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Viele (chronisch) psychisch kranke Menschen kämpfen nicht selten mit Problemen ihren Wohnraum betreffend. Auf Grund der schlechten finanziellen Situation und den oft fehlenden sozialen Netzwerken können Wohnungen auf Dauer nicht gehalten werden. Die Unterbringung in Kliniken oder anderen psychiatrischen Einrichtungen, vor allem bei längeren Aufenthalten, führen meist zum Wohnungsverlust, wobei Kündigungen oder Räumungsklagen vorkommen können (Schlichte, 2006, S. 37).

Einige Betroffene stehen vor der Herausforderung, eine drohende Wohnungslosigkeit zu bewältigen, um nicht vollkommen den Halt zu verlieren. Zu den wohnungslosen Menschen zählt die Gruppe, die im Freien übernachtet (obdachlos), aber auch Menschen, deren Wohnlage nicht vertraglich festgelegt ist. Einige leben in Notschlafstellen, bei FreundInnen oder Bekannten, in billigen Pensionen oder übersiedeln in unterschiedliche, teilweise staatlich geförderte Wohnformen (Böker-Scharnholz, 2011, S. 159). Solange die Aufenthaltsdauer in den verschiedenen Unterbringungsformen begrenzt ist, zählen Betroffene weiterhin als wohnungslos. Genaue Zahlen über die Anzahl der wohnungslosen bzw. obdachlosen Menschen in Österreich lassen sich schwer erheben, denn gerade Frauen verheimlichen ihren Wohnstatus. 83.000 Personen waren 2002 von Delogierungen betroffen, über die endgültige Durchführung gibt es bundesweit aber keine belegten Zahlen. Bei der versteckten Wohnungslosigkeit oder bei unzumutbaren Wohnsituationen gibt es ebenso begrenzte Daten (BAWO, 2012). Der mögliche Übergang ins betreute Wohnen erfüllt an erster Stelle ein Grundbedürfnis, einen eigenen individuellen Raum zur Verfügung zu haben, ein kleines Stück „Heimat“ oder ganz basal gesehen „ein Dach über dem Kopf“. Auch wenn der Grundgedanke der Betroffenen in der Findung eines Wohnraumes liegt, „…bedeutet das nicht unbedingt eine geringe Rehabilitationsmotivation“ (Schlichte, 2006, S. 37), es bedeutet nur, dass die akute Lebenssituation nach anderen Prioritäten verlangt.

Wie der Alltag von psychisch kranken Menschen aussieht und wie hoch die Lebensqualität und Autonomie der Betroffenen ist, hängt vom Angebot und der Wahl der verschiedenen Wohnformen ab (Schädle-Deininger, 2010, S. 193).

Eine Entwicklung, die sich schon viele Jahre vollzieht, ist, (chronisch) psychisch kranke Menschen aus Langzeitstationen auszugliedern und in individuell passende betreute Wohnformen unterzubringen, um eine gemeindenahe und autonome Lebenswelt zu gewährleisten. Wie bereits erwähnt, gibt es im Rahmen der Enthospitalisierungsbewegung noch viel Nachholbedarf. Es darf dabei aber nicht vergessen werden, dass im Bereich der ambulanten Wohnbetreuung eine Expansion stattgefunden hat und mittlerweile differente Angebote und Modelle für eine adäquate Wohnversorgung für (chronisch) psychisch kranke Menschen zur Verfügung stehen. Menschen, die (chronisch) psychisch krank sind, können nach ihren Betreuungserfahrungen mit verschiedenen Institutionen in vier Gruppen gegliedert werden:

1. LangzeitpatientInnen aus überholten Großheimen und psychiatrischen Pflegeeinrichtungen

2. neue LangzeitbewohnerInnen in kleineren und gemeindenahen Heimen,

3. DauerklientInnen, die zwischen den einzelnen Betreuungsformen kontinuierlich wechseln

4. NutzerInnen, die das betreute Wohnen als Übergangshilfe zu einem selbstbestimmten Leben in Anspruch nehmen (Schlichte, 2006, S. 39).

LangzeitpatientInnen wurden dauerhaft gesellschaftlich ausgegrenzt und hatten keinerlei Selbstbestimmungsrechte. Hospitalisierungsschäden, die auch chronische Verläufe zeigen, waren die Folge. Die Anzahl der LangzeitpatientInnen wird durch die Psychiatrieentwicklung immer geringer. Im Wesentlichen geht es darum, „… die eigene Person und die eigenen Bedürfnisse wichtig zu nehmen, Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung wiederzuentdecken, Freiräume zu erkennen und diese auch nutzen zu lernen.“ (Schlichte, 2006, S. 39) DauerklientInnen wechseln oft zwischen unterschiedlichsten Betreuungsformen. Das können z.B. Tageskliniken, Übergangswohnmodelle oder stationäre Aufenthalte in Entzugskliniken sein. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass eine Vielzahl der Betreuungen in einem kurzem Zeitraum in Anspruch genommen werden.

