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Der Vergleich der Gräberfelder der um Ripacandida liegen-den Regionen, die traditionell als ‚daunisches‘ und ‚nordlu-kanisches‘ Gebiet angesprochen werden, legt vor allem einen Schluss nahe: Die grundlegenden sozialen Organisations-prinzipien und die Identitäten der unterschiedlichen sozialen Gruppen im späteisenzeitlich-archaischen Binnenland Süd-italiens waren sehr ähnlich. Unterschiede in der Keramikware beziehen sich dabei allein auf die Art der Dekoration, während der funktionell bedingte Formschatz und die Zusammenset-zung des Geschirrsets bei allen Fundstätten nahezu identisch ist, ebenso wie ihre Adaptivität in Bezug auf neue Formen bzw.

Warenarten, insbesondere Trinkgeschirr griechischen Stils, und ihr Traditionalismus hinsichtlich des Festhaltens an indi-gener Ware.

Alle betrachteten Gemeinschaften bestatteten ihre Toten in analoger Weise. Dazu gehört auch die Tatsache, dass als früheste, meist gegen Ende des 7. und am Übergang zum 6.

Jh. angelegte Bestattungen an fast allen Stätten, besonders im Ofanto-Gebiet, Frauengräber festzustellen sind (Nordapulien/

Ofanto-Tal: Melfi-Pisciolo, Melfi-Leonessa, Lavello, Ascoli Sa-triano). Im Binnenland ist dieser Befund nicht so eindeutig, aber in Torre di Satriano stehen zwei frühe Frauengräber mit der residenza ad abside in Zusammenhang und in Baragiano ist ein frühes Grabpaar bezeugt. Diese Frauen sind meist reich mit wertvollem Schmuck und exotischen Substanzen ausgestattet (Bernstein), die teilweise in figürlicher, sogar anthropo- oder zoomorpher Form verziert sind (Leonessa, Melfi-Chiuchiari) oder Gerätschaften wie Webgewichte symbolisieren könnten (Leonessa). Im 6. Jh. scheint der Beigabenreichtum der Frauen etwas zurückzugehen (Lavello), während nun die Gräber von Männern hinzukommen und schnell auch in der Ausstattung Prominenz erlangen. Ab dem 6. Jh. scheint sich ein überregi-onales ‚elitäres Beigaben-Geschirr‘ zu entwickeln, das beson-ders gut in den kleinen, sehr reichen Familienclustern des Bin-nenlandes zu beobachten ist. Zu ihm gehören Bronzegefäße und attische Keramik, v. a. Kleinmeisterschalen sind beliebt (Melfi-Chiuchiari, Melfi-Pisciolo, Baragiano, Torre di Satria-no). Die Vorliebe für figürlich verzierte Ware kann durch ihre handwerkliche Meisterschaft und motivische Themenwahl (heroischer Kampf und dionysische Schwelgerei) bedingt sein,

693 Torelli, in: Bottini – Setari 2003, 116; Torellis Umschrift des Textes lautet: mi petut[ies] . alic[u .] lavies . ricenas.

und Geschlechtsgrenzen hinweg, mit der Teilnahme an und Ausrichtung von prestigeträchtigen Mahlzeiten assoziiert, was die Bedeutung von Banketten in der Lebenswelt dieser Elite verdeutlicht698.

Vaglio präsentiert sich generell als ein Zentrum mit di-versen, räumlich verteilten Stätten, zu denen das Gräberfeld genau wie die bekannte Siedlung von Serra di Vaglio und die

‚Heiligtümer‘ von Braida sowie (später) Rossano di Vaglio ge-hören699. So ist diese Stätte als Knotenpunkt elitärer Macht, ihrer Ausübung und Artikulation zu interpretieren – sowohl für die einheimische Bevölkerung als auch für den Kontakt mit fremden Eliten. Es ist wahrscheinlich, dass die in einem solchen Zentrum ansässigen lokalen ‚aggrandizer‘ institutiona-lisierte Strukturen entwickeln700. Dazu könnte auch gehören, dass, im Rahmen der Repräsentation und des ständigen, lan-ganhaltenden Kontaktes zu den anderen peers, die Betonung der Genealogie einer oder weniger Familien eine besondere Bedeutung erlangte. Dies hätte Auswirkungen, die sowohl die Ausbildung als auch die Verfestigung bestimmter Ämter bzw.

