Erstere werden vorwieRutschun-gend durch langandauernde Nieder-schläge ausgelöst, die in Kombination mit Schneeschmelze besonders kri-tischsind. Die oberflächlichen und relativ kleinräumigen Rutsche können hingegen bei einer plötzlichen Änderung der Randbedingungen und ins-besondere nach kurzen und intensiven Starkniederschlägen auch spontan auftreten.45 Die gefährdeten Flächen liegen vorrangig in der Zone zwi-schen der Gantrisch-Stockhornkette und der Linie Wattenwil/Rüti bei Riggisberg/Rüschegg-Heubach/Riffenmatt/Plaffeien. Bekannte Rutsch-gebiete sind der Schmidenbruch im Tiefengraben, der Jordibruch, der Lehmbruch und das Meierisli.46 Zahlreiche Seitenbäche, so beispielsweise der Tiefengraben oder der Meierisligraben, fliessen direkt oder am Rand der grossen Rutschmassen ab. Neben dem Gebirgsteil kann es weiterhin an den Seitenhängen im Unterlauf des Tals zu kleinen lokalen Rutschun-gen kommen. Diese werden durch intensive Niederschläge ausgelöst und stehen meistens im Zusammenhang mit Hochwasserereignissen.47

Das Abrutschen der Erdmassen kann zu Schäden an Wiesen und Wald führen und Erschliessungswege und Entwässerungssysteme beschädigen.48 Durch die starke Belastung der Sohle des Wildbachgerinnes führen sie zu massiver Erosion im Bachbett.49 Auch werden Bauwerke im Gewässerbett durch den infolge der Rutschungen entstehenden seitlichen Druck belas-tet.50 Besonders problematisch sind die Rutschungen im Zusammenhang mit den Hochwassern. Durch sie können grosse Mengen an

Geschiebema-44 Bachmann 2009d: 137; Jäckle 2013a: 56.

45 Integralbericht 1991: 13.

46 Bachmann 2009d: 137–139.

47 Solche Rutschungen an den Seitenhängen des Gürbetals fanden beispielsweise am 04./05.03.1931 oder am 27.06.2011 statt.

48 Vgl. Bachmann 2009d: 137–140.

49 Bezzola 2005: 165.

50 Vgl. z. B. Technischer Bericht Projekt 1952. Archiv TBA OIK II 3055.

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terial mobilisiert werden, die dann während der Hochwasserereignisse flu-vial oder murgangähnlich transportiert werden. Weiter können die Mate-rialeinträge auch Bachstaus und Murgänge verursachen.51

3.2 Rekonstruktion der historischen Schadensereignisse

Im Dokument Der Hochwasserschutz an der Gürbe (Seite 86-90)