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Die Leda-Geschichte in der Literatur

Im Dokument Cy Twombly (Seite 125-132)

Schaffungsabschnitten

2. Cycnus (1978, Rom): Zwischen Mythos und Metamorphose

2.7. Die Leda-Geschichte in der Literatur

Metamorphose, der Verwandlung vom Gott zum Schwan; der Mythos der Zwillinge und der des Schwanes an sich.463

Der Schwan galt der Antike als König der Lüfte und des Wassers zugleich und unterscheidet sich von den anderen Wasservögeln durch seinen langen und elegant geschwungenen Hals. Er besticht durch sein Gefieder, das aus allen Nuancen von Weiß gemacht zu sein scheint. Kurz vor seinem Tod lässt er einen melodischen Gesang verlauten.464

Zeus ist der oberste Gott des hellenischen Volkes, Schutzgott der Eheschließung, Beschützer des Eigenheims vor Feuer, außerdem Spender von Fruchtbarkeit und überaus bekannt für seine Gestaltenvielfalt, die er anzunehmen vermag, wenn es darum geht, Nymphen, Göttinnen oder Sterbliche zu verführen.

Auf den ersten Blick bietet die Geschichte dem Leser Einsicht in ein Spektakel von Gewalt, Machtmissbrauch und Hilflosigkeit, jedoch stellt sich bald die Frage, ob hier nicht eher die Geschichte eines erotischen Spieles zweier Liebender erzählt wird, das aus Werben, Verneinen, Flüchten, dem Nachgeben und der gegenseitigen lustvollen Hingabe besteht?

Cy Twombly ist nur einer von vielen Künstlern und Poeten, die sich mit dem Mythos auseinandersetzten. Auch in der nachantiken Literatur ist der Leda-Mythos durch die Jahrhunderte ein beliebtes Thema gewesen, wie das nachfolgende Kapitel zeigen soll.

und Raffael. Eine einzige, unablässig dargestellte Kette führt von den griechischen Göttern zum modernen Maler. Die stärksten Glieder dieser Kette sind Ovid und Poussin.468

Hinter den Twomblyschen Bildzitaten, die auf die antike Mythologie anspielen, verbergen sich keineswegs inhaltslose, unüberlegte und vielleicht dekadent wirkende Phrasen, sondern sie sind einer intensiven Auseinandersetzung des Künstlers mit der Literatur geschuldet. Dies erlaubt es, einen Blick auf den Mythos in der modernen Literatur zu werfen. Wie und vom wem wird die Leda-Geschichte über Jahrhunderte hinweg verarbeitet? Bislang existiert nur ein knapper Artikel469 zur Leda-Thematik in der Literaturgeschichte in französischer Sprache, der diesem Kapitel als wichtige Quelle diente. Im Anschluss werden in chronologischer Reihenfolge verschiedene Autoren exemplarisch vorgestellt, die sich der Leda-Geschichte annahmen.

In der nachklassischen Literatur wird Leda vorwiegend als Mutter ihrer Kinder erwähnt, ganz besonders in Hinblick auf ihre Töchter.

Bei William Shakespeare heißt es in seiner Komödie The Merry Wives 470:

„You were also, Jupiter, a swan for the love of Leda.“471

Die Leda-Geschichte hielt besonders in der Renaissancelyrik Einzug, Du Bellay, einer der bedeutendsten französischen Autoren aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, beschreibt in seinen Vers lyriques472 von 1559:

„Jadis soubz plume blanchissante Du ciel la majetsé puissante Remlit celle qui enfanta Les fors jumeaux“473

      

468 Vgl. Barthes 1979, S.80.

469 Body, Jacques: Léda – Sous le signe du cygne, in: Brunel 2002, S.1132-1139.

470 Die lustigen Weiber von Windsor ist eine Komödie von William Shakespeare von 1597.

471 Shakespeare, William, The Merry Wives, V, 5), in: Ovid, Amores, II,4, in: Brunel 2002, S.

1132.

472 „En 1549, Du Bellay publie coup sur coup la Défense et Illustration de la langue

française (1549), conçu avec Ronsard, un recueil de Vers lyriques (1550), recueil inspiré du poète latin Horace.“ aus einem Artikel bei Anthologie.Free:

http://www.anthologie.free.fr/anthologie/bellay/bellay.htm, 10.03.2006.

