wurde. Es kann einfach nicht sein, dass wir Ärzte uns gegen- seitig so unsolidarisch im In- teresse der Patienten verhal- ten.
Dr. med. Fred Reiß, Drakestraße 44, 12205 Berlin
Arbeitszeit
Zu dem Beitrag „Die Euphorie ist ver- flogen“ von Jens Flintrop in Heft 14/2004:
Funktionärsgeschrei steht auf tönernden Füßen
. . . Dass nahezu alle klinisch tätigen Kolleginnen und Kol- legen auf den Zusatzverdienst der Nachtdienste und Über- stundenvergütung angewiesen sind, ist unbestreitbar. Und wer hat eigentlich die Klinik-
ärzte in toto befragt, ob sie nicht durchaus bereit und wil- lens sind, erheblich mehr zu arbeiten, als dies der Durch- schnitt der Bevölkerung tut, aber auch hierfür besser be- zahlt zu werden? Abgesehen davon, dass dies in den letzten 100 Jahren niemandem ge- schadet hat, erinnere ich an die Aussage eines weltbe- rühmten britischen Chirurgen, der vor wenigen Jahren Fol- gendes formuliert hat: „A young surgeon should not work more than 80 hours a week,but not less.“ Dem ist wenig hinzuzufügen, man mö- ge sich bei den großen Chirur- gen von Sauerbruch über Barnard bis zu Allgöwer er- kundigen, ob diese nach einem Nachtdienst nach Hause ge- gangen sind oder weitergear- beitet haben. Das in Wahrheit
menschenverachtende Funk- tionärsgeschrei zu diesem The- ma steht genauso auf tönernen Füßen wie das Verhalten der Gewerkschaft zum Thema ei- ner allgemeinen Arbeitszeit von 40 oder 42 Stunden.
Prof. Dr. med. Wolfgang Pförringer, Gesundheitspolitischer Arbeitskreis der CSU München, Theatinerstraße 1, 80333 München
Ziel: Faire Bezahlung
Zur Aussage des Kollegen Moßbrucker aus Freiburg („Aber will einer von uns wirklich — als Akademiker mit extrem hoher Verantwor- tung – mit dem Grundgehalt BAT II a oder I b abgespeist werden . . .“) nur so viel: Auch mit C- oder D-Diensten über 24 Stunden ändert sich nichts
an der BAT-Bezahlung. Die erbrachte Mehrarbeit im Dienst wird nur zu 65 bzw.
80 Prozent nach BAT vergü- tet, d. h., nach gängiger Praxis liegt der Monatsstundenlohn sogar noch unterhalb der re- gulären Stundenvergütung BAT II a oder I b.
Ziel des Kollegen Moßbrucker muss daher sein, neben ver- nünftigen Arbeitszeiten auch eine faire Bezahlung zu errei- chen. Ansonsten unterstützt er weiterhin das Lohn-Dumping deutscher Kliniken. Und ab- schließend darf eines nicht vergessen werden: Nur ein ausgeruhter und ausgegliche- ner Arzt kann maximale Lei- stung in Beruf und Familie er- bringen.
Dr. med. Dirk Sehr,Reinhold-Krauss- Straße 19, 73732 Esslingen
Embryonen
Zu dem Leserbrief „Bloße Darstel- lung der verschiedenen Positionen“
von Dr. med. G. Haasis in Heft 12/2004, der sich auf den Kommentar
„Überzählige Embryonen: Respekt, aber kein Lebensschutz“ von Prof. Dr.
theol. Richard Schröder in Heft 4/2004 bezog:
Antwort
Ich habe Ihren Leserbrief ge- lesen und möchte gern versu- chen, Ihnen zu antworten.
Es ist beides richtig: Über- zählige Embryonen, die exi- stieren, müssen vernichtet werden, es sei denn, sie wer- den dauerhaft eingefroren oder man möchte die Embryo- nenadoption einführen. Und:
Man sollte die praktische Kon- sequenz ziehen, weitere über- zählige Embryonen zu vermei- den, indem möglichst nur ein Embryo transferiert wird. Das vermeidet dann auch die uner- wünschten Mehrlingsgeburten und, was ja einem Schwanger- schaftsabbruch gleichkommt, die Beseitigung eines Em- bryos, wenn sich mehrere ein- genistet haben. Aber das setzt die Auswahl eines aussichtsrei- chen Embryos voraus, was aber in Deutschland verboten ist, denn bei uns müssen alle erzeugten Embryonen transfe- A
A1502 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2121. Mai 2004
B R I E F E
riert werden. Die künstliche Nachahmung eines natürlichen Prozesses kann „die Natur“ nur sehr begrenzt überlisten. Und bei der natürlichen Schwan- gerschaft gelangen 70 Prozent nicht zur Einnistung.
