• Keine Ergebnisse gefunden

Kalium-Ströme über Epithelien im Verdauungstrakt von Wiederkäuern und Ausscheidungswege für supplementiertes Kalium bei Milchkühen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Kalium-Ströme über Epithelien im Verdauungstrakt von Wiederkäuern und Ausscheidungswege für supplementiertes Kalium bei Milchkühen"

Copied!
269
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Tierärztliche Hochschule Hannover

Kalium-Ströme über Epithelien im Verdauungstrakt von Wiederkäuern und Ausscheidungswege für supplementiertes Kalium bei Milchkühen

INAUGURAL DISSERTATION

zum Erlangen des Grades einer Doktorin der Veterinärmedizin – Doctor medicinae veterinariae –

(Dr. med. vet.)

vorgelegt von Maren Wagener Tierärztin aus Göttingen

Hannover 2017

(2)

Wissenschaftliche Betreuung: PD Dr. Sabine Leonhard-Marek

Physiologisches Institut und Bibliothek Tierärztliche Hochschule Hannover

1. Gutachterin: PD Dr. Sabine Leonhard-Marek 2. Gutachter/in: Prof. Dr. Jürgen Rehage

Tag der mündlichen Prüfung: 11.09.2017

Diese Untersuchungen wurden durchgeführt mit Fördermitteln der Deutschen Forschungs- gemeinschaft (LE 824/4 and /5).

(3)

Silke, Meike, Kirsten und die Literaturvernichter

(4)

Maren Wagener, Annkatrin Ott, Peter Lebzien, Petra Wolf, Kerstin Müller und Sabine Leonhard-Marek (2011):

Pathways of elimination for additional potassium applied directly to the rumen or duodenum of fistulated dairy cows

Proc. Soc. Nutr. Physiol. 20, S. 61

Maren Wagener und Sabine Leonhard-Marek (2012):

Influence of short chain fatty acids and pathologic pH variations on potassium transport across rumen epithelium

Proc. Soc. Nutr. Physiol. 21, S. 59

Maren Wagener und Sabine Leonhard-Marek (2013):

Effect of pH on potassium transport in the digestive tract of ruminants

Animal, Volume 7, Supplement s1: The 8th International Symposium on the Nutrition of Herbivores (ISNH8) 6 – 9th September 2011, Aberystwyth (UK), S. 323

Sabine Leonhard-Marek, Maren Wagener, Annkatrin Ott, Peter Lebzien und Kerstin Müller (2011):

Kaliumbilanzen bei Milchkühen nach oraler Kalium-Supplementierung In: Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (Hrsg.):

DVG-Vet-Congress Berlin, 10.-13.11.2011; Gießen: DVG Service, S. 94-96

(5)

1. Einleitung

2. Literatur

2.1. Die Labmagenverlagerung 2.1.1. Bedeutung

2.1.2. Ätiologie und Pathogenese 2.1.2.1. Pathogenese und Symptomatik 2.1.2.2. Ätiologisch bedeutsame Faktoren

2.2. Die Kaliumhomöostase beim Wiederkäuer 2.2.1. Einführung

2.2.2. Kaliumaufnahme

2.2.2.1. Kalium im Grundfutter 2.2.2.2. Kalium im Kraftfutter 2.2.3. Kalium im Körper

2.2.3.1. Elektrophysiologische Funktionen 2.2.3.2. Kalium im Blut

2.2.4. Kaliumausscheidung

2.2.4.1. Kaliumausscheidung im Kot 2.2.4.2. Kaliumausscheidung im Urin 2.2.4.3. Kaliumausscheidung in der Milch 2.2.4.4. Kalium im Speichel

2.2.4.5. Kaliumausscheidung über die Haut

2.2.5. Physiologische Einflussfaktoren auf den Kaliummetabolismus 2.2.5.1. Stress

2.2.5.2. Körperliche Aktivität 2.2.5.3. Erhöhte Außentemperaturen

2.3. Kaliumtransport im Magen-Darm-Trakt 2.3.1. Kalium im Pansen

2.3.1.1. Eigenschaften des Pansenepithels

11 12 12 12 14 14 15 45 45 46 47 48 48 49 49 62 63 63 65 66 67 67 67 68 69 71 73 73

(6)

2.3.1.4. Kaliumtransport über das Pansenepithel – Elektrophysiologie 2.3.2. Kaliumtransport über das Labmagenepithel

2.3.3. Kaliumtransport über das Colonepithel

3. Hintergrund und Fragestellung der dargestellten Untersuchungen 3.1. Untersuchungen zum Kaliumtransport in vitro

3.2. Untersuchung zur Kaliumexkretion bei Milchkühen in vivo

4. Material und Methoden

4.1. Untersuchungen zum Kaliumtransport in vitro 4.1.1. Tiere, Untersuchungsmaterial und Präparation 4.1.2. Untersuchungstechnik

4.1.2.1. Die Ussing-Kammer-Technik 4.1.2.2. Versuchsablauf

4.1.3. Zusammensetzung der Inkubationslösungen

4.1.3.1. Induktion eines kaliumabhängigen Kurzschlussstroms

4.1.3.2. Modifikation der Inkubationslösungen in den einzelnen Versuchsserien 4.1.3.3. Vorbereitung der Inkubationslösungen

4.1.4. Durchführung der einzelnen Versuchsserien 4.1.4.1. Versuchsserien mit isoliertem Pansenepithel 4.1.4.2. Versuchsserien mit isoliertem Labmagenepithel 4.1.4.3. Versuchsserie mit isoliertem Colonepithel 4.1.5. Auswertung und Statistik

4.2. Untersuchung zur Kaliumexkretion bei Milchkühen mit und ohne Supplementation von Kaliumchlorid in vivo

4.2.1. Versuchstiere, Fütterung, Unterbringung 4.2.2. Untersuchungen

4.2.3. Probennahme und Bearbeitung 4.2.4. Auswertung und Statistik

75 77 78 81 81 81 83 83 83 84 84 85 86 86 87 88 90 90 94 96 97 99 99 100 101 104

(7)

5.1.1. Versuchsserien mit isoliertem Pansenepithel 5.1.1.1. Einfluss einer mukosalen pH-Reduktion 5.1.1.2. Einfluss eines serosalen pH-Anstiegs

5.1.1.3. Einfluss von kurzkettigen Fettsäuren auf die pH-Effekte 5.1.1.4. Einfluss von Insulin

5.1.2. Versuchsserien mit isoliertem Labmagenepithel

5.1.2.1. Einfluss des Kaliumkanalblockers Bariumchlorid sowie eines serosalen pH-Anstiegs

5.1.2.2. Vorversuche zur Durchführbarkeit von Versuchsserien zum Kaliumtransport an Labmagenepithelien von Schlachthoftieren 5.1.3. Versuchsserie an isoliertem Colonepithel

5.1.3.1. Einfluss verschiedener Ionentransportblocker

5.2. Untersuchung zur Kaliumexkretion bei Milchkühen mit und ohne Supplementation von Kaliumchlorid in vivo

5.2.1. Kaliumaufnahme aus dem Futter 5.2.2. Kaliumausscheidung mit dem Kot 5.2.3. Errechnete Kaliumresorption 5.2.4. Kaliumausscheidung mit dem Harn 5.2.5. Kaliumausscheidung mit der Milch 5.2.6. Kaliumretention

