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Claude Lévi-Strauss: Das Konzept des „Wilden Denkens“

Im Dokument Cy Twombly (Seite 90-94)

Schaffungsabschnitten

1. Untitled (1954, New York) 276

1.6. Claude Lévi-Strauss: Das Konzept des „Wilden Denkens“

der Wissenschaft zu verstehen.332 Lévi-Strauss lag im Gegensatz dazu eine Aufwertung der mythischen Reflexion am Herzen. Die Welt des Mythos wollte er nicht als eine „stammelnde, schüchterne Form der Wissenschaft“333 abgewertet sehen, die sich nicht weiterentwickelt, sondern als autonome Denkweise betrachten. So heißt es weiter bei Lévi-Strauss:

„Das magische Denken ist nicht ein erster Versuch, ein Anfang, eine Skizze, der Teil eines noch nicht verwirklichten Ganzen; es bildet ein genau artikuliertes System, das die Wissenschaft später begründen wird, abgesehen von der formalen Analogie, die sie beide einander näherbringt und die aus dem ersten eine Art metaphorischen Ausdrucks der letzteren macht.“334

Die Differenz zwischen mythischer und wissenschaftlicher Reflexion lässt sich nach Lévi Strauss lediglich als zwei unterschiedliche, dennoch aber gleichwertige Herangehensweisen verstehen,

„wobei die eine, grob gesagt, der Sphäre der Wahrnehmung und der Einbildungskraft angepaßt, die andere von ihr losgelöst wäre; wie wenn die notwendigen Beziehungen, die den Gegenstand jeder Wissenschaft bilden – sei sie nun neolithisch oder modern -, auf zwei verschiedenen Wegen erreicht werden könnten: einem, der der sinnlichen Intuition nahekommt, und einem, der ihr ferner liegt.“335

Laut Lévi-Strauss ging im 17. und 18. Jahrhundert – „zur Zeit Bacons, Descartes‘, Newtons“336 – ein folgenschwerer Bruch vonstatten, der die Wissenschaft vom mythischen Denken abschnitt:

„Man glaubte, daß die Wissenschaft nur dann bestehen könne, wenn sie der alten Welt der Sinne den Rücken kehrte – jener Welt, die wir sehen, riechen, tasten und wahrnehmen. Die Welt der Sinne war eine trügerische, die wirkliche Welt dagegen eine Welt mit mathematischen Eigenschaften, nur mit Hilfe des Intellekts erfahrbar und im vollkommenen Widerstreit zu den falschen Eindrücken der Sinne.“337

      

332 Vgl. Badcock 1975, S. 44 f.

Vgl. auch: Lévi-Strauss 1980, S. 27. ff.

333 Lévi-Strauss 1968, S. 25.

334 Ibidem.

335 Ibidem, S. 27.

336 Lévi-Strauss 1980, S. 18.

337 Ibidem.

Das Ziel der Forschungsmethode von Claude Lévi-Strauss war es, die Kluft zwischen „Geist und Erfahrung“338 zu überwinden. In die wissenschaftliche Analyse sollten Sinneswahrnehmungen integriert werden „als etwas, dem eine Bedeutung, eine Wahrheit innewohnt und das erklärt werden kann.“339 Lévi-Strauss erhoffte sich, dass die in der Wissenschaft fehlende Sensibilität sinnlicher Erfahrung durch eine intensive Beschäftigung mit dem „wilden Denken“

wiederhergestellt werden kann. Eine Orientierung an Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung wird in Lévi-Strauss‘ Betonung der Notwendigkeit einer phänomenologischen, also unmittelbaren, nicht von abstraktem Vorwissen beeinflussten Erfahrung der Wirklichkeit deutlich.340

Zur Erläuterung des Verhältnisses von mythischem und wissenschaftlichem Denken, verwendete Lévi-Strauss den Begriff „bricolage (Bastelei)“341. Er bediente sich zweier Metaphern, um folgenden Gegensatz zu veranschaulichen:

Der Bricoleur342 steht für das mythische, wilde Denken und der Ingenieur für ein wissenschaftliches Verständnis.

