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4 Die übernahmespezifischen Interessen der Akteuren aufseiten des Zielunternehmens Akteuren aufseiten des Zielunternehmens

4.2 Interessen der Mitglieder des Vorstands

Aus Sicht der Mitglieder des Vorstands des Zielunternehmens sind öffentliche Übernahmeangebote in der Regel bedrohliche Szenarien. Ein Kontrollwechsel vollzieht sich in den meisten Fällen zulasten des Vorstands und kann Einkom-mens- und Reputationseinbußen, Einschränkungen der operativen Autonomie und häufig sogar einen Arbeitsplatzverlust nach sich ziehen.388

Mit einem Arbeitsplatzverlust muss der Vorstand insbesondere dann rechnen, wenn die Übernahme zumindest auch von Managementineffizienzen motiviert war.389 In jedem Fall wird der Vorstand infolge der Eingliederung des Zielunter-nehmens in eine Konzernstruktur an operativer Autonomie einbüßen. Einschrän-kungen der operativen Autonomie der Unternehmensleitung können zugleich zu einer Verringerung der Leistungsanforderungen und Einkommenskürzungen füh-ren oder das Ausbleiben von Einkommenserhöhungen nach sich ziehen. Da eine Unternehmensübernahme unabhängig von den tatsächlichen Übernahmemotiven mit einem Managementversagen aufseiten des Zielunternehmens assoziiert wird, muss der Vorstand des Zielunternehmens darüberhinaus mit Reputationseinbußen rechnen. Vor diesem Hintergrund hat das Management einen ausgesprochen ho-hen Anreiz, Maßnahmen zu ergreifen, die die Übernahme des Zielunternehmens verhindern, und dessen Bereitschaft, sich über die Interessen anderer Akteure

385 Vgl. Birke (2006), S.201.

386 Vgl. hierzu Gliederungspunkte 4.4 und 4.3.

387 Vgl. Ruffner00, S.461.

388 Vgl. Bebchuk/Ferrell (2001), S.134.; Birke (2006), S.166; Coppik (2007), S.105f.; Herkenroth (1994), S.90; Immenga/Noll (1990), S.19; eingehend zu der, von Unsicherheit geprägten Situa-tion des Managements auf dem Markt für Unternehmenskontrolle Coffee (1988), S.78ff.

389 Vgl. Coffee (1984), S.1236; Hahn (1992), S.109.

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hinwegzusetzen und mögliche Sanktions- und Kontrollmechanismen zu überge-hen, wird steigen.390

Daneben ist zu ist vorstellbar, dass der Vorstand infolge der Selbstüberschät-zungsanomalie391 die eigene unternehmerische Konzeption für richtig hält, und deshalb in dem Übernahmeangebot auch eine Bedrohung für das Unternehmensin-teresses sieht392 Unter diesen Voraussetzungen wird es den einzelnen Mitgliedern des Vorstands schwer fallen, objektive Entscheidungen zu treffen, auch wenn die-se gleichwohl darum bemüht sind, im Interesdie-se des Unternehmens zu handeln393 4.3 Interessen der Mitglieder des Aufsichtsrats

Analog zu dem Vorstand des Zielunternehmens haben auch die Mitglieder des Aufsichtsrats ein Eigeninteresse am Erhalt seiner Position im Unternehmen. In-folge der Änderung der Mehrheitsverhältnisse der Hauptversammlung muss der Aufsichtsrat des Zielunternehmens befürchten, bei der nächsten Aufsichtsratswahl nicht mehr in seinem Amt bestätigt zu werden. Allerdings wird das Eigeninteresse der Aufsichtsratsmitglieder am Erhalt ihrer Position im Vergleich zu dem des Managements abgeschwächt sein. Bei der Aufsichtsratstätigkeit handelt es sich nämlich im Gegensatz zum Amt des Vorstands um keine Haupt- sondern um eine Nebentätigkeit, weshalb die Nachteile im Falle seiner Absetzung weniger gravie-rend sind.394

In Anbetracht der Tatsache, dass der Aufsichtsrat börsennotierter Aktiengesell-schaften regelmäßig nach Maßgabe des MitbestG 1976 mitbestimmt ist und die Stimmen des Aufsichtsrats damit paritätisch auf Aktionärs- und Arbeitnehmerver-treter verteilt sind,395 bereitet es Probleme, über das Gesagte hinaus ein eindeuti-ges Interessenprofil des Aufsichtsrats des Zielunternehmens gegenüber Unter-nehmensübernahmen zu definieren.396 So ist zu erwarten, dass die

390 Vgl. Birke (2006), S.95 und 166; Eisenberg (1989), S.1472; Kirchner (2000b), S.1821; Mühle (2002), S.280; Ruffner (2000), S.223.; ausführlich hierzu Gliederungspunkt 5.1.

