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Arten und Orte der Begegnung

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VI.1 Frühe Kontakte und Austauschsituationen

VI.1.1 Arten und Orte der Begegnung

Zu Aussehen und Ablauf der frühen Begegnungs- und Aus-tauschsituationen, insbesondere zu der Rolle der indigenen Beteiligten, lässt sich vorerst mehr spekulieren als argumentie-ren. Spielte sich die Begegnung zumindest teilweise in

standar-1007 Stein-Hölkeskamp 2006, 318–319.

1008 Nach Bottini – Setari 1996, 57 war es diese Austauschlage, die gro-ße Veränderungen für die Kultur der Oinotrer mit sich brachte, v. a.

auch demographisch: Vom 7. bis zum Beginn des 5. Jh. scheint ein starker Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen zu sein, und folgend ein schneller Rückgang, was allerdings fast ausschließlich auf dem Zeugnis der Friedhofsbefunde gründet (so können Siedlungen an folgenden wohl ehemals bedeutsamen Stätten nur durch Friedhöfe erschlossen werden: im Valle dell’Agri Aliano, Armento, San Chi-rico Raparo, Roccanova, Castronuovo Sant’Andrea, San Martino d’Agri, Sant’Arcangelo; im Valle di Sinni Chiaromonte, Noepoli, Lagonero; am Zusammenfluss von Agri und Sarmento Guardia Perticara). Von keiner dieser Stätten ist die Siedlung im Sinne ihrer Organisation, Struktur o. Ä. bekannt, zur Siedlung gibt es, wenn überhaupt, nur vereinzelte Befunde.

1009 Vgl. etwa die Amphora des Lydos in Grab 35 von Baragiano.

nachgewiesen werden1018. Ebenso wenig sind Terrakottaöfen aus den indigenen Stätten der Basilikata bekannt. Zahlreicher fanden sich Tonstatuetten in Kampanien und Samnium, z.

T. aus lokaler, griechischer und etruskischer Produktion. Das erste Beispiel handgemachter, wohl indigener Terrakottaar-beit stammt paradoxerweise aus dem griechischen Heiligtum von San Biagio bei Metapont. Ein weiteres Beispiel italischer Arbeit stellt eine Frauenfigur aus der ersten Hälfte des 5. Jh.

dar, die in Timmari gefunden wurde. Die handgemachte Figur auf einem groben Sitz könnte von einem lokalen Handwer-ker nach einem Modell des in Tarent und Metapont häufigen Peplophoros-Schemas gefertigt worden sein1019. Es sind meist Frauenfiguren, die sich als Terrakotten im Binnenland beson-derer Beliebtheit erfreuen. Aus der Nekropole von Alianello sind insgesamt vier thronende weibliche ‚Göttinnen‘ aus Ton bekannt. Ihre Verteilung (dreimal in Kindergräbern, einmal in einem Frauengrab) deutet auf einen Zusammenhang dieser Ikonographie mit Konzepten von Fruchtbarkeit hin. Weitere Bildthemen der Terrakotten im indigenen Bereich umfassen Frauen als Gabenbringerinnen (mit Taube oder Schwein) oder Trägerinnen von Kindern (kourothropos). Angesichts dieser motivischen Präferenzen ist es wahrscheinlich, dass die zuerst aus dem griechischen Bereich importierten und später auch lo-kal gefertigten Statuetten darauf hinweisen, dass im indigenen Gebiet eine weibliche (Mutter-)Gottheit besondere Verehrung genoss, die vor Ankunft der Griechen in vergänglichem Ma-terial abgebildet oder anikonisch verehrt wurde. Ihre Assozia-tion mit den durch Grabbeigaben mit Haushalt und Familie verbundenen Frauen deutet auf ihre wichtige Rolle im häusli-chen Kontext und darauf, dass ihr Kult in weiblihäusli-chen Händen lag1020.