Kontaktpersonen (auch im Sinne von Alter, Geschlecht etc.) betreffen könnten und im Zusammenhang damit die stärkere Betonung verwandtschaftlicher, genealogischer Beziehungen des Statuserhaltes bzw. der Statusübertragung – mit anderen Worten die Entstehung von Dynastien. In einem Zentrum ist es also wahrscheinlich, dass die Erblichkeit von Status akzentu-ierter war als in einem Dorf und die Hierarchiebildung fortge-schrittener. Bei den kleineren, in der sozialen Hierarchie nicht so hochstehenden Dorfgemeinschaften konnten die örtlichen Autoritäten noch auf egalitärem Prinzip aufgebaut werden und damit für eine längere Zeit an traditionellen Strukturen der Gemeinschaftsgliederung festhalten. Vielleicht waren sie da-mit auch in der Verleihung von familienübergreifendem Status von den übergeordneten Eliten abhängig. Als archäologischer Hinweis auf eine solche Entwicklung mag gewertet werden, dass fermatrecce beispielsweise in Ripacandida ein Zeichen von erwachsenen, herausgehobenen Frauen sind, sie in Brai-da aber schon Kinderbestattungen zukommen – Brai-dass also hier erblicher Status über dem im Lebenslauf erlangten steht. Inte-ressant ist auch, dass keines der Frauengräber von Braida mit Geräten zur Textilherstellung ausgestattet ist. Dies könnte auf vollkommen unterschiedliche Arten von weiblicher Beschäfti-gung an den unterschiedlichen Stätten hindeuten bzw. darauf, dass Status nicht mehr durch bestimmte alltägliche Aufgaben erlangt wurde – mit anderen Worten: eine Loskoppelung von egalitären Autoritätserlangungsstrategien und deren

Umge-698 Bottini – Setari 1995, 25.

699 Auf die reiche Bestattung wahrscheinlich eines Mädchens, die im späten 5. Jh. an zentraler Position auf dem Siedlungsplateau von Serra di Vaglio angelegt und später von einem (Kult-?)Haus über-baut wurde, kann hier nicht näher eingegangen werden. Sie trägt aber potenziell ähnliche Konnotationen der Bildung einer erbli-chen, möglicherweise mit den Grabinhabern von Braida konkurrie-renden Elite, u. U. sogar verbunden mit einer Beanspruchung des Areals; Greco 2014.

700 Zu aggrandizern und deren Rolle in der Bildung transegalitärer bzw.

beginnender hierarchischer Strukturen s. Hayden 2011.

chronologisch bedingt sein könnte, denn Schwerter werden ab dem 5. Jh. generell seltener), wird in einzelnen besonders rei-chen Gräbern aufgehoben – neben der erwähnten späten Be-stattung von ‚Erbstücken‘ in Ascoli finden sich auch in Ruvo del Monte in zwei Gräbern des 6./5. Jh. Helm und Schwert zusammen.

Als weiteres, auffälliges Element kommen in den Bestattun-gen der Zeitregion Objekte vor, die mit Mobilität und Pferde-besitz in Verbindung stehen. In Grab F von Melfi-Chiuchiari, Grab 43 von Melfi-Pisciolo und Grab 30 von Ruvo del Monte finden sich jeweils Reste von Wagenrädern, in Grab 43 von Chiuchiari wurde außerdem ein Pferdekopfrhyton deponiert.

Alle genannten Gräber besitzen einen stark ‚weiblichen‘ Cha-rakter. Solche Räder kommen allerdings auch in dem männlich konnotierten Grab 105 von Braida di Vaglio vor, wobei der hier Bestattete mit ungefähr 50 Jahren schon als Greis bezeich-net werden kann. Im Allgemeinen sind die elitären Männer durch die Beigaben eher als Reiter gekennzeichnet: So fanden sich jeweils um die Mitte bzw. in der zweiten Hälfte des 6. Jh.

beim jüngeren Mann in Grab 103 von Braida di Vaglio Teile eines Pferdegeschirrs, genauso wie in Grab 35 von Baragiano.