6. Diskussion

6.1. Untersuchungen zum Kaliumtransport in vitro 6.1.1. Kaliumtransport durch isoliertes Pansenepithel

6.1.1.1. Bedeutung eines Kaliumgradienten zwischen Panseninhalt und Blut 6.1.1.2. Einfluss des mukosalen und serosalen pH sowie kurzkettiger Fettsäuren 6.1.1.3. Einfluss von Insulin

6.1.2. Kaliumtransport durch isoliertes Labmagenepithel 6.1.2.1. Bariumeffekt

105 107 114 117 121 124 124 131 131 131 140 142 142 143 144 149 150 151 151 151 151 154 159 160 161

(8)

6.1.3.1. Bedeutung eines Kaliumgradienten zwischen Coloninhalt und Blut 6.1.3.2. Wirkung der eingesetzten Ionentransportblocker

6.2. Untersuchung zur Kaliumexkretion bei Milchkühen mit und ohne Supplementation von Kaliumchlorid in vivo

6.2.1. Einordnung der Kaliumaufnahme mit dem Futter im Vergleich zu Empfehlungen

6.2.1.1. Kaliumaufnahme mit dem Futter 6.2.1.2. Kaliumaufnahme mit dem Trinkwasser 6.2.2. Einordnung der basalen Kaliumexkretion 6.2.2.1. Kot

6.2.2.2. Harn 6.2.2.3. Milch

6.2.2.4. Kaliumretention und Gesamtbilanz

6.2.3. Einfluss ruminaler und duodenaler Kaliumsupplementation auf die Exkretion

6.2.3.1. Harn 6.2.3.2. Kot 6.2.3.3. Milch

6.2.3.4. Kaliumretention und Gesamtbilanz 7. Schlussfolgerungen

8. Zusammenfassung 9. Summary

10. Literaturverzeichnis 11. Anhang

163 163 167 167 167 168 168 168 170 173 174 175 175 178 179 180 181 185 188 191 265

(9)

11.2. Berechnung des Bikarbonatgehalts der Inkubationslösungen, der sich aus der Carbogenbegasung ergibt

12. Danksagung

267

269

(10)

BaCl2 – Bariumchlorid BHB – β-Hydroxybutyrat

DLG – Deutsche Landwirtschaftliche Gesellschaft GfE – Gesellschaft für Ernährungsphysiologie Gt – transepitheliale Leitfähigkeit

Isc – Kurzschlussstrom K+ – Kaliumion KCl – Kaliumchlorid

LMV – Labmagenverlagerung Mg2+ – Magnesiumion

Na+ – Natriumion NaCl – Natriumchlorid

Na/K-ATPase – Natrium-Kalium-ATPase H/K-ATPase – Protonen-Kalium-Austauscher NEFA – freie Fettsäuren

NMDG – N-Methyl-D-Glucamin NRC – National Research Council SARA – subakute Pansenazidose SCFA – kurzkettige Fettsäuren SD – standard deviation

SEM – standard error of means TS – Trockensubstanz

US – Ursprungssubstanz

(11)

1. Einleitung

Die Labmagenverlagerung ist eine Rinderkrankheit, die besonders bei hochleistendem Milch- vieh, aber auch bei anderen Nutzungsformen mit steigender Leistung eine zunehmende Bedeutung erlangt.

Die Ätiologie der Labmagenverlagerung (LMV) ist nach wie vor unklar, die Begleitsymptome sind vielfältig. Unter anderem wird im Zusammenhang mit LMV häufig über Veränderungen der Blutelektrolytspiegel berichtet, insbesondere wird sie in der Regel von einer hypochlor- ämischen, hypokaliämischen metabolischen Alkalose begleitet. Denkbar ist einerseits, dass die Hypokaliämie – beispielsweise über eine Hemmung der Labmagenmotilität – die Entste- hung der LMV begünstigt. Andersherum könnte aber auch die Kaliumresorption im Gastro- intestinaltrakt durch Begleitfaktoren der LMV wie Pansenazidose, metabolische Alkalose oder Hyperglykämie beeinträchtigt werden. Besondere Bedeutung kommt dem Kalium- transport über das Vormagenepithel zu, da die Ingestapassage über den Labmagen hinaus bei LMV normalerweise stark eingeschränkt ist. Auch Kaliumverluste aufgrund einer hohen Ausscheidung über Urin und Milch wären denkbar.

Ziele dieser Arbeit waren:

1. die Identifikation von Einflussfaktoren, die im Rahmen der LMV die Kaliumresorption im Pansen beeinträchtigen könnten.

2. die nähere Charakterisierung des transepithelialen Kaliumtransports im Labmagen und im Colon.

3. die Untersuchung des Einflusses einer ruminalen oder duodenalen Kaliumsupplementation auf die Kaliumausscheidung um Hinweise auf die Lokalisation der von Rabinowitz (1988) postulierten Kaliumsensoren im Magen-Darm-Trakt von Wiederkäuern zu erhalten.

4. die Überprüfung der oralen Kaliumsupplementation als gängige Therapiemethode im Hinblick auf eine mögliche überschießende Reaktion der renalen Kaliumexkretion.

Auf diese Weise sollten Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Labmagenver- lagerung und Hypokaliämie gewonnen werden.

(12)

2. Literatur

2.1. Die Labmagenverlagerung

2.1.1. Bedeutung

Die Labmagenverlagerung (LMV) gehört mit zu den wichtigen Erkrankungen in der Rinderhaltung. Neben Tierschutzaspekten kommt ihr besonders in Milchviehherden auch ökonomisch eine große Rolle zu (Coppock 1974, Detilleux et al. 1997, Guard 1998). Zudem ist die LMV häufig mit anderen peripartalen Erkrankungen (Stengärde et al. 2010) sowie Haltungsmängeln (Stengärde et al. 2012) assoziiert. So kann die Inzidenz der LMV auch als Indikator für die allgemeine Herdengesundheit angesehen werden.

Historische und klinische Bedeutung

Obwohl eine der ersten Beschreibungen der Labmagenverlagerung bei einem Kalb bereits Ende des 19. Jahrhunderts durch Carougeau und Prestat (1898) an der École Vétérinaire in Lyon erfolgte (Geishauser 1995, Wolf 2001, Zulauf et al. 2002, Ricken 2003), traten bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts Labmagenverlagerungen nur sporadisch auf. Erst ab 1950 sind von verschiedenen Autoren in einzelnen Fallstudien weitere Krankheitsfälle von meist linksseitiger (Ford 1950, Jones 1952, Müller 1953, Cunningham et al. 1959), aber auch rechtsseitiger (Julian et al. 1959) Labmagenverlagerung beschrieben, gleichzeitig wurde das Thema zunehmend häufiger in umfassenden Texten aufgegriffen (Begg 1950, Moore et al.

1954, Rosenberger und Dirksen 1957, Wood 1957).

