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1.2 Die Konsonanten des Stadtberndeutschen

1.2.3 Geminaten allüberall?

Für das Thurgaudeutsche analysiert KRAEHENMANN einen 2-fachen Längenkontrast in allen Konsonanten (außer in Affrikaten sowie [h], [ŋ] und [R]). Während bei Sonoranten und Frikativen Einfach- und Doppelkonsonanten in medialer und finaler Stellung kontrastieren, existiert dieser Kontrast bei Plosiven nach ihrer Interpretation auch initial (KRAEHENMANN

2003a, 41f.).30 Dies stellt eine typologische Besonderheit dar (LADEFOGED/MADDIESON 1996, 93f.; initiale Geminaten existieren z.B. in der Sprache Pattani Malay).

KRAEHENMANN führt dieses synchrone System auf diachrone Geminierungsprozesse zurück, die zur Folge hatten, dass Kurz- und Langplosiv-Kontraste in immer mehr Positionen

auftraten (s. Tab. 1.3). Hinzu tritt das Wirken der 2. (hochdeutschen) Lautverschiebung, in der Plosive zu Affrikaten verschoben wurden. Aus diesem Grund existieren im alten

Ober-deutschen Kontraste von kurzen und langen Plosiven in medialer und finaler Wortstellung, während die Stimmhaftigkeitsopposition entfiel (vgl. die entsprechende Darstellung bei HAM

2001, s.o.). In initialer Stellung kontrastieren in diesem Stadium die (früheren stimmhaften) Einfachplosive mit Affrikaten (den verschobenen früheren stimmlosen Plosiven). Ebenso existieren medial und final Kontraste von Einfachkonsonanten und Geminaten bei Frikativen und Sonoranten. Initial tritt auch hier jeweils nur die kurze Version auf (s. Tab. 1.3, links).

Altes Oberdeutsch: Thurgaudeutsch:

initial: medial: final: initial: medial: final:

p t k p t k p t k > p t k p t k p t k

- - - p: t: k: p: t: k: > p: t: k: p: t: k: p: t: k:

pf ts kx pf ts kx pf ts kx > pf ts kx pf ts kx pf ts kx

f s x f s x f s x > f s x f s x f s x

- - - f: s: x: f: s: x: > - - - f: s: x: f: s: x:

Tab. 1.3: Alte oberdeutsche (links) und moderne thurgauische (rechts) Plosive, Affrikaten und Frikative in 3 Positionen (nach KRAEHENMANN 2003a, 42 und 63 ff.) – kursiv: neu hinzugekommener Kontrast

Ein neuer Kontrast von Einfachkonsonanten und Geminaten in initialer Stellung wurde durch die Entlehnung von stimmlosen Plosiven aus dem Französischen und Deutschen eingeführt, die in Form von Geminaten in das System aufgenommen wurden (s. Tab. 1.3 rechts). Der standarddeutsche Stimmhaftigkeitsunterschied zwischen initialen Plosiven (std. Ballast vs.

Palast) wird nach dieser Analyse im Schweizerdeutschen über einen Längenkontrast

(schweizerd. /p/alast vs. /p:/alast) ausgedrückt. Dieser initiale Kontrast soll in allen modernen

30 Vgl. hierzu bereits MOULTON 1986, der für das Zürichdeutsche eine Unterteilung der Konsonanten in ‚Lenis’,

‚Fortis’ und ‚Halbfortis’ (eine neutralisierte Form mit mittlerer Länge in konsonantischer Umgebung bzw. in Pausa) vornimmt. Die zugrundeliegende Form von Tag ist /t:a:g/, die initiale Geminate ist aber nur inter-vokalisch sichtbar: [tswe: t:a:k] (zwei Tage) vs. [ta:k] oder [säxs ta:k] (Tag(e); sechs Tage) (1986, 387).

schweizerdeutschen Dialekten existieren (KRAEHENMANN 2003a, 65ff.) und seine Entstehung in den coronalen Konsonanten (*Þ > /t/, *d > /t:/) lässt sich in Notkers obd. Manuskripten belegen (vgl. LAHIRI/KRAEHENMANN 2004). Messphonetische Daten in KRAEHENMANN 2003a zeigen, dass Produktion und Perzeption dieses Kontrasts bei den untersuchten 4 thurgauischen Sprechern recht variabel sind.31 Diese Variation schreibt KRAEHENMANN zumindest teilweise der Ambiguität der Oberflächenformen zu, während der Längenkontrast als zugrunde liegend betrachtet wird (2003a, 139). Diese Ambiguität rührt zum Teil daher, dass neben den initialen lexikalischen Geminaten im Schweizerdeutschen initiale Sandhi-Geminaten existieren (vgl.

