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Exkurs: Produktivitätsmasse

Im Dokument Agrarstrukturwandel im Berggebiet (Seite 37-40)

Teil II: Grundlagen und Methoden

2. Theorie des Strukturwandels

2.5 Anpassungsreaktionen der Landwirtschaft

2.5.3 Exkurs: Produktivitätsmasse

Im Gegensatz zu Rentabilitäts- und Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die monetäre Grössen miteinander vergleichen und damit Aussagen über die monetäre Effizienz des Faktoreinsatzes (Wirtschaftlichkeit) machen35, werden Produktivitäten aus physischen Grössen bestimmt und somit durch Preisveränderungen nicht direkt beeinflusst. Bei gleichbleibenden Preis- und Kostenverhältnissen führt ein Zuwachs bei der globalen Pro-duktivität direkt zu einer verbesserten Rentabilität und Wirtschaftlichkeit (Rustemeyer 1964: 4). Ein Anstieg der Faktorkosten bei konstant bleibenden oder nicht im gleichen Ausmass ansteigenden Preisen kann hingegen zu einem Abfall der Rentabilität und Wirt-schaftlichkeit führen, auch wenn die Produktivität gestiegen ist (Reuss 1960: 6).

Die absoluten Werte von Produktivitätskennzahlen haben für sich alleine keine inter-pretierbare Bedeutung. Sie dienen jedoch als relative Vergleichsmassstäbe für den techni-schen Fortschritt oder die Wettbewerbsfähigkeit36 (Rieder 2002a: 140) der betrachteten Wirtschaftseinheit und helfen damit, Strukturentwicklungen und Faktorenverschiebun-gen zu erklären. Reuss (1960: 5) definiert Produktivität vereinfacht als »Fähigkeit, zu pro-duzieren«. Betrachtet man die Veränderungsraten der Produktivität, lassen sich Aussagen über die Verbesserung oder Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit eines Betriebes oder eines Wirtschaftssektors machen (Koch 2002: 118). Solche Produktivitätsvergleiche können auf verschiedenen Aggregationsebenen gemacht werden: Während Ferjani (2005) Ländervergleiche anstellt, betrachtet die vorliegende Arbeit die einzelbetriebliche Ebene.

Produktivitätskennzahlen messen die technische Effizienz des Faktoreinsatzes37. Sie geben das Verhältnis zwischen einer Produktmenge (Output) und der für deren Produk-tion benötigten Faktormenge (Input) an:

Betrachtet man das Verhältnis von totalem Output zu totalem Input, handelt es sich um eine Durchschnittsproduktivität, betrachtet man hingegen das Verhältnis zwischen Grenzaufwand und Grenzertrag, wird die Grenzproduktivität berechnet.

Globalproduktivitäten beziehen sich auf den gesamten Faktoreinsatz und berück-sichtigen dadurch Interdependenzen zwischen den einzelnen Faktorgruppen (Hanau und Rustemeyer 1965: 4). Wird die technische Effizienz für Faktoren oder Faktorgruppen ein-zeln berechnet, spricht man von partiellen Produktivitäten38. Typische partielle Pro-duktivitäten sind dabei die Arbeits-, die Kapital- oder die Flächenproduktivität, die auf hoch aggregierter Ebene berechnet werden. Die Zusammenfassung heterogener Produk-( 1 ) Produktivität = Produktionsmenge

= Output

Faktormenge Input

33ff Die in den eigenen Betriebsbefragungen festge-stellte jährliche Flächen-mobilität im Umfang von 0,5 %, die nebst dem Boden-markt auch den Pachtland-markt beinhaltet, bestätigt diese Grössenordnung.

34 Die Ausführungen zur Produktivitätstheorie basie-ren, wo nicht anders erwähnt, auf Rustemeyer (1964), Hanau und Ruste-meyer (1965), HenrichsRuste-meyer und Witzke (1991: 100 und 111f) sowie Rieder und Anwander Phan-huy (1994: 53).

35 Der Rentabilitätsbegriff stellt einen Bezug zwischen einer Erfolgsgrösse und dem eingesetzten Kapital her. Ein Beispiel ist der Quotient aus Reinertrag und den Aktiven des Betriebes. Wirtschaftlich-keitsüberlegungen anderseits befassen sich mit dem Verhältnis zwischen erzieltem Nutzen und benötigten Mitteln, also beispielsweise mit dem Quotienten zwischen Erlös und Kosten (Rustemeyer 1964: 3; Gabler 1993;

Pfefferli, Aubert et al. 2005:

175).

36 vgl. Diskussion des Begriffs

»Wettbewerbsfähigkeit« im Kapitel 2.4.1.

