• Keine Ergebnisse gefunden

Der zeitlich begrenzte Anwendungsbereich übernahmerechtlicher Regelungen Regelungen

6 Regelungsprobleme aus juristischer Perspektive

6.3 Regelungsprobleme im Schnittfeld von Unternehmens- und Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht

6.3.1 Das Übernahmerecht zwischen Unternehmens- und Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht und Kapitalmarktrecht

6.3.2.2 Der zeitlich begrenzte Anwendungsbereich übernahmerechtlicher Regelungen Regelungen

747 Vgl. Dimke/Heiser (2001), S.242, sowie Gliederungspunkt 4; auf die Interessen der, an einem Bieterunternehmen beteiligten Akteure, wird vorliegend jedoch nicht eingegangen.

748 Vgl. Dimke/Heiser (2001), S.242.

749 Vgl. Kirchner (2000b), S.1823; ausführlich hierzu im folgenden Abschnitt unter Gliederungs-punkt 6.3.2.2.

750 Vgl. Kirchner (2002), S.52.

151

Unternehmens- und gesellschaftsrechtliche Regeln werden im Falle eines positi-ven Übernahmerechts im Umfang dessen Geltungsbereichs im Wege des Anwen-dungsvorrangs oder der Spezialität verdrängt. Regelungen, die das Verhalten des Managements während des Übernahmeverfahrens betreffen, werden naturgemäß mit der Abgabe bzw. dem Bekanntwerden des Übernahmeangebots ihre Wirkung entfalten. Demzufolge gilt bis zu diesem Zeitpunkt die unternehmens- und gesell-schaftsrechtliche Pflichtenlage, ab diesem Zeitpunkt die übernahmerechtliche Re-gelung. Konflikte können dann im Verhältnis der unternehmens- und gesell-schaftsrechtlichen Regelungen vor der Veröffentlichung des Übernahmeangebots und den diese nach Veröffentlichung suspendierenden übernahmerechtlichen Re-gelungen entstehen.

6.3.2.2.1 Gefahr der Privilegierung bestimmter Formen der Unternehmenskonzentration

Bei Regelungen zu den Verhaltenspflichten des Vorstands während öffentlicher Übernahmeverfahren muss berücksichtigt werden, dass bestimmte Formen der Unternehmenskonzentration, nicht gegenüber anderen Formen der Unterneh-menskonzentration privilegiert werden dürfen.751 Diese Gefahr wird besonders deutlich durch eine Gegenüberstellung „freundlicher“ und „feindlicher“ Über-nahmeszenarien. Im Fall der „freundlichen“ Unternehmensübernahme, der Ver-handlungen zwischen dem Bieter und dem Vorstand des Zielunternehmens vo-rausgegangen sind, ist der Vorstand des Zielunternehmens nach deutschem Unternehmens- und Gesellschaftsrecht verpflichtet, das Unternehmensinteresse zu wahren. Durch die Verhandlungen fließen alle von dem Unternehmensinteresse umfassten Einzelinteressen der verschiedenen Stakeholder in den Übernahmepro-zess mit ein.752 Im Falle einer strikten Neutralitäts- und Stillhaltepflicht des Vor-stands des Zielunternehmens während eines „feindlichen“ Übernahmeverfahrens könnten die Interessen der Stakeholder indes nicht berücksichtigt werden.753 Die gleichen Erwägungen lassen sich auf den Fall einer Fusion übertragen, bei der ebenfalls Verhandlungen zwischen den beiden fusionierenden Unternehmen unter Berücksichtigung des Unternehmensinteresses stattfinden.754 Werden gleiche Verhaltenspflichten für öffentliche Übernahmeangebote, von denen sowohl

„freundliche“ als auch „feindliche“ Unternehmensübernahmen umfasst sind, in-stalliert, so ist immer noch eine Privilegierung der öffentlichen

751 Vgl. Coppik (2007), S.238; Kirchner (1999), S.484; Kirchner (2000a), S.109; Schnei-der/Burgard (2001), S.963ff.; Wiese/Demisch (2001), S.850; Witt (2000), S.2165.

