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Titel, Motive und Quellen

Im Dokument Cy Twombly (Seite 107-111)

Schaffungsabschnitten

2. Cycnus (1978, Rom): Zwischen Mythos und Metamorphose

2.3. Titel, Motive und Quellen

Arthur C. Danto verwies hinsichtlich der Titel von Twomblys Arbeiten auf den Künstler Marcel Duchamp und stellte diesbezüglich Ähnlichkeiten fest: Er nannte Duchamps Werktitel „Jokes“ und behauptete, dass Twomblys Titel zwar ebenso von verspielter Art seien, wies aber darauf hin, dass sie trotz ihrer Ähnlichkeit eine poetischere Richtung einschlagen würden. Und weiter beschrieb Danto Twomblys Konzept:

„The fusion between combining objects of the most overriding and indefeasible ordinariness in order to enact something of mythological power is the basis of his sculptural undertaking.“394

        Heidegger deshalb: „Zuhandenheit ist die ontologisch-kategoriale Bestimmung von Seiendem, wie es ‚an sich‘ ist“. Man hat diesen Primat der Praxis, wie er sich bei Heidegger findet, auch gelegentlich mit dem Titel „Pragmatismus“ versehen, wenngleich sich diese Bezeichnung eigentlich auf eine andere philosophische Traditionslinie bezieht, von der Heidegger jedoch keine Notiz nahm.

Vgl.: //Heidegger, Sein und Zeit, 3. Kapitel, §§14-24.

393 Danto 1997, S. 269.

394 Ibidem, S. 271.

Anders als die meisten Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen Twomblys ist die eben beschriebene Arbeit betitelt. Jedoch trägt dieser Titel, zumindest im ersten Moment, nicht unbedingt zur Erklärung der Skulptur bei, sondern unterstreicht eher noch deren rätselhaften Charakter. Anstelle einer Lösung sieht sich der Betrachter vor eine neue Herausforderung gestellt. Der Titel klingt ebenso mysteriös wie die Skulptur in ihrer vom weißen Farbschleier verhüllten Form anmutet. Zwar kann man erahnen, dass es sich bei Cycnus um einen lateinischen Namen handelt, die Geschichte, der Mythos oder die sagenumwobene Begebenheit, die möglicherweise hinter dem Titel stecken, dürfte jedoch weitgehend unbekannt sein.

In der griechischen Mythologie sind fünf Gestalten unter dem Namen Cycnus oder Cygnus395 bekannt, die meisten von ihnen wurden am Ende in einen Schwan verwandelt.

Cycnus, der Sohn des Apollo und der lybischen Nymphe Thyria oder Hyria, war ein Jüngling von ungemeiner Schönheit. Als sein Freund Phylius ihn auf Anraten des Herkules verließ, stürzte er sich in den See Conope, wohin ihm seine Mutter aus Gram über sein frühes Ende folgte. Apollo verwandelte beide in Schwäne und erklärte den Schwan zu seinem Lieblingsvogel.

Nach Appolodorus ist Cycnus der Sohn des Mars und der Pelopia und war wegen seiner Grausamkeit berüchtigt. Er wohnte in Thessalien und tötete Reisende nur, um ihnen die Köpfe abzuschneiden. Denn er hatte seinem Vater gelobt, ihm einen Tempel aus lauter Totenschädeln zu bauen. Herkules wurde auf seinem Weg ebenfalls von ihm angefallen, und obwohl Mars seinem Sohn beistand, doch nicht besiegt, denn Athena kam Herkules zu Hilfe, so dass er Cycnus töten konnte.

Eine weitere Überlieferung kennt Cycnus als Sohn des Mars und der Pyrene.

Herkules suchte ihn auf, rang mit ihm und tötete ihn. Bei dieser Gelegenheit kam er wieder mit Mars in einen Zweikampf, der so gefährlich und hartnäckig war, dass Jupiter die Streitenden durch einen zwischen sie geworfenen Blitz trennen musste.

In Troja war Cycnus der Sohn des Neptun und der Calyce, einer Tochter des Hecaton. Calyce, aus Furcht vor drohender Schande, setzte den Knaben aus, den Schwäne fanden und aufzogen und den Neptun unverwundbar machte. Später wurde er König von Colonä in Troas und Gemahl der Proclea, sie bekamen

      

395 Griechisch: Kύκνος.

Tennes und Hemithea. Cycnus’ zweite Gemahlin Philonome verliebte sich in Tennes, dieser aber nicht in sie. Verbittert verleumdete sie ihn beim Vater, worauf dieser seinen Sohn im Meer aussetzte. Auf wundersame Weise gerettet, wurde er später König von Tenedos. Als er die Wahrheit über das Verhalten seiner Stiefmutter erfuhr, tötete er sie und zog die Trojaner zur Hilfe. Dort tötete ihn Achilles. Zu guter Letzt liest man von Cycnus, dem Vater des Cupavo und des Cinyras, die, um an ihren vor Trauer gestorbenen Vater zu erinnern, Schwanenfedern als Helmschmuck trugen.396

In Ovids Metamorphosen tauchen drei Personen mit dem Namen Cycnus auf, im zwölften Buch findet sich die wohl anschaulichste und bekannteste Schilderung des Mythos. Twombly bezog sich des Öfteren in seinem Werk auf Ovid und widmete ihm einige Arbeiten. Es ist anzunehmen, dass er die Passage in den Metamorphosen kannte und in seiner Arbeit reflektierte. In den Metamorphosen wird Cygnus als Bundesgenosse der Trojaner im Trojanischen Krieg erwähnt.