37 Als Produktionsfaktoren werden »die zur Produktion verwendeten Güter materiel-ler und immaterielmateriel-ler Art, deren Einsatz für das Hervorbringen anderer wirt-schaftlicher Güter aus techni-schen oder wirtschaftlichen Gründen notwendig ist«, defi-niert. In der klassischen Volkswirtschaftslehre umfasst dies die Faktoren Arbeit, Boden und Kapital (Gabler 1993).

38 Für die »partielle Produktivität« werden in der Literatur auch die Begriffe

»Teilproduktivität« (Hanau und Rustemeyer 1965: 3),

»Einzelfaktorproduktivität«

(Henrichsmeyer und Witzke 1991: 102) und »faktorbezo-gene Produktivität« (Rieder und Anwander Phan-huy 1994: 55) verwendet.

tionsfaktoren zu Faktorgruppen erfordert, dass eine gewichtete Aggregation vorgenom-men wird. Als Gewichtungsfaktoren werden in Ermangelung besserer Alternativen sowohl bei globalen als auch bei partiellen Produktivitäten oftmals Produkt- und Faktor-preise herangezogen39, wobei diese für Zeitreihenanalysen deflationiert werden müs-sen40. Daraus resultieren monetäre Produktivitäten.

Partielle Produktivitäten können auch auf tieferer Aggregationsebene bestimmt wer-den (z. B. Milchmenge pro Milchkuh oder Getreideertrag pro Getreidefläche), wodurch eine monetäre Gewichtung oftmals durch eine physische Gewichtung ersetzt werden oder ganz entfallen kann. In diesen Fällen bleibt man näher an der güterwirtschaftlichen Produktivitätsdefinition.

Weiter wird zwischen Brutto- und Nettoproduktivitäten unterschieden (Ruste-meyer 1964: 32; Hanau und Ruste(Ruste-meyer 1965: 4). Die globale Bruttoproduktivität (Quo-tient aus Bruttoproduktionsmenge zu Bruttoaufwandmenge) dient primär als Massstab des technischen Fortschritts, die globale Nettoproduktivität (Quotient aus Nettoproduk-tionsmenge zu Nettoaufwandmenge) für Vergleiche der Wertschöpfung je Aufwand-menge. In beiden Fällen werden bei der Produktionsmenge die innerbetrieblichen Liefe-rungen subtrahiert und indirekte Steuern sowie Subventionen und Direktzahlungen nicht berücksichtigt (Rustemeyer 1964: 14). Bei der Nettoproduktivität werden zudem alle übrigen Vorleistungen abgezogen, die von aussen einfliessen, sodass man im Zähler die eigentliche Wertschöpfung der entsprechenden Faktoren erhält (Rieder 1983: 44). Bei den Aufwandmengen verhält es sich analog: die innerbetrieblichen Lieferungen werden subtrahiert, bei der Nettoproduktivität auch die übrigen Vorleistungen.

Rieder und Anwander Phan-huy (1994: 35 und 53) verwenden für die partiellen Pro-duktivitäten monetäre, bereinigte Nettoproduktivitätsmasse, worin die physischen Outputs über die »Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen«41 quantifiziert werden.

Die drei klassischen partiellen Produktivitäten werden auf dieser monetären, bereinig-ten42 Basis wie folgt berechnet:

Das im Betrieb vorhandene Humankapital, das teilweise mit den drei Faktoren Arbeit, Boden und Kapital auf eine Stufe gestellt wird, ist nur schwer messbar und wird in der Regel nicht betrachtet. Die Flächenproduktivität wird je nach Quelle auch Bodenproduk-tivität genannt.

Bei jeder dieser Produktivitäten können für den Nenner verschiedene Grössen ver-wendet werden (Rustemeyer 1964: 15ff; Henrichsmeyer und Witzke 1991: 99ff). Für die Nettoarbeitsproduktivität werden in der Regel die effektiv geleisteten und nicht die ver-fügbaren Arbeitskraftstunden herangezogen, um Effekte der Arbeitslosigkeit oder der Unterbeschäftigung auszuschliessen. Da die Arbeitsleistung der einzelnen Arbeitskräfte nicht homogen ist, werden planungswertgewichtete Korrekturen des Stundenaufwan-des vorgenommen oder – wie in der vorliegenden Arbeit – direkt Planungswerte verwen-det. Für die Nettoflächenproduktivität kann im Nenner anstelle der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Hektaren auch der jährliche Zinsaufwand für den eingesetzten Boden ver-wendet werden. Dies hat den Vorteil, dass unterschiedliche Bodenqualitäten berücksich-tigt werden können (Schultz 1953: 135), doch fehlen die entsprechenden Aufwandzah-( 2 ) Nettoarbeitsproduktivität = Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen

Arbeitskraftstunden

( 3 ) Nettoflächenproduktivität = Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen Landwirtschaftliche Nutzfläche

( 4 ) Nettokapitalproduktivität = Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen Eingesetztes Kapital

39 Dieses Verfahren wird auch

»Volumenrechnung« genannt (Rustemeyer 1964: 4, 24).