Nach unserer Rechtsord- nung sind in unserem Falle die Rechte tatsächlich vom Aufent- haltsort abhängig. Die Rechts- fähigkeit beginnt mit der Ge- burt (§ 1 BGB). Im Uterus gilt der (eingeschränkte) Schutz des § 218 StGB. Bevor der Embryo sich einnistet, ist er in vivo durch keinerlei gesetzli- che Bestimmungen geschützt, in vitro aber durch das ESchG.
Bei den überzähligen Em- bryonen geht es nicht um An- nahme oder Ablehnung durch die Mutter und also darum, dass die Menschenwürde in das Belieben eines Menschen gestellt wird. Nehmen wir den Fall, dass nach der Befruch-
tung in vitro die Frau verun- glückt. Dann gibt es nur drei Möglichkeiten: diese Embryo- nen vernichten, sie dauernd tiefgefroren lagern oder eine Frau finden, die sich diese fremden Embryonen implan- tieren lässt, was aber in Deutschland durch das Em- bryonenschutzgesetz als Leih- mutterschaft verboten ist. In anderen Ländern ergibt sich das Problem, dass nach sofort gelungener IVF Embryonen übrig bleiben. Soll nun die Frau verpflichtet werden, in einer Abfolge von Schwanger- schaften auch diese übrigen auszutragen?
Es besteht Konsens unter uns, dass jeder geborene Mensch denselben Würde- und Lebensschutz genießt.
Das gilt nicht ebenso für den Fötus, weil das Gesetz hier ei- ne Abwägung erlaubt nach Zumutbarkeitskriterien (die
ich nicht alle gutheiße: Die Spätabtreibung behinderter Kinder ist ein Skandal, verur- sacht durch die Abschaffung der embryopathischen Indika- tion). Nun müssten Sie doch zuerst befürchten, dass diese Praxis bei menschengestalti- gen, per Ultraschall sichtbaren Wesen auf die Geborenen übergreift. Das findet aber bis jetzt nicht statt. Anders gesagt:
Es besteht kein nachgewiese- ner Zusammenhang zwischen einer Änderung der Regelung des Schwangerschaftsab- bruchs und der Zahl der Tö- tung Geborener. Eher dürfte die Kindestötung seltener vor- kommen, wenn der Schwan- gerschaftsabbruch möglich ist.
Es ist doch abwegig, nun zu vermuten, dass die Praxis von IVF in den Ländern, wo über- zählige Embryonen regel- mäßig entstehen und vernich- tet werden, irgendjemand sich
deshalb veranlasst sieht, einen Mord für vertretbar zu halten.
Das vorige Schweizer Repro- duktionsgesetz schrieb vor, dass überzählige Embryonen vernichtet werden müssen (d. h. dass nicht an ihnen ge- forscht werden darf). M. W. hat niemand dagegen protestiert.
Prof. Dr. theol. Richard Schröder, Birkenweg1, 15827 Blankenfelde
Hausarztsystem
Zu Meldungen über das Hausarztmodell:
Tankstellenmodell
Die Praxisgebühr soll über ein
„Hausarztmodell“ wieder ab- geschafft werden?
Erst zum Hausarzt ohne Ge- bühr, dann Überweisung zum Facharzt ohne Gebühr: Lot- senhonorar für Hausarzt plus
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2121. Mai 2004 AA1503
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Behandlungshonorar für Fach- arzt: Das wird teurer!
Auch die Qualität steigt so nicht, genauso wenig wie bei einem Tankstellenmodell:
Stellen Sie sich vor, alle Auto- fahrer müssten zur Reparatur erst zu einer Tankstelle fahren und bekämen für zehn Euro Freibenzin. Wer sofort zur Kfz-Werkstatt fährt, müsste dort zehn Euro „Strafgebühr“
zahlen, weil er keine Tankstel- len-Überweisung vorlegt.
Ich höre schon alle lachen!
Was aber soll das Hausarztmo- dell anderes bewirken?
Dr. med. Alexander Türstig, Bernwardstraße 28, 31134 Hildesheim
Helga Kühn-Mengel
Zu dem Interview „Politisierung im Wartezimmer“ in Heft 16/2004:
Anmahnung der Fahrtkostenerstattung
Bisher hatte ich den Medien von der Patientenbeauftrag- ten der Bundesregierung vor- wiegend Unfreundliches über die Ärzteschaft entnommen.
Insofern erfreut der sachliche Stil des Interviews. Und wenn Frau Kühn-Mengel zum Schluss sogar eine dezente Kritik an den Krankenkassen aufscheinen lässt (wozu sie al- lerdings die Subjektivität der Patienten bemühen muss, die sich „häufig nicht ernst ge- nommen fühlen“), so keimt zarte Hoffnung auf, dass die häufig verwandte Apostro- phierung der Patientenbeauf- tragten als „Patientenanwäl- tin“ vielleicht irgendwann ei- ne Zukunft hat. Rudolf Virchow, der neben seiner
Lehr- und Forschungstätigkeit ja auch sozialpolitisch und parlamentarisch tätig war, hat schon im vorletzten Jahrhun- dert die Ärzte als die „natürli- chen Anwälte der Armen“ be- zeichnet, weil sie – oder viele von ihnen – mit ihren beson- ders bedürftigen Patienten schon immer auf gleicher Au- genhöhe arbeiteten. Ich fürch- te, dazu wird die Patientenbe-
auftragte noch eine ganze Weile brauchen.
