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Archiv "Freie Berufe: Forderungen an die Politik" (03.05.2002)

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ie Quadratur des Kreises sei nicht möglich, beschied Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Zuhörer beim „Tag der Freien Berufe“ in Berlin.

Er verwies auf den kaum zu überwin- denden Gegensatz zwischen notwendig vom Staat zu übernehmenden Aufga- ben und den verständlichen Wünschen nach einer möglichst geringen Besteue- rung. Allerdings sei die Senkung des Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent im Jahr 2005 gesetzlich festgeschrieben.

Beim Glauben an darüber hinausge- hende Versprechungen empfahl er Zurückhaltung. Denn das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts bis 2005 sei nur mit begrenzter Ausgabenpolitik zu erreichen.

Wer konkrete Zusagen erwartet hat- te, sah sich von der Rede des Kanzlers beim „Tag der Freien Berufe“ ent- täuscht. Bei der Anpassung von Ge- bührenordnungen – von den Vertretern der Freien Berufe als längst überfällig empfunden – betonte er lediglich seine Bereitschaft, einen allgemeinen Kon- sens herbeizuführen. In dieser Angele- genheit könne die Bundesregierung nicht autonom entscheiden, sondern müsse die Interessen der Länder und deren Mitspracherecht im Bundesrat berücksichtigen.

Große Bedeutung der Freien Berufe für den Arbeitsmarkt

Schröder wies auf die Bedeutung der Freien Berufe für den Arbeitsmarkt hin und plädierte für die Beteiligung des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB) am „Bündnis für Arbeit“. Kritik äußerte der Kanzler an dem zuneh- mend restriktiven Kreditgewährungs- gebaren der Geschäftsbanken gegen-

über Mittelstand und Freiberuflern.

Vorhandene Wachstumspotenziale könn- ten so nicht genutzt werden. „Wenn die Freien Berufe das Rückgrat unserer Gesellschaft ausmachen und wenn die Banken weiterhin so zurückhaltend sind, muss über neue Formen der Kapi- talversorgung nachgedacht werden“, erklärte er unter dem Beifall der Zu- hörer.

Konkrete Probleme der Angehöri- gen der Freien Berufe sprach der Präsi-

dent des BFB, Dr. med. Ulrich Oesing- mann, an. Er forderte von der Politik zufrieden stellende Rahmenbedingun- gen, weil sonst der Nachwuchs für die klassischen Freien Berufe wegzubre- chen drohe. Nachwuchssorgen beträfen vor allem die Ingenieurberufe, aber auch in der Medizin seien nur noch et- wa 50 Prozent der Hochschulabsolven- ten dazu bereit, als Arzt in die Patien- tenversorgung zu gehen. Bei der Fach- arztweiterbildung im Krankenhaus werde den jungen Ärzten der soziale Schutz verweigert, „den wir als Sozial- standard für jeden anderen Arbeitneh- mer in diesem Land tarifvertraglich ab- gesichert sehen“. Der BFB-Präsident warnte die Politik davor, bei den Be- strebungen um gegenseitige Diploman- erkennungen auf EU-Ebene „ohne An- sehen der Standards unser Leistungsni- veau der Beliebigkeit“ preiszugeben.

Wenig mehr als Komplimente von den Fraktionsspitzen

Auch bei der Absicherung der materi- ellen Existenzsicherung der Freibe- rufler stehe die Politik in der Pflicht.

Hier müsse der Gesetzgeber dafür sor- gen, dass die seit Jahren – nicht nur bei den Ärzten – fällige Anpassung der Ge- bührenordnungen an die wirtschaftli- che Entwicklung endlich erfolge. Zu- dem sei es dringend erforderlich, dass die Eigenvorsorge der Freiberufler steuerlich besser abgesichert werde. Im Rahmen der derzeit geltenden abzugs- fähigen Vorsorgefreibeträge könne ei- ne ausreichende Absicherung für Krankheit und Alter nicht gewährlei- stet werden. In diesem Zusammenhang erinnerte Oesingmann den Bundes- kanzler an sein Versprechen vor der P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 18½½½½3. Mai 2002 AA1199

Freie Berufe

Forderungen an die Politik

Der „Tag der Freien Berufe“ am 24. April in Berlin sollte der Politik

die Bedeutung der Freiberufler für Staat und Gesellschaft

aufzeigen. Die Spitzenpolitiker vor Ort verharrten im Unverbindlichen.