752 Vgl. Kirchner/Painter (2000), S.356 und S.385f.

753 Vgl. Kirchner (1999), S.486; Schneider/Burgard (2001), S.965.

754 Vgl. Kirchner (1999), S.484.

152

übernahme gegenüber anderen Konzentrationsformen zu befürchten, solange die Verhaltenspflichten nicht die grundsätzliche Verpflichtung des Vorstands auf das Unternehmensinteresse berücksichtigen.

Ähnlich stellt sich die Situation dar, wenn die Entscheidungskompetenz über das Ergreifen von Verteidigungsmaßnahmen bei öffentlichen Unternehmensübernah-men ausschließlich der Hauptversammlung oder den einzelnen Aktionären außer-halb ihrer Stellung als Mitglieder der Hauptversammlung übertragen wird. Denn weder die Hauptversammlung noch die einzelnen Aktionäre sind dem Unterneh-mensinteresse verpflichtet. Damit würden die Interessen der übrigen Stakeholder bei der Entscheidung über das Ergreifen von Verteidigungsmaßnahmen keine Be-rücksichtigung finden.755

Eine Regelung zu den Verhaltenspflichten des Vorstands des Zielunternehmens während des Übernahmeverfahrens müsste folglich gewährleisten, dass das Un-ternehmensinteresse bei allen Formen der Unternehmenskonzentration in gleicher Weise berücksichtigt bzw. unberücksichtigt bleibt. Ansonsten bestünde ein Anreiz für die Leitungsorgane eines Bieterunternehmens, und für den Fall, dass die Lei-tungsorgane des Zielunternehmens dem Konzentrationsprozess nicht ablehnend gegenüberstehen, auch auf für diese, eine öffentliche Übernahme anzustreben, um zu vermeiden, dass der Kontrollerwerb durch die Berücksichtigung der Stakehol-derinteressen verteuert wird.756

Die Privilegierung einer bestimmten Form der Unternehmenskonzentration könnte zu Marktverzerrungen und Marktversagen führen, da Unternehmensübernahmen nicht mehr nur aus dem Anreiz zu einer verbesserten Ressourcenallokation, son-dern aus der Motivation, das Ungleichgewicht zulasten der Stakeholder des Ziel-unternehmens auszunutzen, stattfänden.757 Aus rechtlicher Sicht stellt sich vor diesem Hintergrund auf nationaler wie auf europäischer Ebene die Frage, inwie-weit das Übernahmerecht als lex specialis Ausnahmen von der unternehmens- und gesellschaftsrechtlich begründeten Pflichtenstellung des Vorstands machen kann und soll.758

6.3.2.2.2 Friktionen des Übernahmerechts mit Vorfeldmaßnahmen

755 Vgl. Kirchner (1999), S.488.

756 Vgl. Kirchner (2000a), S.109; kritisch hierzu Nippgen (2005), S.116ff.

757 Vgl. Coppik (2007), S.238; Kirchner (1999), S.487; Wiese/Demisch01, S.850.

758 Vgl. Kirchner (1999), S.485.

153

Greift das Übernahmerecht grundsätzlich nur während der Laufzeit des öffentli-chen Übernahmeverfahrens, so gelten entspreöffentli-chende übernahmerechtliche Rege-lungen zu den Verhaltenspflichten des Vorstands ebenfalls nur für diesen Zeit-raum. Im Vorfeld des Übernahmeverfahrens werden nicht nur die Verhaltenspflichten des Vorstands des Zielunternehmens, sondern auch die Be-ziehung zwischen dem Vorstand und den Aktionären, sowie die Rechte der Akti-onäre selbst durch unternehmens- und gesellschaftsrechtliche Vorschriften gere-gelt.759 Das hat zur Folge, dass die Aktionäre den Vorstand durch Ermächtigungsbeschlüsse zu einer Kapitalerhöhung ermächtigen können oder je nach nationaler Rechtsordnung Beschränkungen von Aktionärsstimmrechten, Höchst-und Mehrstimmrechte sowie besonderen Aktien, die an bestimmte Veto-rechte geknüpft sind, zulässig sein können.760 Aufgrund dieser Vorfeldregelungen besteht nun die Gefahr, dass die Chancen potentieller Bieter auf eine erfolgreiche Übernahme negativ beeinflusst werden. Potentielle Bieter werden diese Gefahr antizipieren, was dazu führen kann, dass sie davon absehen werden, überhaupt ein Übernahmeangebot abzugeben.761 Das hätte wiederum eine Beeinträchtigung der Aktivität auf dem nationalen und europäischen Markt für Unternehmenskontrolle und der damit verbundenen positiven Effekte zur Folge, soweit allokationseffizi-ente Übernahmen betroffen sind.

