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Archiv "Embryonen sind keine Rohstofflieferanten" (27.07.2001)

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ie Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Wissenschaftler im kon- servativen amerikanischen Bun- desstaat Virginia brechen ein Tabu – sie produzieren erstmals Embryonen allein für Forschungszwecke. Ob der Zeit- punkt der Publikation ihrer Arbeit poli- tisch glücklich war oder nicht, sei dahin- gestellt. Tatsache ist jedoch, dass Regie- rungen in Europa gerade intensiv über Zulassung oder Verbot der Stammzell- forschung beraten, ebenso wie der ameri- kanische Präsident George W. Bush, der in den nächsten Tagen seine Entschei- dung für oder gegen eine staatliche För- derung dieses Forschungszweiges be- kannt geben wird. Bisher fehlen eindeu- tige offizielle Stellungnahmen. Doch ist es ein Faktum, dass die Embryonen- und Stammzellforschung in den USA Politik und Öffentlichkeit längst überholt hat.

Sie ist nicht nur bereits angewandte Wis- senschaft, wie eine israelische Publikati- on (1) vom April dieses Jahres zeigt. Sie ist längst Technologie (2). Und sie ist auch schon ein patentiertes Geschäft (3).

Die aktuelle Diskussion wurde aus- gelöst durch eine am renommierten Jones-Institut für Reproduktionsmedi- zin in Norfolk/Virginia durchgeführte Studie zur Gewinnung von menschli- chen embryonalen Stammzell-Linien.

Die Arbeit der Reproduktionsforsche- rin Dr. Susan E. Lanzendorf und Mitar- beiter, in der Juli-Ausgabe des Journals

„Fertility and Sterility“ publiziert (4), berichtet über die Gewinnung von Bla- stozysten aus speziell für diesen Zweck gegen finanzielle Abgeltung anonym und im Einverständnis gespendeten ge- sunden Oozyten und Spermien.

Produktion von Embryonen

Die Forscher entnahmen 162 reife Oozyten, im Mittel 13,5 pro Spenderin.

Die Insemination resultierte in einer Befruchtungsrate von 68 Prozent. Die Hälfte der Versuche ergab Blastozy- sten, von denen per Immunchirurgie 18 Stammzelleinheiten für die Kultur

produziert werden konnten. Von diesen initialen Kulturen wurden schließlich drei Stammzell-Linien geschaffen. Die- se Zell-Linien repräsentieren pluripo- tente Zellen mit einer erheblichen Dif- ferenzierungskapazität.

Die Produktion der Stammzellen ge- schah ausschließlich für Forschungs- zwecke, nicht zur therapeutischen Nut- zung. Die Studie war vom Internal Re- view Board (IRB) der Eastern Virginia Medical School, dem das Jones-Institut akademisch angegliedert ist, zugelassen worden. Sie sei, wie die Hauptautorin gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt begründet, Folge der Mitte der 90er- Jahre international intensivierten Er- forschung des potenziellen Einsatzes embryonaler Stammzellen. „Embryo- nale Stammzellen wurden in vielen ver- schiedenen Tierspezies produziert, und es wurde immer deutlicher, dass sie ei- nes Tages ein Mittel für die Heilung zahlreicher Krankheiten werden könn- ten“, argumentiert Lanzendorf. Ziel der Arbeit war es, wie der Leiter der Arbeitsgruppe in Norfolk, Dr. William E. Gibbons, erklärt, die Laborbedin- gungen zu evaluieren, die für die Ge- winnung und Erhaltung humaner em- bryonaler Stammzell-Linien erforder- lich sind.

Embryonale Stammzellen wurden von Forschern bisher unter Verwendung überzähliger befruchteter Eizellen, die nicht zur Erzeugung einer Schwanger- schaft implantiert und entweder einge- froren oder anderweitig der Vernichtung preisgegeben worden wären, gewonnen.

Die ethische Diskussion ist auch in den USA jetzt derart massiv entflammt, weil erstmals offiziell Embryonen nur zum Experimentieren produziert wurden.

