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Landschaftsgeschichte und Historische Geografie

Im Dokument Der Hochwasserschutz an der Gürbe (Seite 44-49)

1.5 Theoretische und methodische Einbettung

1.5.4 Landschaftsgeschichte und Historische Geografie

Der Frage nach der Entwicklung der Landschaft, welche im Interessens-bereich der Umweltgeschichte liegt, widmet sich auch die Landschaftsge-schichte. Diese kann ökologisch, aber auch kunsthistorisch ausgerichtet sein und somit verschiedene Schwerpunkte haben.127 Zunehmend etab-lieren konnte sich die Landschaftsgeschichte als Gattung in den Human-wissenschaften seit Mitte der 1990er-Jahre, wofür Simon Schamas Buch Landscape and Memory ausschlaggebend war.128 Seither sind verschiedene interessante Untersuchungen erschienen, wie etwa diejenige von François Walter zur Beziehung zwischen Landschaft und nationalstaatlicher Ent-wicklung, oder diejenige von David Blackbourn zur Geschichte der deut-schen Landschaft seit dem 18. Jahrhundert.129

Die Frage nach der Entwicklung von Landschaften beschäftigt schon lange auch die Historische Geografie. Dieses Teilgebiet der Geografie untersucht die menschlichen Aktivitäten und die daraus entstehenden räumlichen Strukturen in historischer Perspektive. Dabei werden unter anderem vergangene Landschaftszustände rekonstruiert und Regelhaftig-keiten raumzeitlicher Differenzierung formuliert.130 Winfried Schenk be-zeichnet die Historische Geografie als Brückenfach zwischen Geschichte und Geografie.131 Besonders die Fragestellungen der Umweltgeschichte

127 Vgl. Winiwarter, Knoll 2007: 50–51.

128 Vgl. Schama 1995. Schama argumentiert, dass alle Landschaften kulturell geprägt sind.

Zur Entwicklung der Landschaftsforschung in der deutschsprachigen Geschichts- und Kulturwissenschaft vgl. Mathieu 2016: 14–20; Armenat, Bader, Preutenborbeck 2010: 13.

129 Vgl. Walter 2004; Blackbourn 2007. Vgl. weiterhin auch Beck 2003. Der Schwerpunkt der interdisziplinären und historischen Landschaftsforschung liegt im angelsächsischen und französischen Gebiet. Vgl. dazu Mathieu 2010: 412–413.

130 Schenk 2011a: 436; Schenk 2003: 129. Vgl. zu den Erkenntniszielen und Forschungs-schwerpunkten der Historischen Geografie auch Schenk 2011b: 3–8; Armenat, Bader, Preutenborbeck 2010: 15; Jäger 1994: 24–218; Kleefeld, Burggraaff (Hg.) 1997.

131 Schenk 2003: 129. Einen guten Überblick über die Verbindungen zwischen Geografie und Geschichte bietet auch Baker 2003. Vgl. dazu auch Mücke 1988: 49–67. Ähnliche Zu-gänge zur Erforschung von Landschaftsentwicklungen wie in der Umweltgeschichte oder der Historischen Geografie finden sich auch im Bereich der Landschaftsökologie und der Historischen Ökologie. Auch hier wird an der Disziplinengrenze von historischen und raumwirtschaftlichen Ansätzen gearbeitet und Elemente aus beiden Richtungen integ-riert. Vgl. dazu z. B. Bürgi 2008; Bürgi 2010; Bürgi et al. 2010; Gimmi, Lachat, Bürgi 2011;

Bürgi, Salzmann, Gimmi 2015; Schneeberger 2005; Rhemtulla, Mladenoff 2007.

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ähneln denjenigen der Historischen Geografie stark. Beide Forschungs-richtungen bewegen sich an der Schnittstelle zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften und haben einen stark interdisziplinären Charak-ter. Die Historische Geografie blickt dabei stärker auf den Landschafts-wandel.132

Mit den Ansätzen der Landschaftsgeschichte und der Historischen Geografie untersucht die vorliegende Arbeit die Entwicklung der Land-schaft der Gürbe. LandLand-schaft – ein Begriff, welcher zwingend einer De-finition bedarf – wird dabei sehr offen verstanden: Entsprechend Mathieu stellt «Landschaft» ein Stück wahrgenommene Umwelt dar.133 Dazu ge-hören also einerseits die subjektive, kulturell geprägte und wandelbare Wahrnehmung der Landschaft, andererseits aber auch die ebenfalls wan-delbare Umwelt, auf welche sich die Wahrnehmung bezieht. Diese offene Definition eignet sich nach Mathieu für historische Zwecke insofern, als sie die von Akteuren ins Spiel gebrachten verschiedenen Bedeutungen von «Landschaft» gut abdeckt und sofort deutlich macht, dass es um Fra-gen der Mensch-Umwelt-Beziehung geht.134