391 Vgl. Gliederungspunkt 2.3.1.3.3.

392 Vgl. Herkenroth (1994),S.90.

393 Vgl. Bainbridge (2008), S.134.

394 Vgl. Birke (2006), S.(1995).

395 Grundsätzlich haben Unternehmen mit mehr als 2.000 beschäftigten Arbeitnehmern gemäß § 6 Abs.1 i.V.m. § 1 Abs.1 MitbestG 1976 einen Aufsichtsrat zu bilden. Die Zusammensetzung des Aufsichtsrats ist in § 7 MitbestG 1976 geregelt.

396 Vgl. dahingehend Kirchner (2002), S.59.

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Aktionärsvertreter einem Übernahmeangebot entsprechend den Aktionärsinteres-sen tendenziell positiv begegnen werden. Arbeitnehmervertreter werden der Übernahme hingegen entsprechend den Arbeitnehmerinteressen eher ablehnend gegenüberstehen.397

Hinzu tritt der Umstand, dass einzelne Vertreter des Aufsichtsrats von partikula-ren, in ihrer Person begründeten Interessen befangen sein können. So werden in-folge des Depotstimmrechts in der Regel Vertreter von Banken in den Aufsichts-räten börsennotierter Aktiengesellschaften sitzen, welche eigenen, von den Anteilseignern und Arbeitnehmern abweichende Interessen hinsichtlich des Über-nahmeangebots haben.398 Welcher Gestalt diese Interessen sind, hängt davon ab, welche Rolle die Bank, der der Aufsichtsratsvertreter zugehöhrt, in dem Über-nahmeprozess einnimmt. So kann die Bank beispielsweise an der Finanzierung der Übernahme beteiligt sein. Ganz allgemein ist vorstellbar, dass die Bank Eigen- oder Fremdkapitalgeber des Zielunternehmens oder des Bieters ist. Zu vergleich-baren Konstellationen kann es kommen, wenn ein Aufsichtsratsmitglied einem Unternehmen zuzuordnen ist, das selbst an dem Zielunternehmen, an der Bieter-gesellschaft oder Konkurrenzunternehmen beteiligt ist oder sogar selbst als Bieter auftritt.399

Schließlich besteht die Tendenz, dass es zu einer Anbindung der Interessen der Aufsichtsratsmitglieder an die des Vorstands kommt.400 Zu impliziten oder expli-ziten Koalitionen kann es beispielsweise kommen, wenn ein Aufsichtsratsmitglied einen Beratervertrag mit dem Zielunternehmen anstrebt, den Vorstand dazu be-wegen will, auf eine Erhöhung seiner Aufsichtsratsvergütung hinzuwirken, oder einen Vertragsschluss zwischen dem Zielunternehmen und einem anderen Unter-nehmen an dessen Geschäftserfolg das Aufsichtsratsmitglied interessiert ist, her-beizuführen.401 Zu Interessensverflechtungen kommt es häufig auch dann, wenn ehemalige Vorstandsmitglieder in den Aufsichtsrat gewählt werden. Daneben

397 Vgl. Birke (2006), S.96.

398 Vgl. ausführlich zu den Interessenskonflikten infolge der Präsenz von Bankenvertretern in den Aufsichtsräten von Zielunternehmen Hopt (2002b), S.364ff.; Semler/Stengel (2003), S.6ff.;

hierzu auch Birke (2006), S.96.

399 Vgl. Semler/Stengel (2003), S.4f.

400 Vgl. Kirchner (2002), S.59f.; Hopt (2000), S.1382 bemerkt hierzu im Zusammenhang mit dem Vorschlag, Verteidigungsmaßnahmen von der qualifizierten Zustimmung des Aufsichtsrats ab-hängig zu machen: „Vorstand und Aufsichtsrat sitzen hier wie auch sonst häufig in einem Boot“; ausführlich zu diesem Problem Roth/Wörle (2004), S.610ff.

