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Durchführung der Perzeptionsexperimente

3.1 Das Identifikationsexperiment

3.1.2 Durchführung der Perzeptionsexperimente

3.1.2.1 Versuch Nr. 1

Stimuluspräparation: 3 Minimalpaare mit Langvokalen, die sich nur in der Vokalqualität der Hochzungenvokale unterscheiden, wurden von einem männlichen Berner Muttersprachler in ein Aufnahmegerät gesprochen und auf DAT(Digital Audio Tape)-Kassette aufgenommen.

Am PC wurden die Paare aus gespannten und ungespannten Vokalen herausgeschnitten, durch lineare Interpolation der Frequenzspektren in jeweils 15 Schritten ineinander überführt und in identische Konsonantenumgebungen eingefügt. So entstanden drei Vokalkontinua: von T[ʏ:]r zu t[y:]r (std. Türe; teuer)‚ von Z[ʏ:]g zu Z[y:]g (Züge; Zeug), von Br[ʊ:]ch zu Br[u:]ch (Unsinn; Brauch).

Der Vorteil dieser Methode ist, dass durch die natürlichen Sprachdaten als Ausgangspunkt ein Kontinuum mit sehr natürlich klingenden Laute erzeugt werden kann. Die Originalaufnahmen des Sprechers stellten die Endpunkte des Kontinuums dar. Der Nachteil der Methode besteht darin, dass beide Aufnahmen in unterschiedlichen Anteilen in jedem Stimulus vorhanden sind. Es ist dadurch schwer zu kontrollieren, wie die tatsächlichen Formantverläufe sind.

Formantanalysen (Filterordnung 12, 20 ms in der Mitte des Lautes, gefenstert mit Blackman) ergaben eine Schrittweite von ca. 10 Hz im 1. Formanten zwischen den Stimuli, z. T. etwas enger in den Stimuli 11-13. Die 2 im Stimulus auftretenden Formantmaxima werden in der

LPC-Analyse aufgrund der Polzahl in einem Maximum mit großer Bandweite

zusammengefasst. Die Frage bleibt offen, ob der Hörer/die Hörerin ähnlich verfährt oder ob er/sie die 2 Gipfel spektral auflösen kann.

Formantanalyse: Endpunkte der Kontinua (1./2. Formant)2:

„Bruuch02“: Stimulus 1: 361 Hz/683 Hz > Stimulus 15: 330 Hz/886 Hz

„Tüür02“: Stimulus 1: 365 Hz/1373 Hz > Stimulus 15: 241 Hz/1480 Hz

„Züüg02“: Stimulus 1: 351 Hz/1421 Hz > Stimulus 15: 280 Hz/1448 Hz

Die erzeugten 15 Stimuli der drei Minimalpaare wurden jeweils in 3 Kopien kohortenweise pseudo-randomisiert mit der entsprechenden Präparation auf ein DAT-Band gespeichert, so dass pro Minimalpaar 45 Stimuli präsentiert werden konnten. Kurz nach einem Signalton ertönt das Wort, dabei wird in einem Zeitfenster von 2 Sekunden gemessen, wie lange die Versuchsperson für die Antwort benötigt. In der Mitte und am Ende jedes Minimalpaar-Blocks wird eine kurze Pause von 4 Sekunden gewährt. Dieses Band wurde den Testpersonen über Kopfhörer vorgespielt. Vor sich hatte die Versuchsperson eine Box mit 2 Tasten, die mit einem PC verbunden war. Nach jedem Stimulus sollte je nach Höreindruck die linke oder rechte Taste gedrückt werden. Über der Box lag ein Blatt Papier mit der Beschriftung, welche Taste welcher Wortbedeutung zugeordnet war. Die Aufgabenstellung an die Versuchsperson lautete: „Sie hören gleich verschiedene berndeutsche Vokabeln. Wenn Sie die Bedeutung

„Tür“ (etc.) hören, drücken Sie den rechten Knopf, wenn Sie die Bedeutung „teuer“ (etc.) hören, drücken Sie den linken Knopf. Bitte entscheiden Sie schnell, ohne lange über ihre Entscheidung nachzudenken.“ Der Bedeutungsunterschied, nicht der rein lautliche Unterschied, sollte den Ausschlag für die Wahl geben.

