• Keine Ergebnisse gefunden

Das Konzept der Pfadabhängigkeit

Im Dokument Agrarstrukturwandel im Berggebiet (Seite 45-48)

Teil II: Grundlagen und Methoden

2. Theorie des Strukturwandels

2.7 Theorieansätze zum Agrarstrukturwandel

2.7.2 Das Konzept der Pfadabhängigkeit

Der zweite Ansatz zur Erklärung agrarstrukturellen Wandels beruht auf der An nahme von Pfadabhängigkeiten. Diese können nicht einfach mit »history matters« (David

52 Die Opportunitätskosten der Arbeit sinken mit zuneh-mendem Alter der Arbeits-kräfte (Schmitt 1992c: 219) und tendieren ab etwa 50 Jahren gegen Null (Brandes 1991: 477). Heid-hues (1972: 51) vermutet, dass dieses Absinken weniger auf Lohnniveauunterschiede zurückzuführen ist, als auf die verminderte Wahrscheinlich-keit, im fortgeschrittenen Alter eine andere Stelle zu finden. Betrachtet man eine landwirtschaftliche Aus-bildung und die anschlies-sende Berufserfahrung als Investition in Humankapital, ist der Kapitalverlust durch einen Berufswechsel für jün-gere Arbeitskräfte geringer als für ältere, weshalb vor allem jüngere Personen den Umstieg wagen (Gardner 1992: 75). Den Einfluss des Alters auf die Wahrschein-lichkeit, einem Neben- oder Zuerwerb nachzugehen, wies Hofer (2002: 111) nach.

1997: 4) umschrieben werden, da die Vergangenheit die Gegenwart auch ohne Pfad-abhängigkeiten beeinflusst. Ackermann (1999: 44) umschreibt den Terminus – in der für die vorliegende Arbeit verwendeten Definition – präziser53:

»Pfadabhängigkeit liegt dann vor, wenn ein Prozess nicht nur ein mögliches Ergebnis hat, sondern mehrere (mindestens zwei, oder auch beliebig viele), und wenn es vom Prozessverlauf abhängt, welches Ergebnis sich einstellt.«

Nicht jeder Punkt im Lösungsraum kann also zu jedem Zeitpunkt erreicht werden, was in der Terminologie der Markov-Theorie als »nicht-ergodischer Prozess« bezeichnet wird (Arthur 1989: 117; Theuvsen 2004: 111). Im Gegensatz zur Chaostheorie können bei Pfa-dabhängigkeit Gleichgewichtszustände erreicht werden (Liebowitz und Margolis 2000:

983). Pfadabhängige Prozesse weisen folgende drei Eigenschaften auf (Arthur 1989:

116f; Ackermann 1999: 19f):

• Nichtvorhersagbarkeit: Zunächst nicht wahrnehmbare Ereignisse bestimmen den spä-teren Verlauf.

• Inflexibilität: Je weiter ein Pfad beschritten ist, desto schwieriger wird dessen Verlassen.

• Potenzielle Ineffizienz: Wohlfahrtseffekte können langfristig tiefer sein (als auf nun versperrten) anderen Pfaden.

Balmann (1999: 266) strich die Bedeutung von Pfadabhängigkeiten für den Landwirt-schaftssektor heraus, wenngleich solche Abhängigkeiten auch in anderen Sektoren bestehen:

«... the combination of factor immobilities with imperfect markets and bounded rati-onality offers a sufficient condition for a persistence of inferior farm structures, i. e.

structural change has to be considered as path dependent”.

Für die Schweiz haben Baltensweiler und Erdin (2005: 162) die Pfadabhängigkeit des Strukturwandels statistisch nachgewiesen.

Konkret sehen sich Landwirte oftmals Produktionsstrukturen ausgesetzt, aus denen sie trotz potenzieller Ineffizienz – beispielsweise wegen des in Kapitel 2.4 bereits bespro-chenen (quasi-) fixen Charakters der Produktionsfaktoren – nur unter hohen Anpas-sungs- oder Wechselkosten entweichen könnten (Balmann et al. 1996; Happe et al.

2004). Die Kosten quasi-fixer Faktoren sind versunken (»sunk costs«) – sie entstehen unabhängig davon, ob die Faktoren genutzt werden oder nicht (Brandes und Odening 1992: 279). Aufgrund der Gefangenheit in diesen Strukturen spricht man dann von

»lock-in«-Situationen (Arthur 1989: 117), wobei diese teilweise nur mittelfristig beste-hen, da für physische Produktionsfaktoren mit beschränkter Nutzungsdauer langfristig Ersatzinvestitionen getätigt werden müssen und somit theoretisch eine strukturelle Neu-ausrichtung möglich wird (Balmann 1995: 46). Die Problematik der Asynchronizität (Bal-mann 1995: 54ff) führt allerdings dazu, dass diese Neuausrichtung in der Realität nur selten möglich ist, da beispielsweise Berufswahl- und (Re-)Investitionsentscheidungen, aber auch Landzupachtmöglichkeiten kaum gleichzeitig auftreten.

