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Italienische Nachkriegspositionen: Existenzfigur und Abstraktion

Im Dokument Cy Twombly (Seite 189-194)

archaischen Wurzeln

2. Italien

2.2. Italienische Nachkriegspositionen: Existenzfigur und Abstraktion

la vita: vogliamo che il quadro esca dalla sua cornice e la scultura dalla sua campana di vetro”. 647

Gruppo degli Otto war eine italienische Künstlergruppe648, die sich aus acht italienischen Malern, darunter u.a. Emilio Vedova (Abb. 132) und Giuseppe Santomaso (Abb. 133), zusammensetzte und im Jahr 1952 als künstlerischer Gegenpol zum Neorealismus in der Malerei gegründet wurde, nachdem sich die Bewegung Fronte Nuovo delle Arti aufgelöst hatte. Sie stellten auf der Biennale von Venedig im Jahr 1952 erstmals gemeinsam aus.649 Die Künstlergruppe wurde von dem Kunsthistoriker Lionello Venturi koordiniert, der den Stil und die Intentionen der Gruppe folgendermaßen beschrieb:

„Sie sind und wollen keine Abstrakten sein, ebenso wenig Realisten. Sie stellen sich vielmehr die Aufgabe, dem Widerspruch dieser zwei Richtungen zu entrinnen, von denen die eine die abstrakte Kunst in einen neuen Manierismus zu bringen droht, während die andere politischen Anweisungen folgt, welche die Freiheit und schöpferische Spontaneität zerstören […]. Die acht Maler verwenden jene malerische Ausdrucksmittel, die aus der Haltung und Überzeugung stammen, welche sich um 1910 herausbildete und das Erlebnis der Kubisten, Expressionisten und Abstrakten umfasst.“650

In diesem Zitat wird eine Form ungegenständlicher Kunst beschrieben, die in ihrer Stellung zwischen Abstraktion und Realismus als ‚typisch‘ italienisch bezeichnet werden kann:

„Es ist eine Malerei, die sich trotz weitgehender Reduktion unmittelbar gegenständlicher Hinweise in ganz besonderem Maße den aus der sichtbaren Wirklichkeit gewonnenen Erfahrungen verpflichtet weiß. Die italienischen Künstler wollten damit einen eigenständigen Beitrag zu der internationalen Kunstszene beherrschenden informellen Malerei liefern und Italien aus der durch den Faschismus bedingten kulturellen Isolation herausführen.“651

      

647 Lucio Fontana, Manifesto blanco, 1946, zit. In: Kat. Ausst. Mailand 2005, S. 420.

648 Die Gruppe nannte sich bisweilen auch: Otto pittori italiani (Acht italienische Maler), oder Gruppo degli otto Pittori Italiani. Sechs der früheren Mitglieder der Fronte Nuovo delle Arti Renato Birolli, Antonio Corpora, Ennio Morlotti, Emilio Vedova, Giuseppe Santomaso und Giulio Turcato, sowie zwei weitere Maler Afro Basaldella und Mattia Moreni gründeten die Gruppo degli Otto im Jahr 1952 in Rom.

649 Die Künstler von Gruppo degli Otto waren auch auf der documenta 1 1955 und im Jahr 1959 auf der documenta 2 vertreten. Einige stellten auch auf der documenta III (1964) aus.

650 Venturi, Lionello, zit. in: Schulz-Hoffmann 1981, S. 9.

651 Schulz-Hoffmann 1981, S. 10.

Besonders zukunftsweisend und inspirierend für eine neue, jüngere Generation war neben dem Werk Fontanas vor allem das des damals ebenso noch wenig anerkannten Künstler Alberto Burri. Beide wirkten mit ihren extrem unterschiedlichen künstlerischen Ideen und Arbeiten – Fontana mit seinen Concetti Spaziali (Abb. 134) und Burri mit seinen Sacchi (Abb. 135) – entscheidend auf die weitere Entwicklung der italienschen aber auch internationalen Kunstszene. Neuere Entwicklungen lassen sich in der Themenwahl wie in der formalen Gestaltung erkennen, deren Merkmale als

