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Fazit: Vergleichende überregionale Beobachtungen

Im Dokument x!7ID9F4-jadcgj! ITALIKÁ ITALIKÁ (Seite 144-151)

Über den weiten Raum der eisenzeitlich-archaischen Mesogaia lassen die in ihren Siedlungen und Nekropolen überlieferten Gemeinschaften in Vielem sehr ähnliche Traditionen erken-nen. Mit Ausnahme vielleicht der Sibaritide können über die gesamte Zeitregion Beobachtungen gemacht werden, die auf eine einheitliche Struktur der indigenen Gesellschaften hin-deuten. Mehr noch: Die Befunde sprechen in einigen Fällen für eine enge Verbindung von unterschiedlichen Stätten bzw.

Regionen. Der im Kriegergrab von Salapia mit Elementen et-ruskischer Bewaffnung aber in nordapulischer Sitte bestattete Tote bezeugt Kontakte quer über die Halbinsel schon im 8.

Jh., und das Bronzebecken etruskischer Herkunft deutet ähnli-che elitäre Interaktion an, wie sie später durch das beschriftete analoge Stück aus Grab 106 von Braida di Vaglio zu vermuten sind. Die entlang der den Süden Italiens durchschneidenden Pässe und Flusstäler orientierten Verbindungen zeigen sich auch an Elementen indigen-italischen Sachguts, beispielsweise in der Tatsache, dass die eigentlich im nordapulisch-dauni-schen Bereich besonders verbreiteten cinturoni ab dem 5. Jh.

im westlichen Atena Lucana auftauchen. Stätten wie Botro-magno, Baragiano und auch Ripacandida, die quasi natürliche Achsenstellungen einnehmen, weisen zahlreiche Indizien für externe, regionale und überregionale Kontakte auf und kön-nen als Stätten des Durchgangs angesehen werden.

Allerdings war die Bevölkerung an den unterschiedlichen Orten nicht immer gleichmäßig strukturiert, was zum jetzigen Zeitpunkt v. a. die unterschiedliche Ausstattung ihrer Gräber dokumentiert. So ließ sich selbst an in relativ kurzer Entfer-nung zueinander liegenden Stätten ein auch statistisch bedeut-samer Unterschied etwa in der Zahl der Waffengräber feststel-len: Während in Chiaromonte-Sotto la Croce deren Anteil über 40 % beträgt, liegt er in Alianello unter 5 %. Dies wurde in der bisherigen Forschung plausibel mit einem gesellschaft-lich herausgehobenen Status der Bewohner der ersteren Stätte begründet. An vielen Stätten (etwa in Chiaromonte wie auch im Valle Sorigliano oder Alianello) scheint es ‚Haupt-‘ und ‚Ne-bennekropolen‘ gegeben zu haben. Erstere waren größer und meist auch reicher ausgestattet. Die Praxis der Niederlegung der Toten im Hinblick auf Clusterbildung, Orientierung der Toten, nach Alter variierender Grabtiefe, Grabpaaren etc. ist ansonsten jedoch sehr einheitlich. Die traditionelle Erklärung

899 Bottini 1982, 157.

am Quellgebiet des Basento. Es handelt sich um eine Höhen-siedlung auf einem markanten Hügelsporn, mit einer kleinen Akropolis und einer ‚Unterstadt‘ am Südhang893. Besonders eindrucksvoll sind aber die kürzlich durch systematische Bege-hungen und anschließende Grabungen der Scuola di Specializ-zazione in Beni Archeologici von Matera unterhalb des Hügels zutage gekommenen Gebäudereste: Ein großes Apsidenhaus aus dem 7. Jh. (finale Phase der sog. residenza ad abside etwa im 1. Viertel des 6. Jh.) und nach dessen Auflassen ein großer, rechteckiger Gebäudekomplex mit Steinsockel und aufgehen-dem Ziegel- bzw. Pisémauerwerk, das sog. anaktoron. Letzte-res besaß ein Ziegeldach griechischen Typs. Die zahlreichen im Gebäudeschutt gefundenen lakonischen Ziegel dürften zu der spätesten Phase des Bauwerks gehört haben und mit ihm zusammengebrochen sein, während die spärlicher überliefer-ten flachen Strotere zu den früheren Abdeckungen des 6. Jh.

