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Archiv "Ghana: Medizin ohne Ärzte" (04.02.2005)

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E

igentlich gehört Ghana zu den Mu- sterländern Afrikas: kontinuierliches Wirtschaftswachstum und politische Stabilität. Reiseführer loben das Land als das mit dem freundlichsten Volk der Er- de. Genau genommen aber hat die so ge- nannte Goldküste im Westen Afrikas ei- ne Menge Probleme. Eines davon ist die medizinische Versorgung insbesondere in den ländlichen Gebieten. Zum Beispiel gibt es in der Volta-Region im Osten des Landes, die nach dem großen Volta-Stau- see benannt wurde, nur einen Arzt für 164 000 Menschen.

Die Wirklichkeit dort sind einfache Bauern, von denen rund 70 Prozent an Tiergötter glauben und von denen die meisten unterhalb der Armutsgrenze le- ben – Menschen, die so arm sind, dass sie ihre Kinder verkaufen oder zum Betteln zwingen müssen. Hohläugige Kinder mit vom Eiweißmangel aufgeblähten Bäu- chen, die schwere Wasserkanister oft mei- lenweit nach Hause schleppen. Nach

Hause – das sind verräucherte Lehmhüt- ten, in denen Frauen direkt neben dem Toilettenloch im Boden Fufu stampfen, das ghanaische Nationalgericht aus Ma- niok und Kochbananen.

Arbeit ist in Ghana Frauensache. Die Männer sitzen draußen im Schatten bei Palmwein oder Pito.Das Leben findet auf der Straße statt: festgetretener, steinhar- ter ockerfarbener Lehm,auf dem Hühner neben Babys spielen. Staubige Kleinkin- der werden auf der Straße gewaschen, räudige Hunde balgen um Knochen, und wenn ein Weißer vorbei-

läuft, ist das Gejubel und Gewinke groß. Je- der Weiße ist für die meisten Ghanaer ein

„father“ – eine Folge der missionarischen Bestre- bungen in dem west- afrikanischen Land.Wei- ße sind dort noch immer eine Seltenheit,denn das Land blieb bislang vom Massentourismus ausge- spart. Die „Segnungen der Zivilisation“ sind noch nicht im ländlichen Raum eingekehrt, was bedeutet, dass die hy- gienischen Bedingungen problematisch sind, die Ernährung ist einseitig.

Die Familien sind groß, aber die Kinder- sterblichkeit ist relativ hoch.Vielen in den kleinen Dörfern bleibt die medizinische Versorgung verwehrt.

Gerade dieser Patienten hat sich in Nkwanta, einer Distrikthauptstadt in der Volta-Region, eine kleine christliche Kli- nik angenommen. Von Mai bis Oktober regnet es dort. Während der Dürre weht der Wüstensand aus der Sahara über das Land und hüllt die Landschaft in ein staubiges Rot. Können in der Regenzeit die matschigen, holprigen Straßen und Wege kaum passiert werden, so mangelt es in der Trockenzeit, in der Busch- feuer die Ernte vernichten, überall an Wasser. Auf das Telefonnetz, das ein Jahr lang gar nicht funktionierte, ist noch im- mer kein Verlass – vor allem nach Stür- men und Gewittern bricht es zusammen.

Schwierige Umstände, um ein Kranken- haus zu leiten.

„Alle Ehre dem Gott, der uns ermög- licht, den Armen und Kranken zu die- nen“, so beginnt der Jahresbericht des St.- Joseph-Krankenhauses in Nkwanta. St.

