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Gesundheit und Krankheit können mittels medizinischer, gesellschaftlicher und individueller Kriterien aufgeschlüsselt werden, wobei es in vielen Bereichen nicht möglich ist eine klare Trennung zu erreichen. Am Beispiel einer Behinderung, die weder als gesund noch als krank eingestuft wird, zeigen sich alle genannten Einflussfaktoren. Auf die allgemeine Definition und Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit kann jedoch nicht verzichtet werden. Bei der ÄrztInnen- und PatientInnenbeziehung, bei der Festlegung von Zahlungen der LeistungsträgerInnen und bei der Verteilung der Gesamtausgaben ist eine genaue begriffliche Einheit unbedingt notwendig (Gerber, 2006, S. 27).

2.1.1 Biomedizinische und biopsychosoziale Perspektive

Das biomedizinische Modell des 19. Jahrhunderts, mit seiner Sicht auf Gesundheit und Krankheit, richtete seinen Fokus auf genetische und externe Einflussfaktoren und definierte Gesundheit mit dem Zustand fehlender Krankheit. Gesundheit und Krankheit werden als Gegensätze betrachtet. Dieses Modell implementierte damit die Vorstellung, dass Individuen keinen Einfluss auf ihre Gesundheit nehmen können. Im 20. Jahrhundert wurde diese Vorstellung vom biopsychosozialen Modell abgelöst und besagt, dass „…

Krankheiten von einem Wechselspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren verursacht werden.“ (Knoll et al., 2011, S. 19).

Die Grafik auf der folgenden Seite veranschaulicht die Gesamtperspektive der biopsychosozialen Sichtweise. Der graue Anteil zeigt den biomedizinischen Einfluss. Das hellere Dreieck verbildlicht die psychosozialen Anteile. So wird der Zusammenhang zwischen den Modellen klar. Dieses Modell bildet die Grundlage für die ICF (Kapitel 1.1.6).

Abb. 1: Biomedizinisches Modell (Schrader, 2007)

2.1.2 Gesundheitsdefinition der „World Health Organization“

"Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Beschwerden und Krankheit." (WHO, 1946). Die Definition von Gesundheit der WHO von 1946 ist wahrscheinlich eine der bekanntesten und am häufigsten zitiertesten. Diese Erklärung war trotz inhaltlicher Ausdehnung nicht frei von Kritik. Gesundheit z.B. wird im heutigen Verständnis als veränderbarer Prozess und nicht als Zustand betrachtet. „Mit dieser Definition löste die WHO Gesundheit aus einer rein biomedizinischen Sichtweise und aus den engen Bezügen des professionellen Krankheitssystems.“ (Bundesministerium für Gesundheit)

2.1.3 „Gesundheit für alle“

Die Ottawa-Charta (1986) greift die Grundlagen des Gesundheitsförderungsansatzes der WHO auf und erweitert sie. „Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen […] ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen […].

Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden hin.“

(euro.WHO, 2011)

Österreich hat bereits in den 80er Jahren gesundheitsfördernde Netzwerke unterstützt, arbeitete früh an der Umsetzung der Ottawa-Charta und kann als Geburtsland des „…

internationalen WHO-Netzwerks gesundheitsfördernder Krankenhäuser…“

(Bundesministerium für Gesundheit) betrachtet werden.

2.1.4 Gesundheitsberichterstattung des Bundes mit der Definition von Gesundheit und Krankheit

Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes definiert im Gegenzug den Begriff der Krankheit. „Krankheit ist definiert als Störung des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens […] Bei der Beschreibung einer Krankheit muss zwischen ihren Ursachen [Krankheitsursache] und ihren sichtbaren Anzeichen [Symptomen] unterschieden werden.

Außerdem können sich unterschiedliche Verläufe zeigen: Eine akute Krankheit setzt plötzlich und heftig ein. Eine chronische Krankheit [Malum] beginnt langsam und verläuft schleichend.“ (Gbe-Bund, 2011)

Bei der Differenzierung zwischen physischer und psychischer Gesundheit „... wird psychische Gesundheit als ein Konzept mit zwei Dimensionen verstanden: Die subjektive Seite wird als „Wohlbefinden" bezeichnet, auf der objektiven Seite werden Fähigkeiten zur Bewältigung innerer und äußerer Anforderungen und Belastungen gesehen.“(Sandmeier- Rupena, 2009, S. 430)

2.1.5 Individualität und System

Gerber (2006, S. 24) postuliert, dass Gesundheit und Krankheit durch individuelle und systembedingte Variablen beeinflusst wird. Dazu gehören prädisponierende Faktoren (Erbfaktoren, Geschlecht, Alter, Krankheitsgeschichte), sozialer Status und Lebensstil (Einkommen, Ausbildung, Beruf, Ernährung, Gesundheitsverhalten). Die medizinische Infrastruktur und die transsektoralen Determinanten (Bildungswesen, Umweltqualität, Wohnverhältnisse, Arbeitsbedingungen, Migration) werden als systembedingt definiert.

