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Modellkalibrierung und -validierung

Im Dokument Agrarstrukturwandel im Berggebiet (Seite 91-95)

Teil II: Grundlagen und Methoden

4. Das SULAPS-Modellsystem

4.12 Modellkalibrierung und -validierung

Der im SULAPS-Projekt gewählte komparativ-statische Ansatz stellt den Simulations-rechnungen für 2015 eine Referenzlösung für das Ausgangsjahr 2002 gegenüber (»Refe-renzszenarium 2002«). Für diese Referenzlösung werden die einzelbetrieblichen MIP-Modelle auf Basis der gegebenen Flächen- und Infrastrukturausstattung einmalig opti-miert. Die Verpachtung und Zupacht ist nur in den Szenarienrechnungen zulässig. Zur Verbesserung der Modellqualität wurde die Referenzlösung den verfügbaren Daten der realen Ausgangslage gegenübergestellt.

In der Referenzlösung können die Werte für die Landnutzungsvariablen mangels direkt vergleichbarer Landnutzungskategorien allerdings nicht auf die Werte der Realität kalibriert werden: Die Landnutzungskategorien im Modell stützen sich auf

Nutzungs-109 Visual Basic for Appli-cations

art, Nutzungshäufigkeit, Düngungs- und Ertragsmengen ab, die statistischen Vergleichs-werte der Realität aber auf rechtliche Kriterien (Bedingungen der Direktzahlungsverord-nung), die nur einen indirekten Bezug zur Nutzungsweise aufweisen. Die unterschiedli-chen Definitionen führen dazu, dass dem Kapazitätstest, dem ersten von sechs von Hazell und Norton (1986: 277) formulierten Validierungstests nicht Folge geleistet wer-den kann: Das Modell lässt die Realität nicht als Lösung zu.

Auch wenn die Kategoriendefinitionen identisch wären, ist eine schlagspezifische Kalibrierung eines solchen räumlich expliziten Landnutzungsmodells wegen des enormen benötigten Rechenaufwands undurchführbar (Costanza und Voinov 2004: 12). Wollte man nebst der Landnutzungsvariablen weitere Variablen in die Kalibrierung einbeziehen, erhielte man ein aufwändiges Mehrzielproblem mit trade-offs (Villa et al. 2004: 78).

Die Methode der positiven mathematischen Programmierung (PMP) (Röhm 2001;

Howitt 2005), die regelmässig für Kalibrierungen herangezogen wird, ist auch auf höher aggregierter Ebene – beispielsweise auf der Ebene einer gesamten Region statt der Ebene der einzelnen Landschläge – nicht sinnvoll einsetzbar, wenn grössere Politikverän-derungen wie im SULAPS-Projekt modelliert werden (Wiborg et al. 2005: 7), zumal die starken Annahmen, die bezüglich Nicht-Linearität bzw. quadratischer Form der PMP-Ziel-funktion notwendig sind (de Frahan 2005: 7), theoretisch nicht begründet werden kön-nen (Gocht 2005: 167; Heckelei 2005: 3), aber eikön-nen grossen Einfluss auf die Modelllö-sungen haben (Kleinhanss 2000: 10; Offermann 2003: 27). Der PMP-Ansatz ist grund-sätzlich nicht verwendbar, wenn die Referenzdaten, auf die das Modell kalibriert werden soll, im Hinblick auf die Zielfunktion nicht optimal sind (Röhm 2001: 158, 167), was in Regionen mit traditioneller Landnutzung, wie sie im SULAPS-Projekt betrachtet werden, der Fall sein dürfte. So erfolgen Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen nur verzögert, wodurch keine optimalen Gleichgewichtszustände erreicht werden (Röhm 2001: 160; Offermann 2003: 11, 56f). Zusätzlich verunmöglichen die fehlenden Daten bezüglich Elastizitäten und Verhaltensmustern im vorliegenden Fall den Einsatz von PMP im Sinne von Heckelei (2005: 5):

»The only convincing use of PMP with just one observation is the use as a calibration method in combination with elasticities or other exogenous information on techno-logy or behavioural response with respect to changes in activity levels.»

