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3 Bedeutung der Lagerlogistik für eine nachhaltige Entwicklung

Die Lagerlogistik ist zum einen im Hinblick auf die ökonomische und ökologische Nach-haltigkeitsdimension hoch relevant für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen, zum anderen hat dieser Bereich mit einem großen Anteil an Beschäftigungs- und Ausbildungszahlen auch ein erhebliches Gewicht in der sozialen Dimension.

Transport-, Umschlag- und Lagerungsprozesse fallen als Querschnittsfunktion, im Rahmen von Beschaffungs-, Produktions-, Distributions-, Entsorgungsprozessen etc., in Unternehmen und Einrichtungen nahezu aller Sektoren und Wirtschafts-156 Berufliche Organisation von Arbeit als Rahmen einer Bildung für Nachhaltigkeit in der Lagerlogistik

zweige an. Entsprechend groß ist national wie international der ökologische Einfluss, der von der Lagerlogistik ausgeht. Prägnant formuliert Zanker (2018, S. 36):

„Der mit der Globalisierung einhergehende Anstieg internationaler Warenströme, die gute Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und nicht zuletzt das Wachstum des Online-Handels führen zu steigender Nachfrage nach Gütertransporten und Logistikdienstleis-tungen, was mit einem erheblichen Ressourcenverbrauch (Flächen, Wasser, Energie) und einer hohen Umweltbelastung durch die Emission von Luftschadstoffen und Treibhaus-gasen verbunden ist.“

Da logistische Aufgaben breit gefächert, leistungsdeterminierend und systemrelevant sind, ist davon auszugehen, dass nachhaltigkeitsorientierte Veränderungen hierin auf sämtliche Branchen ausstrahlen (vgl. Köylüoglu & Krumme, 2015). Die spezifischen Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung im Bereich der Lagerlogistik ver-anschaulicht Tabelle 1.

Domänenspezifische Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung im Bereich der Lagerlogistik (Quelle: eigene Darstellung)

Tabelle 1:

Vorrangig betroffene Nachhaltigkeitsdimension

beispielhafte domänenspezifische Anforderung Ökonomie Soziales Ökologie Berücksichtigung von rechtlichen Vorgaben, z. B. zu Gewährleistungsansprüchen X

gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen und Inklusion, durch z. B. Bereitstellung von

entsprechenden Arbeitsmitteln X

Verbesserung von Arbeitssicherheit, Arbeits- und Gesundheitsschutz

• im Umgang mit Gefahrstoffen

• bei physischen Beanspruchungen X

Wareneinlagerung und -pflege zur Vermeidung von Beschädigung oder Verderb X X

Standortwahl mit Einfluss auf u. a. die Transportwege X X

Bauweise der Lager mit entsprechendem Verbrauch an Fläche, Material, Energie X X Ausstattung der Lager mit nachhaltigen Regalsystemen, Arbeits-/Fördermitteln,

Gewähr-leistung hoher Nutzungsgrade X X

Nachhaltige Wahl, Verwendung und Entsorgung von Packmitteln etc. X X Optimierung des Materialflusses und der Intralogistik bzgl. Energieverbrauch und

Trans-portsicherheit X X X

Optimierung globaler Lieferketten und Geschäftsbeziehungen X X X

Korrespondierend damit existieren seit Längerem Empfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung der Logistik. Neben Globalisierung, Kostendruck, IT-Integration und Fachkräftemangel gilt sie als ein Megatrend in der Branche (vgl. Fontius, 2013; Pfohl et al., 1992; Zanker, 2018).

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Parallel dazu werden – quasi als mitlaufender Diskurs – konzeptionelle Orientie-rungslosigkeit, einseitige Thematisierung der „grünen“ Logistik zu Ungunsten sozia-ler Aspekte, unzureichendes Ausschöpfen von Verbesserungspotenzialen sowie das Auftreten von Rebound- bzw. Backfire-Effekten beklagt (vgl. Köylüoglu & Krumme, 2015). Solche paradoxalen und dysfunktionalen Auswirkungen werden speziell im Zu-sammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung in der Branche diskutiert (vgl.