gehörten894. Das Gebäude wurde um die Mitte des 5. Jh. ver-lassen, aufgrund des außergewöhnlich hohen Fundreichtums auch metallischer Objekte ist die Auflassung des Gebäudes im Rahmen eines schnellen und gewaltsamen Aktes zu vermu-ten895.

Im Melfese sind Siedlungsreste der archaischen Zeit äu-ßerst spärlich896. Selbst in untersuchten Stätten wie Ruvo del Monte und Ripacandida zeugen die Befunde nur von einer jeweils vor und/oder nach der untersuchten Nekropole dort vorhandenen Siedlung, die im Fall der späteren Anlage auf dem archaischen Friedhofsareal wie in Ruvo del Monte dessen Befunde teilweise stark in Mitleidenschaft gezogen haben897. Ob die Spärlichkeit archaischer Besiedlungsreste aus der ge-ringen Bevölkerungsdichte in diesem Gebiet resultiert, wie Alfonsina Russo Tagliente vermutet, ist angesichts der teils ausgedehnten Nekropolen diskutabel898. Trotzdem lässt sich anhand von Siedlungsbefunden nur wenig über die Rolle der melfesischen Stätten aussagen, die gerade nach Zeugnis ihrer Gräber besonders in archaischer Zeit geblüht haben – fast alle bekannten mit Beigaben versehenen Gräber der Region sind jünger als das letzte Viertel des 7. Jh., die meisten stammen aus

893 Da die Gräber der Stätte bereits besprochen wurden und auf die Architektur an späterer Stelle noch genauer eingegangen wird (Kap.

VII.1.1), soll sie hier nur kurz angesprochen werden. Das älteste Material vom Hügel stammt aus Gräbern des 8. Jh., auf der Ak-ropolis fanden sich Kindergräber des 7./6. Jh. Um 600 scheint die Stätte mit Befestigungsmauern versehen worden zu sein, die zuerst aus Holzpalisaden bestanden; Isayev 2007, 70.

894 Ziegel: Capozzoli 2009, 128. Abb. 1, 2–4; Dachrekonstruktion:

Capozzoli 2009, Abb. 8.

895 Colangelo 2009, 15.

896 Zwar fanden sich in Lavello-Contrada Casino Gruppen von runden oder ovalen Hütten mit eingetieften Pfostengräben oder -gruben und Herdstellen; Keramik vom Typ tenda elegante deutet aber da-rauf hin, dass die Blütezeit dieser Siedlung bereits im 8. Jh. lag.

Einige Metallfunde stammen sogar noch aus dem 9. Jh., darunter Fibeln des Protovillanova-Typs (arco semplice), tyrrhenischen Typs (arco serpeggiante) oder balkanischen Typs (a occhiali a filo continuo);

Bianco 1999a, 146.

897 Bottini 1979, 80.

898 Russo Tagliente 1992, 30–31.

dieses Phänomens besagt, dass dies die weite Streuung klei-ner, weilerartiger Strukturen um ein größeres Zentrum spie-gelt. Letztere werden als Sitz der lokalen und regionalen Eliten angesehen. Tatsächlich lassen sich aber bisher nur an wenigen Orten reiche archaische Bestattungen mit zeitgleichen, um-fangreicheren Siedlungsresten verknüpfen. Trotzdem deutet schon die ungleiche Ausstattung der unterschiedlichen Nekro-polen und die unterschiedliche durchschnittliche Ausstattung der dort niedergelegten Toten, kombiniert mit der Prä- oder Absenz von ‚fürstlichen‘ Bestattungen, eine Hierarchisierung sowohl innerhalb der jeweils lokalen Gemeinschaften als auch der lokalen Gemeinschaften im größeren regionalen Gefüge an. Die Gräber an Stätten wie Serra/Braida di Vaglio, Ruvo del Monte, Ruvo di Puglia, Lavello und Baragiano z. B. legen die lokale Existenz von kleinen elitären Gruppen nahe, die dynas-tisch organisiert gewesen sein und weitere regionale Autorität/