„Heutzutage ist der Bastler jener Mensch, der mit seinen Händen werkelt und dabei Mittel verwendet, die im Vergleich zu denen des Fachmanns abwegig sind.

Die Eigenart des mythischen Denkens besteht nun aber darin, sich mit Hilfe von Mitteln auszudrücken, deren Zusammensetzung merkwürdig ist und die, obwohl vielumfassend, begrenzt bleiben; dennoch muß es sich ihrer bedienen, an welches Problem es auch immer herangeht, denn es hat nichts anderes zur Hand. Es erscheint somit als eine Art intellektueller Bastelei, was die Beziehungen, die man zwischen mythischem Denken und Bastelei beobachten kann, verständlich macht.“343

Der Ingenieur hingegen versucht, sich über die bestehenden Zwänge hinwegzusetzen, „einen Durchgang zu öffnen“344, um sein Ziel mit möglichst großer Wirksamkeit zu erreichen. Die Art und Weise wie der Bricoleur arbeitet, erscheint retrospektiv. In einer „Bestandaufnahme“345 betrachtet er die ihm zur

      

338 Lévi-Strauss 1980, S. 20.

339 Ibidem, S. 18.

340 Vgl. Hochdörfer 2001, S. 27 ff.

341 Lévi-Strauss 1968, S. 29.

342 Dt. Übersetzung ist ‚Der Bastler‘. Da diese Übersetzung für nicht sehr treffend und ebenso negativ besetzt erachtet wird, soll im Folgenden der französische Begriff verwendet werden.

343 Lévi-Strauss 1968, S. 29.

344 Ibidem, S. 33.

345 Ibidem, S. 31.

Verfügung stehenden Mittel und Werkzeuge, die seinen „Ideenschatz“346 bilden.

Er lässt sich davon inspirieren und reflektiert die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Jeder einzelne Gegenstand wird bezüglich seiner Bedeutung untersucht:

„Ein Eichenblock kann als Stütze dienen, der Unzulänglichkeit einer Fichtenbohle abzuhelfen; oder auch als Sockel, was die Möglichkeit böte, die Maserung und die Politur des alten Holzes zur Geltung zu bringen. In einem Fall wäre seine Form ausschlaggebend, im anderen sein Aussehen. Aber diese Möglichkeiten bleiben immer durch die besondere Geschichte jedes Stückes begrenzt und durch das, was an Vorbestimmtem in ihm steckt.“347

Das Ergebnis ist also nicht vorhersehbar. Der Ingenieur meidet jederlei Zufall und achtet stets darauf, die Spuren der Ausführung zu verwischen, ja auszulöschen.

Für den Bricoleur ergeben sich fundamentale Entscheidungen erst während des Arbeitsprozesses. Die Essenz der Überlegungen von Claude Lévi-Strauss lassen sich verblüffend genau auf Twomblys Skulpturen übersetzen. Außerdem hatte Lévi-Strauss scheinbar einen Bezug zur Objektkunst des 20. Jahrhunderts im Hinterkopf.348

Die Konzentration auf die „herumliegenden“ Gegenstände, die Prozesshaftigkeit der Ausführung, die Offenlegung der Technik, die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Eigenschaften des Materials, das Spiel mit dem Zufall – all diese Charakteristika des bricolage-Begriffs kennzeichnen Twomblys Skulptur-Begriff vor allem in den Fünfzigerjahren.

      

346 Lévi-Strauss 1968, S. 31.

347 Ibidem, S. 31 f.

348 Lévi-Strauss bezog in seiner Rezension anlässlich der Picasso-Ausstellung Hommage à Picasso im Grand und Petit Palais 1966 den Begriff bricolage auf die Objektkunst des 20.

Jahrhunderts.

Vgl. hierzu: „Aus Anlaß einer Retrospektive“, in: Lévi-Strauss 1975, S. 316.

Vgl. auch: Hochdörfer 2001, S. 30 f.

1.7. Dadaismus und Surrealismus –Traditionsbruch und Freiheit der Form

Im Dokument Cy Twombly (Seite 90-94)