In Ermangelung alternativer Kalibrierungs-Möglichkeiten wurde die Modellqualität mittels »trial-and-error-Ansatz« (Versuchs- und Irrtumsansatz) und »educated-guess-Ansatz« (Ansatz der wohlbegründeten Vermutung) verbessert, wie sie Costanza und Voinov (2004: 12) nach wie vor als Standard bei der Kalibrierungsversuchen von räumli-chen Anwendungen sehen. Dabei wurde das von Berger (2000) in seinem Multiagenten-Modell verwendete Verfahren der Matrixveränderung, die manuelle Anpassung der Ertragskoeffizienten, übernommen. Mit diesem Verfahren wurden die Grössen der Land-nutzung und der Tierhaltung, beide regional aggregiert, zu kalibrieren versucht. Die übri-gen Grössen (Infrastruktur, Arbeitskräfte etc.) wurden im Referenzszenarium über Rest-riktionen fixiert und mussten daher nicht kalibriert werden. Bei dieser Matrixveränderung wurden die futterbaulichen Erträge gegenüber den extrapolierten Ertragspotenzialen von Meier et al. (2005) um durchschnittlich 6 % angehoben. Die Modellbeschränkung auf nur drei Qualitätsstufen beim geernteten Grasfutter (Heu, extensives Heu, Grassilage) führte zu Problemen bei der synchronen Anpassung von Landnutzung und Tierhaltung.

Die vorgenommenen Matrixveränderungen sind gering, können dafür theoretisch begründet werden. Damit kann der Gefahr eines unsystematischen, zu stark vereinfach-ten Kalibrierungsprozesses begegnet werden, wie sie Villa et al. (2004: 79) beschreiben.

Die für die Matrixveränderungen durchgeführten Berechnungen dienten gleichzeitig der Sensitivitätsanalyse und der Modellverifizierung, der Überprüfung der inneren Logik des Modells und des Programmcodes, und zeigte stabiles Verhalten. Dieses stabile

Verhalten innerhalb der Sensitivitätsanalyse vermittelt Sicherheit bezüglich der Modellre-sultate (Zgraggen 2005: 74).

Die mit dem SULAPS-Modell berechnete Referenzlösung für 2002 ist trotz dieser Bemühungen deutlich extensiver als die reale Ausgangslage (Abb. 21). Dies gilt sowohl für die einzelnen Bezirke, Belfort und Surses, als auch für die beiden Regionen zusam-men. Diese Diskrepanz kann nicht nur durch die oben erwähnten Definitionsunterschiede der Landnutzungsverfahren begründet werden. Auch kognitive (Theuvsen 2004: 118) oder traditionell begründete »lock-ins« bei älteren Betriebsleitenden können dazu füh-ren, dass das Modell trotz Berücksichtigung von Pfadabhängigkeiten und nicht-ökonomi-schen Zielen die reale Situation nicht vollständig widerzugeben vermag. Der Lösungs-raum, der auf den extrapolierten Ertragspotenzialen aufbaut, sieht ausschliesslich nach-haltige Landnutzungsmöglichkeiten vor. In der Realität hat jedoch die Intensität der Land-nutzung aufgrund der zunehmenden Anwendung der Siloballen-Produktion in den letz-ten Jahren zugenommen. Diese verhältnismässig junge Produktionstechnik erlaubt im Berggebiet einen früheren Erntebeginn (Luder und Moriz 2005: 5f) und im Herbst allen-falls eine zusätzliche Schnittnutzung. Diese Nutzungsintensität übersteigt das von Botani-kern als nachhaltig bezeichnete Niveau im zweistelligen Prozentbereich der gesamten LN, und wurde den Betrieben für die Simulationsrechnungen 2015 nicht erlaubt.

In der Realität werden tatsächlich nicht alle extensiv und wenig intensiv genutzten Wiesen in den entsprechenden Katego-rien angemeldet. In diesen Fällen verzich-ten die Landwirte auf die Ökobeiträge.

Begründet wird das einerseits mit Aufla-gen, die nicht eingehalten werden kön-nen, beispielsweise der vorgegebene frü-heste Schnittzeitpunkt für Ökowiesen110. Anderseits wird vermutet, dass die Land-wirte bei der Düngungsbilanz eine Sicher-heitsmarge einbauen, um bei allfälligen Unsicherheiten bezüglich der Berech-nungsweise nicht plötzlich zuwenig