Einfluss besessen haben könnten – Stätten wie Ripacandida oder auch Alianello hingegen waren weitgehend egalitär orga-nisiert und deren Einfluss nur mittelbar ausgesetzt.

Das bis in diese Zeit vorkommende einheimische Material verschwindet plötzlich, und der Befund eines unterirdischen Küchenraumes deutet eine schnelle Aufgabe der Stätte an. Ab der zweiten Hälfte des 8. Jh. wird die Stätte nach kurzer Zeit unter Verwendung rein griechischer Keramik wiederbesiedelt;

Baubefunde fehlen. Die beiden Phasen waren flächendeckend durch eine dünne Sandschicht getrennt, was im Fall einer in-tentionellen Aufbringung für einen ‚Purifikationsritus‘ spricht, zumal ein späteres Quellheiligtum mit mehreren griechischen Votivdepots im nordöstlichen Bereich der Halbinsel den Cha-rakter der Stätte als von den Griechen unter neuen Vorzeichen wiederbenutztes Heiligtum nahelegt. In Saturo ist mit dem griechischen Material aus der Mitte des 8. Jh. also eine kurze

‚präkoloniale‘ Phase der Stätte belegt906. Ab der Mitte des 7. Jh.

lassen sich erste mit der neuen Siedlung verbundene Bestattun-gen fassen – zu diesem Zeitpunkt findet sich keine einheimi-sche Keramik mehr im unmittelbaren Untersuchungsgebiet907. Es scheint, dass die griechische Landnahme die älteren Struk-turen schnell und nachhaltig beseitigte. Darauf deutet auch das Schicksal der weiter südlich liegenden Siedlung von Torre Castelluccia hin, die die gleiche vorgriechische Laufzeit wie Sa-turo aufweist: Sie wurde um 700 durch einen Brand zerstört und nicht wiederbesiedelt, was ebenfalls wahrscheinlich mit der Gründung der griechischen Stadt zusammenhängt908. In der einheimischen Siedlung von L’Amastuola (Crispiano)909, 15 km nordwestlich von Tarent, gibt es Anzeichen für die Anwesenheit griechischer Personen im 7. Jh.: Dort fand sich ein Friedhof, der von ca. 680/660 bis ins frühe 5. Jh. genutzt wurde. Die hier niedergelegten Bestattungen präsentieren sich in Grabart, Beigaben und Totenritual stark griechisch geprägt, wobei allerdings der Fund einer messapischen Stele auf eine gemischte Bevölkerung hindeutet910. In der zugehörigen Sied-lung sind ab der Mitte des 8. Jh. bis 680/660 Reste von ovalen Hütten einheimischer Art mit italischer Impasto-Keramik be-legt. Danach folgt ein Bruch und der Bau einer neuen Sied-lung mit solideren, mit Steinsockeln versehenen rechteckigen Hütten. Die mit diesen Bauten vergesellschaftete Keramik ist ausschließlich griechisch. Der Befund lässt sich so interpretie-ren, dass die einheimische Siedlung um 680/660 mit kurzer, maximal zwanzigjähriger Übergangsphase griechisch (und von Griechen) überbaut wird, ohne jedoch Apoikie zu werden911.