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letzten Bundestagswahl, die Versor- gungswerke der Freien Berufe unange- tastet zu lassen.

Von den Spitzen der Bundestags- fraktionen konnten die Teilnehmer am

„Tag der Freien Berufe“ viele Kompli- mente für das verdienstvolle Wirken der Freiberufler entgegennehmen, en detail erfuhren sie jedoch wenig. Aus- nahme: Sowohl Peter Struck, SPD- Fraktionsvorsitzender im Bundestag, als auch Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, schlossen ei- ne Aufhebung der Gebührenabschläge für die Freien Berufe in den neuen Bundesländern aus, solange nicht die Abschläge bei den Tariflöhnen ent- sprechend korrigiert werden. Etwas anderes sei politisch nicht durchsetz- bar. In Bezug auf das Urteil des Eu- ropäischen Gerichtshofs, wonach Kammern als wirtschaftliche Kartelle zu betrachten seien, suchte Struck die Zuhörer zu beruhigen. Die Regierung werde am Status der Kammern nichts ändern und „der europäischen Rege- lungswut nicht ohne weiteres nachge- ben“.

Die Politiker nutzten die Podiums- diskussion insbesondere dazu, ihre Standpunkte zu der für die nächste Le- gislaturperiode angekündigten Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) deutlich zu machen. Diese sei

noch schwieriger als die Rentenreform, betonte Merz. Unausweichlich sei es, in Zukunft höhere Anteile des Bruttoin- landprodukts für die Gesundheitsver- sorgung auszugeben. In der Bevölke- rung sei die Bereitschaft dazu vor- handen. Weitere Restriktionen führten dazu, dass die enormen Wachstumspo- tenziale des Gesundheitsmarkts für die

Wirtschaft nicht genutzt werden könn- ten. Wichtig seien mehr Selbstverant- wortung der Patienten, mehr Wahlfrei- heit der Versicherten und mehr Steue- rungselemente für eine sparsame Inan- spruchnahme der Krankenversiche- rung. Kritikern entgegnete Merz, dass bei einer Fortführung der bisherigen Politik der Weg in die Zweiklassenme- dizin irreversibel sei. Für ihn sei es durchaus vorstellbar, in das Sozialge- setzbuch V Bestimmungen über einen Selbstbehalt der Versicherten in der GKV oder über eine begrenzte Bei- tragsrückerstattung bei Nichtinan- spruchnahme der Versicherung aufzu- nehmen.

Dass die Einführung von Wettbe- werbselementen ins Gesundheitssy- stem negative Auswirkungen haben kann, versuchte Matthias Berninger (Bündnis 90/Die Grünen), Staatsse- kretär im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und For- sten, am Beispiel der medizinischen Versorgung in den USA zu verdeutli- chen. Das deutsche Gesundheitssystem könne sich im internationalen Ver- gleich gut sehen lassen und beruhe – ge- rade was die gleiche medizinische Ver-

sorgung aller Versicherten anbelangt – auf Werten, die es mit allen Kräften zu verteidigen gilt. Zur Finanzierung der GKV müssten in Zukunft auch die zu- sätzlichen Einkommen, die nichts mit dem Faktor Arbeit zu tun haben, heran- gezogen werden. Für Berninger stellt dies eine gerechtere Lösung dar als die von anderen geforderten Zuzahlungs- regelungen. Auch Struck bekräftigte noch einmal den Standpunkt der SPD, dass die GKV all das ab- decken soll, was medizi- nisch notwendig ist. Wolf- gang Gerhardt, Vorsitzen- der der FDP-Bundestags- fraktion, betonte, dass bei allen Reformvorschlägen seiner Partei nicht beab- sichtigt sei, den Leistungs- katalog in der GKV unter das bestehende, im Sozial- gesetzbuch festgeschriebe- ne Niveau abzusenken.