Pferdebesitz scheint demnach ab dem 6. Jh. ein wichtiges elitä-res Merkmal der Zeitregion gewesen zu sein – wobei der Mann als Reiter oder gar Reiterkrieger an Orten wie Braida di Vaglio und Torre di Satriano (s. u. Kap. VI.1.1) auch ikonographisch formuliert wurde697.

Es gibt zwischen den Nekropolen aber auch augenfällige Abweichungen, wobei der Unterschied im Bestattungsritus we-niger ein qualitativer, sondern mehr ein quantitativer ist. Dies lässt Vermutungen zu, die sich auf abweichende gesellschaft-liche Ansprüche innerhalb des Netzes der indigenen Normen beziehen. Hier sind natürlich die reich ausgestatteten Gräber-felder gemeint – und zwar besonders ganze GräberGräber-felder bzw.

Nuklei und nicht nur einzelne Bestattungen mit umfangrei-cher Beigabenausstattung. Die einzigen oben genannten Fälle dieser reichen Gräberfelder sind die älteren Gräber von Melfi-Chiuchiari und der kleine Friedhof von Braida di Vaglio. Ins-besondere Letzterer, gut vorgelegt und sehr elitär, weist sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zu anderen Nekro-polen des daunisch-nordlukanischen Bereiches auf: Grundle-gende Prinzipien der Grabausrichtung und -ausgestaltung sind dieselben. Auch die Deponierung von Beigaben und Verstor-benen entspricht überregionalen Traditionen. Was sich aber unterscheidet, ist die Zusammensetzung der Grabgruppen und die Art und Anzahl der Beigaben. Hier scheinen sich die an weniger reichen Gräberfeldern angewandten Prinzipien aufzu-lösen: Eine an Haushalt oder Kernfamilie orientierte Struktur der Grabgruppen ist nicht mehr abzulesen, was v. a. an dem Fehlen der Frauenbestattungen liegt. Ihre wichtige Rolle im Gefüge der dörflicheren Gemeinschaften anderer Stätten ist weniger stark akzentuiert, dafür werden Männerbestattungen in ihrem kriegerischen (weniger jägerischen oder schützenden) Charakter betont. In Braida sind alle Grabinhaber, über Alters-

697 Vgl. Osanna 2013, 96–98.

hung durch erblichen o. ä. Status701. Dem entspricht, dass in Braida Alter und die damit zusammenhängende körperliche Leistungsfähigkeit (das funktionale Alter) – an kleineren Stät-ten die üblichen Kategorien süditalischer Gemeinschaftsord-nung – als Grundlage von gesellschaftlich herausgehobenem Status kaum noch eine Rolle spielen. Dies illustrieren sowohl reiche Kinderbestattungen als auch die vollständige Krieger-ausrüstung des senilen Mannes in Grab 101 und die ebenfalls sehr umfangreiche Bestattung der alten Frau in Grab 106.

Nach Zeugnis der Gräber von Braida wird dieser herausge-hobene Status immer mehr zu einer Männerdomäne – Frauen sind im Gegensatz zu früheren Phasen und weniger reichen Nekropolen unterrepräsentiert702. Dass das griechische Vorbild bzw. die Vorstellungen der griechischen Kontaktpartner eine Rolle in dieser Entwicklung gespielt haben, legt die Ausstat-tung der Gräber nahe: Sie dokumentiert den Zugang zu reprä-sentativen Importgütern und damit auch die Verbindung mit den neuen Küstenstädten und ihren Bewohnern. Interessant ist dabei, dass nicht nur Objekte, sondern auch Ikonographie (Schildband aus Grab 101, Verzierung der apulo-korinthischen Helme) übernommen und in die Männerdomäne eingeführt wird. Wie die Untersuchungen zu Ripacandida gezeigt haben, war die italische Ikonographie eher der Frauendomäne zugehö-rig – nun nutzen auch Männer Bilder, allerdings griechischer Art, die sich auf den reich verzierten Importprodukten finden.

