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19.4 Empowerment

19.4.3 Das Leben in der Wohngemeinschaft

Die meisten Frauen haben zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren, was Gemeinschaft und ein familiärer Umgang sind. Eine (Ex-) Bewohnerin erzählte, dass es für sie eine ganz neue Situation war, dass Familien bzw. MitbewohnerInnen alle an einem Tisch sitzen, ohne Streitereien, und bezeichnete es als „ganz eigenes Gefühl“. (B_07: 34) Gerade die Frauen, die zum Zeitpunkt der Erhebung noch im Haus waren, sehen das Leben im Verein „Die Schwalbe“ als Heimat. „Ich empfinde die WG wie ein verspätetes Zuhause, fast. Nein, eigentlich würde ich sagen, ganz.“ (B_02: 37) Eine andere Bewohnerin bezeichnet es als

„daheim sein“ und „sich sicher fühlen“ (B_04: 41). Der Verein „Die Schwalbe“ bietet seinen Bewohnerinnen einen Schutzraum, um zu Ruhe und Kraft zu kommen, ohne dabei viel Druck auszuüben. Das Zusammenleben ganz unterschiedlicher Charaktere und Lebensgeschichten gestaltet sich teilweise schwierig, auch die bestehenden Altersunterschiede zwischen den Frauen sind konfliktreich. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass acht der Frauen vor ihrem Psychiatrieaufenthalt und vor dem Einzug in den

Verein „Die Schwalbe“ selbständig und meist alleine in Wohnungen gelebt haben. Die Umstellung, die eine Wohngemeinschaft mit sich bringt, ist für gesunde Menschen schon oftmals schwierig. „Jedoch am Anfang hatte ich schon Mühe gehabt, es hat Konflikte gegeben im Zusammenleben. Ich war gestresst und angespannt und war gewohnt alleine zu leben. Wir haben auch gestritten und klar, am Anfang hat es im Zusammenleben mit den anderen Mitbewohnerinnen Probleme gegeben und das hat sich dann langsam stückweise verändert - zum Positiven.“ (B_02: 33) Bei bestehenden psychischen Erkrankungen können sich belastende Einflussfaktoren, wie z. B. Stress, durch eine kurzfristig erforderliche Wohnraumbeschaffung oder andere einschneidende Veränderungen des Alltags ungünstig auswirken. Allgemeiner ausgedrückt geht es um individuelle, aber existenzielle Ängste der Lebensbewältigung.

Die Anpassung und Integration in die Wohngemeinschaft und deren hauseigene Regeln ist ein Prozess, der unterschiedlich lange dauern kann. Im Miteinander können soziale Kompetenzen wiedergefunden oder neu erlernt werden. Solche Fortschritte sind hilfreich für das weitere Leben. Teilweise werden damit Defizite, die bereits in der Kindheit liegen, aufgearbeitet. Die Konstellationen der Mitbewohnerinnen innerhalb der Wohngemeinschaft variieren und sind nicht dauerhaft beständig. In Übergangswohnmodellen kommt es vor, dass Personen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern und Bedürfnissen auf Menschen treffen, die ganz andere Unterstützungsmaßnahmen brauchen. Oft fehlt es an Wissen über andere psychische Erkrankungen und dies erschwert den Umgang damit. Eine (Ex-) Bewohnerin konnte nicht nachvollziehen, warum Mitbewohnerinnen den ganzen Tag im Bett blieben, die Vorhänge an den Fenstern am Tag geschlossen blieben und sie sich an keinen Aktivitäten im Haus beteiligten (B_05: 37).