Die Box leitete die Information über die gedrückte Taste sowie die Reaktionszeit für jeden Stimulus an den PC weiter, wo sie für jede Versuchsperson gespeichert wurde. An diesem Reaktionszeitexperiment im November 2002 nahmen 24 Testpersonen aus der jüngeren und aus der älteren Generation teil. Von diesen waren aber nur 16 monolinguale Sprecher des Berndeutschen, die in die Ausgewertung eingingen (8 Jüngere, 8 Ältere). Vor Beginn des Experiments wurde nach Hörbeeinträchtigungen und Rechts-/Linkshändigkeit gefragt. Die Teilnehmer füllten einen Fragebogen aus, in dem abgefragt wurde, ob sie (Stadt-)Berndeutsch als Muttersprache haben, bilingual sind und ob sie in der Stadt Bern aufgewachsen sind.

2 Ein Vergleich mit den Mittelwerten des 1. und 2. Formanten von gespannten und ungespannten Vokale der älteren Männer, die am Produktionsexperiment 2002 teilgenommen haben, zeigt, dass diese Werte (zumindest für den F1) repräsentativ für das Berndeutsche sind: [y]: 291 Hz/1719 Hz, [ʏ]: 365 Hz/1428 Hz, [u]: 298 Hz/706 Hz, [ʊ]: 351 Hz/667 Hz.

3.1.2.2 Versuch Nr. 2

Stimuluspräparation: In diesem Fall wurde das Kontinuum durch akustische Synthese auf der Basis vorgegebener Formanten hergestellt. Drei männliche Sprecher aus der älteren

Generation sprachen 4 Minimalpaare in ein Aufnahmegerät. Aus diesen natürlichen Sprachdaten wurden durch LPC-Analyse die Formanten für die Endpunkte der Kontinua bestimmt. Mit einem Klatt-Synthesizer (vgl. KLATT 1980, allgemein zur Lautsynthese: REETZ

2003, 209 f.) wurden Vokalkontinua in 15 Schritten hergestellt. Folgende Parameter wurden manipuliert: Die ersten zwei Formanten wurden systematisch verändert, die höheren

Formanten blieben konstant. Der Tonhöhenverlauf über die Vokale war leicht steigend und am Ende leicht fallend. Die Dauer der Vokale war 220 ms. Diese synthetisierten Vokale wurden in die natürliche Umgebung von vier verschiedenen Wörtern hineingeschnitten: Tüür, Züüg, Bruuch (wie im ersten Versuchsteil) sowie Riis (R[i:]s, std. Reis vs. R[ɪ:]s, std. Riese).

Der Vorteil dieser Methode ist die absolute Kontrolle über Formantlagen. Der Nachteil ist, dass sie im Vergleich mit natürlichen Vokalen etwas blechern klingen. Die Vokale waren außerdem für berndeutsche Langvokale nicht allzu lang, d.h. die Stimuli wirkten auf die Hörer/-innen recht „schnell gesprochen“.

Der experimentelle Ablauf war derselbe wie beim ersten Experiment (s. o.). An dieser Studie nahmen im Jahr 2003 15 jüngere und 15 ältere Testpersonen teil. Vor Beginn des

Experiments wurde nach Hörbeeinträchtigungen und Rechts-/Linkshändigkeit gefragt. Die Testpersonen füllten einen Fragebogen aus, in dem abgefragt wurde, ob sie (Stadt-)

Berndeutsch als Muttersprache sprechen, bilingual sind, ob sie in Bern aufgewachsen sind und was die Sprache/Mundart ihrer Eltern ist.

Formantanalyse: Endpunkte der Kontinua (1./2. Formant)3:

„Bruuch03“: Stimulus 1: 420 Hz/641 Hz > Stimulus 15: 348 Hz/765 Hz

„Riis03“: Stimulus 1: 370 Hz/2051 Hz > Stimulus 15: 258 Hz/2028 Hz

„Tüür03“: Stimulus 1: 409 Hz/1307 Hz > Stimulus 15: 240 Hz/1761 Hz

„Züüg03“: Stimulus 1: 404 Hz/1318 Hz > Stimulus 15: 231 Hz/1757 Hz

3 Vergleich mit den Mittelwerten des 1. und 2. Formanten der älteren Männer (Produktionsexperiment 2002): [i]:

280 Hz/2081Hz, [ɪ]: 343 Hz/2032 Hz. Ein weiteres Kontinuum, Stiil (std. Stiel – Stil), wurde nicht ausgewertet wegen der schlechten Qualität der Wortumgebung (l-Vokalisierung am Schluss des Wortes, vgl. Kap. 2.4.2.1).