Die vorliegende Studie will den Einfluss der Hochwasserschutzmass-nahmen auf die Landschaft im Gürbetal untersuchen und beleuchten, wel-che Veränderungen im Landschaftsbild durch die Eingriffe in das Gewäs-ser in Gang gesetzt wurden. Wie in der Landschaftsgeschichte und der Historischen Geografie üblich, werden die Erkenntnisse aus der kombi-nierten Auswertung von schriftlichen und kartografischen Quellen ge-wonnen und möglichst viele unterschiedliche Quellen beigezogen.135

132 Schenk 2003: 131; Jäger 1994: 4.

133 Mathieu 2010: 412. Als Kulturlandschaft werden üblicherweise durch menschliche Nutzung geprägte Landschaften bezeichnet. Vgl. dazu Thiem 2006: 8–10.

134 Mathieu 2010: 412–413.

135 Zum methodischen Vorgehen der Historischen Geografie vgl. Schenk 2011b: 16–31;

Schenk 2003: 134–139; Jäger 1969: 14–25; Egli, Salzmann 2009: 247. Die Verwendung von Karten und Plänen als Informationsquellen und damit auch die Geschichte der Karte und der Kartografie hat in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt. Dies zeigt sich besonders auch in den Geschichtswissenschaften. Nach Thomas Horst hat sich der interdisziplinäre Wissenschaftszweig der Kartografiegeschichte sogar zu einer Teildisziplin der Historischen Hilfswissenschaften entwickelt (Horst 2008: 310–212).

Vgl. zur neuen Bedeutung der Geschichte der Karte und der Kartografie und den ak-tuellen Diskussionen über Karten als Medien, Machtinstrumente und Raumrepräsen-tationen Rau 2013: 127. Siehe zur aktuellen Verwendung von Karten in der Ge-schichtswissenschaft auch Black 1997.

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Karten und Pläne136 sind bedeutende Quellen, da sie – wie Bildquellen ganz allgemein – wichtige Informationen liefern können, welche in Schriftquellen verborgen bleiben.137 Karten und Pläne bieten Anhalts-punkte über den Zustand von Landschaften, liefern Informationen über Gewässernetze und Flussläufe und deren Ufervegetation oder geben auch Hinweise über die Landnutzung.138

Je nach Entstehungszeitraum der Dokumente können dabei unter-schiedliche Informationen gewonnen werden, denn die Kartografie hat sich im Laufe der Jahrhunderte sehr stark verändert. Vor dem Ende des 18. Jahrhundert waren Karten und Pläne deskriptiv.139 Erst im Zeitalter der Aufklärung setzte mit den topografischen Aufnahmen auf trigono-metrischer Grundlage die Periode der exakten Vermessung ein.140 Im Laufe des 19. Jahrhunderts – der Zeit der grossen Landesvermessungen – wurde die Landschaft im Zuge des Übergangs zu massstäblichen Karten

136 Karten sind verkleinerte Abbildungen der Erdoberfläche bzw. von Teilen davon. In Karten werden räumliche Realitäten in visueller oder digitaler Form abstrahiert. Als Pläne werden in der Kartografie grossmassstäbige und damit detailreiche Karten be-zeichnet, die aufgrund der grossen Darstellung ohne wesentliche Vereinheitlichungen und Generalisierungen auskommen. Vgl. Leser 2011: 430, 689; Egli 2014.

137 Zur Verwendung von Bildern als historische Quelle vgl. z. B. Gräf 2008 oder Talken-berger 1994. Zur Verwendung von Karten als Informationsquellen in der Historischen Geografie vgl. Schenk 2011b: 19–21. Dass Bildquellen und dabei besonders Fotogra-fien gewinnbringende Quellen für Untersuchungen zum Landschaftswandel sind, be-weist Peter Hahn mit seiner Publikation zur Waldentwicklung und zum Landschafts-wandel im Entlebuch. Vgl. Hahn 2011.