Joseph’s hat zurzeit keinen einzigen Arzt, und es hat auch nie einen gehabt. 1971 von zwei holländischen Ordensschwe- stern gegründet, führten diese das Hospi- tal erst einmal allein – bis eine krank wur- de, dann musste das Krankenhaus seine Türen wieder schließen. Inzwischen – mehr als 30 Jahre später – hat das Kran- kenhaus 54 Mitarbeiter. Einen Arzt sucht es immer noch. Krankenschwestern und Pfleger übernehmen häufig die Verant- wortung für die 73 Bet- ten, führen kleinere Eingriffe selbst durch, lernen Schüler an. Alle zwei Wochen schaut der Gynäkologe aus der Nachbarregion vor- bei. Dennoch ist das Krankenhaus geöffnet, solange Patienten kom- men: sechs Tage in der Woche, 52 Wochen im Jahr.

Auf selbst gebastel- ten Bahren erreichen die Kranken das Hospi- tal, über unwegsame Pfade, durch die Savan- ne oder den Regen- wald. Die spärliche In- frastruktur, vor allem in T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 5⏐⏐4. Februar 2005 AA271

Ghana

Medizin ohne Ärzte

Die so genannte Goldküste in West- afrika hat eine Menge Probleme.

St. Joseph´s-Hospital:

Das Kind wird gegen Durchfall behandelt.

Im St.-Joseph-Krankenhaus in

der Volta-Region halten

Krankenschwestern und Pfle-

ger den Betrieb aufrecht, um

wenigstens eine rudimentäre

Versorgung zu gewährleisten.

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den kleinen Dörfern, hält niemanden da- von ab, St. Joseph’s zu erreichen. „Den meisten Andrang haben wir am Montag“, erklärt Schwester Magdalena,„denn da ist Markttag.“ Und so kommen sie. Kaum fahrtüchtige Wagen mit Ziegen und Scha- fen aufs Dach gebunden, barfüßige Kin- der in zerschlissenen Calvin-Klein-Hem- den und alte Frauen mit Paillettenshirts, auf denen „Bitch“ steht – Relikte einer anderen Welt und deren Altkleidersamm- lungen. Männer in gebatikten Hemden, Frauen mit turmhohen Lasten auf dem Kopf. Fünfjährige, die in Plastiktüten selbst gemachten Kakao feilbieten und auf diese Weise den Typhuserreger vertei- len, und Alte, die sich zu einer Spielpartie Oware, dem ghanaischen Schach, treffen wollen. Und wenn die Bauern mit Yams- Wurzeln und Mais ohnehin schon in die Stadt wollen – warum nicht auch gleich die Kranken mitnehmen? Für die heißt es dann aber erst einmal warten und an- stehen, um ein Ticket zu erwerben, die Eintrittskarte für das Krankenhaus, die rund einen Euro kostet – Bürokratie in Afrika. Krankenversichert ist in Ghana niemand. Malaria, Typhus und Tuberku- lose sind die Hauptgründe, aus denen Patienten ins St.-Joseph-Krankenhaus kommen, und immer noch jeder Zehnte stirbt trotz medizinischer Versorgung an einem Schlangenbiss.

„Hier finden sich die typischen Ar- mutskrankheiten“, sagt Schwester Mag- dalena. Mehr als 60 Prozent der Patienten werden ambulant und stationär wegen Infektionen behandelt, relativ häufig sind

auch Anämie und Atemwegserkrankun- gen. Immer noch ist die Haupttodesursa- che Anämie, gefolgt von Sepsis. Beinahe zwölftausend Patienten wurden im ver- gangenen Jahr von Schwester Magdalena und ihren Kollegen behandelt, davon knapp zehntausend ambulant. Die sta- tionär aufgenommenen verteilen sich auf die sechs Stationen für Erwachsene, Müt- ter und Tuberkulosepatienten. Die Kin- derstation besteht gerade einmal aus acht Bettchen. Dahin kommen meist nur die schwierigen Fälle. Fälle,

wie der der kleinen Afia (Name geändert). Von einem Weißen vergewal- tigt, übergoss ihre ver- zweifelte Mutter die Neugeborene mit ko- chendem Wasser,um das unerwünschte Misch- lingskind zu töten. Afia überlebte schwer ver- letzt.Wie behandelt man ein Kleinkind mit Ver- brennungen dritten Gra- des ohne Arzt? Das Mädchen konnte sich jahrelang wegen der zurückgebliebenen Nar-

