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Funktionsschutz und die Schaffung eines internationalen level playing field playing field

6 Regelungsprobleme aus juristischer Perspektive

6.2 Regelungsprobleme aus kapitalmarktrechtlicher Perspektive

6.2.1 Grundsätze und Zielrichtung des Kapitalmarktrechts

6.2.2.2 Funktionsschutz und die Schaffung eines internationalen level playing field playing field

Die Regulierung der Verhaltenspflichten des Vorstands bei öffentlichen Über-nahmeangeboten wirft aus kapitalmarktrechtlicher Perspektive ein weiteres Rege-lungsproblem auf, das jurisdiktionsübergreifende Unternehmensübernahmen be-trifft. Dieses kollisionsrechtliche Problem liegt darin begründet, dass bei jurisdiktionsübergreifenden Übernahmeversuchen Ziel- und Bieterunternehmen unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen.

Versucht nun ein Zielunternehmen aus einer Jurisdiktion, in der Verteidigungs-maßnahmen nicht vorgesehen sind, ein Gegenangebot auf das Bieterunternehmen

664 Vgl. Gliederungspunkt 2.3.2.2.3.

665 Vgl. Eidenmüller (2005), S.273f.

666 Vgl. zum Zusammenhang zwischen Individualschutz und Kapitalallokation auch Assmann (1989), S.60f.; Assmann/Basaldua/Bozenhardt/Peltzer (1990), S.48f.; Herkenroth (1994), S.33f.; Kirchner (1985b), S.129f.; Mühle (2002), S.130 und S.136f.

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abzugeben, in dessen Jurisdiktion Verteidigungsmaßnahmen zulässig sind, so wird dieses Gegenangebot kaum Aussichten auf Erfolg haben.667 Es besteht in einem solchen Fall keine Waffengleichheit und das Zielunternehmen, aus der Ju-risdiktion, die keine Verteidigungsmaßnahmen zulässt, wird diskriminiert.668 Aber auch unabhängig von dem soeben beschriebenen Fall des Gegenangebots führt es zu Verzerrungen des internationalen Kapitalmarkts, wenn Unternehmen aus bestimmten Jurisdiktionen, mangels Verteidigungsmöglichkeiten und der dar-aus resultierenden relativ niedrigeren Kontrollprämie, die an die Aktionäre gezahlt werden muss,669 sowie der Möglichkeit, die übrigen Shareholder einfacher auszu-beuten, wenn deren Interessen im Übernahmeverfahren nicht ausreichend berück-sichtigt werden können, leichter und günstiger übernommen werden können.670 Ein solches Hemmnis reziproker Übernahmeprozesse kann, bei ansonsten glei-chen Voraussetzungen auf beiden Seiten,671 zu einer erhöhten Konzentration der Kontrolle über Unternehmensressourcen in solchen Rechtsordnungen führen, in denen Verteidigungsmaßnahmen zulässig sind. Werden Unternehmen aus be-stimmten Jurisdiktionen infolge dieses Ungleichgewichtes sowie aufgrund zu ge-ringer Kontrollprämien zu leichten Opfern auf dem internationalen Kapitalmarkt, so kommt es zu einer Beeinträchtigung des Preismechanismus und der Allokati-onseffizienz am Kapitalmarkt.672

Darüberhinaus gewinnt der Aspekt einheitlicher Übernahmereglungen im Hin-blick auf international agierende Anleger an Bedeutung, die auf gleichwertige Regelungssysteme auf den Kapitalmärkten vertrauen. Aus europäischer Perspek-tive kann das Unterbleiben der Rechtsangleichung auf dem Binnenmarkt zu In-transparenz sowie Unsicherheiten über die Rechtslage in anderen Teilen des Bin-nenmarkts führen. Dies kann erhöhte Transaktionskosten, mehr Rechtsstreitigkeiten und spezielle Schutzprobleme für die Anleger, beispielsweise

667 Vgl. Ebenroth/Daum (1991), S.1160; Fitchew (1991), S.14; Kirchner (2002), S.53; Kirch-ner/Painter (2000), S.386.

668 Vgl. Kirchner (2000b), S.53.

669 Vgl. zum Zusammenhang von Verteidigungsmaßnahmen und Kontrollprämie Gliederungs-punkt 7.1.2.1.2.

670 Vgl. Hopt (1991), S.194; Hopt (1998), S.187; Kirchner (1999), S.4 (1990); Kirchner/Painter (2000), S.385.

671 Vgl. zu dem Einfluss struktureller Faktoren auf die Aktivität am Markt für Unternehmenskon-trolle Basaldua (1990), S.163ff.; Easterbrook/Fischel (1982a), S.1ff. und S.8;

Kirch-ner/Painter (2000), S.384f.; Mühle (2002), S.299f. (zugleich Kritik an dem Ziel der Schaffung eines level playing field); Nippgen (2005), S.236f.

