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Das Gürbegesetz und die Organisation der Korrektion

Im Dokument Der Hochwasserschutz an der Gürbe (Seite 181-185)

5. DIE SCHUTZBEMÜHUNGEN AN DER GÜRBE

5.1 Frühe Hochwasserschutzmassnahmen und der holprige Weg zur Gürbekorrektion

5.2.2 Das Gürbegesetz und die Organisation der Korrektion

Das Gesetz betreffend die Korrektion der Gürbe trat nach Jahren der techni-schen und organisatoritechni-schen Vorarbeiten am 1. Dezember 1854 in Kraft.

Mit diesem Gesetzestext ordneten die Kantonsbehörden die Verbauung an und schufen dem Hochwasserschutz- und Entsumpfungsprojekt eine eigene rechtliche Grundlage, so dass es – wie verschiedene weitere grosse Korrektionen – nicht dem allgemeinen bernischen Wasserbaugesetz von 1834 unterlag.67

Anschliessend an einleitende Begründungen zu den Zielen der Kor-rektion regelte das Gesetz in elf Artikeln, was das KorKor-rektionsprojekt ge-nau beinhalten und wie es vonstatten gehen sollte. Im ersten Artikel hielt der Grosse Rat das räumliche Ausmass der Korrektion fest. Die Gürbe sollte demnach «von ihrem Ausflusse in die Aare bis hinauf, soweit als die Arbeiten nöthig sind (inbegriffen die kleine und grosse Müschen)» unter der Aufsicht und Beihilfe des Staates verbaut werden.68 Bearbeitet werden sollte also nicht nur der Unterlauf, sondern bereits auch Teile des Ober-laufs, wobei noch nicht klar festgelegt wurde, bis wie weit die Arbeiten in den steilen Wildbachteil reichen sollten. Mit dieser Formulierung hielt sich der Kanton den Freiraum offen, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu bestimmen. Artikel 2 präzisierte dann noch einmal die schon im Einlei-tungstext festgehaltenen Gründe für die Massnahmen, nämlich den Überschwemmungsschutz und den Landgewinn durch Entsumpfungen.

In Artikel 3 wurden die Kompetenzen des Kantons klar definiert: Der

66 Gesetz Gürbe 1854: 182–183.

67 Grund für das eigene Gesetz war einerseits die grosse Ausdehnung des betroffenen Ge-bietes und andererseits die grosse Anzahl der beteiligten Eigentümer, welche dazu führte, dass «eine vertragsweise Verständigung dieser Letztern zur Ausführung des Wer-kes mit grossen Schwierigkeiten verbunden» sei. Gesetz Gürbe 1854: 182.

68 Gesetz Gürbe 1854: 183.

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Regierungsrat konnte grundsätzlich Anordnungen zur Ausführung des Unternehmens erlassen, die Umfangsgrenzen des zu verbauenden Gebie-tes festsetzen und den leitenden Ingenieur bestimmen. Weiter setzte er den Korrektions- und Entsumpfungsplan fest, welcher vor der Genehmigung aufzulegen war, «um den betheiligten Eigenthümern Gelegenheit zur Ein-gabe von Einsprachen zu geben.»69 Sollte sich die Mehrheit der Eigentü-mer – berechnet nach dem Flächeninhalt ihrer Grundstücke – gegen die Korrektion aussprechen, so würde «der Regierungsrath von der Ausfüh-rung des Gesammtunternehmens abstehen und je nach seinem Ermessen sich auf die Ausführung einzelner Abtheilungen beschränken, wenn bei denselben die Mehrheit nicht gegen die Ausführung sich ausgesprochen hat.»70 Dieses Mitspracherecht der Grundeigentümer wurde im selben Ar-tikel durch den Zusatz gedämpft, dass der Kanton ermächtigt war, «so weit es für die Ausführung des Unternehmens nach dem festgestellten Plane er-forderlich» sei, «das Expropriationsrecht geltend zu machen.»71