401 Vgl. Roth/Wörle (2004), S.623; Semler/Stengel (2003), S.4f.

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steht die Gefahr, dass die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder unter deren Identifikation und Solidarisierung mit dem Vorstand leidet.402

Es kann somit festgehalten werden, dass sich ein eindeutiges Interessenprofil des Aufsichtsrats in Bezug auf eine Unternehmensübernahme nicht klar bestimmen lässt, da im Aufsichtsrat eine Vielzahl unterschiedlicher, organisatorisch und per-sönlich motivierter Interessen aufeinandertreffen. Wegen des abgeschwächten Interesses der Aufsichtsratsmitglieder am Erhalt ihrer Machtposition, der Tendenz zur Verflechtung der Interessen einzelner Aufsichtsratsmitglieder mit den Vor-standsinteressen und der paritätischen Besetzung, muss jedoch davon ausgegan-gen werden, dass die Interessen des Aufsichtsrats tendenziell geausgegan-gen eine Unter-nehmensübernahme gerichtet sind.

4.4 Arbeitnehmerinteressen

Unabhängig von einer möglichen Unternehmensübernahme bestehen die Interes-sen der Arbeitnehmer in erste Linie in der Fortexistenz ihres Arbeitsplatzes. Zu-dem können sich ihre Interessen auch auf Einkommensverbesserungen bzw. den Erhalt ihres Einkommensniveaus sowie auf den Fortbestand des konkreten Stan-dortes, an dem sie ihre Arbeitsleistung erbringen, richten.403 Da diese Faktoren auch im Zusammenhang mit dem Erfolg des Unternehmens stehen, werden auch die Arbeitnehmer grundsätzlich ein Interesse an unternehmenswertsteigernden Maßnahmen haben.

Ein Teil der bereits diskutierten Ursachen von Unternehmensübernahmen lassen den Schluss zu, dass durch die Änderung des Kreises der Aktionäre des Zielunter-nehmens in jedem Fall auch die Interessen der Arbeitnehmer tangiert sind.404 In diesem Zusammenhang ist zunächst das Motiv, Synergieeffekte zu erzielen von Bedeutung.405 Daneben können die Arbeitnehmer Nachteile erfahren, wenn die Übernahme dadurch motiviert war, Gewinne aus der Übernahme durch Vermö-genstransfers zulasten der Stakeholder zu realisieren.406Aber auch die Umsetzung

402 Vgl. Roth/Wörle (2004), S.623ff.

403 Vgl. Bästlein (1997), S.80ff.

404 Vgl. Kirchner (1999), S.484; Kirchner (2000b), S.1822 (in Bezug auf das Motiv, mit der Über-nahme Synergieeffekte zu realisieren); auch in der Begründung zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz wird auf die weitreichenden Folgen von Umstrukturierungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer hingewiesen; Begr. GesE WpÜG, AT, S.63.

405 Vgl. zu den Synergieeffekten Gliederungspunkt 3.1.1

406 Vgl. zu den Umverteilungstheorien Gliederungspunkte 3.1.3 und 3.2.3.3.

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von effizienzsteigernden Maßnahmen mithilfe eines leistungsfähigeren Manage-ments kann die Arbeitnehmerinteressen berühren.

Was das Übernahmemotiv der Synergieeffekte betrifft, so kann es im Falle einer erfolgreichen Übernahme zu personalrelevante Umstrukturierungen oder sonstige Personalmaßnahmen kommen.407 Es liegt auf der Hand, dass sich Synergieeffekte dadurch realisieren können, dass Arbeitslätze infolge der Zusammenlegung von Organisationsbereichen abgebaut werden. Es ist jedoch zu erwarten, dass diese Maßnahmen insbesondere mit operativen Aufgaben betreute Positionen betreffen.

