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Titel, Chiffren und Vexierbilder

Im Dokument Cy Twombly (Seite 164-167)

Schaffungsabschnitten

4. Untitled (Eros/binder and joiner) (2004, Lexington):

4.4. Titel, Chiffren und Vexierbilder

Die meisten Skulpturen von Twombly sind ohne Titel, hin und wieder jedoch fügte der Künstler dem Untitled noch einen Zusatz in Klammern bei, so auch bei der in diesem Kapitel behandelten Arbeit Untitled (Eros / binder and joiner). Es bietet sich an, für eine Interpretation der Arbeit die im Titel (und auf der Arbeit) gelegte Spur weiter zu verfolgen. Außerdem ist ein Blick auf die sonstigen Zeichen, die Twombly auf unterschiedlichen Seiten in die Skulptur integrierte, auf deren Charakter und Wirkung im Gesamtzusammenhang der Arbeit ebenso aufschlussreich.

Zunächst bekam die Skulptur einen Titel, der keiner sein soll: Untitled – Ohne Titel. Der Betrachter mag den Eindruck haben, als wäre es dem Künstler im ersten Moment nicht unbedingt wichtig, wie die Skulptur heißt, welcher Namen für sie gewählt wurde oder ob sie als Träger einer Geschichte fungieren oder gar Zeugnis über eine bestimmte Begebenheit ablegen soll. Erst danach wird der Nichttitel mit einer in Klammer hinzugefügten Erläuterung versehen. Würde Twombly genau und eindeutig schildern oder erzählen wollen, so hätte er den Zusatz von der Klammer ‚befreit‘ und ganz klar im Titel ausgesagt, worauf sich die Arbeit bezieht. Dem ist jedoch nicht so, sie ist und bleibt zunächst ohne Titel, weiß, nebulös und schattenhaft.

Andererseits existiert der Titelzusatz in Klammern und – was das Ganze noch verstärkt und dabei dem ersten Gedanken beinahe widerspricht –,der Zusatz des Titels wurde als Inschrift oder Aufschrift in der Skulptur zweifach wiederholt und ist so kaum mehr zu übersehen oder gar zu ignorieren. Vielleicht war aber auch zuerst die Schrift auf der Arbeit, die dann später als Titelzusatz verwendet wurde.

      

568 Ranke-Graves 2007, S. 48 f.

Eros ist in der griechischen Mythologie der Gott der begehrlichen Liebe. Was hat es jedoch mit den zwei beigefügten Substantiven auf sich? Wollte Twombly hiermit auf eine ganz bestimmte Qualität oder einen Zustand des Eros, der personifizierten Kraft, die begehrliche Liebe auszulösen vermag, aufmerksam machen?

Das englische Substantiv binder hat eine Reihe unterschiedlicher Übersetzungen aus verschiedenen Bereichen.569 Im Folgenden werden nur einige herausgegriffen:

Unter anderem bedeutet das Wort ‚Binder(in)‘ oder ‚Garbenbinder‘, ‚Band‘,

‚Bindfaden‘, ‚Einband‘, ‚Leibbinde‘, ‚Nabelbinde‘, Binder‘ oder ‚Bindemittel‘.

Joiner ist eindeutiger: Im Deutschen wird joiner unter anderem mit Tischler(in)‘,

‚Schreiner(in)‘ übersetzt, bezeichnet aber auch schlichtweg jemand, der ‚etwas zusammenfügt‘.

Die rätselhafte und schwer entzifferbare Inschrift hat etwas von einer Chiffre. Das französische Wort bedeutet so viel wie ‚Ziffer‘, ‚Kennwort‘ bzw.

‚Geheimzeichen‘ und stellt eine besondere Stilfigur in der Literatur dar. Als Chiffren werden interessanterweise Wörter bezeichnet, die als verrätselte Symbole im Zusammenhang eines Textes mit meist komplexen Bedeutungen aufgeladen sind. Hier tauchen sie zwar im Kontext einer Skulptur auf, jedoch wirkt die

‚Schreibunterlage‘ für Twomblys Chiffren auch wie eine kleine Tafel, auf der notiert, korrigiert, ausradiert und verwischt wurde. Chiffren existieren nicht nur in einzelnen Texten, sondern finden sich auch im Gesamtwerk eines Autors, in einer Denkrichtung, einer Zeit oder einem Diskurs wieder. Sie sind von meist bildhaftem Charakter und hier von anderen Stilfiguren570 zu unterscheiden.