düng-bare Flächen ausweisen zu können (Hartmann J., 2005). Die eingeschränkte Bereitschaft zur Anmeldung ökologischer Elemente zeigt sich auch in anderen Studien, wo beispiels-weise die angemeldete Heckenfläche (Herzog et al. 2005: 201) oder die angemeldete ÖQV-Qualitätsflächen (Weyermann et al. 2006: 157) deutlich unter den potenziellen Werten liegen. Zgraggen (2005: 160, 165) begründet die gegenüber der Realität deutlich höheren Anteile ökologischer Ausgleichsflächen im Greifenseemodell damit, dass die im Modell zulässige Mischung von Raufutter minderwertiger und höherwertiger Qualität in den einzelnen Rationen in der Realität kaum umgesetzt wird. Er geht davon aus, dass die verschiedenen Futterarten nacheinander eingesetzt werden und dadurch der Einsatz des extensiv produzierten Dürrfutters limitiert wird. Diese Begründung scheint auch für das SULAPS-Modell plausibel.

Im Referenzszenarium 2002 wachsen 7 % der LN ein, die in der Realität noch genutzt werden (vgl. auch Kapitel 6.3.2). Hier zeigt sich der Unterschied zwischen ökonomisch optimalen und realen Verhaltensweisen der Betriebsleitenden, die einerseits keine voll-ständige Information und anderseits persönliche Nutzenfunktionen mit weiteren, im Modell nicht berücksichtigten Nutzenkomponenten aufweisen. Dieselbe Erfahrung machen Kantelhardt et al. (2005: 748), die aus diesem Grund das Pachtzinsniveau für das Referenzszenarium so weit absenken, dass alles Land wieder landwirtschaftlich genutzt wird.

Abb. 21:

Landnutzungsintensitäten 2002 im Vergleich zwischen Realität und Modell. Nur die tatsäch-lich genutzte LN ist auf-geführt. Im Referenz-szenarium einwachsende Flächen sind hier nicht berücksichtigt.

110 Hier gäbe es allerdings die Möglichkeit zum Vorziehen des Zeitpunktes, wenn dem Kanton ein adäquates Nutzungskonzept vorgelegt wird.

Im SULAPS-Modell wird die vollständige Flächennutzung nicht erzwungen, da die vollständige Kalibrierung der Referenzlösung auf den Ausgangszustand im Gegensatz zu dynamischen Ansätzen nicht notwendig ist. Die komparativ-statische Vorgehensweise soll primär Veränderungsmuster der Landnutzung und Grössenordnungen der Verände-rungen aufzeigen (Kuhlmann et al. 2002: 357). Brandes (1985: 88f) warnt gar davor, eine Übereinstimmung von Modell und Realität zu überschätzen. Die Übereinstimmung von Modell und Realität könne auch das Resultat sich aufhebender Fehler sein. Je direkter ein Modell jedoch an der ökonomischen Struktur anknüpft, desto höher ist die erwartete strukturelle Validität (Berger 2004: 82).

Die Validierung gehört nebst Kalibrierung und Verifizierung ebenfalls zur Modell-kontrolle, eine Plausibilitätskontrolle der Resultate (Berger et al. 2002: 21). Diese erfolgte über Expertengespräche mit landwirtschaftlichen Beratern aus der Praxis, Wissenschaf-tern und betroffenen Betriebsleitenden, denen die Modellresultate im Herbst 2005 vor-gestellt wurden, wie dies Happe et al. (2004: 38) für die Validierung von agentenbasier-ten Simulationen vorschlagen. Die Rückmeldungen aus diesen Kreisen waren positiv.

5. Szenarien

Basierend auf Stalder (2003) bzw. Erzinger et al. (2005) wurden acht verschiedene Szenarien definiert, anhand derer mögliche künftige Entwicklungen der Berglandwirt-schaft in den beiden Untersuchungsregionen analysiert wurden: Die Szenarien I bis VI entstammen unverändert Erzinger et al. (2005) und basieren stark auf den von Schaak (2004) zusammengestellten Werten, sowie Werten, die von Agroscope Reckenholz-Täni-kon ART im SILAS-Modell eingesetzt werden. Die beiden Szenarien VII und VIII wurden erst im weiteren Projektverlauf definiert.

In einem ersten Teilkapitel werden nachfolgend zunächst die Haupteinflussgrössen und deren möglichen Ausprägungen diskutiert. Anschliessend werden die Kombinatio-nen der Ausprägungen in den einzelKombinatio-nen Szenarien dargestellt, bevor im dritten Teilkapi-tel einige ausgewählte Parameter aufgelistet werden.

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