9.4.1 Begriffsbestimmung

Betreutes Wohnen wird als Metabegriff für alle gängigen Formen von ambulant betreuten Unterstützungsmaßnahmen gebraucht und spannt sich von den Wohngemeinschaften bis hin zur Einzelwohnbetreuung. Der verwendete Begriff des Betreuten Wohnens transportiert die Botschaft, dass sich die Betreuung ausschließlich auf den Wohnraum ausrichtet. Betreutes Wohnen umfasst viel mehr und sollte komplexer betrachtet werden.

Es beginnt bei der Versorgung der Grundbedürfnisse und entwickelt sich durch gezielte personenzentrierte Alltagsbegleitung zu einer Möglichkeit, die Betroffenen in die Gesellschaft zu (re-) integrieren (Konrad/Roseman, 2011, S. 25f.). Betreutes Wohnen wird als komplementäre Einrichtung zu den Krankenhäusern gesehen, „… die der sozialen Rehabilitation dient und [lange] Klinikaufenthalte vermeiden helfen soll.“ (Schlichte, 2006, S. 19). Im Gegensatz zu stationären Unterbringungen wird das Betreute Wohnen von den Betroffenen meist (teil-) finanziert, d. h. Kosten für den Wohnraum oder andere Lebenserhaltungskosten werden selbst getragen. Kann nicht genug Geld mobilisiert

werden, um eine Unterbringung zu gewährleisten, besteht die Option auf Beantragung individueller, staatlicher Finanzierungshilfen (Schlichte, 2006, S. 23).

9.4.2 Der Wohnraum als Lebensraum

In Anschluss an die Psychiatrie-Enquete (1988) mit den daraus entstandenen Konzepten für die soziale Teilhabe für ehemalige Psychiatrieerfahrene, formten sich neue sozialpsychiatrische Dienste wie Übergangswohnheime, Betreutes Wohnen oder Kontakt- und Beratungsstellen (Haerlin, 2010, S. 16) „Übergangswohnheime sind häufig vom Betreuten Wohnen oder von betreuten Wohngemeinschaften abgelöst worden, da eine Arbeitsrehabilitative Eingliederung oft nicht mehr möglich und eine Rund-Um-Versorgung nicht nötig ist.“ (Schädle-Deininger, 2010, S. 193) Das Betreute Wohnen wurde in den letzten Jahren forciert und weiter ausgebaut, vor allem für psychisch kranke oder behinderte Personen. Dörr (2005, S. 48) unterscheidet dabei Außenwohngruppen von stationären Einrichtungen, aufgegliederte Wohnheime, Wohngemeinschaften, die selbst organisiert werden, therapeutische Wohngemeinschaften oder auch betreutes Einzelwohnen. Als zentraler gemeinsamer Anhaltspunkt kann gesagt werden: „Im Betreuten Wohnen sollen psychisch kranke Menschen die Möglichkeit haben, mit ihren psychosozialen Einschränkungen bzw. Krisen ihre Lebensorte beizubehalten.“

Die Standpunkte und Ziele der angebotenen Hilfestellungen haben sich durch die Entwicklung in psychiatrischen Bereichen eine personenzentrierte Sichtweise angeeignet, weg von der Institutszentrierung. Institutionen, Vereine oder andere AnbieterInnen von sozialen Dienstleistungen im Bereich des betreuten Wohnens stehen vor der Herausforderung, einerseits individuelle Betreuungsleistungen anzubieten und zu erfüllen und andererseits „… die Wohn- und Lebensverhältnisse an den Wünschen der Klienten zu orientieren.“ (Rosemann/Konrad, 2011, S. 52) Beide Teile haben prägenden Einfluss auf die gesamte Planung der Hilfestellung, wobei sie „… nur durch die Verknüpfung der Überlassung von Wohnraum und Betreuung miteinander verbunden“ (Rosemann/Konrad, 2011, S. 52) sind. Selbstbestimmte Wohnverhältnisse lassen sich im optimalsten Fall durch den weitgehenden Verzicht einer Betreuung erreichen. Von der „therapeutischen Kette“

wurde Abstand genommen. Der Beginn der Betreuung im Heim, weiter über unterschiedlichste Wohngruppen, ambulante Betreuungen und als Endziel das selbstbestimmte Leben in einer eigenen Wohnung sollte nicht weiter der gängige Verlauf für psychisch kranke Menschen sein. KlientInnen wechselten dadurch des Öfteren ihr