40 Rustemeyer (1964: 24) weist darauf hin, dass eine solche Annahme konstanter Preise nur für kürzere Zeitabschnitte angewendet werden soll, da sich die Bedeutung einzelner Gütergruppen über die Zeit verschieben kann.

41 Als Wertschöpfung wird der Beitrag des Unternehmens zum Volkseinkommen über Güter- und Dienstleistungsver-mehrung bezeichnet (Pfefferli,

Aubert et al. 2005: 175;

Rustemeyer 1964: 12). Die gleichzeitige Verwendung der Begriffe »brutto« und »netto«

mögen verwirrend sein. Fol-gende Erläuterungen seien daher gemacht: Rieder und Anwander Phan-huy (1994:

35) definieren die verwendete Wertschöpfung als Differenz zwischen Gesamterlös und Ausgaben für die variablen Produktionsfaktoren, was als

»Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen«

bezeich-net wird. Die Bruttowert-schöpfung betrachtet nur die

Nettoproduktionsmenge, klammert die Vorleistungen also bereits aus. Für die

Netto-wertschöpfung werden zusätzlich die Abschreibungen subtrahiert (Pfefferli, Aubert et al. 2005: 190, 199). – Auf der Produktivitätsseite wird die Brutto-Netto-Unterschei-dung also für die unterschied-liche Berücksichtigung der von

aussen kommenden Vorleis-tungen gemacht, auf der Wertschöpfungsseite für die unterschiedliche

Berücksichti-gung der Abschreibungen.

42 Rustemeyer (1964: 14) erwähnt nebst dieser hier vorgenommenen Bereinigung um die Vorleistungen (Netto-produktion) weitere, soge-nannte Kapital- und Arbeits-aufwandbereinigungen, die in dieser Arbeit nicht weiter behandelt werden.

len oft. Auch bei der Nettokapitalproduktivität ist die Quantifizierung des eingesetzten Kapitals auf verschiedene Arten möglich (Rieder und Anwander Phan-huy 1994: 54;

Rustemeyer 1964: 20)43:

• Über die Summierung aller messbaren Aufwendungen, ausser jener für die Arbeit.

Diese umfassen die Kosten für Vorleistungen (inkl. Abschreibungen) und den Zinsauf-wand (auch für Boden). Die Verwendung des Abschreibungswertes ermöglicht die Berücksichtigung des Wertverlustes über die Zeit.

• Über die Summierung aller messbaren Aufwendungen ohne jene für die Arbeit, im Gegensatz zur ersten Variante zusätzlich ohne jene für den Boden.

• Über den jährlichen Zinsaufwand für das eingesetzte Kapital, mit oder ohne Zinsen für das Bodenkapital.

Wird in der zweiten und dritten Variante der Bodenkapitalaufwand im Nenner nicht berücksichtigt, d. h. subtrahiert, muss der Bodenaufwand – im Sinne einer Vorleistung – im Zähler des Quotienten ebenfalls von der Nettoproduktionsmenge abgezogen werden (Rustemeyer 1964: 35).

Die drei herkömmlichen partiellen Produktivitäten haben den Nachteil, dass ihre Werte ändern können, ohne dass sich beim betrachteten Faktor bzw. bei der betrachte-ten Faktorgruppe etwas verändert hat (Ferjani 2005: 89). Solche Veränderungen können durch Mengenverschiebungen der nicht betrachteten, übrigen Produktionsfaktoren ver-ursacht werden (Substitution). Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang auch von sogenannt nicht-korrespondierenden (partiellen) Produktivitäten, deren Vergleich-barkeit nur unter ceteris-paribus-Bedingungen gegeben ist. Im Bereich der Arbeitspro-duktivität haben solche nicht-korrespondierenden Werte eine beschränkte Aussagekraft, wenn man Vergleiche mit Reallohnentwicklungen anderer Branchen anstellen will. Für solche Vergleiche können kapitalbereinigte, korrespondierende Netto-Arbeitspro-duktivitäten herangezogen werden. Analog dazu werden arbeitsbereinigte, korrespon-dierende Netto-Kapitalproduktivitäten berechnet (Rustemeyer 1964: 32f; Hanau und Rustemeyer 1965: 3ff).