Die einheimischen Siedlungen im Umland von Tarent wurden demnach nach Gründung der Stadt verlassen und/

906 Whitehouse – Wilkins 1989, 105.

907 Yntema 2000, 21–23.

908 Greiner 2003, 61–62.

909 Yntema 2000, 16–17.

910 Crielaard – Burgers 2011, 83–87.

911 s. auch Burgers 2012.

Ab dem späten 8. Jh. ließen sich Neuankömmlinge aus dem Ostmittelmeerraum an den Küsten Unteritaliens und Sizili-ens nieder900. Die schriftlichen Berichte zur Entstehung dieser

‚Koloniestädte‘ (besser: Apoikien) sind häufig besprochen wor-den. Im Folgenden sollen kurz die wichtigsten Informationen genannt und mit den archäologischen Zeugnissen verglichen werden901.

Die nach den literarischen Quellen erste von griechischen Siedlern auf italischem Boden errichtete Stätte war Tarent (Taras/Satyrion)902. Eine mythische Gründung im heroischen Zeitalter ist nicht überliefert, als Gründer gelten lakonische Auswanderer, die als parthenioi, illegitime Söhne von Heloten und spartanischen Frauen, ihre Heimatstadt aufgrund interner Streitigkeiten und Enteignung verlassen. Ihr Führer soll Pha-lantos gewesen sein, der – schon im Muster späterer ‚Kolonie-gründungen‘ – in Delphi das martialisch geprägte Gründungs-orakel empfing903. Anders als in den meisten Fällen gibt die literarische Überlieferung der Gründung von Taras im Jahre 706/705 Details zum Verhältnis von Neuankömmlingen zur einheimischen Bevölkerung an, wobei allerdings zwei gegen-sätzliche Versionen der Geschichte existieren: Strabo berichtet unter Berufung auf die Schilderung des Antiochos von Syra-kus, dass die Griechen von Indigenen und Kretern, die früher kamen, willkommen geheißen wurden904. Direkt im Anschluss überliefert er allerdings eine alternative, von Ephoros von Kyme kolportierte Erzählung, nach der die Spartaner bei ih-rer Ankunft Achaier im Kriegszustand mit den einheimischen Iapygern vorfanden. In dieser Auseinandersetzung schlugen sie sich auf die Seite der Achaier und gründeten die Stadt905.

Das literarisch überlieferte Gründungsdatum deckt sich in Tarent mit dem archäologischen Befund: Das älteste Material der Stätte stammt aus dem späten 8. Jh. und ist von Anfang an griechischer Prägung. Eine ältere Siedlung fand sich bei Saturo etwas südlich von Tarent – es wird davon ausgegangen, dass dies die Reste der bei Strabo vom delphischen Orakel erwähn-ten Vorgängersiedlung Satyrion sind. An dieser Stätte reichen die Siedlungsspuren bis in die Spätbronzezeit zurück und las-sen sich mit kurzen Unterbrechungen bis in die frühe Eilas-sen- Eisen-zeit verfolgen. Zum kulturellen Umbruch kommt es im 8. Jh.:

900 Nimmt man mythische Erzählungen zu griechischer Präsenz in Süditalien aus, wie die Irrfahrten des Odysseus oder die Taten des Herakles.

901 Zu einer quellenkritischen Auseinandersetzung mit den Grün-dungsgeschichten nach Strabo s. Steininger 1996, 19–31.

902 Textstellen und Daten zusammengestellt in BTCGI 20 (2011) 113–234 s. v. Taranto.

903 Yntema 2000, 37.

904 Strab. 6, 3, 2.

905 Strab. 6, 3, 3; Wilson 2000, 36.

könnte920. In dieser Zeit entwickelt die indigene Streusiedlung eine differenzierte proto-urbane Struktur. Dieser italisch ge-prägte Siedlungsteil wurde jedoch im 7. Jh. nahezu verlassen, während in einem etwas später entstandenen und anfangs auch italisch geprägten Nukleus ab ca. 700 die einheimischen Hüt-ten durch rechteckige Steinarchitektur griechischen Typs (bei der es sich z. T. wohl um Lagerhäuser handelte) verdrängt wur-den. Parallel zu dieser Entwicklung lässt sich im frühen 7. Jh.

plötzlich die massive Präsenz griechischer Keramik feststellen.