Während Rosenberger und Dirksen (1957) mit acht von 4500 untersuchten Patienten (0,18 %) in den Jahren 1955 und 1956 an der Klinik für Rinder der Tierärztlichen Hochschule Hannover noch eine relativ geringe Inzidenz ermittelten, zeigen neuere Studien die massive Zunahme an klinischen Fällen von Labmagenverlagerung und damit auch den großen Bedeutungsgewinn dieser Erkrankung. So berichten Pinsent et al. schon 1961 mit offenkundigem Erstaunen über den rapiden Anstieg der Fallzahlen an der University of Liverpool: Wurden 1955-59 noch insgesamt nur zwölf Tiere mit LMV behandelt, waren es 1959 schon 23 und 1960 36 Patienten. Kurz darauf schrieb auch Espersen (1974) von der

(13)

Königlichen Tierärztlichen und Landwirtschaftlichen Hochschule Kopenhagen über mehr als hundert Fälle einer "Labmagen- und Psalter-Verdrehung" in den Jahren 1961-1973, während Coppock (1974) zeitgleich einen noch gravierenderen Anstieg in der Inzidenz der LMV auf über 1000 Betrieben in New York State beschreibt: Sie stieg hier von 63 Tieren im Jahr 1970 auf 267 Tiere im Jahr 1972. Obwohl dem Ausmaß dieses Anstiegs sicherlich teilweise das zunehmende Bewusstsein für diese Krankheit zu Grunde lag (Pinsent et al. 1961), scheint sich der Trend grundsätzlich auch in neuerer Zeit fortzusetzen. Constable et al. (1992) fanden in Rinderkliniken an 17 verschiedenen Veterinärmedizinischen Fakultäten in Nordamerika unter 108.956 Tieren 7.695 Fälle von Labmagenverlagerung (7,06 %). An der Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und Kleintiere der Universität Gießen beschreiben Geishauser et al. (1996) einen Anstieg an LMV-Patienten von 2,1 % im Jahr 1970 auf 25,6 % 1992. Stark (2001) berichtet, dass im Jahr 2000 die Tiere mit LMV fast 27 % der Patienten an der Klinik für Rinder der Tierärztlichen Hochschule Hannover ausmachten (Von Freital 2003, Schwartau 2012). Auch außerhalb tiermedizinischer Ausbildungsstätten lässt sich fast überall auf der Welt eine kontinuierlich steigende Inzidenz beobachten (Hesselholt und Grymer 1979, Varden 1979, Markusfeld 1987, Curtis et al. 1985, Detilleux et al. 1997) in Rinderbetrieben in Deutschland werden mittlerweile Inzidenzen von 1,6 % (Wolf 2001) oder 2,3% (Doll 2007) ermittelt, wobei die Häufigkeit der Erkrankung von Betrieb zu Betrieb stark variiert (Doll 2007: zwischen 0 und 8,9%).

Ökonomische Auswirkungen

In der gesamten Rinderhaltung, besonders aber im Milchviehbereich, führt die Labmagenver- lagerung zu großen wirtschaftlichen Verlusten. Diese entstehen, da die Krankheit meist um den Laktationspeak herum auftritt, zu einem wesentlichen Teil aus den hohen Milchverlusten (Grymer et al. 1982, Detilleux et al. 1997, Cardoso et al. 2008). Auf eine Laktation hochgerechnet wurden bei den betroffenen Tieren Milchverluste von 5 % (Coppock 1974), 6,1 % (Detilleux et al. 1997) oder sogar 11 % (Martin et al. 1978) beschrieben. Edwards und Tozer (2004) betrachten das deutliche Absinken der Milchmenge zu Beginn der Erkrankung darüber hinaus als Möglichkeit, Tiere mit LMV einfacher zu identifizieren und damit frühzeitig behandeln zu können.

Zudem kommt es in Problemherden häufig zu erhöhten Abgangsraten durch Tod oder

(14)

verfrühte Merzung der Tiere (Millan-Suazo et al. 1989, Gröhn et al. 1998). Hinzu kommen Kosten für tierärztliche Behandlung und Prophylaxemaßnahmen. Coppock (1974) summiert die Kosten durch Behandlung und Milchverlust pro Tier bei günstigem Verlauf auf 150 $, Guard (1998) errechnet Gesamtkosten von ca. 340 $ pro Fall, Bartlett et al. (1995) kommen auf ca. 250-410 $. Den gesamtökonomischen Verlust durch die LMV beziffern Geishauser et al. (2000) für die USA mit bis zu 220 Millionen Dollar pro Jahr.

2.1.2. Ätiologie und Pathogenese

Die Ätiologie der LMV ist noch nicht abschließend geklärt. Als gesichert gilt, dass es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt, für dessen Auftreten ein Zusammenspiel verschiedener prädisponierender Faktoren notwendig ist (Dirksen 1961, Robertson 1968). Da viele dieser Faktoren auch untereinander korreliert sind, ist es oft schwierig die eigentliche Ursache herauszuarbeiten (Kuiper 1991).

2.1.2.1. Pathogenese und Symptomatik

Nach Dirksen (1961) ist die LMV in erster Linie die Folge einer Hypotonie bzw. Atonie der Labmagenmuskulatur. Ausschlaggebend ist weiterhin die darauf folgende Ansammlung von Gas im Fundusbereich, das aufgrund der Atonie nicht durch den Pylorus weitertransportiert wird. Die für eine Verlagerung erforderlichen räumlichen Verhältnisse im Bauchraum ent- stehen neben den offensichtlichen Verschiebungen im Rahmen der Geburt wohl vor allem durch eine mangelnde Pansenfüllung (Goff und Horst 1997). Durch die Gasansammlung dehnt sich der Labmagen zunächst nach kaudodorsal aus und steigt dann in der Bauchhöhle

"wie ein Luftballon" nach oben (Dirksen 1961). Er verlagert sich dabei entweder nach links zwischen Pansen und Bauchwand (Dirksen 1961), oder nach rechts in den Bereich der rechten Flanke (Espersen 1964). Die Verlagerung nach links tritt dabei etwa drei bis viermal so häufig auf wie die Verlagerung nach rechts (Whitlock 1969, Karatzias 1992, Taguchi 1994, Wolf 2001, Zadnik 2003). Bei etwa jeder vierten Verlagerung nach rechts kommt es zudem zu einer Torsion des Labmagens (Whitlock 1969).

Infolge der Verlagerung wird der physiologische Ingestatransport kaudal des Labmagens stark beeinträchtigt, sodass der Chymus nicht mehr oder nur noch in geringem Maße in den Darm gelangen kann (Pinsent et al. 1961, Hammond et al. 1964, Wittek et al. 2005). Dadurch könn-

(15)

te unter anderem die Resorption verschiedener Mineralstoffe wie Kalium, Calcium oder Chlorid gestört und so der Elektrolythaushalt spürbar beeinträchtigen werden. Deshalb kommt im Zusammenhang mit der LMV dem Elektrolyttransport im Vormagentrakt besondere Bedeutung zu (Geishauser et al. 1996).

Klinisch äußert sich die Labmagenverlagerung in erster Linie durch Inappetenz und eine reduzierte Milchmenge (Rosenberger und Dirksen 1957, Pinsent et al. 1961, Roussel et al.