Speziell im Hinblick auf eine europäische Regulierung von öffentlichen Unter-nehmensübernahmen ist die Gefahr hervorzuheben, dass aufgrund der unter-schiedlichen nationalen Vorfeldregelungen eine Harmonisierung des europäischen Binnenmarkts und die Schaffung eines level playing field schwerwiegenden Prob-lemen gegenüberstehen.762 Werden die heterogenen nationalen Vorfeldregelungen nicht entsprechend geändert (was in der Praxis kaum möglich sein wird), wirken identische Übernahmeregeln in den einzelnen Mitgliedsstatten der Europäischen Union sehr verschieden,763 und es käme zu einer Aufspaltung des europäischen Binnenmarkts in unterschiedliche Teilmärkte mit unterschiedlichen Hindernissen für Übernahmen.764 Besonders deutlich wird dieses Problem anhand des Beispiels der golden shares auf dem europäischen Binnenmarkt. Einige Europäische

759 Vgl. Kirchner (2002), S.53.

760 Vgl. Kirchner (2002), S.53; Körner (2001), S.370; explizit Bezug nehmend auf golden shares Wackerbarth (2001), S.1747f.

761 Vgl. Kirchner (2002), S.54.

762 Vgl. Adolff (2002), Ziff.3 und Ziff.19; Kirchner (2002), S.54; Kirchner/Painter (2002), S.461;

Wackerbarth (2001), S.1743.

763 Vgl. Kirchner (2002), S.54.

764 Vgl. Wackerbarth (2001), S.1743.

154

ten, wie beispielsweise Frankreich, Belgien und Portugal, erlauben golden shares, die häufig im Anschluss an die Privatisierung eines Unternehmens vom Staat ge-halten werden, um sich regelmäßig durch Höchst- oder Mehrstimmrechte eine maßgeblicher Stimmmehrheit durch Kontroll- oder zumindest Vetomacht in dem entsprechenden Unternehmen zu erhalten.765 In zahlreichen Entscheidungen des EuGH seit dem Jahr 2002 wurde die Unzulässigkeit staatlicher golden shares, insbesondere wegen der Unbestimmtheit über die zulässigen Rechtfertigungs-gründe für deren Aufrechterhaltung und Verstößen gegen die Kapitalverkehrsfrei-heit aus Art. 56 EGV und die NiederlassungsfreiKapitalverkehrsfrei-heit aus Art. 43 EGV, festge-sellt.766 Dennoch existieren golden shares als übliche Vorfeldmaßnahmen zur Abwehr öffentlicher Unternehmensübernahmen weiter.767 Das Problem der gol-den shares besteht darin, dass die Unternehmen, die durch sie geschützt sind, als potentielle Zielunternehmen aus dem Markt für Unternehmenskontrolle ausschei-den, da nicht zu erwarten ist, dass maßgebliche Mehrheitspakete in öffentlichen Übernahmeverfahren gehandelt werden, sie andererseits jedoch nachwievor als Bieterunternehmen agieren können.768 Unternehmen, die einer nationalen Juris-diktion unterstehen, die golden shares nicht vorsieht, befinden sich damit in ei-nem wettbewerblichen Nachteil gegenüber Unternehmen deren Jurisdiktion gol-den shares zulässt.769 Es muss allerdings beachtet werden, dass das Problem der golden shares regelmäßig nur bestimmte Sektoren wie beispielsweise den Tele-kommunikations- oder Energiesektor betrifft.770 Dennoch werden übernahme-rechtliche Regelungen eine Antwort darauf finden müssen, wie dem Problem der heterogenen Vorfeldmaßnahmen begegnet werden kann.