Biebeler et al., 2020; Vollmer, 2020). Zugleich haben ein weltweites Wachstum sowie hoher Konkurrenz-, Zeit- und Kostendruck in der Branche eine zunehmende Abhän-gigkeit von Auftraggebern zur Folge (vgl. BIBB, 2020; Schad-Dankwart & Achtenha-gen, 2020). Dies erfordert von Logistikdienstleistern immer neue kundenorientierte Serviceleistungen, wie etwa kleinteilige individualisierte Lieferungs- bzw. Retouren-prozesse und flexible, kurzfristige Lösungen. Diese Rahmenbedingungen können ökonomisch basierten Entscheidungen Vorschub leisten, die dann im Widerspruch zu „nachhaltig nachhaltigem Handeln“ stehen.

3.1 Stellenwert der Lagerlogistik als Beschäftigungsfeld

Die Logistikbranche ist mit 1,3 Millionen Beschäftigten bedeutsam für den deutschen Arbeitsmarkt. Dabei entfällt nur ein Anteil von 7 % auf Beschäftigte in Lagerei-Unter-nehmen (vgl. Zanker, 2018). Lagerlogistiker:innen kommen jedoch auch außerhalb der Logistikbranche überall dort zum Einsatz, wo das Güterhandling am Lager- und Umschlagsort gefordert ist. Ihre Aufgabenbereiche ähneln sich über die Betriebe hin-weg, nicht jedoch die Branchen, Unternehmen und Lagertypen, in denen Lagerlogis-tiker:innen beschäftigt und ausgebildet werden (vgl. Schad-Dankwart & Achtenhagen, 2020). Im Vergleich zu Angestellten im Einzelhandel, werden die Arbeitskräfte in der Lagerlogistik geringer vergütet. Das niedrige Lohnniveau der Branche begründet sich u. a. dadurch, dass Unternehmen Logistikaktivitäten an externe Dienstleister outsour-cen, die dort an billigere Arbeitskräfte vergeben werden (vgl. Region Hannover, 2010).

Dieser Trend schlägt sich auch in der vergleichsweise großen Zahl an geringfügig Beschäftigten und Leiharbeitskräften in der Verkehrs- und Logistikbranche (vgl. Zan-ker, 2018) nieder, die angesichts dieses hohen Anteils an prekären Beschäftigungsver-hältnissen nicht als Vorbild für Nachhaltigkeit in sozialer Hinsicht gelten kann.

Neben der Differenzierung in tariflich regulierte und unregulierte, eher gute und eher schlechte Arbeitsbedingungen, determinieren die Unternehmensgröße (vgl.

Zanker, 2018) sowie der jeweilige technologische Entwicklungsstand (vgl. Schad-Dankwart & Achtenhagen, 2020) die Branche. Zwar wird der Verkehrs- und Logistik-branche grundsätzlich ein hohes technisches Substituierungspotenzial attestiert (vgl.

Ziegler & Tenberg, 2020), die Wirkrichtung der zunehmenden Digitalisierung auf das Einstellungsverhalten der Betriebe wird jedoch widersprüchlich ausgelegt: Zum Teil verlagern sich die Anforderungen von physischen hin zu steuernden, koordinieren-den, überwachenden Tätigkeiten und erhöhen damit technische, soziale, organisatori-sche und fachliche Qualifikationsanforderungen. Dem begegnen die Unternehmen bislang mit Fortbildungen oder der Einstellung höher qualifizierten Personals. Nach wie vor wichtige, aber einfachere bzw. körperliche Tätigkeiten werden dagegen ver-158 Berufliche Organisation von Arbeit als Rahmen einer Bildung für Nachhaltigkeit in der Lagerlogistik

mehrt von an- oder ungelerntem Personal übernommen. Hierbei vereinfacht die digi-tale Technik sowohl die operative Umsetzung als auch die Einarbeitung (vgl. Kock &

Schad-Dankwart, 2019; Region Hannover, 2010). Entsprechend begründen Unterneh-men den Rückgriff auf an- und ungelernte Arbeitskräfte zwar überwiegend mit dem Fachkräftemangel, jedoch auch zu einem erheblichen Teil damit, dass die geforderten Tätigkeiten keine hohen Qualifikationen erforderten (vgl. Kock & Schad-Dankwart, 2019).