Damit scheint für sie eine Emanzipation von einem traditio-nell weiblich dominierten (vgl. auch das Verhältnis daunischer Waffen- zu Schmuckstelen) Zweig des Kunstschaffens belegt und die Annexion einer Quelle von ursprünglich weiblicher Autorität möglich, die den häuslichen Bereich weit überschrei-tet. Dass im Laufe dieser Entwicklung auch griechische Iko-nographie in die weibliche Sphäre eindringt und die einheimi-sche Bildwelt – aufgrund höherer ‚Attraktivität‘? – allmählich verdrängt, zeigt das Golddiadem aus Grab 102, das figürliche Verzierungen griechischer Prägung trägt, die sich mit den Dar-stellungen wilder Tiere kaum von denen des Schildbandes aus dem Männergrab 101 unterscheiden.

701 In Anlehnung an Max Webers Definition von Legitimationsquel-len der Herrschaft lässt sich hier im verkleinerten Maßstab an den von den Eliten bereits vollzogenen oder im Entstehen begriffenen Versuch der Errichtung einer „traditionellen“ (also an historisch entstandenen, hier genealogisch besetzten und nach überregiona-lem Einfluss strebenden) Autorität denken, der an anderen Stellen lokal noch die mit individueller Leistung (und sei mit hohem Alter) verbundene „charismatische“ Autorität gegenübersteht; vgl. Weber 1922, 478–483.

702 Vgl. Heitz 2019.

In dieser Zeit mehren sich die Anzeichen für komplexe Gesell-schafts- und Produktionsformen, etwa die sog. lokale ägäisch-italische Produktion mit der nun in diesem Gebiet auftreten-den grauen Keramikware und großen Vorratsgefäßen (dolia) mit gerippten Bändern. Sie implizieren neue Formen der Her-stellung und Verteilung von Gütern, an die auch die schnelle Verbreitung geometrisch verzierter Keramik, die erstmals die Entwicklung regional spezialisierten (Kunst-)Handwerks be-legt, gekoppelt sein könnte706. Der gegen Ende der Bronzezeit feststellbare starke Einfluss der Protovillanova-Kultur im west-lichen Süditalien707, besonders evident im Villanova-Zentrum Pontecagnano, kann wahrscheinlich eng mit wirtschaftlichen Beweggründen verbunden werden, nämlich der Entwicklung der Metallindustrie und damit zusammenhängend der Aus-beutung der Mineralvorkommen Kalabriens708.

Während die Küstenorte teils ganz beträchtlichen äuße-ren, ägäisch-orientalischen bzw. nördlichen Einflüssen und Importen ausgesetzt waren709, behielten die Stätten des Bin-nenlandes ihre sozioökonomischen Strukturen710. Diesem Ge-biet wurde oft eine gewisse Homogenität attestiert, die jedoch durch fortschreitende Forschungsarbeit zunehmend in Frage gestellt werden muss711. Gerade hier haben sich in den letzten Jahrzehnten bedeutende, mit Neubewertungen und Umdeu-tungen verbundene Entwicklungen abgespielt, die das bisher bekannte Bild in relativem Fluss erscheinen lassen. Die fol-gende Zusammenstellung exemplarischer, gut dokumentierter Fundplätze strebt keine Vollständigkeit an. Sie kann somit nur einen Ausschnitt der vielgestaltigen archäologischen und

ge-706 Bianco 1996b, 37.

707 Kleibrink 2004, 49.

708 Bianco 1996b, 37.

709 Von früheisenzeitlichen Kontakten zeugen v. a. an der ionischen Küste insbesondere Importobjekte (Keramik, Bronzen, Schmuck), die den Austausch mit griechischen und vielleicht auch phönizi-schen Seefahrern nahelegen; vgl. Bottini – Setari 1995, 13.

710 In der heutigen Basilikata beispielsweise fehlen Belege der Zeit des Wechsels zwischen dem Ende des Protovillanova-Horizonts (mit Brandgräbern in Timmari, Cozzo San Martino und Tursi-Castello) und der Übernahme der neuen italischen Grabsitte der Inhumati-on; Bianco 1996, 31.

