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3.3 Lebensstätten von Arten des Anhangs II der FFH-Richtlinie

3.3.2 Bauchige Windelschnecke (Vertigo moulinsiana) [1016]

Erfassungsmethodik

Stichprobenverfahren, Kartierjahr 2016

Auf der Grundlage der § 32-Biotopkartierung/§ 30-Waldbiotopkartierung wurden zunächst alle potenziell geeigneten Habitatflächen ermittelt (z. B. Verlandungsröhrichte, Großseggen-bestände). Die Geländerfassungen wurden an insgesamt 20 über das gesamte FFH-Gebiet verteilten Probeflächen an folgenden Terminen durchgeführt: 06.06., 25.10., 04. und 05.11.

2016.

Zur Erfassung der Bauchigen Windelschnecke (Vertigo moulinsiana) [1016] wurden die Blattspreiten von Röhrichtpflanzen (insbesondere von Großseggen wie Carex acuta und Carex gracilis) visuell abgesucht. Da sich die braunen Gehäuse der Tiere farblich gut von den grünen Blattspreiten abheben, sind selbst Jungschnecken leicht aufzufinden. Bei den Erhebungen konnte Vertigo moulinisiana in 13 von 20 Probeflächen (= 65 %) nachgewiesen werden.

Die Abgrenzung der Lebensstätte erfolgte anhand der konkreten Artnachweise und der im Rahmen der Übersichtsbegehungen gewonnenen Einschätzung der Habitateignung der im GIS ermittelten Potentialflächen. Weiterhin flossen auch aus den im Jahr 2012 im Auftrag der LUBW durchgeführten Untersuchungen zur Zierlichen Tellerschnecke (Anisus vorticulus) [4056] gewonnene Gebietskenntnisse ein. Die abgegrenzte Lebensstätte besteht aus 69 Teilflächen mit einer Gesamtfläche von 73,3 ha.

Erhaltungszustand der Lebensstätte der Bauchigen Windelschnecke LS = Lebensstätte

Erhaltungszustand

A B C Gebiet

Anzahl Erfassungseinheiten -- 1 -- 1

Fläche [ha] -- 73,3 -- 73,3

Anteil Bewertung von LS [%] -- 100 -- 100

Flächenanteil LS am FFH-Gebiet [%] -- 4,4 -- 4,4

Bewertung auf Gebietsebene B

Beschreibung

Die Bauchige Windelschnecke hat ihren Siedlungsschwerpunkt in dauernassen Röhrichten und Großseggenbeständen. Die aktuellen Funde in Baden-Württemberg stammen vor allem aus Großseggenbeständen, seggenreichen Schilfröhrichten und Schneid-Rieden. Darüber hinaus wurde die Art auch in (bewaldeten) Quellsümpfen, lichten Erlenbruchwäldern, Fließ-gewässerröhrichten und in grabenbegleitenden Hochstaudenfluren nachgewiesen.

Die von Vertigo moulinsiana besiedelten Standorte zeichnen sich durch hohe Grundwasser-stände aus. Nach den Ergebnissen aus Detailuntersuchungen in Großbritannien sank der (sommerliche) Grundwasserspiegel an Standorten mit guter Habitateignung für Vertigo mou-linsiana nicht tiefer als 0,5 m unter Geländeniveau ab. In den am dichtesten besiedelten Flä-chen stand der Grundwasserspiegel ganzjährig über der Flur (0 bis max. 0,6 m). Standorte mit Grundwasserflurabständen von mehr als 0,5 m wurden nur in geringer Dichte besiedelt (TATTERSFIELD & MCINNES 2003). Auch in der Rheinniederung südlich von Karlsruhe sinkt der spätsommerliche Grundwasserspiegel in den von Vertigo moulinsiana besiedelten Le-bensräumen nur in Ausnahmefällen um mehr als 0,5 bis 0,7 m unter Flur, wobei es sich dann ebenfalls um individuenarme Bestände handelt (KLEMM 2008). Die Art benötigt ein feucht-warmes Mikroklima, weshalb gut besonnte Röhricht- und Großseggenbestände mit einer dicht geschlossenen Vegetationsmatrix bevorzugt werden.

Die Bauchige Windelschnecke verbringt im Gegensatz zu den anderen einheimischen Verti-go-Arten einen großen Teil ihres Lebens in der höheren Krautschicht (bis ca. 1,2 m Höhe), die sowohl das Nahrungs- und vermutlich auch das Fortpflanzungshabitat darstellt. Dement-sprechend reagiert sie äußerst empfindlich gegenüber einer Mahd ihrer Lebensräume (ins-besondere während der Vegetationsperiode).

Über das Überwinterungsverhalten ist noch wenig bekannt. Nach eigenen Beobachtungen (KLEMM 2011) verbleiben die adulten und subadulten Tiere auch während des Winters in der Krautschicht und sterben mit dem Zusammenfallen der Vegetation sukzessive ab. Die zahl-reichen, im Spätsommer bzw. Frühherbst geschlüpften Jungschnecken steigen vermutlich aktiv aus der höheren Krautschicht hinab und überwintern dann in der Streuschicht oder auch in der bodennahen Vegetation.

