Die Information:
Bericht und Meinung
Zahlreiche gesundheits- und sozialpolitisch interessierte Journalisten aus dem ganzen Bundesgebiet diskutierten bei einem Presseseminar mit den Repräsentanten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Berlin die aktuellen Themen Arztzahlent- wicklung, Bedarfsplanung und Arzneimittelversorgung. Bild links: Journalisten während des KBV-Seminars; Bild Mitte:
Dr. Hans Wolf Muschallik, der das Presseseminar leitete; neben ihm der als Gast teilnehmende Präsident der Bundesärztekam- mer, Dr. Karsten Vilmar; außerdem auf dem Bild (v. I.) Dr. Jens Doering, Dr. Peter Krein, Dr. Eckart Fiedler; Bild rechts:
Dr. Fiedler an der Projektionstafel, am Tisch Dr. Friedrich-Wilhelm Schwartz Fotos (3): story press - jochen clauss
Kostendämpfung
Aufgabe aller Beteiligten
„Kostendämpfung im Gesund- heitswesen sei die Aufgabe aller Beteiligten, also auch der Kran- kenhäuser und der Pharma-Indu- strie. Der niedergelassene Arzt dürfe in seinen Bemühungen uni
KielerNachrichten
Kosteneinsparungen nicht allein gelassen werden. Darauf hat der 1.
Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Hans Wolf Muschallik, auf einem Pressesemi- nar in Berlin hingewiesen. Die rückläufige Entwicklung der Real- einkommen gäbe den Ärzten keine großen Freiräume in der Honorar- gestaltung mehr. Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit kostenspa- renden Verhaltens, wie es das
Kran kenversicherungs-Kosten- dämpfungsgesetz (KVKG) fordere, sei es für den Kassenarzt schwie- rig geworden, die Balance zwi- schen dem zurückgehenden Real- einkommen und den höheren Aus- gaben zu halten.
... Dr. Fiedler machte deutlich, daß die 1978 erwartete, aber be-
reits auch in den vergangenen Jahren festzustellende Minderung des durchschnittlichen Realein- kommens des Kassenarztes „bei aller Einsicht in eine weiterhin not- wendige Kostendämpfung künftig
nicht mehr hingenommen werde, da sie den qualitativ hohen Stan- dard der ambulanten kassenärztli- chen Versorgung gefährde . . . . . . In der Diskussion auf dem Presseseminar wurden von ärztli- cher Seite die Approbationsord- nung, das Prüfverfahren, das ,Fak- tenpauken' zur Beantwortung komplexer Fragen in kurzer Zeit voraussetzt und ein Problembe- wußtsein gar nicht aufkommen läßt, heftig kritisiert. Gefordert wurde die Hinführung zur Allge- meinmedizin schon während des Studiums und ein größerer Praxis- bezug.
Der Präsident der Bundesärzte- kammer, Dr. Karsten Vilmar, mein- te, die Zahlen drückten nicht aus, daß wir einen völlig anderen Arzt bekommen. Abiturnoten würden durch ein Arztstudium vergoldet, wer 60 Prozent der Prüfungsfra- gen beantworte, habe bestanden, man könne sich der Anatomie ent- ledigen und sich anderen Fragen zuwenden und trotzdem die Prü- fung bestehen. Theoretisches Wis-
sen dominiere, Lehrplätze fehlten, Patienten in den Krankenhäusern würden belästigt . . . Als eine War- nung wurde in der Diskussion zum Ausdruck gebracht, daß die Schweiz und Österreich das deut- sche medizinische Staatsexamen nicht mehr anerkennen wollen, weil diese Staaten die Qualitäts- forderungen in der Bundesrepu- blik Deutschland nicht für ausrei- chend halten." nu-
„Ärzteschwemme”
bedroht die
Qualität der Medizin
„In absehbarer Zukunft wird es in der Bundesrepublik Deutschland viel zu viele und für die Erforder- nisse der Praxis nicht genügend ausgebildete Ärzte geben. Diese gefährliche Entwicklung kann schon 1990, spätestens aber im
BERLINER MORGENPOST
Jahre 2000 Wirklichkeit sein. Es ist nicht unberechtigt, von einer kom- menden ,Ärzteschwemme` zu sprechen. Diesen Ausblick gab Dr.
med. Eckart Fiedler, Hauptge- schäftsführer der Kassenärztli-
DEUTSCHES ARZTl'EBL ATT Heft 43 vom 26. Oktober 1978 2475
Die Information:
Bericht und Meinung Presseseminar der KBV
chen Bundesvereinigung auf ei- nem Presseseminar in Berlin.
Studien gehen davon aus, daß es im Jahre 2000 etwa 257 000 Ärzte gegenüber den derzeit rund 120 000 in der Bundesrepublik ge- ben wird. Das ist eine Folge der hohen Zahl der Studienanfänger, die Arzt werden wollen: in der Bundesrepublik im Jahr 11 000, in England nur 5000, in den USA mit seiner 200-Millionen-Bevölkerung 16 000." A. R.