Neben der Lokalisierung der (italischen) Austauschplätze in kultischen Bezirken ohne monumentale Architektur gibt es aber noch weitere binnenländische Strukturen, die diese Funk-tion erfüllt haben könnten. Im Folgenden sollen zwei Beispiele solcher mit repräsentativer Architektur ausgestatteter Stätten, die in der Nähe indigener Siedlungen errichtet wurden, ge-nauer vorgestellt werden. Eines dieser Beispiele ist ein monu-mentaler Bau in Braida di Vaglio. Er befindet sich in direktem Umfeld der bereits besprochenen, ausschließlich indigen-elitär belegten Nekropole – ein Hinweis darauf, dass zwischen Ge-bäude und Elite ein Zusammenhang bestand: Das Gräber-feld manifestiert den Anspruch dieser Gruppe auf die Stätte, die nur wenig außerhalb der Stadtmauer von Serra di Vaglio

1018 Der interessante Heiligtumsbefund der Grotte delle Fontanelle wurde kürzlich von Silvia Bertesago und Valentina Garaffa detail-liert analysiert und vorgelegt (Bertesago – Garaffa 2015a). Obwohl weiter Unklarheit herrscht, von welchen Personen der Kult und die Kultpraxis ausgeübt wurde, ist aufgrund des Charakters der Wei-hegaben wahrscheinlich, dass sie einer weiblichen Gottheit galten;

Bertesago – Garaffa 2015b, 251.

1019 Barra Bagnasco 1996, 93–94.

1020 Barra Bagnasco 1996, 95. Zur Bedeutung von weiblichen Gotthei-ten im indigenen Süditalien vgl. auch die Befunde auf dem Timpo-ne della Motta in Francavilla Marittima, s. o. S. 130–131.

von ihrer Bedeutung für die griechischstämmigen Bewohner Süditaliens1013. Das muss aber nicht heißen, dass die Heiligtü-mer exklusiv von Griechen frequentiert wurden – es ist durch-aus denkbar, dass indigene Votive und Opferhandlungen nur weniger archäologische Spuren hinterlassen haben. Es ist auch wahrscheinlich, dass die Indigenen dort zum ersten Mal in Kontakt mit olympischen Gottheiten kamen, und in der Fol-ge diese als mächtig empfundenen Autoritäten in die italische Götterwelt importiert wurden, da der Kontakt zu ihnen neues Ansehen versprach1014. In solchen Heiligtümern verarbeiteten die Griechen mitunter auch ikonographisch die gegenwärtige Situation – in den Metopen des sog. Schatzhauses des Hera-ions von Foce del Sele aus der zweiten Hälfte des 6. Jh. tauchen zwei mythische Darstellungen auf, die vielleicht direkt auf Be-ziehungen zwischen griechischer und italischer Welt anspielen:

Der griechische Held Herakles mit Silenen sowie mit Pholos und den Kentauren. Auf der einen Seite steht jeweils Herakles als Kulturheros und Koloniegründer für die Griechen, auf der anderen Seite Figuren, die mit der ungezügelten Natur, Wild-heit, Kulturlosigkeit und vor allem dem Weingenuss (oder -missbrauch) assoziiert sind und eine potenzielle Bedrohung der griechischen Ordnung darstellen1015.

Auch im indigenen Binnenland entstanden Stätten mit interkultureller kultischer Prägung1016: Schon im 6. Jh. las-sen Timmari und Garaguso einen solchen Charakter erken-nen. Zwar weisen sie keine monumentalen Baustrukturen auf, aber Votivdeposita mit griechischem und italischem Material, insbesondere Choroplastik1017. Die Terrakotten zeigen in der zweiten Hälfte des 6. Jh. v. a. ionische Einflüsse – die mandel-äugigen Gesichter erscheinen meist fleischig und rundlich (z.