u.a. KRAEHENMANN 2003a, HAM 2001, MOULTON 1986, WINTELER 1876).32

MOULTON führt das Auftreten von initialen Sandhi-Geminaten auf das Prinzip zurück, nicht das phonologische Wort, sondern die phonologische Phrase als die bestimmende prosodische Domäne anzunehmen. Dadurch entstünden durch verschiedenste Prozesse wortübergreifende Sandhi-Verbindungen (MOULTON 1986, 385), z.B. durch Neutralisierung von Geminaten in konsonantischer Umgebung33, Assimilierung (von Artikeln und Präfixen, z.B. gebibbert >

bbibert), Fortisierung (z.B. di Tube, ‚die Taube‘ > /t:/ube), n-Epenthese, r-Epenthese (z.B.

wie-n-er, ‚wie er‘). In ähnlicher Weise argumentiert MARTI 1985, der diesen Prozess als

„Bindung“ bezeichnet und ihn in den Zusammenhang mit einem weiteren Merkmal des Schweizerdeutschen, dem fehlenden Glottisverschlusslaut, stellt:

„Es ist für die schweizerdeutschen Mundarten charakteristisch, dass ihnen der harte Vokalansatz, der sog.

Glottisschlag, fehlt. [...] Das führt dazu, dass vielfach die Schlusskonsonanten silbisch zum nachfolgenden Wort kommen, sofern dieses mit einem Vokal beginnt (geit är = gei‘tär). [...] Es wandeln sich so geschlossene zu offenen Silben, d.h. Silben, die auf einen Vokal ausgehen.“ (MARTI 1985, 64-65).

HAM nimmt wie KRAEHENMANN für die Plosive in initialer Stellung einen 2-fach-Kontrast an, sieht dies aber als einen Kontrast innerhalb der Einfachkonsonanten an. So unterscheidet er z.B. die Kurzkategorie // von der mittellangen stimmlosen Kategorie /p/ (HAM 2001, 75).

HAM untersucht diesen Unterschied messphonetisch für die Produktion von Präsens- und (Sandhi-)Perfekt-Verbformen. In der Präsensform existiert der initiale Kontrast z.B. in den

31 Verschlusszeit der Langkategorie im Mittel 103 ms, der Kurzkategorie 42 ms (KRAEHENMANN 2003a, 133).

Die Untersuchung von Perzeption und Produktion initialer Frikative ergab keinen entsprechenden Kontrast.

32 WINTELER (1876, 28) bezeichnet sie als „Potenzirte Fortes“ [sic!] und weist darauf hin, „dass die unmittelbare Wiederholung einer bestimmten Artikulation vermieden wird.“ Diese eine Artikulationsbewegung „erhält aber, wenigstens ideell, die Geltung sämtlicher durch sie repräsentirter Artikulationen.“ – und weiter: „Bei den vielfachen, durch weitere Sandhiregeln bedingten Assimilationen enstehen so bisweilen Fortes, welchen man, wenn man der bis jetzt besprochenen Fortis der Lenis gegenüber doppelte Geltung beilegt, eine weit höhere ideelle Geltung zuschreiben muss.“ So hat Er hat gebracht demnach die Geltung dreier Artikulationen: er he[tgb]racht, [tgb] wird assimiliert in einer einzigen Artikulation der „potenzirten Fortis“ [p::].

33 Fortes werden in konsonantischer Umgebung zu „Halbfortes“, „neutralisierten“ Plosiven und Frikativen, die zwischen den Einfach- und Doppelkonsonanten angesiedelt sind (MOULTON 1986, 386; „Heuslers Gesetz“).

Daher lässt sich in schweizerdeutschen Dialekten ein phonetischer 3-fach-Kontrast beobachten, der auf einen phonologischen 2-fach-Kontrast zurückgeht. Fortes existieren danach in allen Positionen, auch wortinitial.

Wörtern bade und putze (baden; putzen). In Perfektformen tritt im ersten Fall der Präfix ge- hinzu, der mit dem Initialkonsonanten assimiliert wird (z.B. std. gebadet > schwd. bbadet), während im zweiten Fall der Präfix fortgelassen wird (z.B. std. geputzt > schwd. putzt). Diese und weitere Wörter untersuchte er in intervokalischer Umgebung.34 Die Verschlusszeiten der kurzen initialen Plosive in Präsens- und Perfektformen unterscheiden sich in der Produktion von HAMs drei Gewährspersonen signifikant voneinander (Präsensform: ca. 100 ms vs.

Perfektform: ca. 145 ms, HAM 2001, 83f.). Die Verschlusszeiten der Kurzplosive in der Perfektform entsprechen denen der Präsens- und der Perfektform von mittellangen Plosiven.35 Plosive in initialer Position fallen nach den Untersuchungen von KRAEHENMANN und HAM in zwei Längenkategorien. Die phonologischen Interpretationen dieses Kontrasts unterscheiden sich jedoch: HAM geht von einer Opposition innerhalb der Einfachkonsonanten aus,

KRAEHENMANN interpretiert den Kontrast als eine Opposition zwischen Einfachkonsonanten und Geminaten. Wie KRAEHENMANN für die Frikative experimentell nachwies, existiert hier kein Kontrast in lexikalischen Wörtern in initialer Stellung (KRAEHENMANN 2003a, 151).

