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Gespanntheit, Vokalquantität und 2 Frikativkategorien

4.2 Silbenstrukturen: Silbengewicht und Vokalqualität im Stadtberndeutschen

4.2.3 Die Interaktion von Gespanntheit, Vokal- und Konsonantquantität

4.2.3.2 Gespanntheit, Vokalquantität und 2 Frikativkategorien

Im Bernd. existiert ein prosodischer Unterschied von Einfachkonsonant und Geminate in den Frikativen, vgl. die (Quasi-)Minimalpaare R[ɪ]sel (feiner Graupel) vs. gr[ɪ]sse (gerissen) und B[i:]se (Nordwind) vs. b[i:]sse (beißen). Die Geminate tritt wortmedial intervokalisch sowie wortfinal auf und schließt die vorhergehende Silbe. Wortinitial gibt es keine lexikalischen Frikativgeminaten, aber Sandhigeminaten (vgl. [s:]iib, ‚das Sieb‘, vgl. Kap. 2.3.3.3). Die Messung der Segmentdauer von Frikativen medial, im Anlaut und im Auslaut (in Kap.

2.3.2.2, 2.3.3.3 und 2.3.3.4) ergab, dass die Gewährspersonen in allen Positionen

(phraseninitial, -medial und -final) 2 phonetische Kategorien produzieren. Die mittlere Dauer der Geminaten ist bei den Älteren 2 Mal so lang wie die mittlere Dauer der kurzen Frikative, bei den Jüngeren ist sie 1,75 Mal so lang. In geschlossener wie in offener Silbe kommen sowohl kurze, ungespannte Hochzungenvokale als auch lange, gespannte Vokale, Langvokale tieferer Vokalstufen sowie Diphthonge vor (vgl. Tab. 4.6). Auch kurze, gespannte Vokale können vor einfachem Frikativ stehen, es wurde jedoch nur ein Beispiel mit gespanntem Kurzvokal vor Geminate gefunden (Büffee).

/_ .C /_ C.C

Vgesp G[u]si ‚Schweinchen‘ (B[y]ffee ‚Büffee‘)

Vugsp R[ɪ]sel ‚feiner Graupel‘ Pf[ɪ]ffe ‚gepfiffen‘, h[ʏ]pfe, p[ɪ]cke V:gesp Schn[u:]fe ‚schnaufen‘ H[u:]ffe ‚Haufen‘, pf[i:]ffe ‚pfeifen‘

Diphthong Huefe ‚Hufe, Pl.‘ louffe ‚laufen‘, Meitschi ‚Mädchen‘

Tab. 4.6: Wortbeispiele für die Interaktion von Vokalquantität, -qualität und Konsonantquantität vor Frikativen/Affrikaten

Affrikaten setzen sich aus einem Plosiv und einem Frikativ zusammen. Sie können wortinitial, -medial und auch wortfinal auftreten und entsprechen in ihrer Dauer nach Kurzvokal den Frikativgeminaten (vgl. 2.3.2.2). Wie diese nehmen sie 2 X-Positionen ein.

Auch ein Diphthong kann vor einer Affrikate stehen, z.B. in Gschleipf (Verhältnis).10

Die Kurzvokale in offener Silbe sind Reflexe von mhd. kurzen Vokalen, die im Bernd. nicht der Dehnung in offener Silbe unterworfen waren (z.B. Hase, ‚Hase‘, bzw. die ungespannten Hochzungenvokale in Risel etc.), sowie gespannte Kurzvokale aus (nicht obligatorischen) Kürzungen von mhd. Langvokalen (z.B. Ise, ‚Eisen‘). Aus dem Grund existieren (Quasi-) Minimalpaare aus gespannten und ungespannten kurzen Hochzungenvokalen in offener Silbe sowie (Quasi-)Minimalpaare von gespannten kurzen und langen Vokalen (vgl. SDS II 72, 75 und 81). MOULTON 1973 bezeichnet das Nebeneinander von kurzen und langen gespannten Hochzungenvokalen als „irregular analogies“ und nennt die Beispiele Muus : m[u:]se (‚mausen‘) vs. Huus : h[u]se (‚hausen‘). Während im älteren Vokabular meist mit kurzem Vokal abgeleitet wird, werden neuere Entlehnungen bzw. Ableitungen mit Langvokal gebildet (vgl. auch CHAPMAN 1995).

10 Affrikaten, die auf Diphthonge folgen, wurden nicht in der Produktionsstudie abgefragt. Es wird aber davon ausgegangen, dass auch diese Affrikate 2 X-Positionen einnimmt. Die Äquivalenz von Affrikaten und

Langfrikativen lässt sich auch an Assimilationsprozessen zeigen (GOBLIRSCH 2005), vgl. bernd. Schutz > Schuss.

Alternativ entsteht ein langer Frikativ mit vokalischer Ersatzdehnung aufgrund des Verlusts der Verschlussphase, vgl. bernd. schlüpfen > schlüüffe.