Die hier beschriebenen Bedingungen beeinflussen in sektoraler, branchenbezo-gener Perspektive die Realisierung von BBNE im Feld der Lagerlogistik und bilden wiederum den Bedingungsrahmen für die betriebliche Ausbildung.

3.2 Ausbildung in der Lagerlogistik und der Stellenwert der BBNE

Unter allen Berufsbildern der Logistik1 ist die Fachkraft für Lagerlogistik (FKL) „der am stärksten nachgefragte Logistikberuf“ (Kock & Schad-Dankwart, 2019, S. 12). Seit der Neuordnung des Berufsbildes 2004 stieg die Zahl der Auszubildenden bis 2017 konstant an und blieb bis 2019 stabil (vgl. DIHK, 2019). Bei männlichen Jugendlichen liegt die FKL auf Rang acht der häufigsten Ausbildungsberufe, bei ausländischen männlichen Auszubildenden auf Rang neun. Bei ausländischen Auszubildenden ran-giert auch der/die Fachlagerist:in2 unter den zwanzig am stärksten besetzten Berufen (bei männlichen Rang 15) (vgl. Statistisches Bundesamt, 2018). Der Ausländeranteil stieg zuletzt leicht an (von 8,7 % auf rund 10 %), der Anteil weiblicher Auszubildender betrug stabil 12 bis 12,5 % (vgl. ebd.).

Der Ausbildungsberuf FKL wird hauptsächlich von Schulabgänger:innen mit Haupt- und Realschulabschluss nachgefragt: erstere stellen ein Drittel, letztere die Hälfte aller Auszubildenden in diesem Beruf (vgl. BIBB, 2020). Jugendliche ohne Schulabschluss wählen häufiger den Beruf des Fachlageristen/der Fachlageristin, Schulabgänger:innen mit (Fach-)Hochschulzugangsberechtigung dagegen die Ausbil-dung zum Kaufmann/zur Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistung. Unter-nehmen bemängeln dabei, dass

„zu wenige der Bewerber/-innen für Ausbildungsplätze in der Lagerlogistik […] die nöti-gen Voraussetzunnöti-gen mitbrinnöti-gen, um den Ansprüchen, die an zukünftige FKL gestellt werden, zu genügen“ (Schad-Dankwart & Achtenhagen, 2020, S. 22).

Vor diesem Hintergrund und angesichts digitalisierungsbedingter Veränderungen sowie rechtlicher, physikalischer und technischer Ausbildungsinhalte, ist die Einstu-fung der FKL als einer der „weniger anspruchsvollen Ausbildungsberufe“ (BMBF, 2014, S. 90) zumindest kritisch zu hinterfragen.

1 Weitere sind: Kaufmann/Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistung, Fachkraft für Möbel-, Küchen- und Umzugs-service, Berufskraftfahrer:in, Kaufmann/Kauffrau für Kurier-, Express- und Postdienstleistungen und Fachkraft für Hafen-logistik.

2 Die Ausbildung zur FKL umfasst drei, die zum Fachlageristen/zur Fachlageristin zwei Jahre. Die Inhalte der ersten beiden Ausbildungsjahre der FKL ähneln denen der Fachlagerist:innen, werden dort aber in geringerem Umfang und Anspruch behandelt (vgl. KMK 2004a; KMK 2004b). Der Ausbildungsberuf FKL ist im Zuge der Zusammenlegung der Fachkräfte für Lagerwirtschaft Hw und ICH (jeweils 1991 bis 2004) entstanden. Der/die Fachlagerist:in ersetzte 2004 den seit den 1940ern existierenden Beruf Handelsfachpacker:in.