Die genannten Variablen vereinen einige begriffliche Definitionen und erweitern die Perspektive mit möglichen Einflussfaktoren auf Gesundheit und Krankheit.

Die Situation im Alltag von (psychisch) kranken Menschen steht meist in Abhängigkeit mit den bestehenden Erkrankungen. Ressourcen auf persönlicher, sozialer und ökonomischer Ebene haben positive Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf.

Demgegenüber stehen erschwerende Bedingungen, welche das Krankheitsempfinden verschlechtern können (Schlichte, 2006, S. 35).

Winklbaur et al. (2008, S. 293) sehen den sozioökonomischen Status als „… dominanten Einfluss auf Gesundheitszustand und Lebenserwartung der Bevölkerung“ und haben, wie Gerber (2006) mit den systembedingten Variablen, die prägende Wirkung der Inhalte individueller Lebensentwürfe der Personen als Bezugspunkt bei Gesundheit und Krankheit

begriffen. Menschen, die der unteren sozialen Schicht zugeordnet werden können, dadurch schlecht bezahlter Erwerbstätigkeit nachgehen oder längere Zeit erwerbslos sind, ein niedriges Bildungsniveau oder einen unterdurchschnittlichen Wohnungsstandard aufweisen, zeigen einen schlechteren Gesundheitszustand und dadurch auch eine höhere Mortalitätsrate. Somit ergibt sich auch, dass, „je niedriger das Bildungsniveau ist, desto ungesünder ist der Lebensstil, was sich in Rauchverhalten, körperlicher Betätigung und Gesundheitsbewusstsein oder Wohnbedingungen und Ernährungsgewohnheiten widerspiegelt.“ (Winklbaur et al., 2008, S. 293)

2.1.6 Ordnungs- und Klassifizierungsversuche

Menschen, die nicht gesund sind, durchlaufen eine Vielzahl von Institutionen wie das Gesundheits- oder Rechtswesen, welche ihren Inhalten und Zielen entsprechend Kategorisierungen der erkrankten Menschen vornehmen. Bei der Verwendung von verschiedenen Begriffen für die gleichen Phänomene braucht es eine Einteilung und Zuordnung. Gemeinsame Bereiche und Merkmale werden zu einer Gruppe zusammengefasst (Biewer, 2009, S. 33), wobei die Zugänge und Sichtweisen auf die erkrankten Menschen unterschiedlich bleiben können.

Die „International Classification of Diseases and Related Health Problems“ (ICD-10) beinhaltet die globale Klassifikation von Krankheiten und gesundheitlichen Problemen (Biewer, 2009, S.35) Die ersten Fassungen der ICD können als Sammlung möglicher Todesursachen gesehen werden. In erster Linie bedeutete vor 100 Jahren gesund zu sein, nicht tot zu sein. Das biomedizinische Modell mit seiner Fokussierung auf Krankheiten bildet den Ausgangspunkt der ICD. Damit Gesundheit weitgehend definiert werden kann, reicht die Sicht auf Krankheiten nicht aus (Weizel/Puchstein, 2006, S. 5).

Das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-IV) kann als detaillierte Ausführung der ICD-10 gesehen werden. Vor allem diagnostische Richtlinien werden ausführlicher dargestellt (Biewer, 2009, S.37).

Die „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF) bezieht Kontextfaktoren, Körperfunktionen und -strukturen sowie Aspekte der Teilhabe und Aktivitäten in bestimmten Lebensbereichen, zusammengefasst als funktionale Gesundheit, ein. Die ICF kann als globale Grundlage für Definitionen von funktionaler Gesundheit gesehen werden. „Die ICF-Klassifikation kann als Schlüssel zur Teilhabe verstanden

werden und spiegelt das heutige Verständnis für Behinderung als eines der komplexen biopsychosozialen Realität der Menschen wider.“ (Weizel/Puchstein, 2006, S. 6)

Dauerhafte psychische Erkrankungen werden mit einer (seelischen) Behinderung gleichgesetzt und die entsprechenden Hilfsangebote richten sich demnach nach Schwere und Ausprägung der Behinderung. Der Begriff der Behinderung ist juristisch relevant.