Bald an jeder Ecke eine Arzt-Praxis
„Der unverändert starke Andrang zum Medizin-Studium an den deutschen Universitäten droht für die nächsten zwanzig Jahre eine problematische Ärzteschwemme einzuleiten. Auf das Jahr 2000 vor- ausberechnet, steht einem Bedarf von 164 000 Ärzten ein Angebot von rund 260 000 jungen Medizi-
eamburger Metelall
nern gegenüber. Für je 217 Ein- wohner gibt es dann einen Arzt, heute immerhin für 522 Einwoh- ner. Um diese Ärzte alle unterbrin- gen zu können, müßte praktisch an jeder Straßenecke eine Praxis sein. In der Bundesrepublik gilt schon heute der Ärztebedarf als gedeckt, dennoch bestehen große Probleme: In Großstädten und Ballungsgebieten lassen sich überdurchschnittlich viele Ärzte nieder, in Land- und Stadtrandge- bieten sind es dagegen noch zu wenige. Der Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesver- einigung, Dr. med. Eckart Fiedler, betonte in Berlin: ,Wenn weiter- hin mehr Studenten als benötigt zu Ärzten ausgebildet werden, muß unser System der medizini- schen Versorgung zusammenbre- chen.'
Die große Studentenzahl beein- trächtigt auch die Ausbildung. Die
Lehrkrankenhäuser in der Bun- desrepublik sind überfordert, weil sie ursprünglich je Semester 3000 Studenten in der Praxis ausbilden sollten, sich inzwischen aber einer Lawine von 11 000 Studienanfän- gern gegenübersehen.
Die praktische Ausbildung unmit- telbar am Kranken, wie sie mit der neuen Approbationsordnung von 1970 vorgesehen war, kann ange- sichts der Studenten-Massen als gescheitert gelten...
Inzwischen gibt es erste Anzei- chen dafür, daß die drohende Ärz- teschwemme den Ansturm auf das Medizin-Studium doch ein wenig bremsen könnte. Ärztekammer- Präsident Dr. Karsten Vilmar er- klärte in Berlin: ,Die Zeiten, da man sein Einser-Abitur mit einem Medizin-Studium vergolden konn- te, sind jedenfalls vorbei. — CO
Kritik
an Mediziner-Ausbildung
„Die Ausbildung von Medizinern hat der Präsident der Bundesärz- tekammer, Dr. Karsten Vilmar, hef- tig kritisiert. Auf dem gestern in Berlin beendeten Seminar der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung sagte der vor einigen Mona- ten neu gewählte Ärztepräsident, der Numerus clausus sei das schlechteste Auswahlverfahren, Studenten zum Medizinstudium zuzulassen. Vernünftiger sei bei- spielsweise ein dem Studium vor- geschaltetes Praktikum. Studium
DER TAGESSPIEGEL
und Prüfmethoden legen nach Vil- mars Ansicht zu viel Wert auf die Theorie und vernachlässigen in starkem Maße die praktische Ar- beit am Patienten. Das Erkennen von Zusammenhängen komme zu kurz, „Kreuzworträtsel-Denken"
werde gefördert.
So lasse die Prüfungsordnung bei- spielsweise zu, daß ein Student
sein Examen bestehe, obwohl sein Wissen in einem lernintensiven Fach wie der Anatomie gleich Null
sei." dpa
Einkommenseinbußen und Qualitätsverluste
„Die durchschnittliche Umsatz- steigerung je Arzt dürfte bei etwa 2,5 Prozent bis 3 Prozent liegen.
Die Erhöhung der Praxiskosten wird mit 8 Prozent veranschlagt.
Die Kassenärzte meinen, daß erst
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ZEITUNG FUR DEUTSCHLAND
bei einer durchschnittlichen Um- satzsteigerung von fast 3,8 Pro- zent die Verteuerung der Praxis- führung ausgeglichen werden könne. Die Realeinkommen der Kassenärzte würden also auch 1978 wieder sinken.
Bei aller Einsicht in die auch wei- terhin notwendige Kostendämp- fung, sagte Fiedler, könne die Ein- kommensminderung der Kassen- ärzte nicht mehr hingenommen werden, zumal damit auch der qualitativ hohe Standard der am- bulanten Versorgung gefährdet werde.
Der Vorsitzende der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung, Dr. Hans Wolf Muschallik, fügte hinzu, daß die Ärzteschaft ihre Interessen künftig ,mit härteren Bandagen' vertreten werde. Ziel sei ein ange- messener Interessenausgleich.
Muschallik bezeichnet das heutige Gesundheitssystem als erhaltens- wert. Die Gesundheitsleistungen könnten aber nicht starr an die Entwicklung der Einnahmen ge- bunden werden." Kg
Künftig
mit harten Bandagen
„Das Thema ,Ärzteschwemme`
steht auch im Mittelpunkt der nächsten Runde der konzertierten
DEUTSCHES ARZ IEBLATT 2476 Heft 43 vom 26. Oktober 1978