473 Belly in: Brunel 2002, S. 1134.

Bei seinem Zeitgenossen Pierre de Ronsard474 findet man die Ode La défloration de Lède (XXX) von 1555 und in seinen Hymnes (VIII, 295) taucht folgendes auf:

„Les jumeaux […] enclos en la coquille D’un œuf, que Jupiter dans le ventre luy mit, Quand d’un cygne amoureux il emprunta l’abit, Dementant sa grandeur soubz une estrange plume, Brulé du feu d’amour qui les plus grandz alume.“475

Edmund Spenser476 beschreibt in The Faerie Queene477 die Vereinigung Ledas mitten unter dem Kampf Amors:

„With that I saw two Swannes of goodly hewe Come softly swimming downe along the Lee;

Two fairer Birds I yet did never see;

The snow, which doth the top of Pindus strew, Did never whiter shew;

Nor Jove himselfe, when he a Swan would be, For love of Leda, whiter did appeare;

Yet Leda was (they say) as white as he, Yet not so white as these, nor nothing neare;

So purely white they were,

That even the gentle streame, the which them bare, Seem'd foule to them, and bad his billowes spare To wet their silken feathers, least they might Soyle their fayre plumes with water not so fayre, And marre their beauties bright,

That shone as heavens light,

Against their Brydale day, which was not long:

Sweete Themmes! runne softly, till I end my Song.”478

Die Literatur der Klassik und der Aufklärung, dem Zeitalter der Vernunft, wendet sich gezielt von der schwärmerisch poetischen Art ab. Dies führt zu einer gewissen Entzauberung mythologischer Themen.479

In der Romantik erschien die Leda-Thematik als zu antik, so dass beispielsweise Victor Hugo, der Vater der französischen Romantik, lediglich den Namen für

      

474 Pierre de Ronsard (1524 - 1585) war ein französischer Schriftsteller.

475 Ronsard, Hymnes (VIII, 295), in: Brunel 2002, S. 1132.

476 Edmund Spenser (1552 - 1599) war ein englischer Dichter, älterer Zeitgenosse und eines der Vorbilder William Shakespeares.

477 The Faerie Queene (die Elfenkönigin) ist sein wichtigster Beitrag zur englischen Dichtung.

478 Spenser, Edmund, The Faerie Queene, http://www.bartleby.com/101/81.html, (11.03.2006).

479 Vgl. Brunel 2002, S. 1134.

einen seiner Charaktere in einer Komödie verwendete, die aber nie zur Vollendung gebracht wurde.480

Am Ende des 19. Jahrhunderts jedoch kehrt das Leda-Thema in die Literatur zurück, zu nennen wären Autoren wie Walter Savage Landor481, Heinrich Heine, Elizabeth Browning482 sowie die Parnassiens 483 in Frankreich und die Symbolisten, die, wie Barthes erwähnt, wichtigen Einfluss auf Twombly ausgeübt haben:

Leconte de Lisle484 gibt mit folgenden Worten die anmutige Beschreibung der Umarmung Ledas mit dem Schwan wieder:

„Fuis le cygne nageur, roi du fleuve superbe;

N’attache pas tes bras à son col onduleux!“485

„Die Nähe zum französischen Symbolismus äußert sich in seiner bestimmten Form von Bildung, von Kultur. Diese Kultur ist klassisch.“ 486

Auch Katharina Schmidt verwies in ihrem Aufsatz auf Twomblys Bildtitel, die sich auf die englische Literatur des 17. Jahrhunderts beziehen. Nicht auszuschließen ist auch die Anspielung auf die école parnassien, eine französische Dichtergruppierung, die die Theorie des l’art pour l’art vertraten.

Mallarmé stand mit dieser Gruppe in Beziehung. Eine besondere Sympathie scheint Twombly jenen Dichtern gegenüber zu hegen, die zwar aus nördlicheren Ländern stammten, sich aber ebenso wie er Italien und die Mittelmeerkultur zur zweiten Heimat wählten – Keats, Shelly und Ezra Pound.487 Wohl auch auf Rilkes Gedicht Leda von 1908 hat er reagiert, indem er die Bilder der Poesie seinen

      

480 Ibidem.

481 Walter Savage Landor (1775 - 1864) war ein englischer Schriftsteller.

482 Elizabeth Barrett Browning (Moulton) (1806 - 1861) war eine englische Dichterin.

Browning gilt als große Dichterin englischer Literatur des Viktorianischen Zeitalters.