Kritik gegen dieses Vorgehen kommt in den USA maßgeblich von religiös- konservativer Seite, während viele Ärz- te und Wissenschaftler – zum Beispiel 80 US-Nobelpreisträger – sich für eine staatliche Förderung der Stammzellfor- schung aussprechen.

Auch die Forscher des NIH (Na- tional Institutes of Health) befürworten die weitere Forschung mit embryonalen Stammzellen, wie ein letzten Mittwoch veröffentlichter, umfangreicher Report erkennen lässt (5). Darin heißt es: „Es ist heute unmöglich vorherzusagen, wel- che Stammzellen – die vom Embryo, P O L I T I K

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A1930 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 30½½½½27. Juli 2001

Embryonen- und Stammzellforschung

In den USA längst

ein patentiertes Geschäft

Ziel der Forscher am Institut für Reproduktionsmedizin in Norfolk/

Virginia war es, die Laborbedingungen zu evaluieren, die für die Gewinnung humaner embryonaler Stammzell-Linien erforderlich sind.

Embryonen sind keine Rohstofflieferanten

Während in den USA die Forschung mit embryonalen Stammzellen offenbar re- lativ unkritisch gesehen wird (vgl. den Bericht), sind in Deutschland die Vorstöße amerikanischer Labors in der Stammzellforschung auf heftige Kritik gestoßen.

Die Vorsitzende der Enquete-Kommission des Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Margot von Renesse, sagte: „Menschliches Leben darf man nicht produzieren, um es zu vernichten.“ Der Präsident der Bundesärzte- kammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, kritisierte, die Wissenschaftler machten sich zu Herren über Leben und Tod menschlicher Embryonen. In Deutschland dürfe eine Eizelle nur zur Herbeiführung einer Schwangerschaft be- fruchtet werden. Die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken sei nach dem Embryonenschutzgesetz verboten. An diesem Verbot dürfe nicht gerüt- telt werden, forderte Hoppe. „Es ist in höchstem Maße verwerflich und ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen, menschliches Leben nur deshalb zu erzeugen, um

,Bio-Rohstoffe‘ zu gewinnen.“ Kli

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vom Fetus oder vom erwachsenen Men- schen – oder welche Methoden für eine Manipulation der Zellen am besten den Bedürfnissen der Grundlagenforschung und der klinischen Anwendung dienen.

Die Antworten darauf liegen klar in der weiteren Forschung.“ Der NIH-Report verweist auf die Vorteile und die Nach- teile der Stammzellen von Erwachsenen wie von Embryonen und kommt zu dem Schluss, dass Letztere trotz gewisser Limitationen vielseitiger und für die therapeutische Verwendung sehr viel nützlicher seien: „Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist die Kapazität erwach- sener Stammzellen zur Differenzierung in spezialisierte Zelltypen begrenzter als die von embryonalen Stammzellen.“

Und genau hierin liegt nach Ansicht der Forschungsbefürworter die Zu- kunft embryonaler Stammzellen: Pluri- potente Stammzellen tragen in sich die Fähigkeit, sich unbegrenzt in so gut wie allen spezialisierten Geweben und Zel- len des Organismus zu entwickeln. Das Einzige, was sie nicht können, ist, sich in einen Fetus auszuwachsen – selbst dann nicht, wenn sie in einen Uterus platziert werden. Grund dafür ist die Entfernung der supportiven Hülle, die sich beim in- takt belassenen Blastozysten in die Pla- zenta auswachsen würde.

Pluripotente embryonale Stammzel- len besäßen ein großes medizinisch-the- rapeutisches Potenzial, begründen die Forschungsbefürworter. Das reiche von der Anwendung in der Krebstherapie zur Erneuerung toxisch geschädigten Gewebes über die Transplantation in spezielle Organe zwecks Neubildung schlecht funktionierender Zellen (neu- ral, kardial) bis hin zur Testung toxi- scher Effekte von Arzneistoffen oder Chemikalien, wo Stammzellkulturen den Tierversuch überflüssig machen könnten. Chronische und degenerative Krankheiten mit hoher Prävalenz ste- hen obenan auf der Liste der Pharma- kologen, die sich dieser neuen Techno- logie verschrieben haben. Und es wer- den, wie Insider prognostizieren, nicht mehr als zwei Jahre vergehen, bis er- ste klinische Humanstudien mit em- bryonaler Stammzelltherapie beginnen können. Brigitte Richter,Tulsa (USA) Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über das Internet (www.aerzteblatt.de) aufgerufen werden kann.