Artikel 4 regelte die Organisation auf der lokalen Ebene. In jedem Gemeindebezirk sollten die Eigentümer von Land, das im Bereich der ge-planten Korrektion lag, einen Abgeordneten wählen. Dieser sollte mit den anderen Abgeordneten eine Kommission bilden, deren Aufgabe in der Zusammenarbeit mit den Behörden bestand. Grosse Gemeinden mit über 200 Jucharten betroffenem Land konnten zwei Abgeordnete wählen. Zur Vereinfachung der Zusammenarbeit konnte der Regierungsrat aus der Mitte der Kommission einen engeren Ausschuss bestellen und diesem «im Interesse des Unternehmens liegende Verrichtungen übertragen».72 Präsi-dent der Kommission der beteiligten Eigentümer war der Regierungs-statthalter des Bezirks Seftigen. Zu den Aufgaben des Ausschusses gehör-ten die Verhandlungen mit den Landbesitzern, die Entgegennahme von Reklamationen, die Beaufsichtigung der Bauarbeiten, das Ausarbeiten von Vorschlägen für Verbesserungen und die Entscheidung, ob in Akkord oder Taglohn gearbeitet werden sollte.73

Gleich fünf Artikel klärten die problematische Frage der Finanzie-rung. Artikel 5 regelte grundlegend: «Die Kosten des Unternehmens

wer-69 Gesetz Gürbe 1854: 183.

70 Gesetz Gürbe 1854: 183–184.

71 Gesetz Gürbe 1854: 184.

72 Gesetz Gürbe 1854: 184.

73 TBA (Hg.) 1951: 13.

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den auf den durch das Unternehmen erzielten Mehrwert des betheiligten Grundeigenthums verlegt, jedoch nur bis zur Erschöpfung desselben.»74 Die Kosten für die Arbeiten an der Gürbe und für die Entsumpfung des Umlandes wurden somit den betroffenen Landbesitzern übertragen.

Staatsbeiträge sollten nur für die Arbeiten in den wasserbaulich proble-matischen und aufwändigen Abschnitten – der Mündung und dem Ge-birgsteil – zur Verfügung gestellt werden. Die Höhe dieser Staatsbeiträge sollte der Grosse Rat jeweils einzeln festlegen. Der Artikel sah zudem vor, dass der Staat die Finanzierung der Vorarbeiten und der technischen Lei-tung des Unternehmens übernahm. Die Verteilung der Kosten auf die Landbesitzer sollte nach einer Schatzung und darauf basierenden Klassi-fikation des Grundeigentums geschehen. Dazu erfolgte eine besondere Verordnung.75 Gegen die festgesetzten Beitragsverhältnisse für die einzelnen Grundstücke konnten die Beteiligten rekurrieren. Das Rekursrecht kam auch dem Staat zu: Im Falle eines Rekurses konnte dieser die gesamte Schatzung einer Revision unterziehen (Artikel 6). Um die rasche Ausfüh-rung der Gürbekorrektion zu gewährleisen, legte Artikel 7 fest, dass die Kosten vorschussweise durch Anleihen des Staates zu begleichen seien.

Die Bezahlung der Kosten inklusive Zinsen sollten die Eigentümer in zehn jährlichen Zahlungen leisten. Frühere Zahlungen von zusätzlichen Jahresbeiträgen oder der ganzen Schuldsumme waren möglich (Artikel 8).

Ab wann die Zahlungen geleistet werden mussten, konnte ebenfalls der Regierungsrat bestimmen. Dabei konnte er die Zahlungen abteilungs-weise oder einzeln nach Eigentümern anordnen.76 Artikel 9 regelte das gesetzliche Pfandrecht: «Für die Kostenbeiträge, nebst dem Zinse, bleiben die betreffenden Grundstücke unterpfändlich verhaftet.»77 Das gesetzliche Pfandrecht musste auch bei künftigen Handänderungen und Pfandrechts-verträgen vermerkt werden. Artikel 10 behandelte den Unterhalt des Gürbekanals und der Nebenkanäle. Dieser wurde aber noch nicht abschlies send geklärt, da geplant war, dass der Regierungsrat erst nach der

74 Gesetz Gürbe 1854: 184.

75 Verordnung über die Schatzung des bei der Gürbenkorrektion betheiligten Eigent-hums. 19. März 1855. In: Gesetze, Dekrete und Verordnungen des Kantons Bern 10 (1855): 25–30. Diese Quelle wird im Folgenden mit «Verordnung Schatzung 1855» ab-gekürzt. Die Inhalte der Verordnung und das System der Finanzierung sind in Kap. 6.3 ausführlich erläutert.