Ich vermisse von ihr jedenfalls eine Stellungnahme zu der Verweigerungshaltung der Krankenkassen auf den 2004 eingetretenen Versorgungs- notstand u. a. für substituierte opiatabhängige Sozialhilfemp- fänger, die mangels substitu- ierender Ärzte in ihrem Wohnbezirk zum Teil weite
Wege zu ihren behandelnden Ärzten haben, aber ihre Fahrt- kosten nicht mehr bezahlen können und von den Sozialäm- tern auf die Kassen verwiesen werden (die nach den gesetzli- chen Vorgaben bezahlen könnten, aber nicht wollen).
Auf meinen Brief vom 11. Fe- bruar 2004 mit konkreter Schilderung der Problematik habe ich von der Patientenbe-
A A1504
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Offene Briefe
So genannte „offene Brie- fe“ werden, soweit von all- gemeinem Interesse, re- daktionell ausgewertet.
Als Leserbriefe werden sie nicht publiziert. In der Ru- brik Leserbriefe erschei- nen grundsätzlich nur sol- che Briefe, die allein für das Deutsche Ärzteblatt bestimmt sind. DÄ
auftragten bis heute keine Antwort erhalten.
Selbst gut stabilisierte Pati- ent(inn)en sind wieder zu Schwarzfahrten oder/und Be- schaffung und der damit ver- bundenen Kriminalisierung und Gesundheitsgefährdung gezwungen. Erfolgreiche Be- handlungsprogramme werden damit ad absurdum geführt.
Die Forderung der Vorsitzen-
den des Deutschen Paritäti- schen Wohlfahrtsverbandes nach dringender Abhilfe auch für diese Patientengruppe wurde vom Ministeriumsspre- cher harsch zurückgewiesen.
Von einer patientenfreundli- chen Stellungnahme der Pati- entenbeauftragten habe ich nichts gehört.
Dr. med. Frank Köhler, Brückenstraße 42, 60594 Frankfurt
Im Chaos korrekt verhalten
Die Patientenbeauftragte, Frau Helga Kühn-Mengel, fällt mit ihrem Vorwurf gegen die Augenärzte, für die Dia- gnostik einer Sehstörung 25 Eu- ro verlangt zu haben, offen- sichtlich einer Fehlinformation zum Opfer, die vom Bundes- ministerium für Gesundheit
und Soziale Sicherung mit dem inzwischen zurückgezo- genen „Schwarzbuch“ in die Welt gesetzt wurde. Das Mini- sterium hat sich unter dem Antragsdruck einer einstweili- gen Verfügung des von ihm namentlich „angeschwärzten“
Augenarztes inzwischen be- reit erklärt, auch in Zukunft die Wiederholung der ent- sprechenden Passagen zu un- terlassen und bei Zuwider- handlung eine Ordnungsstrafe zu zahlen.
Kein Augenarzt hat von einem Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen ein privates Honorar für die Diagnostik ei- ner Sehstörung verlangt – auch nicht in den ersten Ja- nuartagen dieses Jahres.
Dies war und ist unbestritten eine Pflichtleistung im Rah- men der GKV.
Es ging ausschließlich um die Honorierung der zusätzlichen ärztlichen Leistung für die Verordnung derjenigen Bril- len, auf deren Versorgung laut Gesundheitsmodernisierungs- gesetz die Patienten der ge- setzlichen Krankenkassen ab sofort verzichten müssen (sie- he den geänderten § 33 des SGB V). „Versorgung“ be- zieht sich im Sozialrecht nicht nur auf das Hilfsmittel selbst, sondern auch auf den erfor- derlichen Aufwand für dessen Bestimmung und Verordnung.
Das hat die KBV noch im De- zember 2003 bestätigt.
Das Ministerium hatte den Gesetzestext ja selbst formu- liert, aber wohl (aus Ignoranz) dessen Bedeutung verkannt.
Daher schob es im Januar ei- ne Interpretation nach, die den Gesetzestext unterläuft.
Der zufolge müssen Au- genärzte auch weiterhin sol- che Brillen verordnen, welche die Krankenkassen nicht mehr bezahlen dürfen. Dieser Auslegung beugten sich am 13. Januar Krankenkassen und die Kassenärztliche Bun- desvereinigung und damit auch die Augenärzte. Letztere haben sich daher in jeder Phase des von der Politik an- gerichteten Chaos korrekt verhalten.
Dr. med. C.-D. Arens,
Grunewaldstraße 16, 51375 Leverkusen
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