138 Schenk 2011b: 20; Küster 2011: 49. Bei der Rekonstruktion von Flussläufen und Ge-wässernetzen ist besonders bei älteren Karten Vorsicht geboten. Da in ihnen die Ver-läufe wie auch die Breite von Flüssen und Bächen mehr oder weniger stark generali-siert, abstrahiert oder schematisch wiedergegeben sind, vermitteln sie zwar einen gro-ben Überblick über das Gewässernetz, gegro-ben aber keinen Aufschluss über den genauen Lauf der Gewässer. Vgl. dazu Küster 2011: 49. Zur Kartierung von Feuchtgebieten und den Unterschieden je nach Entstehungszeitraum der Karte vgl. Gimmi, Lachat, Bürgi 2011: 1073–1075.

139 Siehe zur Kartografie in der Zeit vor dem 18. Jahrhundert Harley, Woodward 1987;

Horst 2008: 328–358; Rohr 2015: 221–234; Kupčík 2011: 76–114; Black 1997:1–26.

Zur Kartografie in der Schweiz bis ins 18. Jahrhundert vgl. Grosjean 1996: 9–112. Zur mit der Gesellschaftsgeschichte verbundenen Kartografiegeschichte siehe Gugerli, Speich 2002b.

140 Rohr 2015: 235; Horst 2008: 359.

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immer genauer und realitätsgetreuer dargestellt.141 Der Aussagewert von Karten erreichte damit eine neue Dimension. Im 20. Jahrhundert fand in der Kartografie erneut ein bedeutender Wandel statt, da sich mit der Pho-togrammetrie und der Auswertung von Satellitenbildern die konventio-nelle Kartentechnik stark veränderte.142

Im 19., aber auch im 20. Jahrhundert entstanden besonders im Zu-sammenhang mit dem Hochwasserschutz zahlreiche Karten und Pläne.143 Diese Quellen sind nicht nur für die Landschaftsgeschichte, die sche Geografie und die Umweltgeschichte, sondern auch für die Histori-sche Hydrologie interessant.144 Bei der Interpretation von Karten und Plä-nen ist allerdings immer Vorsicht geboten, denn es muss zwingend beachtet werden, dass sie nicht unmittelbar die Realität wiedergeben. Die aktuelle Forschung hat sich deshalb von der Annahme entfernt, dass Kar-ten eine Abbildung oder massstabsgetreue Repräsentation eines Raumes darstellen.145 Nach Susanne Rau werden Karten heute als ein Zeichensys-tem verstanden, das «räumliche Verhältnisse oder Prozesse auf einer (meist) zweidimensionalen Ebene zur Anschauung bringt».146 Mit Karten werden auch neue Räume kreiert. Nach Thomas Horst können Karten zudem «die geistige Entwicklung und den Niederschlag des geografischen Wissens einer ganzen Epoche dokumentieren».147 Die Kartografiege-schichte betrachtet daher die Entwicklung des Erdbildes als Ausdruck des jeweils vorherrschenden, als gültig angesehenen Weltbildes.148 Dementspre-chend ist es wichtig, die Karten und Pläne nicht nur quellenkritisch zu analysieren, sondern für deren Analyse weitere Quellen beizuziehen.

141 Grosjean 1996: 113–184. Vgl. auch Gugerli, Speich 2002a: 256–258. Zu den technischen Fortschritten in der Kartenproduktion vgl. Black 1997: 48–50; Schneider 2006: 65–77.

142 Horst 2008: 359. Für Untersuchungen der Landschaftsentwicklung seit dem 19. Jahr-hundert kommen zusätzlich auch Fotografien in Frage. Schenk 2003: 136.

143 Nach 1800 wurden besonders im Zusammenhang mit den Flussbegradigungen genaue Landesaufnahmen vorgenommen. Rohr 2015: 236.

144 Obwohl Karten viele wichtige Informationen über Fliessgewässer liefern können, blei-ben wichtige Aspekte auch verborgen. Beispielswiese geblei-ben Karten keinen Aufschluss über das Gefälle der Fliessgewässer, welches für eine ökologische Beurteilung sehr wichtig ist. Küster 2011: 50.

145 Vgl. dazu z. B. Dipper, Schneider 2006b: 7; Harley 1987: 1–6.

146 Rau 2013: 123.

147 Horst 2008: 328.

148 Horst 2008: 325.

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Zur Gürbe und dem Gürbetal existieren zahlreiche Karten und Pläne. Einerseits sind das Gewässer und sein Umland in den Karten und Plänen des Kantonsgebiets von Bern und der Schweiz abgebildet.149 Hier-bei sind insbesondere die aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert stam-menden Dufourkarten150 und Siegfriedkarten151 von grossem Interesse.

Andererseits existieren auch zahlreiche Karten und Pläne direkt zum Ge-wässer. Sie sind grösstenteils im Zusammenhang mit den Hochwasser-schutz- und Entsumpfungsprojekten entstanden.152 Bis heute enthalten die Wasserbauprojektierungsdossiers jeweils umfangreiches Plan- und Kar-tenmaterial, welches wichtige ergänzende Informationen zu den schrift-lichen Dokumenten liefert.