ben kaum bewegen. Doch Afia hatte Glück: Als sie sieben Jahre alt war, nahm sich ihr ein deutsches Ärzteteam einer Hilfsorganisation an. Nach einer Operati- on in der Hauptstadt Accra kann Afia heute mit anderen Kindern in einem Wai- senhaus spielen. Schicksale wie ihres sind nicht selten und erfordern erfahrene Spe-

zialisten, nicht nur die eifrigen Hände von Krankenschwestern.Aber mehr gibt es in vielen Häusern Afrikas nicht, so auch hier in St. Joseph’s. Immerhin: Zehn Betten stehen für Isolierpatienten bereit. Wenn ein Patient mit Tuberkulose dort eingelie- fert wird, wird ihm zuvor das feierliche Versprechen abgenommen, die zwei er- forderlichen Behandlungsmonate dort auszuharren, andernfalls würde er nicht behandelt.

Müssen manche Patienten von einem längeren Aufenthalt auch erst überzeugt werden, so sind sich die Helfer aber stets deren Dankbarkeit sicher.Wer kein Geld für die Behandlung hat, bringt Geschen- ke. Dass das Krankenhaus kaum über fi- nanzielle Mittel verfügt, liegt deshalb vor allem an der Armut seiner Patienten. Ei- ne Malariatherapie kostet zwar nur um die sechs Euro, aber genau die fehlen ei- nem Bauern, der mit Glück 30 Euro im Monat verdient und davon eine Familie ernähren muss. So ist das Krankenhaus mit 40 000 Euro für ghanaische Verhält- nisse hoch verschuldet.Es fehlt an vielem:

von Sitzmöglichkeiten im Wartebereich bis hin zu neuerer Technik wie einem Am- bulanzwagen oder einem funktionieren- den Röntgenapparat. Zwar hat eine Hilfsorganisation einen solchen gespen- det, aber er läuft nicht, und Ersatzteile kann man in Ghana nicht erhalten.

Trotz all dieser Schwierigkeiten kämpft St. Joseph’s weiter um sein finanzielles Über- leben und das vieler Patienten. Denn, so schreibt es die organi- satorische Leitung des kleinen Kranken- hauses, „wir glauben, dass Leben retten wichtiger ist, als auf Bezahlung vor der Behandlung zu beste- hen. Priorität haben nicht die Finanzen, sondern die Heilung der Kranken und Schwachen.“ Es wundert niemanden, dass der sehnlichste Wunsch der verant- wortlichen Schwester Magdalena ein Arzt ist. Ein Arzt für St. Joseph’s, Nkwanta in Ghana, Westafrika. Dort, wo ein Arzt wirklich gebraucht wird.

Christoph Becker, Katharina Bialleck T H E M E N D E R Z E I T

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A272 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 5⏐⏐4. Februar 2005

Hilfe für St. Joseph´s

Das St. Joseph’s sucht dringend einen oder mehrere Ärztinnen oder Ärzte für mindestens ein Jahr. Gesucht werden die Fächer Allgemeine oder Innere Me- dizin, Tropenmedizin oder Chirurgie.

Das Gehalt übernimmt die katholische Diözese Jasikan. Kontakt: Catholic Secretariat, P.O. Box: Ja 64, Jasikan V/R, Ghana, West Africa, E-Mail: Arzt-fuer- Nkwanta@gmx.de.

Spenden können an die St.-Liborius- Gemeinde, Liboristraße 18, 44143 Dort- mund überwiesen werden: Stadtspar- kasse Dortmund, BLZ: 440 501 99, Kon- to: 271 002 645, Verwendungzweck:

„Spende für St. Joseph’s Hospital“.

Die meisten Einwohner in der Volta-Region leben unterhalb der Armutsgrenze.

Fotos:Christoph Becker,Katharina Bialleck

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