711 Torelli 1996, 124 bezweifelt die von d’Agostino und Bottini pos-tulierte Homogenität des ‚oinotrischen‘ Raumes (mit einheitlichen Sitten wie Bestattung in gestreckter Rückenlage, a tenda-Keramik etc.); er sieht eine ‚Regionalisierung‘ in sozioökonomischer wie kultureller Hinsicht schon seit dem 8. Jh. – z. B. bei der Gegen-überstellung der Nekropolen von Alianello und Chiaromonte, auf denen unterschiedliche soziale und regionale Gruppen repräsentiert scheinen. Vgl. auch die von Bianco 1996b, 37 noch postulierte archäologische Einheitlichkeit des Gebietes von Matera bis Siris/

Policoro in der Spätbronze- und Früheisenzeit.

Im Folgenden werden die vorangehenden Beobachtungen und Ergebnisse in einen größeren Kontext eingeordnet. Dass dabei die Betrachtung der Befunde nicht so sehr ins Detail geht, ist unvermeidlich. Zudem kann nicht jeder Fundort in die Un-tersuchungen mit einbezogen werden, denn die Dokumenta-tions- und Publikationslage der eisenzeitlich-archaischen Stät-ten Süditaliens ist sehr heterogen. Ich beziehe mich auf ein Gebiet, das sich südlich einer Linie vom Golf von Salerno bis zur Gargano-Halbinsel erstreckt (vgl. Taf. 2).

Das archäologische Fundgut der Spätbronze- und frühen Eisenzeit (ca. 1300–800)703 dieses Raumes ist vielfältig. Ins-besondere das Küstengebiet ist schon vor der Ankunft von Neuankömmlingen aus dem Ostmittelmeer von den Einflüs-sen zweier benachbarter kultureller Systeme geprägt: von der in den westlichen Mittelmeerraum ausgreifenden ägäisch-my-kenischen Palastkultur auf der östlichen, und von Einflüssen aus dem nord- und mittelitalischem Bereich, namentlich der Villanova-Kultur und ihrer Vorgänger auf der westlichen Seite.

Mit diesen Kontakten, v. a. mit den ägäischen Kulturen, lassen sich auch bedeutende wirtschaftliche und technische Verände-rungen in der Region erklären, wie die Nutzung von Baumkul-turen und die Einführung von Drehscheibenkeramik704. Die starken mykenischen Einflüsse manifestieren sich insbesondere in der Gegend von Tarent und im Salentino: Stätten wie Coppa Nevigata, Porto Cesareo, Torre Castelluccia, Porto Perone und Scolgio del Tonno wurden sogar in einer Weise befestigt, die mit den mykenischen Burgen in der Argolis vergleichbar ist705.

703 Die traditionelle Chronologie der italischen Eisenzeit befindet sich im Zustand der Veränderung – nach neuen Dendrodaten setzt die Eisenzeit schon ca. 100 Jahre früher ein als bisher angenommen (um 1000 statt um 900), und die beiden spätesten Früheisenzeit-Stufen 3 und 4 datieren von 750–625 bzw. 625–525 (Ridgway 2004, 19–21). Zur Datierung von Spätbronze- und Früheisenzeit in Süditalien s. die von Kleibrink 2004, 43.54 nach Peroni 1994, 210–216 angegebene Chronologie:

FEZ 1A 1020–950 (alt: 900–850) FEZ 1B 950–880 (alt: 850–800) FEZ 2A 880–820 (alt: 800–750) FEZ 2B 820–750 (alt: 750–700)

sowie die von Giardino 1995, 22 und Carancini – Peroni 1999, Taf.

35:

FEZ 1a+1b/HaB2 1020–850 FEZ 2a+2b/HaB3 850–750

angegebenen Daten. Die strikte Trennung zwischen dem Ende der Bronzezeit und dem Beginn der Eisenzeit ist in Süditalien noch schwierig, zumal es in Apulien an manchen Orten gegen Ende der Bronzezeit Siedlungsunterbrechungen gab; La Genière 1979, 59–60.

704 Kleibrink 2004, 44–47; kultivierte Oliven sind erstmals in griechi-schen spätbronzezeitlichen Palastkulturen nachgewiesen.

705 Kleibrink 2004, 48.

Die archäologische Situation in Süditalien in der Eisenzeit bis ins 5. Jh.

südlichen Ausläufer des Apennin umfassenden, aber auch mit ebenen Abschnitten durchsetzten Gebietes im Zentrum Süd-italiens (bis etwa in die Gegend von Potenza) sind eher dem östlichen Hockerbestattungskreis zuzuordnen717.

