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2.4 Soziolinguistische Leitmerkmale

2.4.1 Der Fragebogen

Um eine Eigenzuschreibung von sprachlicher Identität und Einstellungen zur Stadtberner Mundart zu erheben, wurde den Gewährspersonen dieser Studie zunächst ein Fragebogen vorgelegt. Die 8 Jugendlichen und 7 älteren Sprecher/-innen aus der Stadt Bern beantworteten 16 geschlossene Fragen zur eigenen sprachlichen Loyalität, zum sprachlichen Handeln im Alltag und Meinungen zu Mundartunterschieden. Die Ergebnisse zu 8 der Fragen werden im Folgenden präsentiert (vgl. den Fragebogen im Anhang). Dabei kommt es nicht auf eine objektive Richtigkeit der Antwort an, ob die Gewährsperson z.B. einen Neuzugezogenen tatsächlich an der Sprache erkennen kann, sondern auf die Eigenzuschreibung von Mundart-loyalität und -kompetenz. So sollten auch die Aussagen von drei jüngeren Gewährspersonen verstanden werden, die unter dem Punkt „Anmerkungen“ folgende Kommentare hinterließen:

„Berndeutsch gefällt mir gut“ (DS), „Berndeutsch – der beste Dialekt der ganzen Schweiz“

(CF), „Ich bin stolz, Berner zu sein, mein Dialekt gefällt mir gut“ (KM).

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Die Einteilung der Gewährspersonen in Untergruppen, die bereits in Kap. 2.2.2.2 eingesetzt wurde, kommt aufgrund der Daten zu Wohnort, formaler Ausbildung, Orientierung an der Stadt Bern (vgl. Tab. 2.19, 2.20: Fragen 1, 2, 3, 4) sowie von Selbsteinschätzungen (Dialektbewusstheit: Frage 5, 6; eigene Anpassung: Frage 7; Vorteil von Dialektlosigkeit:

Frage 8) zu Stande. Dabei stützten sich die Angaben gegenseitig: Jüngere, die in der

Agglomeration Bern wohnen, haben nicht so viele Freunde in der Stadt Bern bzw. sehen ihren Lebensmittelpunkt nicht unbedingt dort. Dies betrifft die jüngeren Frauen DS (Wohnort: Belp, Frage 3, 4), MF (Köniz, Frage 4), RC (Ittingen: Frage 2, 4). Durch ihren Schulbesuch in der Stadt Bern haben jedoch alle jüngeren Gewährspersonen eine gewisse Bindung an die Stadt.

Die anderen 5 jüngeren Gewährspersonen wohnen in der Stadt Bern (zur Ortsloyalität vgl.

auch LEUENBERGER 2000). Abgesehen von dem klaren Votum, dass die meisten keine Vorteile darin sehen, ohne Mundart zu sein (Frage 8), unterscheiden sich die

Selbsteinschätzungen zur Wahrnehmung von Dialektunterschieden (Fragen 5, 6). Auch die Frage nach der eigenen Anpassung an eine Gruppe mit anderer Mundart wird nur von zwei der 6 Personen klar abgelehnt, 4 Personen stimmen teilweise zu (Frage 7). Die Jüngeren werden daher als eine Gruppe behandelt, mit dem Hintergrundwissen, dass 3 jüngere Frauen aus der Agglomeration Bern stammen.

Stimmt ganz Stimmt teilweise Stimmt nicht Weiß nicht 1 Berndeutsch zu sprechen ist

für mich völlig normal AW CF DS KM LW MF RC XM 2 Habe Lebensmittelpunkt in

der Stadt Bern AW CF DS KM

LW MF XM RC

3 Habe viele Freundschaften

in der Stadt Bern CF MF RC XM AW KM LW DS

4 Kenne wenige Personen aus der Stadt Bern

DS AW MF RC CF KM XM LW

5 Wie andere sprechen, fällt

mir nicht auf LW MF XM AW CF DS KM RC

Tab. 2.19: Auswertung des Fragebogens: Jüngere (kursive Kürzel: jüngere Männer)

Dieses sprachliche Selbstbewusstsein ist in der Selbsteinschätzung der Älteren stärker

ausgeprägt (vgl. Tab. 2.20, Fragen 5, 6). In der Frage der Anpassung schätzen sich 5 Personen so ein, dass sie sich nie an andere Mundarten anpassen. FS vermerkt dies noch extra unter dem Punkt Anmerkungen: „ich passe mich nie an einen anderen Dialekt an“. Zwei der älteren Männer sprechen nach ihrer Selbstaussage Patrizierberndeutsch, haben ein hohes