Lebensumfeld, ihre Bezugspersonen und verloren teilweise ihr soziales Umfeld und die damit gegebene Sicherheit. Die geforderte Anpassungsleistung an die KlientInnen war enorm. Die unterschiedlichsten Wohnformen sind dabei nicht zu vergessen. Die Heimbetreuung oder die ambulante Betreuung beispielsweise stellen ganz andere Hilfemaßnahmen zur Verfügung. Wichtige Unterschiede manifestieren sich zwischen Einzel- oder Gruppenbetreuungen. Psychisch kranke Menschen müssen in dem Sinn, sowohl die Herausforderung eines Lebens mit unterschiedlichsten MitbewohnerInnen bewältigen, die sie nicht frei auswählen können, als auch die Aufgabe, eine Entwicklung zu einem selbstbestimmten Leben alleine in einer Wohnung zu vollziehen. Veränderungen können für die KlientInnen eine Erweiterung des Handlungsspielraums, aber auch das Entstehen von Krisen, bedeuten. Gerade bei schwer (chronisch) kranken Menschen zeigte sich, dass eine „Stufenrehabilitation“ nicht zu den gewünschten Zielen führte. Heute gilt in der Versorgungslandschaft, „…. dass für jeden Menschen die geeignete Wohn- und Lebensform und die notwendige Betreuungsleistung gefunden werden muss und kann.“

(Rosemann/Konrad, 2011, S.52). Wohnformen, die nicht an Gruppen gebunden sind, lassen eine freiere Gestaltung des individuellen Lebensraums der Betroffenen, zu (Rosemann/Konrad, 2011, S. 55).

Clausen & Eichenbrenner (2010, S. 137) sehen Wohngemeinschaften im Allgemeinen als Strukturierungs- und Anpassungshilfen, um die Lebensqualität der BewohnerInnen zu erhöhen und individuelle Bedürfnisse zu erfüllen. Therapeutische Wohngemeinschaften werden aus staatlichen Mitteln zur Wohnraumschaffung finanziert und dementsprechend betreut. Es wird ein Hilfeplan erstellt und ein zeitlicher Rahmen abgesteckt. Ist der Betreuungsumfang ausgeschöpft, verlieren die Betroffenen auch ihre Unterbringung.

9.4.3 Betreutes Wohnen als Netzwerkarbeit

Ein homogenes Merkmal von (psycho-)sozialen Wohngemeinschaften ist die Tatsache, dass alle BewohnerInnen als Psychiatrieerfahrene einen gemeinsamen Ausgangspunkt vertreten. Andere Gemeinsamkeiten können die Diagnose, das Geschlecht, die Religion oder ähnliches sein. In manchen Bereichen der Alltagsfindung bedeutet eine große Homogenität eine wichtige Grundlage für das notwendige Sicherheitsgefühl. Dem gegenüber kann Heterogenität Veränderungen voran treiben, die eine Eröffnung neuer Perspektiven und Handlungsspielräume ermöglicht (Schlichte, 2006, S. 50). Bei manchen BewohnerInnen besteht allerdings die Gefahr, dass sie sich in ihrer Wohngemeinschaft so

wohl und sicher fühlen und Kontakte von außerhalb gänzlich vermeiden. Es werden keine neuen Netzwerke im sozialen Umfeld gesucht und die Weiterentwicklung in diesem Bereich stagniert. Die professionelle Betreuung darf diese Aspekte, gerade im Bezug auf die Teilhabe der Betroffenen, nicht übersehen (Rosemann/Konrad, 2011, S. 54). „Wer ins betreute Wohnen kommt, hat zur Herkunftsfamilie häufig keinen oder einen ausgesprochen ambivalenten Kontakt.“ (Schlichte, 2006, S. 37) Die neue Umgebung in der Wohngemeinschaft und die Tatsache, dass Menschen gemeinsam leben, eröffnet eine neue Möglichkeit für die Betroffenen, Kontakte zu knüpfen und neue Bekanntschaften zu finden. BetreuerInnen werden in vielen Fällen als wichtige persönliche Stützen im Alltag gesehen, weil sie eine gewisse Sicherheit vermitteln. Menschen im Betreuten Wohnen haben in den meisten Fällen keine Partnerschaften oder haben durch Scheidungen oder Todesfälle ihre Bezugspersonen verloren. Den Betroffenen fehlen die persönlichen Ressourcen, um neue Kontakte aufzubauen. Häufig zeigt sich der Verlust des sozialen Umfelds „… im Zusammenhang mit dem Beginn oder dem Verlauf der Erkrankung.“

(Schlichte, 2006, S. 38).