Neben den Buchstaben erinnern kleine, mehrdeutige Zeichnungen, die den Inhalt zu unterstreichen scheinen, an Chiffren. Wie schon bemerkt, liegt der Reiz auch hier im Halbverborgenen, Vernebelten und Unklaren. Das Wort joiner zieht sich ganz an das untere rechte Ende der ‚Bildfläche‘, links daneben findet man in Bleistiftlettern:

„L e x“

      

569 Vgl. Langenscheidt 2010, S. 109.

570 Wie Allegorie, Katachrese, Metonymie, Onomatopoetika, Oxymoron, Pars pro toto, Personifikation, Symbol, Synästhesie, Synekdoche und Topos.

Dies ist, wie bereits erklärt, die von Twombly häufig verwendete Abkürzung für Lexington, der Entstehungsort der Skulptur. Rechts daneben wurden mit Bleistift geschriebene Zahlen fast bis zur Unkenntlichkeit ausgestrichen. Auch in diesem Fall trifft der Ausdruck Chiffre. Es könnten einesteils ausgestrichene Ziffern sein – mit größter Wahrscheinlichkeit handelt es sich um das Entstehungsjahr 2004 – andererseits könnte der graue und ausgefranste Block aber auch ein für sich stehendes, autonomes und beinahe abstraktes Bildelement darstellen. Sollte das Thema unabhängig von zeitlicher Festlegung und jenseits von menschlicher Bestimmbarkeit gezeigt werden? Ähnlich undeutlich verhalten sich zwei graue Markierungen unterhalb der obersten ‚Zeile‘: Die linke zeigt einen leicht gekrümmten Strich, während die rechte einer '1' oder aber einem 'y' gleicht. Kennt man die anderen Arbeiten Twomblys, so verweist dies auf seine oft vorkommende Signatur, Cy. Ähnlich wie bei dem durchgestrichenen und grauen Element in der untersten ‚Zeile‘ verhalten sich auch diese an Twomblys Signatur erinnernden Zeichen, sie sind Chiffren und Teil seines vielfältigen und mannigfachen Zeichenkosmos, der nicht aufklären, sondern vielmehr verwirren, stutzig machen und den Betrachter zu einem suchenden Sehen verführen will.

Ein weiterere Gedanke drängt sich auf. Es scheint, als stünden die rätselhaften Details seines Zeichenkosmos im Zusammenhang mit Vexierbildern. Dieser Begriff stammt von dem lateinischen Verb vexare, deutsch ‚plagen‘ und ist die Bezeichnung für ein Scherzbild oder Rätselbild, in dem eine Figur oder ein Gegenstand zu suchen ist. Die Darstellung ist nicht – wie auch sämtliche Chiffren, Formen, Materialien und Andeutungen bei Twombly – sogleich zu erkennen, weil die Umrisse und Binnenzeichnung mit anderen, auf dem Bild deutlich sichtbaren Darstellungen zusammenfallen. So bildet etwa die Hügelkette einer Landschaftsdarstellung ein Gesicht oder eine ganze Person oder es formt sich – wie im Falle der Skulptur Untitled (Eros/binder and joiner) – das große, in Blau aufgeschriebene E gleichzeitig zu einem Herz. Oft ist die versteckte Darstellung leichter zu finden, wenn das Bild verkehrt gehalten betrachtet wird.571 Twombly gibt dem Betrachter mit seinen Chiffren Rätsel auf, spielt mit Vexierbildern und öffnet seine Arbeit eher, als dass er Richtungen festlegen würde. Trotz der aufgeschriebenen Hinweise und dem Zusatz im Titel bleibt eine eindeutige Lösung aus.

      

571 Vgl. auch: http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_9399.html, (12.09.2010).

Im Dokument Cy Twombly (Seite 164-167)