483 Die Parnassiens waren eine französische Dichtergruppe in der zweiten Hälfte des 19.

Jahrhunderts, die am Prinzip L'art pour l'art orientiert war. Die bedeutendsten Vertreter waren Paul Verlaine und der von Twombly zitierte und geschätzte Stéphane Mallarmé, auch wenn sie in der Gruppe nicht zum engeren Kreis zählten.

484 Leconte de Lisle Théophile Gautier gelten als die Anführer der französischen Dichtergruppe Les Parnassiens.

485 Leconte de Lisle, Poèmes antiques, 1852, in: Brunel 2002, S. 1134.

486 Barthes 1979, S. 80.

487 Im persönlichen Gespräch mit Katharina Schmidt, Rom, Mai 1984, nennt Twombly außer der sonst überall erwähnten Literatur besonders seine Vorliebe für Landschaftsbeschreibungen von D.H. Lawrence wie Twilight in Italy oder Etruscan Places. Vgl. Schmidt 1984, S. 86.

eigenen, lebendigen Vorstellungen vom sinnbildlichen Gehalt der Figuren anpasste. 488

So heißt es bei Rilke:

„Als ihn der Gott in seiner Not betrat,

erschrak er fast, den Schwan so schön zu finden;

er ließ sich ganz verwirrt in ihm verschwinden.

Schon aber trug ihn sein Betrug zur Tat, bevor er noch des unerprobten Seins Gefühle prüfte. Und die Aufgetane

Erkannte schon den Kommenden im Schwane Und wusste schon: er bat um Eins,

das sie, verwirrt in ihrem Widerstand, nicht mehr verbergen konnte. Er kam nieder und halsend durch die immer schwächre Hand ließ sich der Gott in die Geliebte los.

Dann erst empfand er glücklich sein Gefieder Und wurde wirklich Schwan in ihrem Schoß.“489

Leda taucht in Alfred Jarrys komischer Operette Leda als kokettes Frauenzimmer auf490 und Jules Renard hält in seinem Journal am 2. März 1904 Folgendes fest:

„Léda? Ce n’est pas plus invraisemblable que la Vierge“491

Der Leda-Stoff überlebte die Zeiten, in denen die Mythen durch Rationalität, Zweifel und Unglauben entmythifiziert wurden, auch wenn die Auseinandersetzung mit dem Thema immer rarer und nur wie ein Relikt aus lang vergangener Zeit bewahrt wurde. Fast wie ein Schwanengesang wirken die wenigen Texte dieser Zeit. Pierre Louÿs verfasste 1893 die düstere Fin du Siècle Novelle Léda ou la Louange des bienheureuses ténèbres und Remy de Gourmont nennt seinen postsymbolistischen Roman um Leda von 1899 Le Songe d’une femme.

Gabriele D’Annunzio492, der sich 1913 im französischen Exil befand, veröffentlichte dort kurz vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges seinen       

488 Schmidt 1984, S. 86.

489 Rilke, Rainer Maria, Leda, in: Der neuen Gedichte anderer Teil, Leipzig, 1908.

490 Vgl. Brunel 2002, S. 1135.

491 Renard, Jules, Journal, 1904, in: Brunel 2002, S. 1135.

französischen Text Leda senza cigno. Leda ohne den Schwan. Hier ist Leda eine schöne Unbekannte, die den Erzähler stark beeindruckt:

„Le galbe de cette beauté obéissait à la loi des grandes œuvres plastiques [...], elle était pour moi dessinée jusqu’aux pieds, telle que les artistes doivent imaginer l’antique Léda de l’Eurotas.“493

Die damalige Mode des Fin du Siècle, breit ausladende, schwülstig-schwere Beschreibungen hinterlässt in D’Annunzios Leda-Beschreibung ihre Spuren:

„Elle portait une jaquette de chinchilla plus léger que le duvet d’un cygne cendré.“494

Hier wird der Mythos einer Frau beschrieben oder besser noch, „la femme du mythe“495. Der Erzähler sieht in Leda die unvergängliche Schönheit der Leda von Leonardo da Vinci, die er im Bargello in Florenz gesehen hat.