Die Problematik versunkener Kosten ist in Grünlandregionen stärker als in Ackerbau-regionen, weil die Tierhaltung umfangreiches Anlagevermögen (Vieh und Gebäudeinfra-strukturen) erfordert. Im Ackerbaugebiet können neue Produktionsverfahren und -arten hingegen relativ rasch eingesetzt werden, insbesondere, wenn auch Maschinenringe ein-bezogen werden (Kantelhardt 2003: 157).

»Lock-in«-Situationen entstehen häufig, wenn zum Zeitpunkt von Entscheidungen nur unvollkommene Informationen vorliegen. Es handelt sich daher um Pfadabhängigkei-ten zweiPfadabhängigkei-ten Grades54 (Liebowitz und Margolis 2000: 985). Gleichzeitig können bei älte-ren Betriebsleitenden »kognitive lock-ins« bestehen, die generelle Ablehnung von Neue-rungen, die bewirkt, dass mögliche Pfadwechsel nicht unternommen werden (Theuvsen 2004: 118). Weitere Gründe für Pfadabhängigkeiten sind Marktzutrittsbarrieren, der

53 Eine mathematische Defini-tion von Pfadabhängigkeiten,

basierend auf der Annahme von Quasi-Attraktoren, leitet Balmann (1995: 44) her.

54 Liebowitz und Margolis (2000: 985) unterscheiden drei Grade von

Pfadabhängig-keiten. 1. Grad: Man hat sich unter vollständiger

Informa-tion für einen bestimmten Pfad entschieden, der sich auch später als effizient

her-ausstellt. 2. Grad: Man hat sich unter unvollkommener Information für einen bestimmten Pfad entschie-den, was sich später als Fehl-entscheidung herausstellt.

Dies ist bedauernswert, aber – in einem weiteren Sinn – nicht »ineffizient«, weil man es nicht besser wissen konnte.

3. Grad: Es wird trotz vorhan-dener Informationen ein ineffizienter Pfad

eingeschla-gen. Die Ineffizienz kommt also durch eine vermeidbare Fehlentscheidung zustande, weshalb hier tatsächlich von Ineffizienz gesprochen wird.

mögliche Verlust von Besteuerungsprivilegien der Landwirtschaft oder Suchkosten für allfällige Verbesserungen (Balmann 1995 in Baur 1999: 94).

Pfadabhängigkeiten führen mit dazu, dass die normativen Ergebnisse von Optimie-rungsmodellen, beispielsweise von Agrarsektormodellen, die nicht auf diese Problematik ausgerichtet sind, in der Realität kaum erreicht werden können, da die Ausgangssituation schon gar nicht alle Entwicklungen zulässt.

Auch die Landbesitz- und -pachtverhältnisse, die sich über Jahrzehnte historisch ent-wickelt haben, beeinflussen die aktuellen Entscheidungsmöglichkeiten in hohem Mass.

Schmitt (1989: 295ff) beispielsweise zeigt, dass die Betriebsgrössenentwicklung von der Betriebsgrössenklasse abhängt, in der sich ein Betrieb befindet: Je grösser die Betriebe ursprünglich sind, desto eher wachsen sie weiter und desto seltener stocken sie ab oder verharren sie in der bisherigen Grössenklasse. Kleinere Betriebe hingegen stocken ver-stärkt ab oder geben die Landwirtschaft häufiger auf, während sich die mittelgrossen Betriebe grössenmässig selten verändern, aber verstärkt in den Zu- und Nebenerwerb ausweichen.

Mann (2003b: 141) betont den Kontrast zwischen der Theorie des landwirtschaftli-chen Haushaltes, die die Effizienz kleinbetrieblicher Strukturen belegen, und dem Kon-zept der Pfadabhängigkeit, das potenzielle Ineffizienzen erklären will. Der Kontrast ist aber nur ein relativer: Aus der Sicht des landwirtschaftlichen Haushaltes kann das Verhar-ren in seiner aktuellen Struktur durchaus die optimale Lösung sein (lokales Optimum), wenn er aus Gründen der Pfadabhängigkeit das volkswirtschaftliche (globale) Optimum nicht erreichen kann.

2.7.3 Das einstiegszentrierte Modell agrarstrukturellen Wandels55 Rossier und Wyss (2006: 144) konstatieren, dass der landwirtschaftliche Strukturwan-del in der Schweiz primär im Rahmen des Generationenwechsels erfolgt. Ihre Aussage stützen sie auf 776 Antworten einer repräsentativen Umfrage unter 2000 Schweizer Betriebsleitenden im Alter von über 40 Jahren. Auch Köhne und Lorenzen (1977: 7f) stel-len fest, dass ein grosser Teil der Betriebsaufgaben zu diesem Zeitpunkt stattfindet, ins-besondere wenn die konjunkturelle Lage kaum ausserlandwirtschaftliche Tätigkeiten erlaubt und der Sog nach landwirtschaftlichen Arbeitskräften im erwerbsfähigen Alter gering ist. Juvancic (2006: 12) und weitere in Mann und Mante (2004: 5) zitierte Arbei-ten stützen diese Aussage.