„Menschen mit psychischen Problemen sind auf dieser Ebene, entsprechend den Forderungen der Psychiatrie-Enquete, körperlich erkrankten Menschen gleichgesetzt.“

(Schlichte, 2006, S. 24) Die zwingende Diagnose nach ICD-10 definiert eine bestimmte Erkrankung mit den betreffenden mentalen Funktionsstörungen. Leiden psychisch kranke Menschen in Deutschland dauerhaft länger als sechs Monate an psychiatrischen Symptomen, so kann von einer psychischen oder seelischen Behinderung gesprochen werden (Schlichte, 2006, S. 25).

2.1.7 Das steiermärkische Behindertengesetz

Menschen mit Behinderungen soll mit dem steiermärkischen Behindertengesetz (2004) eine soziale Teilhabe, die durch verschiedene Angebote und Leistungen einen Zugang zu individuellen Lebensbereichen eröffnet, garantiert werden, die auch für nicht behinderte Menschen verfügbar sind.

„… Als Menschen mit Behinderung im Sinne des Gesetzes gelten Personen, die infolge einer angeborenen oder erworbenen Beeinträchtigung (Abs. 4) in der Möglichkeit,

a) eine angemessene Erziehung, Schulbildung oder Berufsausbildung zu erhalten oder b) eine ihnen auf Grund ihrer Schul- und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen oder beizubehalten oder

c) eine angemessene Eingliederung in die Gesellschaft zu erreichen,

dauernd wesentlich benachteiligt „sind oder bei Nichteinsetzen von Maßnahmen nach diesem Gesetz dauernd wesentlich benachteiligt bleiben würden (…)

Als Beeinträchtigung im Sinne dieses Gesetzes gelten insbesondere alle physischen, psychischen und geistigen Beeinträchtigungen, soweit sie nicht vorwiegend altersbedingt sind.“ (Stmk. Behindertengesetz, 2004)

Nach diesem Gesetz wird Behinderung als Beeinträchtigung definiert, die durch psychische, physische und geistige Bereiche differenziert betrachtet wird. Der Begriff der psychischen oder seelischen Behinderung wird nicht explizit verwendet. In den folgenden Kapiteln wird der Begriff der (chronisch) psychischen Erkrankung gebraucht, welche die

juristischen Voraussetzungen einer Behinderung erfüllen. Der Begriff der Behinderung wird sowohl seitens der gesellschaftlichen Perspektive, aber auch der psychiatrieerfahrenen Individuen, eher negativ konnotiert wahrgenommen. Menschen mit Psychiatrieerfahrung wollen kaum bis gar nicht mit Menschen mit Behinderung gleichgestellt werden.

Die individuellen Ansichten und Einstellungen zu den Themen „Behinderung“ und

„psychische Erkrankungen“ sind genauso verschieden, wie der Umgang damit. Es kann keine allgemein gültige Aussage dazu getätigt werden, ob und wie Betroffene benannt werden wollen. Prins (2011, S. 15) führte Gruppengespräche mit Psychiatrieerfahrenen zum Thema „Betreutes Wohnen“. Eine betroffene Frau äußerte sich dabei kritisch zum Begriff der psychischen Erkrankung, denn aus ihrer Sicht befindet sie sich in einer Lebenskrise. Ein anderer Befragter vertritt das Menschenbild, „… dass wir letztendlich alle behindert sind und einander brauchen…“.

Genauere Ausführungen zu dieser Thematik finden sich im Zuge der empirischen Auseinandersetzung mit unseren Forschungsergebnissen.

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit dem Begriff, mit der historischen Entwicklung und mit den Handlungsfeldern Sozialer Arbeit. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Rolle Sozialer Arbeit im Gesundheitsbereich gelegt.

3 Soziale Arbeit als Schnittstelle im psychosozialen Handlungsfeld

„The social work profession promotes social change, problem solving in human relationships and the empowerment and liberation of people to enhance well-being. Utilising theories of human behaviour and social systems, social work intervenes at the points where people interact with their environments. Principles of human rights and social justice are fundamental to social work.“

(International Federation of Social Workers, 2000)