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Ebenso vielfältig wie die Beschäftigungsbereiche von Lagerlogistiker:innen sind die Ausbildungsbereiche in Industrie, Handel und Handwerk. Die Unterschiede zwi-schen größeren, namhaften (Industrie-)Betrieben und kleineren, weniger renom-mierten Betrieben setzen sich im Bereich der Ausbildung im Hinblick auf die Bewer-berklientel, die Umsetzung der Ausbildungsordnung und die Ausbildungsqualität fort (vgl. Kock & Schad-Dankwart, 2019; Region Hannover, 2010). Entsprechend diver-gieren in Befragungen von Unternehmen, die FKL ausbilden, die Anforderungen an die Auszubildenden: Während Betriebe mit schwächerer Klientel zunächst grund-legende soziale Kompetenzen gewährleisten wollen, stellen renommierte Betriebe weitreichendere Anforderungen, wie etwa Fremdsprachkenntnisse, interkulturelle Kompetenzen und IT-Affinität (vgl. ebd.). Bemerkenswert ist, dass in den vorliegen-den Quellen zu vorliegen-den Anforderungen an die Berufe der Lagerlogistik aus Sicht der Aus-bildungsbetriebe außerdem z. B. Kundenorientierung, Flexibilität und Problemlöse-fähigkeit genannt werden, nicht jedoch nachhaltigkeitsbezogene Kompetenzen. Die berufliche Ausbildung bzw. die Auszubildenden wiederum finden in der Literatur zur nachhaltigen Logistik kaum Beachtung. Fraglich ist demnach, inwieweit die (an-gehenden) Fachkräfte in der Branche überhaupt als Treiber einer nachhaltigen Ent-wicklung angesehen werden. Auch Modellversuche zur BBNE in der Lagerlogistik sind – und das ist angesichts der hohen Relevanz der Logistikbranche im Kontext der Nachhaltigkeit und als nachgefragter Ausbildungssektor erstaunlich – eher selten.3

In den aktuell geltenden Ordnungsmitteln für FKL und Fachlagerist:innen von 2004 ist der Nachhaltigkeitsbegriff noch nicht enthalten. Nachhaltigkeitsbezogene Ziele gehen jedoch aus dem Bildungsauftrag der Berufsschule sowie aus den berufs-bezogenen Vorbemerkungen hervor, in denen die besondere Bedeutung von Arbeits-sicherheit und Umweltschutz herausgestellt wird (vgl. KMK, 2004a; 2004b). Umwelt-gerechtes/-bewusstes Handeln, Gesundheitsschutz usw. werden zumindest in den Lernfeldern des ersten und zweiten Ausbildungsjahres explizit benannt; und auch laut Ausbildungsordnung ist das Thema „Umweltschutz“ als Standardberufsbildposi-tion „während der gesamten Ausbildungszeit zu vermitteln“ (BGBl, 2004, S. 1895).

Allerdings sind die darin formulierten Prüfungsanforderungen – die für FKL und Fachlagerist:innen in schriftlicher und praktischer Zwischen- und Abschlussprüfung identisch sind – eher niedrigschwellig, und auch in den Prüfungsbereichen der AkA4 spielen die drei Nachhaltigkeitsdimensionen eine allenfalls rudimentäre Rolle. Prü-fungsinhalte sind z. B. der Umgang mit Verpackungen, Gesetze und Bestimmungen des Umweltschutzes, sozial ausgerichtete Unternehmensziele oder die ökonomisch ausgerichtete „nachhaltige“ individuelle Existenzsicherung.

3 Auszubildende der Lagerlogistik wurden zwar bei der Implementierung einzelner Modellversuchsprojekte (Pro-DEENLA, InnoLA) einbezogen, waren aber nicht explizit Zielgruppe der Vorhaben. Das Modellprojekt SYSLOG+ beschäftigte sich 2017 bis 2020 mit dem Kombinierten Verkehr (vgl. BMU, 2020), mit dessen Organisation in der Praxis jedoch primär Speditionskaufleute betraut sind. Detaillierte Berichte zu diesem Projekt lagen bei Fertigstellung dieses Beitrags noch nicht vor.

4 1. Prozesse der Lagerlogistik, 2. Rationeller und qualitätssichernder Güterumschlag, 3. Wirtschafts- und Sozialkunde (vgl.

AkA, 2021)

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Mit Blick auf diese spezifische Situation der Lagerlogistik verbinden sich beson-dere Herausforderungen und Perspektiven für die Realisierung einer BBNE im Kon-zept der Beruflichkeit im Feld der Lagerlogistik.

4 Herausforderungen und Perspektiven der Realisierung