Die Langvokale vor den Reflexen von mhd. medialen Plosive, die der 2. Lautverschiebung unterworfen waren, wurden diachronisch nicht gekürzt (vgl. g. *beit-a ~ ahd. bîz(z)an ~ mhd.

bîzen ~ bernd. b[i:]sse). Daher wird hier vorgeschlagen, im Bernd. einen Frikativtyp mit 2 phonologischen Längenkategorien anzusetzen, der 2 Silbentypen konstituiert (offener vs.

geschlossener Typ). Danach können gespannte lange Vokale in offener wie auch in durch Geminate geschlossener Silbe stehen. Langvokale vor Doppelkonsonant führen zu einer Silbe mit superschwerem Silbengewicht, d.h. mit 3 Moren (vgl. Kap. 4.2.2). Anders als HAM 2001 gehe ich also von einem prosodischen 2-fach-Längenkontrast in den Frikativen aus. Ham hingegen rekonstruiert eine mittellange Frikativkategorie, die auf einen gespannten Langvokal in offener Silbe folgt (vgl. auch die Ausführungen in Kap. 1.2.2). Die Gründe, von einem phonologischen 2-fach-Kontrast – und nicht wie HAM von einem 3-fach-Kontrast – in den Frikativen auszugehen, sind die folgenden:

• Der phonetische Befund zeigt, dass in der Produktionsstudie kein signifikanter Dauer-unterschied zwischen langen Frikativen nach ungespanntem Kurz- und gespanntem Langvokal festgestellt werden konnte (vgl. Kap. 2.3.2.2.1).11

• Am Wortanfang tritt (wie bei den Sonoranten und anders als bei den Plosiven) nur ein lexikalischer labialer12, coronaler, palatoalveolarer oder velarer Kurzfrikativ auf (/f, s, ʃ, x/, vgl. Kap. 2.3.3.3), bzw. die Affrikate /pf, ts, kx/. Nur durch Sandhiverbindungen aus Artikel und Frikativ bzw. über Silbengrenzen hinweg entstehen wortinitiale Geminaten.

• Auch aus diachronischer Sicht ist eine Unterteilung der Frikative in 2 Längenkategorien plausibel: Historisch gesehen stammen alle langen Frikative aus der Verschiebung von Plosiven (vgl. hierzu Kap. 1.2.2). Vor allem in obd. Quellen sind Langvokale vor Frikativ-geminaten schriftlich belegt (SONDEREGGER 1987, 157; GOBLIRSCH 2005, 137 f.).13 Die Schließung der Silbe durch Frikativgeminate bietet eine mögliche Erklärung, warum die mhd. Langvokale im Bernd. gerade vor den langen Frikativen nicht gekürzt wurden, vgl.

ahd./mhd. bî(z)zen > bernd. b[i:]sse (beißen) vs. mhd. rîten > bernd. r[i]te (reiten).

11 Auch HAMs (2001) Ergebnisse ließen sich ohne weiteres in diese Kategorien einteilen, denn die Dreiteilung, die er vornimmt, ist asymmetrisch: Die längste Geminatenkategorie ist nur um 23 % länger als die mittellange Einfachkonsonant-Kategorie, diese ist jedoch um 69 % länger als die andere Kategorie von Einfachkonsonanten.

Die mittellange Kategorie liegt also klar näher an der Geminatenkategorie als an der Kurzkategorie. Den 3-fach-Kontrast nimmt HAM sowieso nur für die beiden Frikativtypen /f, s/ an, nicht jedoch für /ʃ, x/.

12 Der labiale Frikativ /f/ kontrastiert im Onset von Silben darüberhinaus mit dem labialen Gleitlaut [w], z.B. in Wätter, der als nichtsilbische Repräsentation von /u/ anzusehen ist (vgl. ebenso die Hiatusposition: bou.we).

13 SIMMLER (1976, 67 f.) weist darüber hinaus auf die rezente alemannische Mundart von Brienz hin, in der die Frikative einer phonologischen Simplex-Geminaten-Opposition folgen, während in den Plosiven eine Opposition von Fortis-Lenis vorherrscht, d.h. [f, s] vs. [f:, s:], aber [b] vs. [p] etc.

Wenn man nicht die unterschiedliche Folgekonsonanz als Kondition für den Kürzungsprozess annehmen möchte, könnte die Kondition „geschlossene Silbe“ der Grund sein, weshalb die Reflexe der mhd. Langvokale vor Frikativen nicht gekürzt wurden, so wie es bei den mhd.

Langvokalen vor Plosiv in offener Silbe der Fall war (vgl. den folgenden Abschnitt 4.2.3.3).

Dass die Bewahrung der gespannten Vokalqualität in Hochzungenvokalen in geschlossenen Silben prinzipiell möglich ist, zeigen die Beispiele von H[y]sli, N[i]dle etc. (vgl. Kap. 4.2.1).

Auch Diphthonge können nach dieser Analyse in geschlossener Silbe vor Geminate stehen, z.B. bernd. louffe (analog zur Struktur Diphthong und Affrikate).

Neben den im Std. alternierenden Silbenstrukturen „(gespannter) Langvokal in offener Silbe“

und „(ungespannter) Kurzvokal in geschlossener Silbe“ findet sich im Bernd. daher vor Frikativ der weitere Typ „(gespannter/ungespannter) Kurzvokal in offener Silbe“ sowie

„(gespannter) Langvokal in geschlossener Silbe“.