76 Gesetz Gürbe 1854: 184–186.

77 Gesetz Gürbe 1854: 187.

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Anhörung der zu bildenden Kommission ein Reglement erlassen wür-de.78

Im elften und letzten Gesetzesartikel wurde schliesslich die Dauer der Wirksamkeit des Gesetzes festgelegt. In Kraft treten sollte es am Tage seiner Bekanntmachung – und erlöschen mit der Vollendung des Unter-nehmens und der Abtragung aller Kosten. Obwohl das Ende der Gültig-keit damit eigentlich definiert war, ergaben sich wegen diesem Punkt noch mehrfach Konflikte. Einerseits trat 1857, also nur drei Jahre nach dem Gürbegesetz, das neue bernische Wasserbaupolizeigesetz in Kraft.

Dieses löste die separaten Wasserbaugesetze der grossen Korrektionswerke ab.79 Andererseits war, wie eingangs erläutert, das Abschlussjahr der Kor-rektion auch den Zeitgenossen unklar. Noch über 80 Jahre später, im Zuge der Ausarbeitung des neuen Schwellenreglements und Schwellen-katasters des Oberen Gürbeschwellenbezirks in den 1930er-Jahren, sorgte die Gültigkeit des Gürbegesetzes für Diskussionen. Erst 1936 wurde es offiziell für ungültig erklärt.80

Geleitet wurden die Korrektionsarbeiten an der 1858 unter öffentliche Aufsicht gestellten Gürbe durch den Kanton, welcher neben den Beiträgen der Grundbesitzer die Projekte mitfinanzierte (vgl. dazu Kapitel 6.3.1).81 Die verantwortliche Kantonsstelle war die Entsumpfungsdirektion. Sobald

78 Gesetz Gürbe 1854: 187.

79 Uttendoppler 2012: 38.

80 In den 1930er-Jahren wurde das bisherige Schwellenreglement und der Schwellen-kataster des Oberen Gürbeschwellenbezirks erneuert und dabei der Perimeter deutlich ausgedehnt (vgl. Kap. 5.4). Nach der Auflage der Entwurfsversion des neuen Regle-ments und Katasters in den Gemeindeverwaltungen gingen zahlreiche Einsprachen ein. Sowohl Gemeinden, Privatpersonen wie auch Verbände wehrten sich gegen ihre Integration in den Perimeter und wollten verhindern, dass sie die Lasten für den Was-serbau mittragen mussten. Die Einsprecher argumentierten mit dem Gürbegesetz von 1854, nach welchem nur die direkt von der Gürbe bedrohten Grundbesitzer beitrags-pflichtig waren; somit sei die im neuen Schwellenkataster geplante Ausdehnung der Beitragspflichtigen nicht zulässig. Diese Begründung, und damit auch die Mehrheit der Einsprachen, wurden vom Regierungsrat strikt abgelehnt. Dieser erklärte in einer abschliessenden Erklärung das Gürbegesetz für nicht mehr gültig. Auszug aus dem Pro-tokoll des Regierungsrates. Sitzung vom 05.06.1936. StAB BB X 4236.

81 Der Kanton Bern stellte die Gürbe am 28.01.1858 auf Antrag der Entsumpfungsdirek-tion unter öffentliche Aufsicht. Vgl. Dekret, betreffend die Stellung der Gürbe unter öf-fentliche Aufsicht (28. Jänner 1858). In: Gesetze, Dekrete und Verordnungen des Kantons Bern 13 (1858): 24–26.

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eine Abteilung grösstenteils vollendet war, wurden die Hochwasserschutz-bauten den dafür neu gegründeten Schwellengenossenschaften übergeben.

Ihnen oblagen nun Unterhalt, Pflege und Ausbau der Bauten.

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