Der Anteil von Betriebsaufgaben während der Erwerbsphase wird als gering bezeich-net (Baur 1999: 119), währenddem die Hemmschwelle zur Aufnahme einer ausserland-wirtschaftlichen Nebentätigkeit in dieser Phase tiefer liegt (Mann 2003b: 141). Je besser die Schulbildung der Landbevölkerung zum Zeitpunkt der Berufswahl ist, desto höher werden die Opportunitätskosten der Aufnahme der landwirtschaftlichen Tätigkeit. Der Strukturwandel kann damit nicht nur durch eine Erhöhung des Druckes, sondern auch durch die Erhöhung des Sogs – über eine bessere Schulbildung – beschleunigt werden (Heidhues 1972: 52). Im Modell von Mann und Mante (2004: 6ff, 13f) machen die Opportunitätskosten allerdings nur einen Teil der entscheidungsrelevanten Grössen aus.

Diese Autoren gehen davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit einer Betriebsübernahme vom erwarteten – nicht vom realen – Gesamtnutzen für die potenziell übernehmende Person abhängig ist, der seinerseits vom erwarteten Einkommen und vom erwarteten nicht-monetären Nutzen einer landwirtschaftlichen Tätigkeit abhängt. Der nicht-mone-täre Nutzen kann dabei auch aus dem Bereich der Peer-Group-Pressure stammen, was Mann und Mante mit »herd behaviour« umschreiben.

Der Entscheid für eine Betriebsübernahme erfolgt in zwei Schritten: Gestützt auf den aufgrund der aktuellen Situation erwarteten Gesamtnutzen wird in einer ersten Phase entschieden, ob eine landwirtschaftliche Grundausbildung absolviert werden soll. Die

55 Baur (1999: 96ff) spricht in diesem Zusammenhang nicht vom einstiegszentrierten Modell, sondern von der

»Lebenszyklus-Hypothese«.

definitive Hofübernahme erfolgt dann in der Regel erst in einer zweiten Phase, nachdem einige Jahre, beispielsweise auf dem elterlichen Betrieb, gearbeitet wurde. Dadurch kann der definitive Übernahmeentscheid erneut auf Basis aktualisierter Informationen über den erwarteten Gesamtnutzen getroffen werden (Mann und Mante 2004: 11f). Nicht zuletzt wird der Entscheid auch auf den aktuellen und vergangenen familiären Verhält-nissen abgestützt (Pollak 1985: 587). Als Determinanten für die Hochnachfolge wirken sich die Betriebsgrösse, die Anzahl Söhne der bisherigen Betriebsleitenden sowie die regionale Zugehörigkeit des Betriebes aus. Betriebe im Berggebiet werden häufiger über-nommen als Betriebe im Talgebiet (Rossier und Wyss 2006: 145). Das Kriterium der Betriebsgrösse wirkt sich im Berggebiet insbesondere bis zu einer Fläche von 10 ha LN massiv aus (Hofer 2002: 85f).

Müsste der Strukturwandel nur über den Generationenwechsel abgewickelt werden, könnte bei einer angenommenen Erwerbsphase im Status einer Betriebsleiterin bzw.

eines Betriebsleiters von 30 Jahren ein jährlicher Betriebsrückgang von 3,3 % erreicht werden56. Das einstiegszentrierte Modell kann daher zur Erklärung eines sogenannt sozi-alverträglichen Strukturwandels von bis zu ca. 3,3 % herangezogen werden (Mann 2003b: 141; Mann und Mante 2004: 9, 16). Höhere Raten, wie sie in Umbruchsituatio-nen auftreten, könUmbruchsituatio-nen mit dem einstiegszentrierten Modell allerdings nicht erklärt wer-den, da dann auch eine Abwanderung von landwirtschaftlichen Arbeitskräften im erwerbsfähigen Alter aus dem Sektor erfolgt (Mann 2003b: 142).

Nachdem der Bodenmarkt eng mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängt, wird der Generationenwechsel für das flächenmässige Wachstum der in der Landwirtschaft ver-bleibenden Betriebe entscheidend (Mann und Mante 2004: 11; Lauber, Erzinger et al.

2006: 25). Grund dafür ist das unelastische innerlandwirtschaftliche Boden- und Pacht-landangebot (Heidhues 1972: 52f), bzw. die absolute Knappheit des Faktors Boden.

Im Dokument Agrarstrukturwandel im Berggebiet (Seite 45-48)