Entsprechendes wird für Affrikaten und Sonoranten angenommen, dies wurde aber noch nicht untersucht.

Aus diesen Analysen lässt sich für das berndeutsche Konsonantsystem zusammenfassen:

• Die Differenzierung des schweizerdeutschen Konsonantsystems, traditionell als Lenis-Fortis-Kontrast bezeichnet, geschieht über das phonetische Merkmal der Dauer, nicht über das Merkmal der Stimmhaftigkeit wie im Standarddeutschen. Ein Plosiv mit einer kurzen Verschlusszeit entspricht einem standarddeutschen stimmhaften Konsonanten, ein Plosiv mit einer langen Verschlusszeit einem stimmlosen Konsonanten.

• Es gibt zwei einander ausschließende Repräsentationen der Geminatenkategorie in der phonologischen Literatur, die Repräsentation über Länge oder die über Gewicht. Beide Analysen wurden auf schweizerdeutsche Dialekte angewendet. Mehrere Argumente, u. a.

der Sachverhalt, dass Länge und Gewicht nicht immer Hand in Hand gehen, sprechen dafür, dass die Repräsentation von Geminaten über Länge sinnvoller ist.

• Neben der phonologischen 2-fach-Opposition von Einfachkonsonanten und Geminaten in den medialen Plosiven und Frikativen, die von vielen Forschern unterstützt wird und historisch die Bezeichnung ‚Lenis’-‚Fortis’-Kontrast trägt, wurde für das Berndeutsche

34 Perfektformen in konsonantischer Umgebung wie Si het bbadet (...hat gebadet), Er het putzt (...hat geputzt) wurden nicht untersucht.

35 Die Verschlusszeiten der initialen kurzen und mittellangen Plosive haben bei HAM dieselbe Größenordnung wie ihre Entsprechungen in wortmedialer Position, d.h. Kurzplosive: 80-100 ms, mittellange Plosive: 160-190 ms, Geminaten: 220-290 ms (HAM 2001, 60).

eine alternative Analyse von HAM 2001 vorgestellt. Nach seiner Analyse existiert eine 3-fach-Opposition in den Plosiven und labiodentalen und alveolaren Frikativen, bestehend aus dem Längenkontrast zwischen Kurzkonsonanten und Geminaten sowie aus einem weiteren segmentalen Kontrast, der auf der Unterteilung der Einfachkonsonant-Kategorie in 2 Unterkategorien beruht. Gestützt auf diachrone Analysen wird eine stimmlose Einfachkonsonantkategorie mit zugrunde liegendem Stimmhaftigkeitsmerkmal von einer zweiten stimmlosen, mittellangen Einfachkonsonant-Kategorie unterschieden. Diese Annahmen müssen noch genauer überprüft werden, weil Argumente aus der Diachronie dafür sprechen, dass für die Plosive eine solche 3-fach-Opposition angenommen werden kann, für die Frikative jedoch die Unterteilung in eine 2-fach-Längenopposition adäquater erscheint. Dazu sind sowohl Messungen als auch eine Neufassung der Analyse in einer Repräsentation über Länge bzw. eine Silbenstrukturanalyse nötig. Diese werden in Kap. 2 sowie in Kap. 4.2.3 vorgenommen.

• In initialer Stellung wird in neueren Arbeiten mit messphonetischer Unterstützung für eine 2-fach-Opposition bei intervokalischen Plosiven argumentiert. Ein solcher phonetischer Längenunterschied wurde für das Ost- und Westschweizerdeutsche bestimmt. Die phonologische Erklärung unterscheidet sich jedoch: KRAEHENMANN 2003a sieht hier den wortmedialen Einfachkonsonant-Geminaten-Kontrast auf die initiale Stellung ausgedehnt.

HAM 2001 argumentiert dafür, dass es sich um einen Kontrast zwischen den 2

Einfachkonsonant-Kategorien handelt. Dieser initiale 2-fach-Kontrast wird auch über Sandhiprozesse aufrechterhalten, z.B. über Assimilation in Perfektverbformen.

Anhand von neu erhobenem Sprachmaterial soll in dieser Arbeit für die stadtberndeutsche Mundart geklärt werden, wie viele phonetische und phonologische Kategorien von

Konsonanten in verschiedenen Positionen im Wort und Satz von Sprecher/-innen in der Produktion vorkommen. In der Analyse wird der Art des konsonantischen Anschlusses an Vokale unterschiedlicher Qualität und Quantität besondere Aufmerksamkeit geschenkt.