672 Vgl. Dimke/Heiser (2001), S.256.

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durch das Fehlen einer einheitlichen Aufsichtsbehörde, zur Folge haben.673 Unter-schiedliche nationale Regelungen können somit die Anlagebereitschaft verringern oder die Anleger dazu bewegen, sich mit ihrer Anlageaktivität auf das ihnen ver-traute System zu beschränken.674 Eine daraus folgende Verringerung der transna-tionalen bzw. jurisdiktionsübergreifenden Investitionstätigkeit würde es den be-troffenen nationalen Kapitalgesellschaften erschweren, auf dem internationalen Kapitalmarkt an Kapital zu gelangen. Damit wäre wiederum nicht gewährleistet, dass in ausreichendem Maße Kapital dorthin fließt, wo es seine effizienteste Ver-wendung findet.675

Schließlich kann eine Rechtsangleichung dort sinnvoll sein, wo einzelne Staaten durch ihre Rechtsordnung versuchen, Marktzutrittsschranken zu errichten bzw.

aufrechtzuerhalten.676 Um Verzerrungen auf dem internationalen Kapitalmarkt zu verhindern und dessen Funktionsfähigkeit zu sichern, muss deshalb die Harmoni-sierung des internationalen Kapitalmarkts durch die Schaffung eines level playing field angestrebt werden.677

Teilweise wird das Ziel, ein level playing field zu schaffen unter Verweis auf die positiven Effekte des legalisatorischen Wettbewerbes zwischen unterschiedlichen Jurisdiktionen durch einen sogenannten race to the top kritisiert.678 Nach der Auf-gabe der Sitztheorie zugunsten der Gründungstheorie infolge der Centros-Entscheidung des EuGH679 erlangen europäische Gesellschaften ein höheres Maß an Mobilität, womit der legalisatorische Wettbewerb aus europäischer Perspektive an Bedeutung gewonnen hat.680 Die Argumentation mit den Wirkungen des race to the top durch legalisatorischen Wettbewerb baut auf der Grundannahme auf, dass Unternehmen in Jurisdiktionen mit ineffizienten Regelungen zum Unterneh-mens- und Gesellschaftsrecht sowie zum Kapitalmarktrecht, sowohl

673 Vgl. Hopt (1997), S.383.

674 Vgl. Dimke/Heiser (2001), S.256.

675 Vgl. Dimke/Heiser (2001), S.256; Körner (2001), S.367; Nippgen (2005), S.125f.

676 Vgl. Hopt (1997), S.384.

677 Vgl. Basaldua (1990), S.166; Baums (1996), S.107f.; Dimke/Heiser (2001), S.256; Hopt (1997), S.375; Kirchner (2000b), S.1823; Kuhner/Schilling (2002), S.460.

678 Vgl. Easterbrook/Fischel (1984), S.564ff.; Romano (1993), S.856ff.; Winter (1977), S.251.;

allgemein zu möglichen Kritikpunkten aus europäischer Perspektive Hopt (1997), S.381f.

m.w.N.; Wackerbarth (2001), S.1751f.; grundlegend zum legalisatorischen Wettbewerb im eu-ropäischen Gesellschaftsrecht Buxbaum/Hopt (1988), S.1ff.; Kirchner (2004a), S.607ff.

679 EuGH vom 9.3.1999 – RS.C-212/97, Slg. 1999 I-1459.

680 Vgl. Kirchner (2004a), S.607f.

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schnittliche Kapitalrenditen erwirtschaften, als auch Schwierigkeiten haben wer-den, Kapital am Kapitalmarkt zu bekommen und infolgedessen leichter Ziel von Unternehmensübernahmen werden können.681 Manager würden daher aus reinem Selbstinteresse an effizienten Regelungen interessiert sein, um die negativen Fol-gen für sie aus einer ansonsten wahrscheinlicheren Unternehmensübernahme zu vermeiden und die Unternehmen in Jurisdiktionen mit entsprechenden Regelun-gen inkorporieren.682 Für die unterschiedlichen Jurisdiktionen besteht dieser Ar-gumentation zufolge ein Anreiz, in einen Wettbewerb um die Schaffung eines möglichst effizienten Regelungsumfelds zu treten.

Dieser Auffassung wird entgegen gehalten werden, dass ein zu weitgehender lega-lisatorischer Wettbewerb letztlich dazu führt, managerfreundliche, aber ineffizien-te Regelungen zu schaffen, damit möglichst viele Unineffizien-ternehmen im eigenen Land gegründet werden und dort inkorporiert bleiben. Dieses Phänomen wird als race to the bottom bezeichnet.683 Dieses Argument kann jedoch nur für den Fall über-zeugen, dass eigennutzorientierte Manager einen höheren Vorteil aus den mana-gerfreundlichen, aber ineffizienten Regeln ziehen können, als aus der Vermeidung der Nachteile aus einer höheren Übernahmewahrscheinlichkeit.