9.4.4 Strukturen der Alltagsbewältigung

Die Betreuung kann kurzfristig, bei persönlichen Krisen erfolgen oder auch eine andauernde Unterstützung sein, die ein selbstbestimmtes Leben außerhalb von stationären Einrichtungen ermöglichen soll. „Es geht im betreuten Wohnen um das alltägliche Leben, um Hilfen zur Stabilisierung und Eingliederung, es geht um größtmögliche Selbstbestimmung und um die Erhöhung der Lebenszufriedenheit.“ (Schlichte, 2006, S. 26) Unter günstigen Bedingungen können betreute Wohngemeinschaften als ein soziales und entwicklungsförderndes Lernfeld betrachtet werden, welches Zeit und Raum schafft, um Kompetenzen und Fähigkeiten zu erproben und zu festigen. Die Betreuung kann sich dabei auf die einzelnen MitbewohnerInnen oder auf die gesamte Gruppe beziehen (Schlichte, 2006, S. 52). „Menschen, die ins betreute Wohnen kommen haben in der Regel kaum ökonomische Ressourcen, häufig sogar Schulden.“ (Schlichte, 2006, S. 36) In der Zeit der Betreuung wird an dieser Situation eher selten etwas verbessert. Es werden Kompetenzen für die Alltagsbewältigung geprobt und erlernt, welche einen leichteren Umgang mit Problemen ermöglichen sollen und „… das Selbstwertgefühl unabhängiger von materiellen Dingen zu machen.“ (Schlichte, 2006, S. 36) Soziale Integration bedeutet eine Teilhabe an sozialen Netzwerken, wobei keine Aussage über die Qualität der verschiedenen

Beziehungen getroffen werden kann. „Soziale Unterstützung“ beschreibt einen Handlungsraum, in dem Interaktionen zwischen mehreren Individuen stattfinden, die den Fokus auf ein bestehendes Problem einer beteiligten Person richten. Der Problemzustand soll entweder verändert werden oder es soll zu einer Erleichterung im Alltag verholfen werden. Wichtig dabei ist nicht die Anzahl der unterstützenden Personen, sondern inwiefern die Interaktion zu einer Problembewältigung beiträgt (Knoll et al., 2011, S.

141f.).

Schulz & Schwarzer (2003, S. 74) untersuchten mit den Berliner Social Support Skalen durch einen mehrdimensionalen Ansatz Faktoren der sozialen Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung. „The inventory comprises 6 meansures of cognitive as well as behavioral aspects of social support […]: perceived, actually received and actually provided support, need for support, support seeking, protective buffering.“

Insgesamt wurden 457 PatientInnen befragt. Die wahrgenommene soziale Unterstützung der Befragten zeigt sich in der Sicherheit, dass jemand Trost und Zuspruch bietet, wenn dieser benötigt wird. Erhaltene soziale Unterstützung wird rückblickend betrachtet, wobei die eigentlich geleistete Unterstützung in diesem Fall bei den pflegenden PartnerInnen abgefragt wurde. Bedürfnis und Suche nach sozialer Unterstützung wurde klar unterschieden, denn ein Verlangen beinhaltet nicht unbedingt die aktive Suche nach Hilfe.

Das protektive Abfedern kann als indirekte soziale Unterstützung betrachtet werden. Dazu gehört z. B. „Ich habe mir nicht anmerken lassen, wie […] niedergeschlagen ich war.“

(Schulz/Schwarzer, 2003, S. 75) Knoll et al. (2011) fasst die Dimensionen der sozialen Unterstützung von Schulz & Schwarzer (2003) zusammen und leitet daraus verschiedene Funktionen der Hilfestellungen ab:

1. Konkrete Hilfemaßnahmen wie das Bereitstellen oder Besorgen verschiedener Güter wird als „instrumentelle Unterstützung“ definiert.

2. „Emotionale Unterstützung“ beinhaltet Faktoren wie Mitgefühl, Trost oder die Vermittlung von Wärme und Sicherheit.

3. Relevante Informationen oder hilfreiche Anregungen können unter dem Begriff der

„informationellen Unterstützung“ zusammen gefasst werden.

4. Ein wichtiges Kriterium, weniger eine Funktion, ist die „Zufriedenheit mit der Unterstützung“. HilfeempfängerInnen bewerten damit die Qualität der erhaltenen Unterstützungsmaßnahmen (Knoll et al., 2011, S. 143).

Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit möglichen zusätzlichen Belastungsfaktoren, welche einerseits Ursache für psychische Erkrankungen sein können oder sich andererseits erst durch den bestehenden Erkrankungsverlauf zeigen.