Marcel Proust erwähnt Leda kurz in seinem monumentalen Roman À la recherche du temps perdue496. Der Leser taucht in eine imaginäre Flusslandschaft ein und wird Zeuge eines Zusammentreffens von jungen, nackten Frauen am Ufer eines Flusses. Eine davon fällt besonders durch „long du cou et des bras“497 auf.

Es folgt die Beschreibung der Szene am Flussufer, eingebettet in die Geschichte der Leda:

„Dans un paysage touffu il y a des femmes nues, l’une lève le pied comme devait le faire Albertine. La deuxième levée de la cuisse y faisait le même méandre de cou de cygne avec l’angle du genou, que faisait la chute de la cuisse d’Albertine quand elle était à côte de moi sur le lit. [...]. Alors je ne voyais même plus une

       

492 Gabriele D'Annunzio, Principe di Montenevoso, (1863 in Pescara - 1938) war ein italienischer Schriftsteller des Fin de Siècle und spätromantischer Vertreter des Symbolismus.

Seine Romane, Gedichte, Novellen und Dramen, geprägt durch Nietzsche, Schopenhauer, Dostojewski und Wagner, sind von hoher Sensibilität, ausgeprägter Genußfähigkeit, dekadenter Übersättigung und überfeinertem Ästhetentum. Seine pathetische Lyrik "Laudi" (1903/04), sein tragisches Mysterienspiel "La figlia di Jorio" (1904) und sein Roman "Lust" (1899) beeinflußten die moderne Literatur Italiens.

Vgl. Ferroni, Giulio: Storia della letteratura italiana, Torino 1991, S. 23.

493 D’Annunzio, Gabriele, Leda senza cigno, 1916, in: Brunel 2002, S. 1136.

494 Brunel 2002, S. 1136. Vgl. Auch Pupino, Angelo R.: D’Annunzio - Letteratura e Vita, Roma 2002, S. 30.

495 D’Annunzio, Gabriele, Leda senza cigno, 1916, in: Brunel 2002, S. 1136.

496 Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (frz. Original: À la recherche du temps perdu, erschienen zwischen 1913 und 1927) ist das Hauptwerk von Marcel Proust und einer der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts.

497 Proust, Marcel, À la recherche du temps perdue, 1913-1927, in: Brunel 2002, S. 1136.

cuisse, mais le col hardi d’un cygne, comme celui qui dans une étude frémissante cherche la bouche d’une Léda.“498

Am Ende verschwindet die verführerische Schöne und zurück bleibt ein regloser Schwan.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts findet Leda ihren Weg zurück in die Welt der Poesie, was zahlreiche Gedichte, u.a. von Henri de Régnier, Rubén Darío, Rainer Maria Rilke, Aldous Huxley, D.H. Lawrence, Robert Graves und Paul Eluard belegen:

Besonders eindringlich setzt Wiliam Butler Yeats den Augenblick des ersten Treffens der Sterblichen und des Schwans in seinem Sonett von 1924 um:

“A sudden blow: the great wings beating still Above a staggering girl, her thighs caressed By the dark webs, her nape caught in his bill, He holds her helpless breast upon his breast.

How can those terrified vague fingers push The feathered glory from her loosening thighs?

And how can body, laid in that white rush, But feel the strange heart beating where it lies?

A shudder in the loins engenders there The broken wall, the burning roof and tower And Agamemnon dead.

Being so caught up, So mastered by the brute blood of the air Did she put on his knowledge with his power Before the indifferent beak could let her drop.”499

Überblickt man die Fülle der Texte aus den verschiedenen Epochen wird eines deutlich: Stets haben Autoren danach getrachtet einer bekannten Geschichte, die in der griechischen Antike verwurzelt ist, ein neues und ihrer Zeit angemessenes Gesicht zu verleihen, Formen zu finden, die dem historischen Umfeld entweder ent- oder komplett widersprechen, immer auf der Suche nach neuer Darstellung eines alten Mythos.

Sicher hat auch Twombly sich durch die alle Zeiten überdauernde Energie und Aktualität der Leda-Geschichten inspirieren lassen und durch seine, über die Jahre

      

498 Proust, Marcel, À la recherche du temps perdue, 1913-1927, in: Brunel 2002, S. 1136.

499 sites: http://d-sites.net/english/yeats.htm, (12.03.2006).

hinweg entstandene persönliche Bildsprache Leda und dem Schwan ein neuartiges Gesicht verliehen.

 

3. Untitled (2001, Lexington): Vergänglichkeit, Riten und verborgene

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