Es handelt sich um Gefäße v. a. korinthischer Machart, die als Importe in die Siedlung kamen921. Zusätzlich fanden sich Ge-fäße griechischer bzw. großgriechischer Machart aus lokalem Ton, was auf eine frühe Fertigung dieser Waren vor Ort schlie-ßen lässt922. Am Rand des zur Siedlung gehörigen Gräberfeldes kristallisiert sich im 7. Jh. eine spezielle Gruppe von Gräbern mit gemischten Bestattungssitten heraus, die der Periode nach dem Umbruch vom indigenen zum griechisch geprägten Am-biente zuzuordnen ist. Das Ende der Besiedlung in Incoronata ist in die Zeit um 630/620 zu setzen und korreliert mit dem Aufschwung Metaponts.

In Anbetracht des hohen Fundaufkommens an griechi-scher Keramik und den griechisch beeinflussten Bestattungs-sitten ist von einem starken und auch personellen griechischen Einfluss in Incoronata auszugehen. Die lokalen Töpfererzeug-nisse griechischen Stils veranlassen zu der Hypothese, dass sich unter den frühen Neuankömmlingen Töpfer aus unterschied-lichen Gebieten Griechenlands befanden923. Der Fund von rechteckigen Lagerräumen mit Transportamphoren legt nahe, dass sich die ersten Griechen Anfang des 7. Jh. in unmittel-barer Nachbarschaft der indigenen Siedlung niederließen und die Stätte als frühes Emporion nutzten924. In dieser Lesung entstünde das Szenario eines zumindest anfänglich friedlichen Nebeneinanders von Italikern und multikulturellen Griechen in der Gegend von Metapont, die in Incoronata sogar den-selben Friedhof benutzten925, bevor ab dem späten 7. Jh. eine Veränderung eintritt: Die griechischen Gemeinschaften schei-nen sich stark zu vergrößern und gleichzeitig abzuschotten, was zur Zerstörung der indigenen Siedlung von Incoronata um 630 führte – wobei unklar bleibt, ob die ansässige Bevölkerung getötet, abgewandert oder in die Griechenstädte übergesiedelt ist und assimiliert wurde926. Paläobotanische und zoologische

920 Carter 2004, 372; zu Incoronata vgl. auch Burkhardt 2013, 179–

921 Whitehouse – Wilkins 1989, 106.181.

922 Lombardo 1996, 17–18.

923 Stein-Hölkeskamp 2006, 316–317; Denti 2018.

924 In neuerer Zeit wurde diese Vermutung in Frage gestellt und die These geäußert, dass auch die indigene Bevölkerung die rechteckige Bauweise genutzt haben könnte und es sich nicht notwendigerweise um einen griechischen Import handelt, Carter 2004, 372–373.

925 Stein-Hölkeskamp 2006, 317; nach Markantonatos 1998, 187–

189 deuten die gemischten Bestattungen auch auf verwandtschaft-liche (eheähnverwandtschaft-liche) Verhältnisse in diesen Siedlungen hin; zu den Beziehungen zwischen Griechen und Einheimischen an der Stätte s. auch Denti 2009; Denti 2013.