B. Alianello Grab 612, Garaguso, Policoro, Timmari). Figuri-nen dieses Typs stellen die dominierende Art von Votivgaben dar. Ihr binnenländisches Verbreitungsgebiet ist jedoch nicht einheitlich, und gerade im Hinterland der heutigen Basilikata scheint die figürliche Terrakotta nicht gut angenommen wor-den zu sein. Eine Ausnahme bildet Garaguso, wo sich in wor-den Votivdepots der zweiten Hälfte des 6. Jh. reiches Terrakotta-material erhalten hat. Da das zugehörige Siedlungs- und Grab-material jedoch indigen ist, ist der Befund schwer zu interpre-tieren. Möglicherweise könnten die Votive die Präsenz griechi-scher Händler andeuten, denn die Figurinen sind rein (groß) griechischer Machart, eine indigene Übernahme von Motiven und Technik oder die Neufertigung von Matrizen kann nicht

1013 Zum ‚internationalen‘ Charakter solcher Stätten s. auch Bolder-Boos 2016. Vgl. auch die Untersuchungen zu innersizilischen Hei-ligtümern als Begegnungsstätten, Öhlinger 2015 (bes. 136 [Vassal-lagi], 149 [Monte Iato], 158 [Palike], 198).

1014 Tagliente 1999, 17; da diese Gottheiten keine politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder topographischen Interessen verfolgen konn-ten, waren sie auch nicht ‚gefährlich‘ wie weltliche Herrscher/Auto-ritäten.

1015 Torelli 1996, 123; vgl. Conti 1994.

1016 Tagliente 1999, 17–18.

1017 Whitehouse – Wilkins 1989, 110.

Pferd – wohl das des Kriegers – sowie eine Reitgerte in den Händen hält (Abb. 66)1024. In dem Fries ist die Handschrift griechischer Kunsthandwerker erkennbar, denn solche Reliefs sind in dieser Zeit sonst nur an den Tempelbauten von Me-tapont bekannt1025. Zur Bedeutung des Gebäudes und seiner Ansprache als Heiligtum muss jedoch angemerkt werden, dass in der zwar großen und eindrucksvollen, im Aufgehenden ent-weder aus Ziegeln oder Fachwerk gebauten Architektur Votive weitgehend fehlen. Madeleine Mertens-Horn nimmt deshalb an, dass es sich nicht um ein Heiligtum im eigentlichen Sinn handelte, sondern vielmehr um eine Art Begegnungsstätte.

Dafür spricht auch der keramische Befund: In dem Bauwerk fanden sich recht zahlreich importierte Knickrandschalen, aber auch italische (Gebrauchs-)Keramik in Form von Resten großer Pithoi und von Trink- und Essgeschirr1026. Sie geht des-halb davon aus, dass hier „gespeist und gezecht, aber nicht in

1024 Osanna 2013b, 96–98; Lo Porto – Ranaldi 1990, 302 Abb. 3.

1025 Tagliente 1999, 15 (zum Zeugnis des sehr ähnlichen Frieses am anaktoron von Torre di Satriano s. u.).

1026 Russo Tagliente 1992, 79–81; Lo Porto – Ranaldi 1990, 297.

liegt1021. Der als Heiligtum angesprochene Bau besitzt einen rechteckigen Grundriss (Abb. 65) mit einer Fläche von 12 × 24 m. Er war mit breiten Sockelmauern und einem Ziegel-dach versehen. Damit kann er als eines der ältesten bekannten Steingebäude mit Plattenboden im italischen Binnenland an-gesprochen werden – zur Zeit seiner Erbauung und Nutzung im ersten Viertel des 6. Jh. stehen in der Siedlung von Serra noch einfache Hütten1022. Das herausragende Element des Ge-bäudes ist, neben seiner Architektur, sein Terrakottaschmuck:

Es weist einen tönernen Fries auf, in dem sich zwei wie Ho-pliten bewaffnete Krieger gegenüberstehen1023. Hinter beiden Duellanten ist jeweils ein jugendlicher Berittener dargestellt (vielleicht als Knappe zu deuten), der ein weiteres, reiterloses

1021 Auf einer etwas niedrigeren Terrasse in östlicher Richtung – der Ab-stand von der Siedlung zum sog. Heiligtum und zur benachbarten Nekropole beträgt nur ca. 500 m Luftlinie; Greco 1980, 373 Taf. 9;

Greco 2011, 360 Abb. 1; Ranaldi 1960.