6.3.2.3 Stellungnahme

765 Vgl. Kirchner/Painter (2002), S.461; hierzu auch Adams (1990a), S.63ff.; Hopt (2007), S.257ff.; Käseberg/Kuhn (2007), S.65ff.

766 Vgl. EuGH vom 4. Juni 2002 (RS.C-367/98) -Portugal-, Slg. 2002, S.I-4731; EuGH vom 4.

Juni 2002 483/99) -Frankreich-, Slg. 2002, S.I-4781; EuGH vom 4. Juni 2002 (RS.C-503/99) - Belgien-, Slg. 2002, S.I-4809; EuGH vom 13. Mai 2003 (RS.C-463/00) -Spanien-, Slg. 2003, 4581; EuGH vom 13. Mai 2003 (RS.C-98/01) -Großbritannien-, Slg. 2003, S.I-4641; EuGH vom 2. Juni 2005 174/04) -Italien; EuGH vom 28. September 2006 (RS.C-282/04, C-283/04) -Niederlande; EuGH vom 23. Oktober 2007 (RS.C-112/05) - Volkswagen-Gesetz; EuGH vom 3. Dezember 2007 (RS.C-463/04, C-464/04) - Federconsumatori u.a.

767 Vgl. Kerber (2008), S.9ff.

768 Vgl. Adolff (2002), Ziff.19; Kirchner/Painter (2002), S.461.

769 Vgl. Kirchner/Painter (2002), S.461.

770 Vgl. Wackerbarth (2001), S.1747.

155

Werden die Verhaltenspflichten des Vorstands während Übernahmeverfahren durch übernahmerechtliche Vorschriften geregelt, so befinden sich diese Regelun-gen im Schnittfeld von Unternehmens- und Gesellschaftsrecht und Kapitalmarkt-recht. In diesem Zusammenhang sind zwei Problemkreise von zentraler Bedeu-tung. Zum einen kann es zu Zielkonflikten hinsichtlich der Grundsätze des Unternehmens- und Gesellschaftsrecht auf der einen und dem Kapitalmarktrecht auf der anderen Seite kommen. Zum anderen ergeben sich Probleme daraus, dass es wegen des begrenzten zeitlichen Anwendungsbereichs übernahmerechtlicher Regelungen zu Friktionen mit den bis zum Zeitpunkt der Abgabe des Übernahme-angebots geltenden unternehmens- und gesellschaftsrechtlichen Regelungen kommen kann.

Durch die unterschiedlichen Zielrichtungen von Unternehmens- und Gesell-schaftsrecht und Kapitalmarktrecht kommt es je nach eingenommener Perspektive zu einer anderen Bewertung der Handlungsebenen Abstimmungsteilhabe und Austrittrecht, die den Aktionären im Übernahmeverfahren zur Verfügung stehen.

Daneben ist die aus unternehmens- und gesellschaftsrechtlicher Perspektive be-stehende Pflicht des Vorstands zur Berücksichtigung von anderen Interessen als denen der Aktionäre aus kapitalmarktrechtlicher Perspektive nicht generell gege-ben. Für die übernahmerechtliche Regelung der Verhaltenspflichten des Vorstands bei Übernahmeangeboten wird folglich, sowohl hinsichtlich der Berücksichtigung der beiden Handlungsebenen Abstimmungsteilhabe und Austrittsrecht, als auch in Bezug auf die Berücksichtigung des umfassenden Unternehmensinteresses, eine Abwägung getroffen werden müssen.

Infolge des zeitlich begrenzten Geltungsbereichs möglicher übernahmerechtlicher Regelungen auf nationaler und internationaler Ebene besteht die Gefahr, dass öf-fentliche Unternehmensübernahmen gegenüber anderen Formen der Unterneh-menskonzentration privilegiert werden und es zu Friktionen zwischen einem Übernahmerecht und Vorfeldmaßnahmen kommt, die dem unternehmens- und gesellschaftsrechtlichen Regelungskreis unterfallen. Übernahmerechtliche Rege-lungen müssen diese Regelungsprobleme berücksichtigen, um Systembrüche auf nationaler und internationaler Ebene zu vermeiden.

6.4 Abschließende Stellungnahme zu den juristischen Regelungsproblemen