‚typisch italienisch‘ bezeichnet werden können:652

„Sieht man von den vordergründigen Bezugspunkten ab (so z. B. die immer wieder feststellbare Auseinandersetzung mit griechischer und römischer Antike), so wären hier insbesondere allgemeine Kriterien wie die Vorliebe für helle Werkstoffe (dies auch oft bei den vom Material her scheinbar ‚armseligsten‘

Objekten) zu nennen, die oft den Eindruck gleißenden südlichen Lichtes vermitteln, sowie für bewusst ‚schöne‘ Anordnungen, die manchmal nah in die Grenze reiner Eleganz zu geraten drohen.“653

Die Fünfzigerjahre stehen auch für einen regen Austausch amerikanischer und italienischer Künstler. Es gab sowohl einige amerikanische Kritiker und Künstler – wie eben Twombly –, die Italien zum neuen Lebensmittelpunkt wählten als auch italienische Künstler, die in die USA reisten, dort lernten und arbeiteten. Es entstand ein fruchtbarer dialektischer Austausch von Ideen und Kozepten: 1948 gewann der amerikanische Künstler Philip Guston den Prix de Rome und verbrachte dort ein Jahr an der American Academy, Mark Rothko reiste 1950 durch Europa, hielt sich längere Zeit in Italien auf und kam 1958 nach Italien zurück, um zehn seiner Gemälde im amerikanischen Pavillion der Biennale von Venedig zu präsentieren. Peggy Guggenheim organisierte im selben Jahr die erste Ausstellung von Jackson Pollock in Italien, die damals großes Aufsehen erregte und starkes Interesse beim Publikum hervorrief. Auf der italienischen Seite waren es Künstler wie Afro, Pirandello, Cagli, Guttuso, Morlotti und Pizzianto, die bei Catherine Viviano, einer neu eröffneten New Yorker Galerie, ausgestellt wurden.

Im Dezember 1954 wurde im Guggenheim Museum die Ausstellung Younger

      

652 Schulz-Hoffmann 1981, S. 11f.

653 Ibidem.

European Painters654 eröffnet, in der auch die Italiener Burri und Capogrossi vertreten waren. 1955 organisierte das MoMA die Ausstellung The New Decade:

22 European Painters and Sculptors655, die von Andrei C. Ritchie kuratiert wurde und in der wiederum italienische Künstler wie Afro, Burri, Capogrossi, Minguzzi und Mirko vertreten waren. Die Galerie Spazio di Roma brachte in der Ausstellung Individualità d’oggi Arbeiten von Capogrossi, Accardi, Burri und Fontana mit Exponaten von den Amerikanern Franz Kline und Sam Francis zusammen. Es folgten erste Einzelausstellungen von Alexander Calder und Arshile Gorky, und in New York erreichte der amerikanisch-italiensche Künstlerdialog mit der Ausstellung Italy: the New Vision656, kuratiert von A. R.

Krakusin mit circa 40 italienischen Künstlern, darunter Sironi, Morandi, Afro, Burri, Capogrossi und Tancredi, seinen Höhepunkt.657

Mitte der Fünfzigerjahre entwickelte sich eine neue künstlerische Richtung in Folge der großen Veränderungen, die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges abspielten. Einer ihrer Vertreter, Piero Manzoni, steht Cy Twombly vor allem mit seinen Achrome (Abb. 136) aus den späten Fünfzigerjahren nahe. Diese unbemalten, durch den Auftrag von Gips strukturierten Leinwände waren von den Kunstwerken Yves Kleins angeregt. Manzoni, der gegen jede Tradition in der Malerei eintrat, experimentierte mit neuen Werkstoffen, verwendete u.a.

transparente Kunststoffe und setzte Materialien ein, die im Allgemeinen als nicht kunstwürdig angesehen wurden. Er befreite die Fläche aus ihrer räumlichen Enge und thematisierte die künstlerische Entdeckung des imaginären, unbegrenzten Raumes.658

In der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre beschäftigten sich die Vertreter der Arte Povera – deren Werke einen wichtigen Bezugspunkt für Twomblys Schaffen darstellten659 – mit der Erfahrung ‚armer‘ Materialien. Die Spannbreite der Arbeiten reichte von der Installation bis zur Performance und konzentrierte sich

      