1022 Lo Porto – Ranaldi 1990, 297.

1023 Zum Fries von Braida und seinen griechischen Parallelen s. ausführ-lich Mertens-Horn 1992, 75–82, zum Bauschmuck des Gebäudes allgemein Greco 2011.

Abb. 65 Plan des Gebäudes von Braida di Vaglio

Abb. 66 Rekonstruktion des Frieses von Braida di Vaglio

die bautechnisch aber noch ganz in eisenzeitlich-italischer Tra-dition steht. Dieses Apsidenhaus, die sogenannte residenza ad abside (Abb. 67), wies eine interne Untergliederung auf, die im vorderen Hofbereich Metallverarbeitung und Mahlen von Getreide ebenso wie Wollverarbeitung nahelegt, während in der Portikus und im vorderen Hüttenbereich Aktivitäten wie Zubereitung von Essen (Zerteilung von Fleisch) und das We-ben von Textilien stattfanden. Im Innern war ein Herdareal durch eine Holzwand abgetrennt. Der hinterste Hausbereich, nochmals abgetrennt durch eine Holzwand, fungierte als Auf-bewahrungsort von Prestigegütern und war wahrscheinlich der private Bereich der Hauseigentümer1032. Die naturwissen-schaftliche Untersuchung zweier Keramikfragmente aus der zweiten Phase des Hauses im ersten Drittel des 6. Jh. erbrachte ein interessantes Ergebnis: Während der Boden einer Impasto-Olla keine Rückschlüsse auf im Gefäß aufbewahrte Flüssigkei-ten geben konnte, ließen sich am Bruchstück eines stamnoi-den Impasto-Gefäßes Spuren von Wein nachweisen1033 – ein Hinweis auf bereits mit diesem Haus verknüpften, repräsenta-tiven und wahrscheinlich sozialen Konsum von berauschenden Getränken.

Unmittelbar nach Auflassung der Apsidenhütte wurde we-nige hundert Meter entfernt um die Mitte des 6. Jh. ein großes Gebäude nach technisch vollkommen anderen Prinzipien kon-struiert (Abb. 68): Das große, rechteckige sog. anaktoron be-saß Stampflehmmauern, die auf einem Steinsockel ruhten1034.

1032 Osanna – Scalici 2011, 671–672; Osanna 2013a, 53–55.

1033 Pepe u. a. 2009, Abb. 2.

1034 Osanna 2013a, 55–63.

erster Linie kultische Handlungen für eine bestimmte Gott-heit ausgeführt“ wurden1027. Im Rahmen der oben dargelegten Überlegungen wären diese Handlungen einem frühen Begeg-nungsort angemessen. Ob und, wenn ja, warum allerdings der Bau, wie sie annimmt, von Griechen in Auftrag gegeben wor-den sein soll, ist nicht klar. Tatsächlich deutet im benachbarten Wohnquartier von Serra di Vaglio das Ende des 6. Jh. ange-legte, rechtwinklige Straßennetz zwischen Steingebäuden eine starke Neuorientierung und Fortschrittlichkeit des Gemein-wesens an, wobei griechische Formen als Vorbild dienen1028. Urte Steininger plädiert plausibel für die Interpretation des Gebäudes als Banketthaus, insbesondere angesichts der als Klinenfundament zu deutenden Platten entlang der südlichen Wand und der Existenz einer Wasserstelle1029. Diese sehr ein-leuchtenden Vorschläge schließen einen kultischen Aspekt des Gebäudes nicht aus. Dieser könnte durch die Nähe zu einer leicht nordöstlich des Baus gelegenen Quelle gestützt werden.