Es ergab sich im Laufe der Datenauswertung, dass die erwähnte Frau an Depressionen litt und zu dieser Zeit einfach nicht die Kraft aufwenden konnte, sich bei den Alltagshandlungen einzubringen. In diesem konkreten Fall fehlen Informationen über verschiedene psychische Erkrankungen. Wird die Zusammenstellung einer Wohngemeinschaft nach homogenen Krankheitsbildern gewählt, so können sich die BewohnerInnen in ihr Gegenüber hineinversetzen, wohingegen bei ganz unbekannten Erkrankungen der Rollentausch schwieriger erscheint. Wird eine heterogene Gruppe gewählt, so würde ein Informationsaustausch zwischen Leitung und BewohnerInnen über entsprechende Aspekte einer Erkrankung den Umgang miteinander vereinfachen und erleichtern. Eine andere Perspektive eröffnete im Zusammenhang mit homogenen und

heterogenen Gruppen eine (Ex-) Bewohnerin, die in ihrer Vergangenheit Probleme mit Alkohol und Drogen hatte und im Haus, gemeinsam mit anderen Mitbewohnerinnen, einen Rückfall erlitt. Sie wird nach eigenen Angaben von ihrem Umfeld negativ beeinflusst.

„Leider habe ich dort wieder falsche Leute kennen gelernt, aber das ist so bei mir.“

(B_07: 31) Welche Merkmale für bestimmte Gruppierungen förderlich oder behindernd wirken, hängt immer von den einzelnen Individuen ab. Regelmäßige Gespräche, Offenheit und eine professionelle Betreuung sind unbedingt erforderlich. In der komplementären Betreuung stehen positive Veränderungen der Lebenssituationen von Betroffenen im Mittelpunkt. Der gemeinnützige Verein „Die Schwalbe“ definiert sich selbst als Projekt mit dem Ziel, Frauen in Lebenskrisen zu unterstützen und gemeinschaftlich aufzufangen.

Die Bewohnerinnen im Verein „Die Schwalbe“ finanzieren sich ihren Wohnraum selbst, d.

h. sie tätigen die Zahlungen eigenständig und müssen keiner staatlichen Institution einen Nachweis über (psycho-) therapeutische Maßnahmen erbringen. Streng genommen wird die finanzielle Existenzgrundlage beim Großteil der befragten Frauen von staatlichen Transferzahlungen übernommen, aber die Entscheidung, über die Berechtigung in die Wohngemeinschaft einzuziehen und dort zu bleiben, obliegt schlussendlich der Leitung des Vereins und nicht staatlichen Institutionen.

19.4.4 Strukturen der Alltagsbewältigung

Hinsichtlich der Frage, welche Unterstützungsmaßnahmen am förderlichsten waren, wurde die Unterstützung bei Amtswegen oder ähnliches am häufigsten genannt. „Selber die Amtswege erledigen, denn vorher habe ich mich nicht darum gekümmert. Briefe habe ich einfach weggeworfen. Als ich hier wohnte, war ich auch einen Tag im Gefängnis, um Schulden zu bezahlen.“ (B_08: 33) Die Frauen waren sehr froh darüber, dass es jemanden in ihrem Leben gibt, der ihnen Informationen, oder wenn notwendig, Begleitungen, speziell auf ihre Lebenswelt angepasst, anbietet.

Eine (Ex-) Bewohnerin erkannte im Haus, das Menschen sie umgeben, die aufrichtig und ehrlich ihre Vorhaben unterstützen und motivierend einwirken. Nach Hilfe überhaupt erst zu fragen, war eine große Hürde für sie. „Ich bekomme auch keinen Ärger da, nur weil ich es nicht alleine kann. Im Gegenteil, sie freuen sich, wenn ich Hilfe zulasse und danach frage.“ (B_04: 37)

Als Zweites wurde die (Wieder-) Findung eines strukturierten Alltages durch die bestehende Tagesstruktur genannt. Das regelmäßige Aufstehen für die gemeinsamen

Besprechungen bei der Morgenrunde oder aber auch geregelte Essenszeiten, die gemeinschaftlich eingenommen werden, sind den Frauen sehr wichtig und werden als positive Veränderung wahrgenommen. „Was ich als sehr positiv empfunden habe war, dass man jeden Tag um 9.00 Uhr die Besprechung hat. Man muss aufstehen und bekommt eine Struktur in den Tag.“ (B_01:41)

Alle Frauen gaben an, dass sie keine Probleme bei alltäglichen Handlungen, den Haushalt betreffend, hatten. Interessanterweise nannten aber die meisten Frauen bei der Frage nach Problemen im Haus, dass sich einige Frauen nicht an der Haushaltsführung beteiligt hätten.