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Sprachbewusstsein und normative Vorstellungen davon, was ein gepflegtes Stadtberndeutsch ist (Kürzel HW und HF; HF ohne Fragebogen, Aussagen im Gespräch). Die anderen älteren Frauen und Männer schätzen sich als Sprecher eines (Alltags-)Stadtberndeutsch ein. So sagt etwa HB von sich, dass er kein „klassisches“ Stadtberndeutsch spreche, weil er das [l]

vokalisiere. Sprachbewusstsein ist, wie aus Tab. 2.20 ersichtlich, auch bei diesen Älteren vorhanden, dieses geht jedoch nicht mit einer sprachpflegerischen Einstellung einher. Durch ihren Beruf etc. sind HM, HB und FM nicht ausschließlich auf die Stadt Bern fokussiert, auch wenn sie zu Frage 3 und 4 angeben, dass sie Kontakte bzw. Freundschaften in der Stadt Bern haben. Aufgrund dieser Ausführungen wird die Gruppe der älteren Gewährspersonen in eine Untergruppe von sprachlich konservativeren älteren Männern und eine Untergruppe

sprachlich nicht so konservativer Männer und Frauen eingeteilt – auch wenn die Bewertungen in der Tab. 2.20 diesen Unterschied zwischen den Sprecher/-innen nicht repräsentieren.

Stimmt ganz Stimmt teilweise Stimmt nicht Weiß nicht 1 Berndeutsch zu sprechen ist

für mich völlig normal

FB FM FS HB HW HM

2 Habe Lebensmittelpunkt in

der Stadt Bern FB FS HW HM FM HB

3 Habe viele Freundschaften

in der Stadt Bern FB FM FS HW HM HB 4 Kenne wenige Personen aus

der Stadt Bern FB FM FS HB HW

HM 5 Wie andere sprechen, fällt

mir nicht auf Tab. 2.20: Auswertung des Fragebogens: Ältere (kursive Kürzel: ältere Männer; ohne HF)

Im Fragebogen wurde bewusst nicht nach einer bestimmten Varietät des Stadtberndeutschen gefragt, um die sprachliche Produktion der Gewährspersonen nicht zu beeinflussen.

Soziolinguistisch relevante Merkmale des Stadt- und Landberndeutschen wurden von BAUMGARTNER (1940) und SIEBENHAAR/STÄHELI (2000) gesammelt (vgl. Kap. 1.4).

Bekannte soziolinguistische Merkmale der so genannten „sprachlichen Unter- bzw.

Mittelschicht“ sind die l-Vokalisierung und nd-Velarisierung. Standardnähere Formen und der Gebrauch französischer Begriffe gelten als Merkmale der „sprachlichen Oberschicht“. Trotz der Ablehnung des Standarddeutschen in der alltäglichen Konversation finden

standarddeutsche und englische Formen Aufnahme in die Mundart (oft lautlich angepasst, wie

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z.B. [kx]omputer), während die einstmals beherrschende Rolle des Französischen schwächer wird. Außerdem finden „gemeinschweizerdeutsche“ Formen ihren Weg in die Mundarten.

Verschiedene soziolinguistische Marker wurden auf ihre Durchsetzung in den Gruppen der Älteren (unterteilt in zwei Gruppen: mit sprachpflegerischer vs. ohne sprachpflegerische Einstellung) und der Jüngeren untersucht. l-Vokalisierung und z.T. nd-Velarisierung werden als Schibboleth zwischen Stadt- und Landberndeutsch verstanden. Kurzformen von Verben dienen als Beispiel für eine gesamtschweizerdeutsche Form. Der Gebrauch von std.,

ostschweizerd. sowie frz. Formen wurde ebenfalls untersucht. Hinzu kommt die

Unter-suchung silbenbezogener Längungs- und Kürzungsprozesse, die als weitere soziolinguistische Merkmale in Betracht gezogen werden sollten. Bei der Diskussion muss immer beachtet werden, dass das Vorlesen einer Wortliste ein recht formaler Sprachanlass ist: Frequenzunter-schiede der Merkmale müssen nicht die Alltagssprache der Gewährspersonen widerspiegeln.