Für süditalische Heiligtümer ist oft eine Nähe zu Wasservor-kommen belegbar: Das etwas später, wohl ab dem 5., aber v. a.

im 4. Jh. ausgebaute Heiligtum von Rossano di Vaglio, das bis in das erste nachchristliche Jahrhundert zum prominentesten ländlichen Kultplatz Lukaniens wird, kann als Heiligtum der Mefitis mit Wasser in Verbindung gebracht werden1030. Bemer-kenswert ist, dass der Ausbau des Rossano-Heiligtums erfolgte, als das Gebäude von Braida aufgegeben war – und sich dessen säkulare Funktionen eventuell in die Siedlung von Serra verla-gert hatten, während der sakrale Aspekt in einen neuen, größe-ren Rahmen übertragen wurde, wie ihn die Stätte von Rossano bieten konnte. Auch wenn zu den frühen indigenen Kultplät-zen meist wenig bekannt ist, scheint auch an anderen Stätten mit elitären Bestattungen, etwa in Chiaromonte, ein kleines Quellheiligtum schon seit archaischer Zeit besucht worden zu sein (Fund von B2-Schalen)1031. In diesem Zusammenhang stellt sich der eng mit der archaischen Elite verknüpfte Bau von Braida di Vaglio als ein Ort dar, der neben oder im Zuge von Banketten interkultureller Art auch einen angemessenen Rahmen für die Ausübung von kultischen Handlungen bot, u. U. auch im Zusammenhang mit bzw. aus Anlass von den Bestattungszeremonien der in der Nähe gebetteten Toten.

An anderen Orten des Binnenlandes finden sich ab dem 6.

Jh. ähnliche Bauten in einer neuen architektonischen Form-sprache, die wie das Gebäude von Braida dem griechischen Bereich entlehnt ist: In Torre di Satriano wurden zwei zeit-lich aufeinanderfolgende größere Gebäude aus der Zeit vom späten 8. bis in die Mitte des 5. Jh. aufgedeckt. Bei dem frü-heren Gebäude des fortgeschrittenen 8. bis ersten Drittel des 6. Jh. handelt es sich um eine außergewöhnlich große Hütte,

1027 Mertens-Horn 1990, 79–80.

1028 Tagliente 1999, 15–16; Greco 1980.

1029 Steininger 1996, 262–264. Allerdings sind die architektonischen Befunde auch hier wie in Süditalien häufig durch Hangrutschungen beeinträchtigt; zu diesem für Rossano gut dokumentierten Phäno-men s. Sdao – Simeone 2007.

1030 Adameşteanu – Dilthey 1992; Isayev 2007, 84. 224.

1031 Bottini – Setari 1996, 57.

Abb. 67 Plan der residenza ad abside, Torre di Satriano, mit Aktivitätszonen

in lakonischer Art gedeckt war, in der zweiten Phase mit ko-rinthischen Ziegeln versehen wurde. Es wies einen Terrakot-tafries auf, der klar griechischen Stil trägt (Abb. 69) und zwei ähnliche, jeweils gegenläufig gebildete Szenen abbildet: Eine zeigt ein Pferdepaar im Galopp nach rechts. Auf dem vorderen Pferd sitzt ein Jüngling und unter den Pferden läuft ein Hund in dieselbe Richtung. Direkt davor schreitet ein großer Krieger mit Rundschild und korinthischem Helm, den Speer in der Rechten zum Angriff erhoben. Die zweite Szene wiederholt das Geschehen fast spiegelbildlich: Am linken Rand erscheint ein großer, analog gekleideter Krieger im angreifenden Ausfall-schritt nach links, dahinter zwei Pferde, mit einem Jüngling auf dem Vorderen. Die Pferde sind in dieser Szene im Schritt wiedergegeben, der Hund fehlt und stattdessen findet sich zwi-schen Pferdepaar und Krieger ein großer, langbeiniger Vogel, wahrscheinlich ein Reiher. Die Platten sind denen von Braida di Vaglio (vgl. Abb. 66) in Format, Funktion, Material, Thema und Stil sehr ähnlich – allerdings sind letztere insgesamt weni-ger bewegt und weisen außer den menschlichen Protagonisten und ihren Pferden keine weiteren Tiere auf. Die Beteiligung griechischer Handwerker bei der Dach- und Friesgestaltung deutet sich nicht nur stilistisch an, sondern wird durch die Inschriften, die auf den Dachziegeln des Gebäudes gefunden wurden, zweifelsfrei belegt: Sie waren in lakonisch-tarentini-schem Dialekt verfasst, was auf die Präsenz von Handwerkern aus Tarent beim Bau des anaktoron hinweist. Die Terrakottas-phinx, die das Dach des anaktoron als Akroter zierte, bezeugt allerdings das primär handwerkliche und weniger künstleri-sche Können dieser Personen1039.