Jedenfalls kann im Hinblick auf die zuvor genannten Aspekte, die für die Schaf-fung eines level playing field sprechen, das Konzept des Wettbewerbs der Gesetz-geber und des möglicherweise daraus zu erwartenden race to the top keinesfalls als grundsätzlicher Einwand gegen eine Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Übernahmerechts herangezogen werden.684 Entsprechende Regelungen zu den Verhaltenspflichten des Vorstandes müssten letztlich darauf abzielen, die grund-sätzlichen Voraussetzungen für ein level playing field zu schaffen. Die konkrete Ausgestaltung könnte dann im Detail den einzelnen nationalen Gesetzgeber über-lassen werden, um in diesem begrenzten Rahmen die positiven Effekte eines lega-lisatorischen Wettbewerbs zur Geltung kommen zu lassen.

Aus europäischer Perspektive findet das Anliegen, ein level playing field zu schaf-fen, in dem Ziel der Herstellung eines barrierefreien europäischen Binnenmarkts nach Art. 3 a Abs. 1 EGV Ausdruck.685 Auf der internationalen Ebene fehlt es jedoch an einer zentralen gesetzgeberischen Instanz, weshalb die Harmonisierung

681 Vgl. Winter (1977), S.257 und S.264ff.

682 Vgl. zusammenfassend Bebchuk/Ferrell (1999), S.1194ff.; Wackerbarth (2001), S.1752.

683 Vgl. für viele Bebchuk/Ferrell (1999), S.1168ff und S.1172ff.

684 Vgl. auch Hopt (1997), S.383.

685 Vgl. Hopt (1991), S.194.

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lediglich durch reaktive Anpassungsprozesse an die Regelungen anderer, beson-ders wichtiger Jurisdiktionen (im Bezug auf Deutschland bzw. Europa beispiels-weise diejenigen der USA) möglich ist. Zumindest auf europäischer Ebene ist eine Lösung dieses Anliegens auf dem Wege der einheitlichen Gesetzgebung leich-ter,686 jedoch besteht hier das Problem, dass eine einheitlichen Regelung wegen der Heterogenität der jeweiligen nationalen Jurisdiktionen in komplementären Regelungsbereichen, wie beispielsweise den gesellschaftsrechtlichen Vorfeldrege-lungen, Schwierigkeiten bereitet.687

Es sei hervorgehoben, dass das soeben dargestellte Regelungsproblem von der teilweise kritisierten688 Befürchtung zu unterscheiden ist, die in dem Verbot von Verteidigungsmaßnahmen die Gefahr eines Ausverkaufs der betroffenen Rechts-ordnung zulasten öffentlicher Interessen und insbesondere der Arbeitnehmer sieht.

Die hier vertretene Forderung nach der Schaffung eines level playing field stützt sich allein auf kapitalmarktrechtliche Funktionsgesichtspunkte.689

6.2.2.3 Stellungnahme

Die vorangegangenen Darstellungen machen deutliche, dass der Anlegerschutz für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts eine herausragende Rolle spielt. Das Regelungsproblem für die Verhaltenspflichten des Vorstands während Übername-verfahren besteht aus kapitalmarktrechtlicher Perspektive in dem Dilemma, dass Verteidigungsmaßnahmen einerseits grundsätzlich geeignet sein können, Anleger-schutz zu gewährleisten, jedoch auf der anderen Seite sicher gestellt sein muss, dass diese nicht aus eigennützigen Motiven des Vorstands ergriffen werden. Kann kein funktionierender Kontroll- und Überwachungsmechanismus gefunden wer-den, so besteht die Gefahr, dass mit zunehmender Übertragung der Entschei-dungskompetenz über das Ergreifen von Verteidigungsmaßnahmen auf den Vor-stand, der Spielraum für ex-post opportunistisches Verhalten desselben wächst.

Die hat zur Folge, dass das Vertrauen der Anleger in Stabilität und Integrität des Kapitalmarkts abnimmt und dessen Funktionsfähigkeit infolgedessen in Mitlei-denschaft gezogen wird.

686 Vgl. zur gemeinschaftsrechtlichen Kompetenz aus Art. 3b EGV zur Regelung des Übernahme-rechts auf europäischer Ebene Hopt (1997), S.379ff.

687 Vgl. Hopt (1991), S.193f.; Kirchner (2000b), S.1823; Kirchner (2002), S.58ff.; Wackerbarth (2001), S.1743; ausführlich hierzu Gliederungspunkt 6.3.2.2.2.

688 Vgl. Wackerbarth (2001), S.1746f.; so zu verstehen auch Kirchner/Painter (2000), S.385f.

689 Vgl. Dimke/Heiser (2001), S.256; Hopt (1997), S.375.

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Darüberhinaus stellt die Internationalisierung der Kapitalmärkte kollisionsrechtli-che Herausforderungen an die Regelung der Verhaltenspflichten. Das Anliegen, zum Schutz der Funktionsfähigkeit internationaler Kapitalmärkte ein level playing field zu schaffen, ist jedoch mit erheblichen regelungstechnischen Problemen ver-bunden.

6.3 Regelungsprobleme im Schnittfeld von Unternehmens- und