654 New York, The Solomon R. Guggenheim Museum, Younger European Painters, 2.Dezember 1953 - 21.Februar1954.

655 New York, The Museum of Modern Art, The New Decade: 22 European Painters and Sculptors, 10. Mai – 7. August 1955.

656 New York, World House Galleries, Italy, The New Vision, März 1957.

657 Vgl. Kat. Ausst. Milano, 2005, S. 422 ff.

658 Vgl. Moser 2010, http://www.mumok.at/besuch/bibliothek/piero-manzoni/, (21.09.2010).

659 Bereits im Kapitel V.3.8. wurde im Vergleich mit Twomblys Skulptur Untitled von 2001 die Nähe zu Michelangelo Pistoletto, einem wichtigen Vertreter der Arte Povera erläutert.

auf ein unmittelbares und direktes Wissen, bei dem sowohl Natur als auch Kultur zusammentreffen.660 Jean-Christophe Ammann äußerte sich hierzu wie folgt:

„Ars Povera meint eine Kunst, die im Gegensatz zur technisierten Umwelt mit einfachsten Mitteln eine poetische Aussage anstrebt. Dieses Zurück zu einfachen, natürlichen Gesetzlichkeiten und Vorgänge aus der Macht der Vorstellung aufzeigenden Materialien, ist gleichbedeutend mit einer Überprüfung des eigenen Verhaltens in einer industrialisierten Gesellschaft… Ein drop out, das keineswegs gesellschaftsnegierend ist, sondern im Gegenteil einen moralischen Anspruch erhebt: Die subjektivste Empfindung in ihrer objektivierten Authenzität reflektiert eine ursprüngliche Rückbesinnung auf Umweltphänomene im allgemeinen und einzelnen.“661

Die Geburt der Arte Povera Bewegung wird im Allgemeinen in das Jahr 1967 datiert, als der italienische Kunstkritiker Germano Celant in seiner Heimatstadt Genua die Gruppenausstellung Arte Povera e IM Spazio662 in der Galerie La Bertesca organisierte. Im Arte Povera Teil waren Künstler wie Alighiero Boetti, Luciano Fabro, Jannis Kounellis, Pino Pascali, Giulio Paolini und Emilio Prini vertreten. Das Bestreben der Künstler dieser Richtung war es, das Kunstwerk so einfach wie möglich zu gestalten,

“das Erlebnis des Künstlers und des Betrachters ‘ärmer‘ zu machen, um die Wahrnehmung zu öffnen für das allen Dingen zugrundeliegende Strömen von Energien.“663

Ihr Ziel lag darin, durch eine phänomenologische Reduktion zu einer wahreren und authentischeren Erfahrung von Wissen zu gelangen, wobei der Fokus vom Objekt auf das Subjekt der Erfahrung gelenkt wurde. Man entfernte sich von der Pop- und der Minimal Art, der Kinetischen und Optischen Kunst und strebte nach einem prozessorientierten Arbeiten, das die Grenze zwischen Objekt und Subjekt verwischen sollte, auch vor allem durch den Einsatz von weichen und fließenden

      

660 Vgl. Christov-Bakargiev, Carolyn, Arte Povera oder der Raum der Elemente, in: Kat.

Ausst. Bremen – Nürnberg – Köln – Wien – Göteborg – München 1997/1998, S. 9.

661 Ammann, Jean-Christophe, zit. in: Kat. Ausst. Bremen – Nürnberg – Köln – Wien – Göteborg – München 1997/1998, S. 9.

662 Genua, Galleria La Bertesca, Arte povera e IM spazio, September 1967.

663 Christov-Bakargiev, Carolyn, in: Kat. Ausst. Bremen – Nürnberg – Köln – Wien – Göteborg – München 1997/1998, S. 9.

Materialien. Einer der einflussreichsten Künstler dieser Bewegung war Michelangelo Pistoletto664.

Trotz unterschiedlicher Positionen scheint die italienische Kunst nach 1945 meist einem Ideal verpflichtet gewesen zu sein oder zumindest der Erinnerung an das, was „als klassischer Schönheitsbegriff traditionell mit der Antike identifiziert wird.“665

Im Dokument Cy Twombly (Seite 189-194)