Ein Besucher betrat den Bau durch den querliegenden, als Portikus gebildeten Vorraum (Raum 3) und gelangte von dort über das Vestibül (Raum 2) in den sog. Zeremoniensaal (Raum 1a). Die beiden letzteren waren durch eine mächtige, noch in Resten dokumentierbare, bronzebeschlagene Holztür verbunden1040. In ihnen verteilten sich über einhundert Trink-schalen, v. a. B2-KnickrandTrink-schalen, aber auch Kleinmeister-schalen etc.1041 und weiteres Bankettgeschirr, beispielsweise ein qualitätvoller schwarzfiguriger Krater1042. Keramik italisch-mattbemalter Tradition (Ruvo-Satriano-Ware) war seltener vertreten1043. Insbesondere das Vestibül als Vorzimmer zum großen Saal scheint der Aufbewahrung und Zurschaustellung von griechischem Trinkgeschirr gedient zu haben. Mögli-cherweise fungierte der Raum als ‚Schatzhaus‘, wo besondere Objekte und Gastgeschenke gelagert und bei entsprechenden Gelegenheiten auch genutzt worden sein dürften. Aus diesem Gebäudebereich stammt auch eine Kette aus Goldperlen und

1039 Capozzoli 2009a, 179; Baglivo 2013; Osanna 2009; Osanna 2013b, 83–98. Aus Braida auch Terrakottasphinx, sehr ähnlich zur Sphinx vom anaktoron, s. Greco 2011, 365; zum Vergleich der bei-den Friese s. auch Setari 2009.

1040 Osanna 2013c, 117–124 Abb. 4. 5.

1041 Ferreri – Vullo 2013, 108.

1042 Ferreri – Vullo 2013, 100 Abb. 1.

1043 Ferreri – Vullo 2013, 103–106; in der residenza ad abside dagegen war italische Keramik zahlreicher als Importware.

Der dem Bau von Braida im Grundriss sehr ähnliche Kern-bau ist mit ca. 17 × 8,5 m nur etwas kleiner gebildet1035. Das Gebäude wurde im Jahrhundert seines Bestehens mehrmals umgebaut, wohl schon am Ende des 6. Jh. und bis zu seinem Ende, das möglicherweise schon im ersten Viertel des 5. Jh.

erfolgte1036. In der ersten Umbauphase wurden dem Gebäude, das aus einem langrechteckigen, in drei Teile untergliederten Hauptschiff und einer längs vorgelagerten Halle bestand, in merkwürdigem Winkel drei weitere, teilweise offene Räume mit Lagerfunktion (Raum 4 mit großen Vorratsgefäßen) an-gegliedert1037. Die Umarbeitungen zeigen sich nicht zuletzt in der Gestaltung des Daches des Baus1038, das in der ersten Phase