Etwa ab dem 5. Jh. nivelliert sich diese Unterscheidung von Inhumationen in Hocker- oder gestreckter Rückenlage in Gebieten wie der Sibaritide oder dem Melfese zugunsten der gestreckten Rückenlage, die vorherrschende Bettungsart wird718. Dies geht Hand in Hand mit der Anlage der Gräber a cappuccina, bei denen die Bestattungen von zeltförmig ge-geneinandergestellten Ziegeln bedeckt werden719. Die Einheit-lichkeit, die das einheimische Gebiet der nördlichen Basilikata auch in der Grabsitte damit ab dem Ende des 5. Jh. (was sich etwa mit dem literarischen Erscheinen der Lukaner deckt720) erlangt, ist in der Eisenzeit noch nicht erkennbar. Vielmehr lassen sich verschiedene kulturelle Regionen beobachten, die in unterschiedlichem Grad mit den westlichen und östlichen Küstengebieten in Verbindung stehen721.

Im Folgenden werden die Entwicklungen des eisenzeitlich-archaischen Süditaliens grob nach geographischen Regionen vorgestellt. Auf eine kulturelle Zuordnung wird weitgehend verzichtet, um den bereits dargelegten Vorbehalten gegen eine ethnische Deutung Rechnung zu tragen.

V.1.1 Westküste (Südkampanien)

Im Süden Kampaniens spielen im 9./8. Jh. vor allem die Ein-flüsse aus der Villanova-Kultur eine wichtige Rolle, die sich in ihrer stärksten Ausprägung in Stätten wie Capua und beson-ders Pontecagnano fassen lassen722. Die Stätte und das Umland von Pontecagnano zeigt starke Verbindungen nach Etrurien, was auch literarische Zeugnisse belegen723. Während die Struk-tur der Siedlung selbst noch relativ unbekannt ist, wurden über 8000 Bestattungen auf zahlreichen Nekropolen aus dem 9. bis 4. Jh. aufgedeckt. Deren früheisenzeitlicher Bezug zur Villanova- bzw. Protovillanova-Tradition lässt sich an der typi-schen Brandbestattung in Urnen ablesen. Wie in Etrurien war hier in der ersten Hälfte des 9. Jh. die Brandbestattung v. a. für Männer und in der zweiten Hälfte des 9. Jh. auch für Frauen die übliche Bestattungsform und die Auswahl der Grabbeiga-ben erfolgte nach geschlechtstypischen Gesichtspunkten. Die

717 Carollo – Osanna 2009, 388.

718 Horsnæs 2002, 56–57.

719 Horsnæs 2002, 53–55; Kammergräber werden erst ab dem 4. Jh.

gebräuchlich.

720 Vgl. Henning 2010.

721 Horsnæs 2002, 68. 94 unterscheidet für das 6.–5. Jh. vier Gebiete („cultural units“) im westlichen Süditalien (also grob dem späteren Lukanien), von denen drei indigener Natur sind: 1) Norden: Valle Platano-Kultur; 2) Zentrum: Vallo di Diano/Palinuro-Kultur; 3) Süden: Agri-Sinni-Kultur; 4) Küste: griech. Apoikiai (Poseidonia, Velia).

722 Ridgway 1992, 121–125. Zu den Nekropolen von Capua s. Thier-mann 2012. Auch Stätten wie Arenosola (Ruby 1995) zeigen diesen Einfluss, der sich vor allem in Grabritus und Sachkultur manifes-tiert.

723 Plin. nat. 3, 60.

sellschaftlichen Situation bieten, die sich im in dieser Studie untersuchten Zeitraum im Mezzogiorno darbot – und die den Hintergrund für die ab dem 8. Jh. einsetzende wechselseiti-ge Auseinandersetzung mit den Neuankömmlinwechselseiti-gen aus dem Ostmittelmeerraum und ihrer Ideen- und Sachkultur bildete.

Im Dokument x!7ID9F4-jadcgj! ITALIKÁ ITALIKÁ (Seite 124-129)