P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 30½½½½27. Juli 2001 AA1931

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ie CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung aufgefor- dert, mithilfe eines neuen Geset- zes die Zahl der so genannten Spätab- treibungen zu verringern. Im Jahr 2000 wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 154 Schwangerschaftsab- brüche nach der 23. Woche vorgenom- men. Die Union vermutet jedoch, dass die Dunkelziffer deutlich höher sei. Die bisherigen Erfahrungen zeigten, dass der Schutz behinderten ungeborenen Lebens den verfassungsrechtlichen An- forderungen nicht genügt. Die CDU/

CSU-Fraktion schlägt deshalb in einem Anfang Juli beschlossenen Antrag

„Vermeidung von Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder“ eine Rei- he von Maßnahmen vor, um die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach der 23. Woche zu reduzieren.

Psychosoziale Beratung gefordert

Der Unionsantrag sieht unter anderem eine Ergänzung des Paragraphen 218 Strafgesetzbuch vor. Erforderlich sei ei- ne Klarstellung des geltenden Abtrei- bungsrechts dahingehend, dass bei der medizinischen Indikation nur auf eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchti- gung des seelischen Gesundheitszu- standes der Schwangeren abzustellen sei. Eine absehbare Behinderung allein sei kein Grund für einen Schwanger- schaftsabbruch.

Außerdem sieht der Antrag vor, dass die medizinische Beratungvorder prä- natalen Diagnostik um eine psychoso- ziale Beratung erweitert wird. Werden- de Eltern müssten bereits frühzeitig

besser über die möglichen medizini- schen Erkenntnisse und damit oft ver- bundenen Konfliktsituationen dieser pränatalen Diagnostik aufgeklärt wer- den. Sollte bei der pränatalen Diagno- stik eine mögliche Behinderung fest- gestellt werden, will die Union die be- treffenden Frauen zu einem weiteren Gespräch mit einem Arzt und zu einer psychosozialen Beratung verpflichten.

Ob eine medizinische Indikation vorliegt, soll nach der Vorstellung der CDU/CSU-Fraktion nicht mehr der un- tersuchende Arzt allein entscheiden, sondern ein interdisziplinär besetztes Kollegium, zum Beispiel aus den Berei- chen Gynäkologie, Pädiatrie, Psycholo- gie und Humangenetik. Um den Eltern die Entscheidung auch für ein behin- dertes Kind zu erleichtern, fordert die Union eine Verbesserung der Rahmen- bedingungen durch ein eigenständiges und einheitliches Leistungsgesetz für Behinderte.

Als bedenklich wird in dem Antrag die Rechtsprechung zur Haftung be- handelnder Ärzte bei mangelhafter Prä- nataldiagnostik oder fehlgeschlagenen Abtreibungen bezeichnet. Die Bundes- regierung wird deshalb aufgefordert zu prüfen, ob angesichts dieser Rechtspre- chung eine Haftungsfreistellung der be- handelnden Ärzte angezeigt ist.

Zur Sicherstellung der Meldung aller Spätabtreibungen ist die statistische Er- fassung von Problemfällen zu erweitern, so die Union. Künftig sollen unter ande- rem die Art der jeweiligen Behinde- rung, die Begründung der Indikationsla- ge und der Zeitpunkt der abgebroche- nen Schwangerschaft erfasst werden.

Der Antrag der Unionsfraktion kann im Internet unter www.cducsu.de abge- rufen werden. Gisela Klinkhammer

Spätabtreibungen

Entscheidung von einem Ärztekollegium

Die Unionsfraktion hat die Bundesregierung

aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Vermeidung

von Spätabtreibungen vorzulegen.

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