Die Arbeitsproduktivität ist die am häufigsten verwendete Produktivität und wird als Indikator für die Höhe des Lebensstandards oder die wirtschaftliche Wettbewerbsfähig-keit eine Unternehmens bzw. Sektors angesehen (Rieder 2002b). Die Nettoarbeitspro-duktivität steht im Mittelpunkt der Diskussion über die Lohnentwicklung von Wirt-schaftssektoren (Gabler 1993; Rustemeyer 1964: 31ff). Beim Vergleich der Arbeitspro-duktivität der Landwirtschaft mit anderen Sektoren muss dabei berücksichtigt werden, dass der landwirtschaftliche Haushalt (vgl. Kapitel 2.7.1) aufgrund seiner (in der Regel mehrgenerationellen) Zusammensetzung eine tiefere Produktivität aufweist: Haushalts-mitglieder können Opportunitätskosten von Null aufweisen, was deren Arbeitseinsatz auf dem Betrieb erhöht und damit den Produktivitätsquotienten drückt (Schmitt 1992a:

521; Schmitt 1992b: 20). Flächen- und Kapitalproduktivität hingegen haben nur eine beschränkte Aussagekraft (Rieder und Anwander Phan-huy 1994: 54f). Insbesondere bei der Kapitalproduktivität stellen sich definitorische und statistische Probleme (Rustemeyer 1964: 34).

Die Nettokapitalproduktivitäten können in der vorliegenden Arbeit nicht berechnet werden, da Umfang und Amortisationsstand des investierten Kapitals in den Interviews leider nicht flächendeckend erhebbar waren. Für die Resultatdiskussion (Kapitel 6.1.3) werden deshalb nur die monetären sowie milchleistungsbezogenen Arbeits- und Flä-chenproduktivitätsmasse berechnet:

• Die monetäre, bereinigte Nettoarbeitsproduktivität,

• die monetäre, bereinigte Nettoflächenproduktivität,

• die bereinigte Nettoarbeitsproduktivität in der Kuhmilchproduktion und

• die bereinigte Nettoflächenproduktivität in der Kuhmilchproduktion

43 Alle drei Varianten führen zu Strömungsgrössen (»flows«), die den Kapital-aufwand innerhalb einer Periode berücksichtigen.

Solche »flow-Varianten« sind bei gesamtsektoralen Produk-tivitätsberechnungen aus Gründen der Datenverfüg-barkeit oftmals schwierig berechenbar, weshalb eher Bestandesgrössen (»stocks«) zur Bildung des Indikators her-angezogen werden, d. h.

Kapitalbestände zu festge-setzten Zeitpunkten (Rustemeyer 1964: 34).

Die monetäre, bereinigte Nettoarbeitsproduktivität wird als Verhältnis zwi-schen »Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen«44 und geleisteten Arbeitskraft-stunden berechnet.

Für den Nenner werden mit Ausnahme des Arbeitseinsatzes von Kurzaufenthalten-den und Praktikantinnen/Praktikanten alle effektiv auf dem Betrieb geleisteten Arbeits-kraftstunden verwendet. Die unterschiedlichen Arbeitsleistungen der verschiedenen Arbeitskraftkategorien werden hierzu bei Jugendlichen sowie Praktikantinnen und Prak-tikanten über einen Korrekturfaktor in der Höhe von 90 % berücksichtigt (vgl. Kapitel 4.5.6):

Die monetäre, bereinigte Nettoflächenproduktivität wird als Verhältnis zwi-schen »Bruttowertschöpfung zu Herstellungspreisen« und – in Ermangelung genauer Werte für den jährlichen Zinsaufwand für den eingesetzten Boden – der bewirtschafte-ten landwirtschaftlichen Nutzfläche berechnet:

Für die Berechnung der Nettoarbeitsproduktivität in der Kuhmilchproduk-tion wird die verkaufte Kuhmilchmenge45 jenem Arbeitskraftstundenaufwand gegen-übergestellt, der der Milchproduktion zugeordnet werden kann. Zur Bestimmung des Arbeitsanteils wird ähnlich wie bei Koch (2002: 121) vorgegangen:

Für die Berechnung der Nettoflächenproduktivität in der Kuhmilchproduktion wird die verkaufte Kuhmilchmenge jenem Anteil an der bewirtschafteten, landwirt-schaftlichen Nutzfläche gegenübergestellt, der den Milchkühen zugeordnet werden kann. Zur Bestimmung des Flächenanteils wird wiederum ähnlich wie bei Koch (2002:

121) vorgegangen:

Im Dokument Agrarstrukturwandel im Berggebiet (Seite 37-40)