2000). Hinzu kommt Dehydrierung (Taguchi 1994) Unruhe, gesteigerte Aktivität (Edwards und Tozer 2004) sowie eine reduzierte Pansenmotorik und Schmerzsymptomatik wie eine aufgekrümte Haltung und eine gesteigerte Bauchdeckenspannung. Koliksymptome werden trotz der gestörten Magen-Darm-Passage in der Regel nur bei rechtsseitiger LMV in schweren Fällen beobachtet, die dann häufig von einer Torsion begleitet sind (Rosenberger und Dirksen 1957, Roussel et al. 2000).

2.1.2.2. Ätiologisch bedeutsame Faktoren

Die Ursachen der LMV werden noch diskutiert. Verschiedene Einflussfaktoren, die bei ihrer Entstehung eine Rolle spielen, wurden aber bereits identifiziert. Wichtig sind dabei offenbar vor allem die Genetik der Tiere, die Haltungsbedingungen und darunter vor allem die Fütterung, das peripartalen Energiedefizit sowie Verschiebungen im Elektrolythaushalt:

Genetik und Vererbung

Die ungleichmäßige Verteilung der Erkrankung auf die Betriebe lässt sich zum Teil durch eine genetische Komponente in der Ätiologie der LMV erklären. Anhand von Zuchtlinien zeigen Martin (1972), Jubb et al. (1991), Poike und Fürll (2000), Wolf (2001) und Zwald et al.

(2004) speziell einen großen Einfluss der Deckbullen auf die Häufigkeit der LMV unter den jeweiligen Töchtern auf. Die genetischen Merkmale, die dabei züchterisch ein Rolle spielen, sind noch nicht im Einzelnen bekannt. In Frage kommen beispielsweise Großrahmigkeit oder die Höhe des Euters (Zwald et al. 2004). Neuere Ansätze konzentrieren sich häufig auf den Einfluss verschiedener Hormone und Botenstoffe, wie z.B. das Peptidhormon Motilin, das die Motilität des Magen-Darm-Trakts mitbestimmt (Mömke et al. 2012). Mömke et al. (2013) sehen einen Zusammenhang mit Genen, die den Calciumhaushalt regulieren und an der Entstehung eines insulin-abhängigen Diabetes mellitus beteiligt sind.

(16)

Möglicherweise denkbar wäre auch, dass aufgrund der womöglich individuell sehr unter- schiedlichen Absorptionsraten von Bikarbonat im Psalter (Beisele 2008), die auf genetische Unterschiede der Transportproteine zurück gehen könnten, bei einigen Tieren vermehrt CO2 in den Labmagen gelangt, das dann zu dessen Aufgasung und Verlagerung führen könnte.

Vielfach werden Rassedispositionen beschrieben, wobei am häufigsten Holstein-Friesian- Kühe und die Milchviehrassen der Kanalinseln, also in erster Linie Guernsey- und Jersey- Rinder, von LMV betroffen sind. Schweizer Braunvieh scheint dagegen nur sehr selten an LMV zu erkranken (Pinsent et al. 1961, Robertson 1968, Wallace 1975, Constable et al. 1992, Meylan 1999).

Entscheidende Bedeutung scheint auch der Zucht von Milchkühen auf immer höhere Milch- leistungen zuzukommen (Dirksen 1961, Coppock 1974, Grymer et al. 1982). Obwohl die LMV auch bei Fleischrassen durchaus häufig auftritt (Roussel et al. 2000, Constable 2008), spielt sie doch nach wie vor in der Haltung von hochleistendem Milchvieh eine größere Rolle (Wallace 1975, Grymer et al. 1982). Eine Korrelation zwischen dem Auftreten der LMV und der Milchleistung wird schon seit Längerem kontrovers diskutiert. Vieles deutet darauf hin, dass eine hohe durchschnittliche Herdenleistung mit höheren LMV-Inzidenzen in Zusammen- hang steht (Robertson 1968, Coppock 1974, Grymer et al. 1982, Lotthammer 1992, Mori et al. 2001). Ob dieser Zusammenhang auch auf Einzeltierebene Bestand hat, bleibt jedoch fraglich. Mehrere Untersuchungen konnten auf Herdenbasis zwar eine Beziehung ermitteln, für die Einzeltiere dagegen nicht (Jubb et al. 1991, Cameron et al. 1998). Rohrbach et al.

(1999) und Martin (1972) sehen auf Einzeltierebene ebenfalls keinen Zusammenhang. Eine genetische Korrelation zwischen den Faktoren Milchleistung und LMV-Inzidenz stellten Zwald et al. (2004) in den USA fest, in Deutschland kamen Ricken et al. (2004) zum gleichen Schluss, während Hamann et al. (2004) – aus derselben Arbeitsgruppe – keine Korrelation nachwiesen. Eine abschließende Beurteilung steht in dieser Frage also noch aus.

Haltung und Fütterung

Die Haltungsbedingungen scheinen für die Variabilität der Inzidenz für LMV von entschei- dender Bedeutung zu sein. Faktoren wie Stress um den Geburtszeitpunkt (Dirksen 1961, Coppock 1974, Fürll et al. 1999, Kahrer et al. 2006), größere Herden (Coppock 1974, Stengärde et al. 2012), seltenere Reinigung der Stallungen (Stengärde et al. 2012),

(17)

Bewegungsmangel durch Anbindehaltung (Karatzias 1992, Poike und Fürll 2000), oder der Einsatz elektrischer Kuhtrainer (Oltenacu et al. 1998) werden im Hinblick auf peripartale Erkrankungen als ungünstig beschrieben. Den bei Weitem wichtigsten Einfluss übt der Tierhalter jedoch über die Fütterung aus. Eine bedarfsdeckende, vor allem aber auch wieder- käuergerechte, d.h. ausreichend strukturreiche Ration (Grymer et al. 1981: mindestens 16-18

% Rohfaser) kann als eine der entscheidendsten Prophylaxemaßnahmen gegen LMV angesehen werden, denn der Zusammenhang zwischen einer konzentratreichen, rohfaser- armen Fütterung und dem verstärkten Auftreten der LMV wurde in zahlreichen Untersuchun- gen nachgewiesen (Dirksen 1961, Pinsent et al. 1961, Robertson 1968, Whitlock 1969, Coppock 1974, Grymer et al. 1981, Mori 2001). Van Winden et al. (2004) konnten sogar durch Fütterung von Maissilage und Konzentrat bei fünf von acht Milchkühen kurz nach der Abkalbung eine (zum Teil transiente) Labmagenverlagerung auslösen. Interessant ist in diesem Kontext auch, dass erkrankte Tiere, soweit sie überhaupt Futter aufnehmen, von sich aus offenbar Strukturfutter bevorzugen und angebotenes Kraftfutter oft verschmähen (Rosenberger und Dirksen 1957). Dirksen (1961) beschreibt zudem ein vermehrtes Auftreten der LMV bei Stallhaltung und -fütterung. Die "Stallfütterung" – d.h. die vermehrte Fütterung von stärkereichem Kraftfutter und/oder Getreideschrot – begünstigt vermutlich das Auftreten der LMV. Beobachtungen von Jubb et al. (1991) unterstützen diese Aussage: Die australische Studie ermittelte unter den lokalen Milchviehherden, die fast ausschließlich auf der Weide gehalten werden, nur eine LMV-Inzidenz von 0,06 %.