926 Stein-Hölkeskamp 2006, 319.

oder von den Neuankömmlingen überbaut. Solche direkten Kontakte sind auch für Metapont belegt, deren erste Grün-dung schon im griechischen Mythos verankert ist912. Strabo überliefert wiederum mehrere Versionen913: Eine erzählt von der Gründung durch Nestor von Pylos nach dem Trojanischen Krieg. Bei der weniger mythischen Version stützt Strabo sich wieder auf Antiochos, der die Stadtgründung im Zusammen-hang mit dem Konflikt zwischen sybaritischen Achaiern und tarentinischen Spartanern verortet. Dieser Erzählung folgend wird eine Gründung um 700, nach der Gründung von Ta-rent, vermutet914. Als Oikist nennt Strabo einen Leukippos, der mit Siedlern aus Achaia und Troizen den Grundstein der Stadt legte. Anders als in Tarent lässt sich keine chronologische Übereinstimmung zwischen schriftlicher Überlieferung und archäologischen Quellen feststellen: Das älteste griechische Material aus Metapont kann erst in die Mitte des 7. Jh. datiert werden. Der Ort besaß in der heutigen Gemarkung Andrisani eine Vorgängersiedlung, die wahrscheinlich gegen Ende des 7.

Jh. verlassen wurde. Ihre Grubenhäuser sind typisch indigener Machart: Hütte A ist etwas unregelmäßig achtförmig mit ei-ner Fläche von 19 m², Hütte B ist mit ca. 55 m² Grundfläche größer, besitzt aber auch einen unregelmäßigen Grundriss mit Eingang im NW und kleinem Herd an der Südwand915. Die mit diesen Gebäuden assoziierte Keramik war jedoch schon griechisch bzw. gräzisierend916. Die Analyse von kürzlich im Bereich der Gemarkungen Lazazzera und Castrum aufgedeck-ten frühen Siedlungsresaufgedeck-ten verspricht weitere Hinweise zur Klärung der Frage nach der ersten Kontaktsituation917. Im Stadtgebiet von Metapont selbst finden sich erst ab 620/600 ganz neue Strukturen, wie ein erster Tempel, die sich in der Folge zur griechischen Polis entwickeln. Aus dem Umfeld der späteren Polis belegen weitere Zeugnisse den Kontakt zwi-schen Einheimizwi-schen und Griechen schon vor der Gründung der Apoikie: Die frühesten Siedlungsspuren bei L’Incoronata (heute San Teodoro)918 stammen aus dem 9. Jh., im 8. Jh.

lassen sich unregelmäßige, ohne Pfostenlöcher in den Boden eingetiefte Hütten von rundem, ovalem oder etwa achtförmi-gem Grundriss identifizieren919. Angrenzend an die Hütten im Areal der als ‚Incoronata indigena‘ bezeichneten Siedlung finden sich gepflasterte Höfe. Bereits bis zur Mitte des 8. Jh.

hatte die Siedlung sich zu einem großen, offenen Dorf entwi-ckelt. Zwischen den Gebäuden verläuft eine mit Flusskieseln gepflasterte Straße, deren Errichtung schon ins 7. Jh. fallen

912 Alle Textstellen und Daten zusammengestellt in BTCGI 10 (1992) 65–112 s. v. Metaponto.

913 Strab. 6, 1, 15.

914 Das von Eusebius (Eus. Chron. Arm. sub Ol. 1) angegebene Datum von 773 ist als viel zu früh anzusehen.

915 Russo Tagliente 1992, 43–44.

916 De Siena 1986, Yntema 2000, 13–15.

917 De Siena 1990; vgl. Burgers 2004, 277.

918 Yntema 2000, 11–13; vgl. Osanna 2012, 24.

919 Russo Tagliente 1992, 31. Zum Fortschritt der Arbeiten der neu-eren Ausgrabungen s. die online in den Chroniques des activités archéologiques de l’École française de Rome von Mario Denti be-reitgestellten Jahresberichte.

deckt worden, die in den Boden eingegraben waren, während erst ab der zweiten Hälfte des 7. Jh. massivere Baustrukturen in Form von rechteckigen Lehmziegelhäusern auf Steinsockeln zu beobachten sind937. In einer ‚protokolonialen‘ Phase, die von ca. 700–650 anzusetzen ist, zeigt das Gebiet um Polieion/

Siris signifikante Neuerungen, die auf die Entstehung einer stabilen Anwesenheit von Griechen und deren Kunsthandwerk und Handel weisen. Erst ab der Mitte des 7. Jh. kann von einem echten Urbanisierungsprozess gesprochen werden, zu dem auch die erste Umwallung des Siedlungshügels mit einer Lehmziegelmauer, im Gegensatz zur offenen indigenen Sied-lungsweise, gehört938.