1.6 Aufbau

Nach der Einleitung (Kapitel 1) wird in einem einführenden Kapitel das im Zentrum stehende Gewässer, die Gürbe, vorgestellt (Kapitel 2). An-schliessend folgt der Hauptteil: In Kapitel 3 werden die historischen Hochwasserereignisse der Gürbe näher untersucht. Dabei werden die

Na-149 Zu den ältesten dieser Karten gehören die 1577/1578 von Thomas Schoepf erstellte Karte des Bernbiets oder der zwischen 1786 und 1802 erstellte Meyer-Weiss Atlas. Vgl.

dazu Grosjean 1996: 72–74 bzw. Grosjean 1996: 148–151.

150 Die Dufourkarte (Massstab 1:100 000) ist die erste amtliche Gesamtkarte über das Gebiet der Schweiz. Publiziert wurde die Kupferstichkarte zwischen 1845–1864 vom Topogra-phischen Bureau unter der Leitung von Guillaume-Henri Dufour (1787–1875). Das Werk Dufours und seiner Mitarbeiter begründete den Weltruf der Schweizer Kartogra-fie. Die Karten haben auch eine politische Dimension: Erstmals wurde ein korrektes und ästhetisch schönes Bild des gesamten jungen Bundesstaates dargestellt. Kantonale Unter-schiede wurden dabei gegenüber der nationalen Einheit in den Hintergrund gerückt.

Vgl. zur Geschichte der Dufourkarte Grosjean 1996: 156–164; Locher 1954: 4–6.

151 Als Siegfriedkarte (Massstab 1:25 000 der Gebiete Jura, Mittelland, Südtessin und 1:50 000 für den Alpenraum) wird der Topographische Atlas der Schweiz bezeichnet, wel-cher unter der Leitung von Hermann Siegfried (1819–1879) erstellt wurde. Siegfried war ab 1866 Direktor des Topographischen Bureaus und damit Nachfolger Guillaume-Henri Dufours. Die Kartenblätter basierten auf revidierten Landschaftsaufnahmen oder neuen Vermessungen. Herausragend sind die Höhenkurven und insbesondere die Fels-darstellungen. Vgl. dazu Egli 2014; Grosjean 1996: 165–168.

152 Verschiedene dieser Karten und Pläne sind im Planarchiv des Staatsarchiv des Kantons Bern gelagert (Signaturen StAB AA V 115–179; StAB AA V Gürbe 1–8). Weitere Ori-ginalpläne befinden sich noch direkt in den Wasserbauprojektierungsdossiers.

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turgefahren an diesem Gewässer beschrieben, die Chronik der histori-schen Schadensereignisse erläutert und ausgewertet sowie ausgewählte Hochwasserereignisse näher vorgestellt. Zur Kontextualisierung und Ein-ordnung der Entwicklungen an der Gürbe wird in Kapitel 4 ein Über-blick über die Geschichte und die rechtlichen Grundlagen des Hochwas-serschutzes in der Schweiz gegeben. Im fünften, umfangreichsten Kapitel werden schliesslich die an der Gürbe vorgenommenen Hochwasserschutz-massnahmen eingehend untersucht. In fünf chronologisch aufgebauten Unterkapiteln werden die im entsprechenden Zeitraum umgesetzten Massnahmen und die wichtigsten übergreifenden Entwicklungen präsen-tiert. Darauf auf bauend werden in Kapitel 6 verschiedene Themenberei-che aus einer langfristigen Perspektive untersucht: Behandelt werden die Auslöser der Schutzmassnahmen, die von den Hochwasserschutzakteuren in die Präventionsmassnahmen gesetzten Erwartungen und die Beurtei-lung nach deren Vollendung, die Finanzierung und die Kosten der Pro-jekte, der Widerstand und schliesslich die Auswirkungen der Massnah-men auf die Gürbe und deren Tal. Kapitel 7 resümiert die wichtigsten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen der gesamten Arbeit und bietet einen Ausblick. Kapitel 8 und 9 listen die Abkürzungen und Abbildungen auf und Kapitel 10 präsentiert die verwendeten Quellen und die Literatur.

Der Anhang (Kapitel 11) enthält die Chronik der historischen Schadens-ereignisse der Gürbe und von deren wichtigen Zuflüssen, eine Zusam-menstellung der Hochwasserschutzprojekte sowie verschiedene Karten.

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