Robertson (1968), Erb und Martin (1978) und Abdel-Azim et al. (2005) beobachten weiterhin (unabhängig von der Kalbesaison) ein vermehrtes Auftreten der LMV in den Winter- und frühen Frühlingsmonaten. Cannas da Silva et al. (2004) fanden sogar einen signifikanten Anstieg des Erkrankungsrisikos durch Umschlagen des Wetters von einer warmen, trockenen zu einer kalt-feuchten Witterung.

Sattler et al. (1998) sehen interessanterweise ein gehäuftes Auftreten des von ihnen beschrie- benen Hypokaliämiesyndroms im Frühjahr und Herbst/Winter. Die Hypokaliämie trat dabei meist unabhängig von Labmagenerkrankungen auf. Allerdings lässt sich diese saisonale Häufung möglicherweise durch die erhöhten Fallzahlen der Klinik während dieser Jahreszeit erklären (Sattler et al. 1998).

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang wohl auch der Futterumstellung um

(18)

den Geburtszeitpunkt von einer rohfaserreichen, energie- und damit kraftfutterärmeren Trockensteherration auf eine rohfaserarme, stärkereiche Laktationsfütterung zu (Dirksen 1961, Martens 2000). Diese erfolgt in der Regel unmittelbar postpartal oder, im Rahmen einer Vorbereitungsfütterung, auch schon gegen Ende der Trächtigkeit. Auffällig ist, dass sich dieser Zeitraum genau mit dem Auftreten der LMV deckt. Dirksen (1961) benennt den Hauptrisikozeitraum für LMV zwischen der dritten Woche ante partum und der vierten Woche post partum. In diesem Zeitraum beobachtet er 81 % der LMV-Fälle, davon tritt der Großteil (65 % aller Fälle) postpartal auf. Viele andere Autoren haben diesen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang der LMV mit der Geburt inzwischen bestätigt (Robertson 1968, Whitlock 1969, Martin 1972, Varden 1979, Markusfeld 1986, Abdel-Aziz et al. 2005, Hädrich 2007).

Individuelle Faktoren (Alter, Begleiterkrankungen, Zwillingsträchtigkeit)

Über die genannten Zusammenhänge hinaus scheinen individuelle Eigenheiten der erkrankten Tiere die Entwicklung einer LMV zu begünstigen: So wurde bei betroffenen Rindern immer wieder eine Altersdisposition festgestellt. In der Regel wird eine Häufung der Erkrankung im Alter von vier bis sieben Jahren bzw. eine steigende Inzidenz ab der zweiten Laktation beobachtet (Dirksen 1961, Robertson 1968, Wallace 1974, Abdel-Aziz et al. 2005, Le Blanc et al. 2005, Sahinduran und Albay 2006). Robertson (1968) führt als mögliche Erklärung an, dass Kühe ihren Leistungspeak in der 2. bis 4. Laktation erreichen. Da Landwirte die Kraftfutterration normalerweise nach der Leistung des Einzeltiers berechnen, könnte sich die Altersverteilung daraus erklären, dass ältere Tiere mehr leichtverdauliche Kohlenhydrate fressen. Gegen diese Hypothese spricht der Umstand, dass in neueren Untersuchungen auch bei Färsen schon relativ hohe Inzidenzen an LMV ermittelt werden (Seeger 2004, Koeck et al.

2012). Diese Zunahme könnte damit zusammenhängen, dass im Rahmen einer bedarfs- gerechten Fütterung bei steigender Milchleistung auch Erstkalbinnen zunehmend hohe Mengen Kraftfutter erhalten müssen.

Auffallend ist weiterhin die hohe Inzidenz von Begleiterkrankungen bei Rindern mit LMV.

Besonders im Fokus stehen dabei Endometritis und Nachgeburtsverhaltung (Robertson 1968, Markusfeld 1986, Detilleux 1997, Le Blanc et al. 2005, Hädrich 2007), Ketose (Detilleux 1997, Markusfeld 1987, Correa et al. 1993), Mastitis (Coppock 1974, Lotthammer 1992, Le Blanc 2005), Milchfieber (Wallace 1974, Karatzias 1992, Correa et al. 1993) und

(19)

Klauenverletzungen (Lotthammer 1992, Hädrich 2007). Diese Korrelationen könnten in den ersten drei Fällen auf eine vergleichbare Ätiologie der genannten Krankheiten zurückgehen.

So kann die mangelnde Anpassung an eine negative Energiebilanz postpartum in Verbindung mit anderen Stressoren sowohl LMV als auch Ketose hervorrufen, während die dadurch hervorgerufene Schwächung des Immunsystems sowohl Metritiden als auch Mastitiden begünstigt (Le Blanc et al. 2005). Eine andere Erklärung wäre, dass eine eventuell durch Mastitis, Metritis oder entzündliche Klauenerkrankungen ausgelöste Endotoxämie die Entwicklung der LMV mitverursacht (Coppock 1974, Eades 1997, Zadnik 2003, Kaze et al.

2004, Zebeli et al. 2011). Dafür sprechen auch Befunde von Sobiech et al. (2008), die im Blutgerinnungsprofil erkrankter Tiere auf eine disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) hindeutende Veränderungen beobachteten. Entgegen dieser Hypothese fanden Wittek et al.

(2004) im Blut von 30 Tieren mit LMV oder abomasalem Volvulus nur in einem Fall Endotoxine, während Kontrolltiere signifikant häufiger betroffen waren.

Endotoxine könnten die Labmagenmotorik direkt hemmen (Vlaminck et al. 1985, Lohuis et al. 1988), ähnlich wie sie auch die Motilität des Reticulorumens herabsetzen (Lohuis et al.

1988, Aiumlamai und Kindahl 1992, Eades 1993). Eades (1997) vermutet, dass die reduzierte Pansenmotorik nach Applikation von Endotoxinen auf α2-adrenerge Rezeptoren zurüchgeht.

Auch bei Menschen und Mäusen hemmen Endotoxine die gastrointestinale Motilität (Hamano et al. 2007, Chen et al. 2010, Königsrainer et al. 2011) – möglicherweise über α2-adrenerge Rezeptoren (Hamano et al. 2007). In Verbindung mit Endotoxämie werden beim Rind, wie auch bei Pferden und Menschen (Bundgaard et al. 2003, Toribio et al. 2005), Elektrolyt- verschiebungen, vor allem Hypokaliämie (Ohtsuka et al. 1997a, Divers und Peek 2008) und Hypocalcämie (Griel et al. 1975, Zebeli et al. 2011), beobachtet, die allerdings offenbar während eines endotoxämischen Schocks kurz vor dem Tod des Tieres ins Gegenteil um- schlagen können (Tennant et al. 1973) Dieser Effekt könnte auf die schockbedingte Hämo- konzentration, metabolische Azidose, Hypoglykämie und/oder auf eine Kaliumfreisetzung aus zerstörten Körperzellen zurückgehen (Tennant et al. 1973, Gerros et al. 1995). Der Mineralstoffmangel bei Rindern mit Endotoxämie könnte, zumindest teilweise, durch die reduzierte Futteraufnahme verursacht werden (McMahon et al. 1998).