Die großen Krankheitsrisi- ken müssten auch in Zu- kunft solidarisch abgesi- chert bleiben. Es spreche jedoch nichts dagegen, mehr Wettbewerb auf der Ebene darüber zu ermöglichen, über Formen der Eigenbeteiligung nachzu- denken oder Zusatzleistungen separat zu versichern.

Überregulierung und Bürokratisierung

Auch bei dem anschließenden Work- shop zum Thema „Notwendige wirt- schaftliche Rahmenbedingungen“ stand der Zustand des Gesundheitswesens im Mittelpunkt. Für den KBV-Vorsitzen- den Dr. med. Manfred Richter-Reich- helm ist die Überregulierung und Büro- kratisierung des Gesundheitssystems dermaßen weit vorangeschritten, dass man als niedergelassener Arzt daran zweifeln müsse, ob man überhaupt noch ein Angehöriger eines Freien Be- rufes ist. Zunehmend würden ökonomi- sche Zwänge in die ärztliche Versor- gung und die damit verbundenen ethi- schen Prinzipien eingreifen. Als Bei- spiel nannte er insbesondere die Ein- führung der Disease-Management-Pro- gramme in ihrer Verknüpfung mit dem P O L I T I K

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A1200 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 18½½½½3. Mai 2002

Der Bundesverband der Freien Berufe (BFB) ver- tritt die Interessen der rund 761 000 selbstständi- gen Freiberufler in Deutschland. Mit rund 35 Pro- zent stellen die Angehörigen der Heilberufe (Ärz- te, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Thera- peuten) den größten Anteil innerhalb der Organi- sation, gefolgt von der Gruppe der rechts-, wirt- schafts- und steuerberatenden Berufe.

Gemäß seiner Satzung verfolgt der BFB das Ziel,

„alle berufsübergreifenden Bestrebungen der An- gehörigen der Freien Berufe in einem allgemeinen Sinn zu verfolgen und für die Erhaltung und den Ausbau der Freien Berufe einzutreten“. Der BFB vereinigt knapp 70 Berufsverbände unter dem Dach einer Spitzenorganisation.

Mit rund zwei Millionen Angestellten und 157 000 Auszubildenden nehmen die selbststän- digen Freiberufler eine wichtige arbeitsmarktpoli- tische Funktion wahr.

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Risikostrukturausgleich (RSA) zwi- schen den Krankenkassen. Diese Ver- bindung zwischen medizinisch Sinnvol- lem und ökonomischer Orientierung könne nur in einer Übergangsphase bis zur vollständigen Morbiditätsorientie- rung des RSA toleriert werden.

Der Präsident der Bundesärztekam- mer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hop- pe, befürchtet tief greifende Folgen der Durchökonomisierung nach der Einführung des DRG-Abrechnungssy- stems in den Krankenhäusern. Hier- durch werde der Patient auf eine Ko- sten- und Normgröße reduziert. Mehr Wettbewerb im Krankenhaus berge die Gefahr, dass der Patient ausschließlich als „Fallpauschalenmitbringer“ angese- hen und möglichst schnell entlassen werde, um Platz für die nächste „Fall- pauschale“ zu machen. Hoppe geht da- von aus, dass nach Etablierung des neu- en Abrechnungssystems verstärkt nie- dergelassene Fachärzte in die stationä- re Versorgung einbezogen werden. Ge- rade in Ballungsräumen prognostiziert er tief greifende Veränderungen auf- grund neuer ambulant/stationärer Inte-

grationsmodelle. Als eine wichtige Vor- aussetzung dafür nannte Richter- Reichhelm, dass die starre sektorale Abschottung aufgehoben und durch durchlässige Vergütungssysteme ersetzt werde, sodass das Geld tatsächlich der Leistung folgen könne. Er betonte die Bereitschaft und Flexibilität der kas- senärztlichen Selbstverwaltung, sich

auf neue Versorgungsstrukturen einzu- stellen. Es sei davon auszugehen, dass es künftig neben dem Kollektivvertrag Einzelverträge zwischen Krankenkas- sen und Arztgruppen geben werde.