1035 Serio 2009, 117. Zur Ähnlichkeit der Bauweise s. Osanna 2010, 32.

1036 Capozzoli 2009, 144–149; Colangelo 2009, 15 vermutet ein Ver-lassen des anaktorons um die Mitte des 5. Jh. in schneller und ge-waltsamer Art, nach Lembo – Marino 2013, 76 erfolgte die Auf-lassung wohl infolge seismischer Aktivität, deren Auswirkungen insbesondere auf das Pisé-Mauerwerk gravierend waren; Osanna 2013c, 129 und Ferreri – Vullo 2013, 116 geben nach neueren Un-tersuchungen eine Zerstörung des Baus schon im ersten Viertel des 5. Jh. an; für die Tatsache, dass das Gebäude noch während der Umbauarbeiten zerstört wurde, sprechen einige Beobachtungen zur Türsituation zwischen Vestibül und Zeremoniensaal; vgl. Osanna 2013c, 121–124.

1037 Osanna 2013a, 57–59; alle neuen Mauern folgen in der Ausrich-tung der bereits in der ersten Phase einzigen Schrägmauer des Ge-bäudes, nämlich der Südmauer; zu den Vorratsgefäßen in Raum 4 s. Ferreri – Vullo 2013, 102 Abb. 4.

1038 Osanna – Scalici 2011, 672; speziell zur Dachkonstruktion s. Lem-bo – Marino 2013.

Abb. 68 Plan des anaktoron, Torre di Satriano

ten Terrakotten verkleidet waren1048. Aus dem 5. Jh. stammt ein Stirnziegel mit Pferdedarstellung, der allerdings nicht mit Sicherheit demselben Gebäude zugeordnet werden kann1049. In der ersten Hälfte des 5. Jh. entsteht auf der kleinen Akropo-lis von Cancellara ein größeres, langrechteckiges Gebäude mit Steinsockel und Apsis, das wahrscheinlich ziegelgedeckt war.

In seinem Innern wurden v. a. Trinkgefäße gefunden1050. Auch dieser Bau wurde bereits ein bis zwei Generationen später, im dritten Viertel des 5. Jh. wieder aufgegeben, vermutlich um im späten 5. Jh. durch ein mehrphasiges neues rechteckiges Gebäude mit Küche, die Casa S11, ersetzt zu werden. Ein sehr ähnliches, zeitgleiches Gebäude wurde auch in Oppido Luca-no aufgedeckt (Haus D). In beiden Bauten war wahrscheinlich ein Webstuhl Teil des Inventars, ähnlich den Befunden aus Torre di Satriano1051. Im späten 6. Jh. lassen sich der sog. oikos von Toppicelli und das bei Cannae, loc. Fontanelle gefundene Gebäude in diese Reihe stellen1052. In seiner Analyse des Hei-ligtums in der loc. San Leucio von Canosa kann Ortwin Dally wahrscheinlich machen, dass nicht nur dessen archaischer Vor-gängerbau, sondern auch weitere, mit frühen Dachterrakotten versehene Bauten wie die eben genannten im einheimisch-ita-lischen Gebiet eine Funktion als ‚palaziale‘ Zentren besaßen, die als elitäre Residenz sowohl profanen wie sakralen Zwecken dienten. Wenn dazu noch reiche Funde und Bankettgeschirr belegt sind, liegt auch die Abhaltung von entsprechend auf-wendigen, wahrscheinlich politisch motivierten Zeremonien nahe1053. Solche Orte groß angelegten (Bankett-)Konsums mit unmittelbarer sakraler Verbindung finden sich auch auf Sizilien im selben Zeithorizont, sowohl in den griechischen Kolonien wie im indigenen Binnenland: Etwa der bis ins 7.

Jh. zurückreichende, rechteckige Gebäudekomplex (edificio A und B) in Zankle/Messina, loc. Palazzo Colapesce. Er wurde von den Ausgräbern als Tempel angesprochen, war jedoch mit Klinen ausgestattet und wies eine Vielzahl von

Bankettkera-1048 Russo, in: Russo – Di Giuseppe 2008, 37–38 Abb. 14.

1049 Russo, in: Russo – Di Giuseppe 2008, 44–46.

1049 Russo, in: Russo – Di Giuseppe 2008, 44–46.

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