Auch Zwillingsgeburten sind mit erhöhten Inzidenzen von LMV korreliert (Markusfeld 1987, Rohrbach et al. 1999, Poike und Fürll 2000, Wolf et al. 2001, Le Blanc et al. 2005). Zwillings-

(20)

trächtigkeiten stellen, ähnlich wie auch die Geburt großer Bullenkälber, ein erhöhtes Risiko für Schwergeburten dar (Peeler et al. 1994, Olson et al. 2009, De Vries et al. 2010, Potter et al. 2010, Mee et al. 2011). Wahrscheinlich begünstigen der größere Geburtsstress, das erhöhte Risiko für Nachgeburtsverhaltung und Endometritis sowie der größere Platzbedarf des trächtigen Uterus, die damit einhergehende geringere Futteraufnahme und die aus beidem resultierenden Veränderungen der räumlichen Verhältnisse in der Bauchhöhle das Auftreten der LMV (Markusfeld 1987, Le Blanc et al. 2005).

Metabolische Einflüsse

Schon 1961 erkannte Dirksen bei einem Großteil der von ihm untersuchten Tiere einen Zusammenhang zwischen der LMV und der "leistungsmäßigen Stoffwechselbelastung" der zunehmend hochleistenden Milchkühe. Inzwischen wird die metabolische Belastung im peripartalen Zeitraum als wichtiger Auslöser der LMV angesehen. Die Untersuchung von Blutparametern wie NEFA und BHB, die auf einen gestörten bzw. defizitären Stoffwechsel hinweisen, dienen einer frühen Diagnostik beim Einzeltier. Für die Prophylaxe der LMV spielt zudem die Fütterung der Trockensteher eine wichtige Rolle. (Van Winden et al. 2003, Abdel-Aziz et al. 2005, Le Blanc et al. 2005, Kohurimaki et al. 2006, Hädrich 2007, Stengärde et al. 2010, Ospina et al. 2010, Janovick et al. 2011, Graugnard et al. 2012).

Das peripartale Energiedefizit

Mit der Niederkunft und dem damit verbundenen Einsetzen der Laktation steigt der Energiebedarf bei allen Säugetieren, wie auch beim Menschen, deutlich an (Coppock et al.

1974, Roberts und Coward 1984, Van den Brand et al. 2000, Hattan et al. 2001, Vernon et al.

2002, Castellini et al. 2010). Moe et al. (1965) geben den zusätzlichen Energiebedarf für die Laktation bei Hereford-Mutterkühen mit ca. 30 % an. Milchrassen sind aufgrund der großen Mengen energiereicher Milch allerdings noch stärker betroffen (Butler et al. 1981, Kamphues 1998): Nach den Empfehlungen der Gesellschaft für Ernährungsphysiologie (GfE 1986) hat eine 600 kg schwere Kuh einen Erhaltungsbedarf von 35,5 MJ ME/Tag. Für jedes Kilogramm Milch (4 % Fett) sind zusätzlich 3,17 MJ ME/Tag erforderlich, sodass sich der Energiebedarf schon bei einer täglichen Milchmenge von 11,2 l verdoppelt. Zusätzlich geht die Geburt meist mit reduzierter – oder zumindest nicht adäquat gesteigerter – Futteraufnahme einher, sodass

(21)

sich insgesamt eine negative Energiebilanz ergibt (Coppock et al. 1974, Butler et al. 1981, Kessel et al. 2008). Deren Ausprägung wird neben der individuellen Milchleistung und dem Geburtsverlauf vor allem auch durch die präpartale Fütterung beeinflusst (Rukkwamsuk et al.

1999, Le Blanc 2006, Dann et al. 2006, Janovick et al. 2011, Graugnard et al. 2012). Der Organismus der einzelnen Kuh reagiert auf das Energiedefizit mit einem individuellen Anpassungsprozess, der mehr oder weniger erfolgreich ausfallen kann (Butler et al. 1981, Jorritsma et al. 2003, Kessel et al. 2008, Weber 2012). Genetische Prädispositionen und andere Einflussfaktoren, die diesen Anpassungsprozess bestimmen, beeinflussen das individuelle Erkrankungsrisiko erheblich (Kessel et al. 2008).

Peripartale Beeinträchtigung des Leberstoffwechsels

Das gehäufte Auftreten der LMV um den Geburtszeitpunkt (Robertson 1968, Whitlock 1969, Martin 1972, Varden 1979, Markusfeld 1986, Abdel-Aziz et al. 2005, Hädrich 2007) legt einen Zusammenhang mit dem peripartalen Stoffwechselgeschehen nahe. Tatsächlich werden bei Kühen mit LMV regelmäßig Veränderungen verschiedener Blutparameter beobachtet, die auf eine stärkere Beeinträchtigung des metabolischen Gleichgewichts im Vergleich zu gesunden Tieren und damit auf eine mangelnde Adaptation des Organismus an die veränderte Stoffwechselsituation hinweisen. Die in diesem Rahmen am häufigsten untersuchten Parameter sind die Konzentration der freien Fettsäuren (NEFA) sowie von β-Hydroxybutyrat (BHB) im Blut (Robertson 1966, Van Winden et al. 2003, Le Blanc et al. 2005, Kohurimaki et al. 2006, Hädrich 2007, Stengärde et al. 2010, Janovick 2011). Freie Fettsäuren entstehen im Rahmen der Lipolyse im Fettgewebe, wandern mit dem Blut zur Leber und werden in den Hepatozyten mittels β-Oxidation zur Energiegewinnung genutzt. Eine hohe NEFA- Konzentration deutet daher auf die verstärkte Mobilisation von körpereigenen Fettreserven hin und kann so als Indikator für die Ausprägung des peripartalen Energiedefizits gelten (Cameron et al. 1998, Weber 2012). Überschreitet das Angebot an NEFA die Kapazität der Leber, so werden überschüssige NEFA wieder zu Triacylglyceriden (TAG) verstoffwechselt.

In dieser Form werden sie entweder mittels spezieller Lipoproteine, der VLDLs, in die Peripherie – vor allem ans Euter – weitergeleitet (Guretzky et al. 2006), oder aber in den Hepatozyten gespeichert (Rukkwamsuk et al. 1999). Bei Rindern mit LMV oder anderen peripartalen Erkrankungen überwiegt aufgrund des Überangebots an NEFA sowie genetischer

(22)

Einflüsse häufig über längere Zeit die Einlagerung von TAG in den Hepatozyten gegenüber ihrem Abbau. Das führt zu Leberverfettung, die mit einer Schädigung der Hepatozyten und, je nach Ausprägung, mit einer Beeinträchtigung der physiologischen Leberfunktionen bis hin zu Exitus einhergehen kann (Dirksen 1961, Vörös und Karsai 1987, Rehage et al. 1996, Zadnik 2003, Hädrich 2007, Weber 2012). Durch die rasch einsetzende Milchproduktion besteht zudem ein sehr hoher Glukosebedarf im Euter. Die deswegen verstärkt ablaufende Glukoneogenese benötigt große Mengen an Oxalacetat (Gabbay 1985, Pison et al. 1995, Rognstad 1995, Esenmo et al. 2008). Auch für den weitergehenden Abbau der bei der β- Oxidation der Fettsäuren entstehenden Ketokörper im Zitratzyklus ist Oxalacetat erforderlich (Jomain-Baum und Hanson 1975, Esenmo et al. 2008). Da die Glukoneogenese für die Konstanthaltung des Blutzuckerspiegels essentiell ist, läuft sie bevorzugt ab, sodass die End- produkte der β-Oxidation, Ketokörper wie z.B. BHB, in größeren Mengen freigesetzt werden.