Dies werde aber nur innerhalb von Ver- einbarungen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über Ausstattung und Qualität möglich sein. Thomas Gerst P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 18½½½½3. Mai 2002 AA1201

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DÄÄ::Welche Signalwirkung er- warten Sie von diesem „Tag der Freien Berufe“?

Dr. Oesingmann:Ich erwarte eine Signalwirkung in Richtung Politik. Die Politik muss wahrneh- men, dass wir viele sind und dass wir besondere Probleme haben.

Die Solidarität, das Zusammen- gehörigkeitsgefühl der Freien Be- rufe, muss auch der Politik ins Be- wusstsein dringen.

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DÄÄ::Woran liegt es, dass sich die Anpassungen der Gebühren- ordnungen – nicht nur bei den Ärzten – stets um Jahre verzö- gern?

Dr. Oesingmann:Die Politik lässt die materiellen Aspekte un- serer Arbeit deshalb so lange un- berücksichtigt, weil sie die gesell- schaftliche Bedeutung der Freien Berufe und die positiven Auswir- kungen der Arbeit der Freien Be- rufe auf das Gemeinwesen nicht mehr ausreichend wahrnimmt.

Sie ist darüber hinaus im öf- fentlichen Tarif- und Gebühren- denken verfangen und glaubt, dass die Kostenentwicklungen bei Ärzten, Anwälten, Architek- ten und anderen in ähnlicher Wei- se wie die Gebühren- und Kosten- entwicklungen in den öffentli- chen Verwaltungen verlaufen.

Degressionen, zum Beispiel in der Entwicklung der Bausumme, aber auch Kostensteigerungen – etwa infolge einer verbesserten medizi- nischen Ausstattung der Arztpra-

xis – werden dabei gerne überse- hen. Darüber hinaus missbraucht die Politik ihren Einfluss an dieser Stelle zu opportunistischem Ein- gennutz! Die Gebührenordnung für Ärzte wird auch deswegen nicht erhöht, weil der staatliche Arbeitgeber und Beihilfeverpflich- tete für die Beamten dabei Geld spart. Gleiches gilt für Architek- ten, deren Markt zu 80 Prozent von der öffentlichen Hand be- stimmt wird.

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DÄÄ::Welche gesetzliche Neure- gelung steht bei Ihnen ganz oben auf der Prioritätenliste für die kommende Legislaturperiode, und mit welcher Partei glauben Sie diese am ehesten umsetzen zu können?

Dr. Oesingmann: Ganz oben auf der Prioritätenliste steht für das Gesundheitswesen das Be- dürfnis nach Handlungssicher- heit und struktureller Sicherheit.

Eine Gesundheitsreform, die die- sen Namen auch verdient, muss her. Darüber hinaus hat der BFB

im sozial- und steuerpolitischen Bereich die Wiedereinführung der geringfügigen Beschäftigungs- verhältnisse auf zeitgemäßem Lohnniveau mit unkompliziertem Anmeldeverfahren und eine wei- tere Stufe der Steuerreform im Blick. Gerade bei der Steuerre- form muss man den Zusammen- hang mit der kommunalen Fi- nanzreform sehen. Wir hoffen, dass bei der Gesundheitsreform leistungsgerechte Bezahlung und mehr Markt entstehen. Wir hof- fen bei einer Steuerreform, dass die Anreize nicht durch zusätzli- che Belastungen konterkariert werden.

Wir gehen davon aus, dass uns vor der Bundestagswahl alle Par- teien Hoffnungen machen und erst nach der Wahl der „Kas- sensturz“ folgt, um dann Hoff- nungen und Versprechungen in Bezug zu realen Möglichkeiten zu setzen. Dies scheint bei allen Par- teien gleich und macht Vorlieben-

bildung schwierig. ✮

Nachgefragt

Dr. med. Ulrich Oesingmann, Prä- sident des Bundesverbands der Freien Berufe

Durch die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ist die Freiheit ärztlichen Handelns bedroht: Manfred Richter-Reichhelm und Jörg-Dietrich Hoppe.

Fotos: Georg Lopata

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