Dies belegen Studien zum US-amerikanischen Markt für Unternehmenskontrolle, wonach ein Stellenabbau infolge von Unternehmensübernahmen überwiegend das mittlere Management betrifft.408 Aktuellere Studien, die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben wurden, belegen sogar, dass in der Summe Un-ternehmen, die Gegenstand einer Übernahme durch leveraged buyout (LBO)409 waren, einen stärkeren Beschäftigungszuwachs aufweisen als andere Unterneh-men.410 Auch wenn ausgehend von diesen Studien zu erwarten ist, dass die Ar-beitsplätze der Arbeiter – zumindest in den Fällen von LBOs - im Gegensatz zu denen der Angestellten im mittleren Management, von der Übernahme in der Re-gel nicht betroffen werden, so kann die Gefahr des Arbeitsplatzverlustes dennoch nicht generell ausgeschlossen werden.411 Unabhängig von einem möglichen Ar-beitsplatzabbau laufen die Arbeitnehmer Gefahr, dass Umstrukturierungsmaß-nahmen zu einer örtlichen Verlegung von Arbeitsplätzen führen.

In den Fällen, in denen Übernahmen durch Kursverluste wegen eines ineffizienten Managements des Zielunternehmens und/oder durch das Anliegen, von der Über-nahme durch Wohlfahrtstransfers zulasten der Arbeitnehmer zu profitieren,

407 Vgl. Grobys (2002), S.1.

408 Vgl. Coffee (1988), S.81f.; hierzu auch Hahn (1992), S.109; Mühle (2002), S.83.

409 Unter LBOs sind Unternehmensübernahmen zu verstehen, die durch einen hohen Anteil an Fremdfinanzierung eine höhere Rendite zu erzielen versuchen. Dabei soll der sog. Leverage-Effekt ausgenutzt werden, nach dem die Eigenkapitalrendite mit wachsender Verschuldung steigt, wenn die Gesamtkapitalrentabilität über dem Fremdkapitalzins liegt; vgl. Mühle (2002), S.76.

410 Vgl. European Commission, Report of the Alternative Investment Expert Group: Developing European Private Equity (July 2006), S.14 (zwischen 2001 und 2004 sei die Beschäftigung in LBO-Firmen in der EU jährlich um 2,4 % gestiegen, die allgemeine Beschäftigungssteigerung habe zwischen 2000 und 2004 jährlich bei 0,7 % gelegen); hierzu auch Eidenmüller (2007), S.217; Kaserer/Achleitner/Einem/Schiereck (2007), S.167ff., mit Nachweisen zu diversen Stu-dien.

411 Vgl. Bästlein (1997), S.85; Brown/Medoff (1988), S.9f., Shleifer/Vishny (1988), S.15.

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viert sind, kann es ebenfalls zum Abbau von Arbeitsplätzen oder zumindest zu Einkommenskürzungen kommen.412 Kritisch wird in diesem Zusammenhang vor allem das sogenannte asset stripping bewertet, bei dem der Bieter das erworbene Unternehmen in einzelne Teile zerlegt und versucht, diese gewinnbringend zu veräußern.413 Allerdings muss beachtet werden, dass auch der These, Unterneh-mensübernahmen führten generell zu radikalen Kürzungen der Bezüge der Ar-beitnehmer in der Literatur – zumindest im Zusammenhang mit LBOs widerspro-chen wird.414

Auch wenn Unternehmensübernahmen statistisch gesehen einen zumindest neut-ralen Effekt auf die Arbeitnehmerinteressen haben, ist nicht auszuschließen, dass Arbeitnehmer in Einzelfällen mit erheblichen Nachteilen zu rechnen haben, wenn das Übernahmeangebot Erfolg hat. Soweit konkrete Arbeitsplätze bedroht sind, spielt es aus der Perspektive der Arbeitnehmer zunächst keine Rolle, ob mit den sie betreffenden Maßnahmen Effizienzsteigerungen oder Wohlfahrtstransfers zu ihren Lasten verfolgt werden. Von möglichen Effizienzsteigerungen werden nur die Arbeitnehmer profitieren können, die im Unternehmen verbleiben. Es ist daher zu erwarten, dass die Arbeitnehmer wegen der Unsicherheiten hinsichtlich ihrer zukünftigen Stellung im Unternehmen einem Übernahmeangebot ablehnend ge-genüberstehen und ein Interesse an dessen Scheitern haben, solange nicht gewähr-leistet ist, dass sie keine Nachteile erfahren.