Eine weitere frühe Gründung am ionischen Golf ist Syba-ris939. Nach den literarischen Quellen um 720 von Achaiern aus Helike und Troizen angelegt, wird sie schnell zu einer sehr einflussreichen Polis, allerdings bereits nach zwei Jahrhunder-ten im Krieg gegen Kroton zerstört. Archäologische Befunde legen jedoch nahe, dass das wirkliche Gründungsdatum erst in der ersten Hälfte des 7. Jh. liegt. Die griechische Niederlassung scheint inmitten mehrerer, gleichmäßig verteilter einheimi-scher Höhensiedlungen dörflichen Charakters in der flachen Küstenebene errichtet worden zu sein940. Archäologisch ist von dieser frühen Ansiedlung nur sehr wenig erhalten. Strabo be-richtet, dass sie über vier benachbarte Stämme und 25 Städte regierte941. Die Existenz eines solchen ‚Reichs von Sybaris‘ als Vereinigung von griechischen und italischen Gemeinden ist belegt durch einen in Olympia gefundenen Vertrag auf einer Bronzetafel. Ursprünglich wahrscheinlich aufbewahrt bzw.

ausgestellt im Schatzhaus von Sybaris, wurde er in der Verfüll-schicht des Stadions aus dem 4. Jh. entdeckt. Es handelt sich um ein Abkommen der Sybariten mit den Serdaioi (Italiker), die an der tyrrhenischen Küste lebten. Beide Parteien geloben sich ewige Freundschaft, als Zeugen werden Zeus, Apollon, alle anderen Götter und die Stadt Poseidonia berufen942. Die-ses Reich ging sicher mit der Zerstörung von Sybaris am Ende des 6. Jh. zugrunde943.

Die Präsenz ostmediterraner Siedler bzw. ethnisch ge-mischter Ansiedlungen war nicht nur dort gegeben, wo Apoi-kien gegründet wurden. In Otranto fanden sich bedeutende Siedlungsreste aus dem 9.–7. Jh.944 Hüttenbau und Keramik-ware zeigen klar, dass es sich in diesem Zeithorizont um eine italische Siedlung handelte. Jedoch sind an diesem östlichsten Punkt Apuliens früh Importe in relativ großer Zahl

überlie-937 Stein-Hölkeskamp 2006, 316.

938 Lombardo 1996, 18–23.

939 Vgl. BTCGI 18 (2010) 764–787 s. v. Sibari/Thurii.

940 Kleibrink 2004, 29.

941 Strab. 6, 1, 13.

942 Isayev 2007, 143.

943 Isayev 2007, 141; vgl. Strab. 6, 1, 13 und Diod. 12, 9, 1–2. Auf Lo-kris und Kroton soll hier nicht weiter eingegangen werden, da diese zu weit vom zentralen Untersuchungsobjekt der Arbeit entfernt lie-gen. Eine gute Zusammenstellung weiterer Gründungsgeschichten und ein Vergleich mit den archäologischen Quellen findet sich bei

943 Isayev 2007, 141; vgl. Strab. 6, 1, 13 und Diod. 12, 9, 1–2. Auf Lo-kris und Kroton soll hier nicht weiter eingegangen werden, da diese zu weit vom zentralen Untersuchungsobjekt der Arbeit entfernt lie-gen. Eine gute Zusammenstellung weiterer Gründungsgeschichten und ein Vergleich mit den archäologischen Quellen findet sich bei

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