Diese Zwischenprodukte sind dann in erhöhter Konzentration im Blut nachweisbar und können zu diagnostischen Zwecken genutzt werden. Erhöhte BHB-Werte zeigen demzufolge an, dass die erforderliche Anpassung der Kuh an die negative Energiebilanz beeinträchtigt ist (Jorritsma et al. 2003, Kessel et al. 2008, Weber et al. 2012). Die Freisetzung der Ketokörper aus der β-Oxidation erklärt, neben Fällen von primärer Ketose, auch die Korrelation der LMV mit Ketonämie bzw. Ketonurie (Dirksen 1961, Robertson 1966, Özkan und Poulsen 1986, Sahinduran und Albay 2006).

Kalaitzakis et al. (2010a) beobachteten bei der Untersuchung von in der ersten Laktations- woche festliegenden Rindern eine interessante Korrelation zwischen dem Grad der Leberverfettung und dem Kaliumspiegel im Blut. Alle festliegenden Kühe wiesen dabei im Vergleich zu gesunden Kontrolltieren signifikant geringere Blutkaliumkonzentrationen auf, bei den Tieren mit hochgradiger Leberverfettung waren die Kaliumwerte zudem im Vergleich zu den gering- und mittelgradig betroffenen noch einmal signifikant reduziert. Da die Blutproben schon innerhalb von sechs Stunden nach Beginn des Festliegens gezogen wurden, konnte, nach Ansicht der Autoren, eine womöglich reduzierte Futteraufnahme allein nicht als Erklärung dienen und eine abschließende Erklärung wurde nicht gefunden (Kalaitzakis et al.

2010a). In einer weiteren Studie mit 68 an LMV erkrankten Tieren, die Leberverfettung unter- schiedlichen Schweregrads aufwiesen, sowie 100 Kontrolltieren konnte dieselbe Autoren- gruppe diese Ergebnisse noch einmal bestätigen (Kalaitzakis et al. 2010b). Übereinstimmend

(23)

fanden Peek et al. (2000) bei zehn aufgrund von Hypokaliämie festliegenden Tieren bei Sektion ebenfalls moderate bis schwere Leberverfettung und bei allen 17 untersuchten Patienten erhöhte Blutparameter, die auf Leberzellschäden hinweisen (AST, GGT). Die Autoren führen den Zusammenhang auf die Häufigkeit der Leberverfettung während des postpartalen Energiedefizits und den Zusammenhang mit postpartaler Ketose zurück Der Großteil der untersuchten Tiere wurde kurz nach der Abkalbung vorgestellt und bei allen Tieren ging eine Ketose voraus, die teilweise mit Glukokortikoiden behandelt wurde. West (1997) beobachtet zudem auch Hypokaliämie bei Rindern mit Leberverfettung, Leberabszess, Fasciolose und anderen leberassoziierten Krankheitsbildern.

BHB und NEFA in der LMV-Diagnostik

Zahlreiche Untersuchungen konnten sowohl bei Kühen, die später eine LMV entwickelten (Van Winden et al. 2003, Le Blanc et al. 2005, Kohiruimaki et al. 2006, Hädrich 2007, Janovick 2011), als auch bei bereits erkrankten Tieren (Stengärde et al. 2010), erhöhte NEFA- und BHB-Konzentrationen um die Geburt ermitteln. Dabei ist offenbar eine hohe NEFA- Konzentration besonders in der letzten Woche ante partum und eine erhöhte BHB-Konzen- tration besonders in der ersten Woche post partum mit einem höheren LMV-Risiko korreliert (Le Blanc et al. 2005, Kohiruimaki et al. 2006). Grenzwerte für die Früherkennung gefähr- deter Tiere wurden ermittelt (Le Blanc et al. 2005, Walsh et al. 2007, Chapinal et al. 2011).

Beispielsweise fanden Le Blanc et al. (2005) ein 3,6-fach erhöhtes Risiko, an LMV zu erkran- ken, bei Kühen mit Serum-NEFA-Konzentrationen von ≥ 0.5 mEq/l in der Woche vor der Abkalbung. Die Untersuchung der postpartalen BHB-Konzentration im Serum wird von den Autoren allerdings als sensitiver und spezifischer angesehen. Hier war das Risiko, an LMV zu erkranken, bei Kühen mit BHB-Konzentrationen ≥ 1200 µmol/l achtfach, bei BHB-Kon- zentrationen ≥ 200 µmol/l 3,4-fach erhöht. Chapinal et al. (2011) sehen ebenfalls ein erhöhtes Risiko für LMV bei Rindern mit einer präpartalen NEFA-Konzentration von ≥ 0.5 mEq/l und einem postpartalen Wert ≥ 1.0 mEq/l. Walsh et al. (2007) sowie Kessel et al. (2008) sehen BHB-Werte ≥ 1 mM im peripartalen Zeitraum als Hinweis auf Stoffwechselstörungen an.

Ein großer Vorteil solcher Blutparameter liegt darin, dass sich damit nicht nur der meta- bolische Status betroffener Einzeltiere bestimmen, sondern vor allem auch eine Aussage über das Erkrankungsrisiko einer ganzen Herde treffen lässt. Poolproben könnten die präventive

(24)

Diagnostik deutlich erleichtern (Borchardt 2010). Ospina et al. (2010) identifizieren auf Herdenebene ein metabolisches "Alarm Level", das ein vermehrtes Auftreten peripartaler Er- krankungen anzeigen soll. Dabei wurde abhängig von der Herdengröße bei einer Stichprobe die Blutkonzentrationen für NEFA und BHB untersucht. Überschritten etwa 15 % dieser Tiere ante partum bzw. post partum einen bestimmten Schwellenwert, so war die Anzahl der Tiere in den entsprechenden Herden, die eine LMV oder eine klinische Ketose entwickelten, um etwa 3,6 % bzw. 1,8 % erhöht. Die Milchproduktion pro Laktation und Tier war um bis zu 593 kg reduziert. Überraschend war, dass diese Alarm-Levels in 40-75 % der untersuchten Herden überschritten wurden. Im Hinblick auf den metabolischen Status im peripartalen Zeit- raum scheint also in den meisten Herden noch Verbesserungspotential vorhanden zu sein (Ospina et al. 2010).