Vertigo moulinsiana ist eine europäisch verbreitete Art, die in Deutschland hauptsächlich im nord-(ost-)-deutschen Tiefland (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Bran-denburg) vorkommt (COLLING &SCHRÖDER 2003a). In Baden-Württemberg galt die Art noch Anfang der 1990er Jahre als sehr selten. Die wenigen Nachweise beschränkten sich auf die Oberrheinniederung, das Bodenseebecken und zwei isolierte Vorkommen im Naturraum Schönbuch.

Ab 1990 erfolgten zahlreiche Neufunde der Art, v. a. aus dem Bodenseegebiet (Untersee, Bodanrück), dem Klettgau, der Mittleren und Nördlichen Oberrheinebene und dem Schön-buchgebiet. Zwischenzeitlich zeichnet sich damit ein kontinuierliches Verbreitungsgebiet vom Bodenseebecken über den Hochrhein bis in die nördliche Oberrheinebene ab. Hinzu kommt ein weiterer Vorkommensschwerpunkt im offenbar sehr dicht besiedelten Naturraum Schön-buch zwischen Stuttgart und Tübingen.

Im FFH-Gebiet „Westliches Hanauer Land“ finden sich geeignete Biotope in relativ großer Anzahl und Flächenausdehnung (grundwassernahe Standorte mit +/- seggenreichen Schilfröhrichten und aufgelichtete Erlenbruchwälder), weshalb die Habitatqualität insgesamt als gut (Wertstufe B) einzustufen ist.

Der Zustand der Population ist ebenfalls gut (Wertstufe B). Geeignete Habitate werden mit hoher Stetigkeit besiedelt. An im Offenland gelegenen Röhrichten mit geringer Beschattung durch Gehölze werden im Regelfall hohe Siedlungsdichten (Schätzwert >> 100 Ind./m2) er-reicht.

Die Beeinträchtigungen der Lebensstätte sind insgesamt gering (Wertstufe A). Bei im Offen-landbereich liegenden Teilen der Lebensstätte findet teilweise diffuser Nährstoffeintrag aus angrenzenden Flächen mit landwirtschaftlicher Intensivnutzung statt. Innerhalb des Walds ist auf den Teilflächen teilweise eine zunehmende Verschattung infolge natürlicher Sukzession zu beobachten.

Verbreitung im Gebiet

Die Bauchige Windelschnecke ist im FFH-Gebiet weit verbreitet und häufig. Sie besiedelt dort insbesondere

• Röhrichtgürtel im Verlandungsbereich von stehenden und langsam fließenden Ge-wässern,

• weitgehend verlandete Altwasser (Schluten) mit nassen, +/- großseggenreichen Schilfröhrichten und

• aufgelichtete Erlen-Bruchwälder mit Großseggen-Unterwuchs, grundwassernahe Au-enwälder i. w. S. mit moderaten Wasserstandsschwankungen (max. ca. 1 m über der Flur).

Verlandungsbereiche von Gewässern mit starken Wasserstandsschwankungen (z. B.

Rench-Flutkanal) oder mit langanhaltenden Überflutungen (Silberweiden-Wälder an der Mündung des Rench-Flutkanals) können von der Art nicht besiedelt werden.

Die Verbreitung der Art erfolgt einerseits im Rahmen von Hochwasserereignissen durch Ver-driftung, anderseits vermutlich in großem Umfang durch den Transport im Fell von Großsäu-gern. V. a. Wildschweine sind als Vektoren geradezu prädestiniert, da diese die von V. mou-linsiana besiedelten Biotope regelmäßig zur Nahrungssuche und zum Suhlen aufsuchen.

Konkret festgestellt wurde die Bauchige Windelschnecke in folgenden Teilflächen:

• Lichter Sumpfwald und Verlandungszonen der Rubenkopfkehle im NSG „Mittelgrund Helmlingen“

• Verlandungszone des „Hellen Wassers“ im NSG „Hinterwörth-Laast“

• Lichte Sumpfwälder im NSG „Hinterwörth-Laast“

• Verlandungsröhrichte am Dreimärkerweg westlich von Freistett

• Uferröhrichte des Altrheins und Schluten an der Bellenhütte nordwestlich von Diers-heim

• Randbereich der Pfeifengraswiese „Steinwörth“ westlich von Diersheim

• Verlandungszonen der Altwässer nördlich und westlich von Leutesheim Bewertung auf Gebietsebene

Die Bauchige Windelschnecke ist im Untersuchungsraum weit verbreitet und in geeigneten Biotopen mit großer Stetigkeit vertreten. Diese Biotope kommen im Gebiet häufig vor. Es handelt sich zudem, um eine große, aus zahlreichen Einzelvorkommen bestehende Metapo-pulation. Die Teilpopulationen stehen dabei in engem Zusammenhang mit der regelmäßigen, passiven Verfrachtung von Individuen durch Säugetiere, Vögel oder Hochwasser. Die

Le-bensstätte der Bauchigen Windelschnecke im FFH-Gebiet befindet sich deshalb in einem gutem Gesamterhaltungszustand (B).