Neptun war sein Vater und eine Nereide, Wassergottheit und Tochter des Nereus seine Mutter. Durch Waffen nicht verwundbar, erwürgte Achilles ihn mit den Händen. Neptun verwandelte seinen toten Sohn in einen weißen Schwan.397 Die deutsche Übersetzung vom lateinischen Wort Cygnus ist wiederum ‚Schwan‘.

Einer der bekanntesten Göttermythen ist der von Leda mit dem Schwan. Zeus, der sich in alle möglichen gestalten wandeln konnte, stellte in Gestalt eines Schwanes unerkannt jungen Frauen, wie z. B. Leda, nach. Dieser Mythos beschäftigte Twombly sehr, zahlreiche Bilder und Zeichnungen entstanden dazu – hierzu ausführliches in einem das Kapitel abschließenden Exkurs.

Die Motive der verwendeten einzelnen Gestaltungselemente sind bei Twombly oft von hohem Symbolgehalt, daher an dieser Stelle ein kurzer Blick darauf.

„Twombly is an artist with a remarkable knowledge of the history of art whose own works are dense with classical allusions.“398

So besitzen die einzelnen Komponenten oft eine Vorgeschichte, die von einer Domäne in eine andere übertragen wurden, wie etwa „from life to art“399. So

      

396 Vgl. Vollmer 1978, S. 151 f.

397 Vgl. Ovid, Metamorphosen, Buch 12 / 2, Cygnus und Achilles, siehe www.gottwein.net, (14.09.2010).

398 Danto 1997, S. 271.

399 Ibidem, S. 272.

ähnlich verhält es sich auch mit dem für die Skulptur Cycnus verwendeten Palmblatt.

In diesem Zusammenhang ist auch ein kurzer vergleichender Blick auf Duchamps Arbeiten lohnenswert. Was unterschiedet Twomblys Konzept von dem eines Duchamp? Arthur C. Danto nannte folgende Aspekte:

„With Duchamp, however, objects with antecedent identities travel a very short route from thinghood to art. With Twombly they have much further to go and are transported there on wings of literature, myth, or ritual. But not everything in his sculpture is readymade: the wheels and sometimes the flowers are made expressly to become part of his art. And, of course, the writing is never readymade at all, though the texts, taken from Rilke or from Archilochus, are.”400

Und weiter heißt es:

„They are not in any way anti-art but humanistic and even literary. And in a way quite alien to Duchamp, Twombly’s vision is heroic and epic. Duchamp’s vision is a blend of logic and eroticism. Twombly’s is a blend of metamorphosis and myth, and unprepossessing as the assembled components of the sculpture may be, the genre to which his work aspires is the monument created to great deeds and noble, heroic deaths.”401

Twombly greift mit den von ihm häufiger verwendeten Palmblätter (Abb. 107, 108) eines der ältesten bekannten Pflanzensymbole der Menschheit auf. Die Dattelpalme war bereits bei den Sumerern im Zweistromland das Zeichen des jährlich zu Neujahr begangenen Hochzeitsfestes der Götter Ea und Nirhusa.

Palmen und Palmblätter finden sich auf sumerischen Stelen, Siegeln und Tempelruinen. Diese Symbolik wurde von den Assyrern übernommen. Vor allem in der ägyptischen Kunst, für die sich Twombly besonders interessierte,402 taucht der Palmwedel auf. Die ägyptische Göttin Renpet, die Göttin der Ewigkeit und der Jugend, wird als Frau mit einem Palmzweig auf dem Kopf dargestellt.403 Außerdem sind Palmwedel in der Architektur auf einigen ägyptischen Kapitellen dargestellt, zum Beispiel bei der Palmsäule, einer ägyptischen Pflanzensäule mit

      

400 Danto 1997, S. 272..

401 Ibidem.

402  Jacobus 2008, http://www.tate.org.uk/research/tateresearch/tatepapers/08autumn/mary-jacobus.shtm, (08.04.2009).

403 Vgl. Meyers 1928, S. 286 f.

einem Kapitell aus einem zusammengebundenen, steil hochragenden und sich oben leicht nach außen neigenden Palmwedel.404

Das palmenblattförmige Ornament, Palmette genannt, findet sich in der bildenden Kunst der griechischen Antike vermutlich seit dem 7. Jahrhundert v. Chr.405 und war als Palme interessanterweise Apollon geweiht. In der römischen Kultur war das Palmblatt Zeichen des Sieges, des Triumphes und der Freude. Über die römische Kultur fanden die Palme und der Palmwedel später Eingang in die christliche, jüdische und islamische Symbolik. Der Palmwedel gilt im Christentum sowie im Judentum als Zeichen des ewigen Lebens und der Auferstehung und ist Attribut zahlreicher Heiliger.406

Auffallend ist der weiße Farbmantel, der die einzelnen Komponenten bzw.

Bausteine der Skulptur umgibt, umwickelt und verhüllt. Dieses Phänomen wird bei Twombly zum Motiv, was sich bis hin zu seinen neuesten Skulpturen wiederholt. Vor dem Hintergrund des Titels Cycnus denkt man besonders an Skulpturen der klassischen Antike, an Tempelbauten und weißen Marmor.

Interessant erscheint darüber hinaus die symbolische Konnotation der Farbe Weiß im Islam. Dort steht Weiß zugleich sowohl für Reinheit als auch für Tod. Leichen werden traditionell vor der Beisetzung in weiße Tücher gehüllt und auf einem sockelartigen Tisch aufgebahrt. Die verhüllten Körper verlieren so ihre ursprünglich menschliche Identität und lösen sich von allen irdischen Verbindungen und werden zu reinen Geistwesen.

Im Dokument Cy Twombly (Seite 107-111)