Überkonditionierung und Insulinresistenz

Vieles spricht dafür, dass metabolische Schwierigkeiten in der Frühlaktation häufig auf eine Überkonditionierung der Trockensteher durch zu energiereiche Fütterung zurückgehen: Kühe, die ante partum über ihren Energiebedarf hinaus gefüttert wurden, haben in der Regel post partum eine gesteigerte Lipomobilisation und daher höhere NEFA-, BHB- und Triglycerid- konzentrationen im Blut als ädaquat oder restriktiv ernährte Kontrolltiere (Zadnik 2003, Dann et al. 2006, Janovick et al. 2011). Ein hoher präpartaler Body Condition Score (BCS) bzw.

eine hohe Rückenfettdicke werden ebenfalls als Risikofaktor für LMV angesehen (Cameron et al. 1998, Fürll et al. 1999, Hädrich 2007). Die reduzierte Nahrungsaufnahme um die Geburt kommt erschwerend hinzu: Van Winden et al. (2003) konnten bei hochenergetischer Fütterung durch eine Nahrungskarenz nach der Geburt von nur acht Stunden bei 14 von 16 gesunden Versuchstieren eine Leberverfettung und bei vier der Tiere eine LMV auslösen.

Kontrovers wird in diesem Kontext noch die Rolle des Glukosestoffwechsels diskutiert.

Primär führt die reduzierte Futteraufnahme der an LMV erkrankten Tiere zu einem Absinken der Konzentration von Glukose sowie von Glukosevorläufern wie Propionat im Blut. Dadurch kommt es zu einer reduzierten Insulinausschüttung aus den Inselzellen des Pankreas (Herdt 2000, Van Winden et al. 2003, Hädrich 2007). Allerdings wurden bei Blutuntersuchungen von Rindern mit LMV trotz der eigentlich katabolen Stoffwechselsituation, häufig erhöhte Glukose- und Insulinwerte ermittelt (Van Meirhaeghe et al. 1988a, Kuiper 1991, Smith et al.

(25)

1997, Zadnik 2003, Pravettoni et al. 2004, Sahinduran und Albay 2006, Alkaassem 2009, Janovick et al. 2011, Stengärde et al. 2011). Im Rahmen der LMV-Diagnostik schlägt Robertson (1966) sogar eine Differenzierung der Patienten mit LMV von solchen mit primärer Ketose anhand des höheren Blutzuckerspiegels bei LMV vor. In dem Glukosetoleranztest IVGTT (intravenous glucose tolerance test) beobachteten Van Meirhaeghe et al. (1988a) bei Rindern mit LMV verzögerte Glukose-Clearance trotz des lang anhaltenden Anstiegs des Blutinsulinspiegels. Die Autoren vermuten darüber hinaus, dass die Glukose-Clearance in vorhergegangenen Untersuchungen häufig um ca. 20 % überschätzt wurde, da Glukose eine relativ geringe Nierenschwelle habe und renale Verluste daher einkalkuliert werden müssten (Van Meirhaeghe et al. 1988a). Die Insulinresistenz wird bei Labmagenpatienten auch in anderen Studien immer wieder bestätigt (Holtenius und Tråvén 1990, Pravettoni et al. 2004, Janovick et al. 2011, Stengärde 2011).

Interessant ist, dass dabei offenbar ebenfalls eine Beziehung zur Fütterung besteht: Die Fütterung stärkereicher Konzentratrationen ist beim Rind allgemein mit erhöhten Plasma- insulinspiegeln verbunden (Sternbauer und Luthman 2002, Rooke et al. 2009). Besonders präpartal überkonditionierte Tiere zeigen zum Geburtszeitpunkt im Blut deutlich erhöhte Glukose- und Insulinspiegel (Holtenius und Tråvén 1990, Janovick et al. 2011, Graugnard et al. 2012). Janovick et al. (2011) bezeichnen das Gesamtbild der metabolischen Parameter als

"Overnutrition Syndrome" und vergleichen es mit der Symptomatik des Diabetes mellitus Typ II bei adipösen Nichtwiederkäuern. Die hierfür verantwortlichen metabolischen Zusammen- hänge des insulinunabhängigen Diabetes mellitus beim Menschen sind aus dem Review von McGarry (2002) ersichtlich: Bei adipösen Menschen findet man – wie auch bei über- konditionierten Rindern (Zadnik 2003, Dann et al. 2006, Janovick et al. 2011) – häufig erhöhte NEFA-Konzentrationen im Blut. Die Infusion großer Mengen NEFA konnte aber bei gesunden Menschen die Insulinantwort auf eine darauf folgende Glukoseinfusion potenzieren und löste schon nach einer Karenzzeit von wenigen Stunden eine Insulinresistenz im Muskelgewebe aus (Boden et al. 1995, Roden et al. 1996). Diese wird offenbar über eine reduzierte Glukoseaufnahme und im Muskel auch über eine reduzierte Phosphorylierung der Glukose in den Zellen vermittelt (Kelley et al. 1996). Beim gesunden Menschen schüttet das Pankreas zunächst kompensatorisch größere Mengen Insulin aus, allerdings scheinen auch die Inselzellen durch hohe NEFA-Konzentrationen mit der Zeit Schaden zu nehmen (Lee et al.

(26)

1994, Shimabukuro et al. 1998, Bollheimer et al. 1998). Schließlich kann die Insulin- ausschüttung mit dem steigenden Bedarf nicht mehr Schritt halten, der Diabetes manifestiert sich und der Mensch ist auf externe Insulinzufuhr angewiesen.

Erschwerend kommt hinzu, dass ein hoher Insulinspiegel auch die Lipolyse im Rahmen hält.

Fällt diese inhibitorische Wirkung durch Insulinmangel weg, kommt es zu einer massiven Freisetzung von NEFA aus dem Fettgewebe und damit entsteht ein Teufelskreis (Reaven et al.

1988).

Janovick et al. (2011) vermuten, dass ein analoges Syndrom für die metabolische Dysfunktion bei frischlaktierenden Milchkühen mitverantwortlich ist, sodass ihm in der Ätiologie peri- partaler Erkrankungen eine entscheidende Rolle zukäme. Die relative Insulinresistenz zu Beginn der Laktation wird dagegen als physiologischer Mechanismus angesehen, der die Bereitstellung von ausreichend Glukose für die Milchbildung gewährleistet (Baumann 2000, Hädrich 2007).

Bemerkenswerterweise beschreiben Sattler et al. (1998) bei Rindern mit klinischer Hypo- kaliämie unabhängig von deren Ursache ein gehäuftes Auftreten von Hyperglykämie im Vergleich zu anderen Patiententieren. Der durch die Hyperglykämie ausgelöste Anstieg des Blutinsulinspiegels könnte dabei die Kaliumaufnahme in die Zellen steigern.

Einfluss von Glukose und Insulin auf die Labmagenentleerung

Ein gestörter Glukose- und Insulinhaushalt könnte eine Ursache für die Labmagenatonie bei Rindern mit Labmagenverlagerung sein. Van Meirrhaeghe et al. (1988b) beobachteten eine Verzögerung der Labmagenentleerung über mehrere Stunden nach Injektion von Glukose oder Insulin. Ali et al. (1976) maßen eine signifikante Reduktion der Labmagenmotilität nach Insulingabe nur während Ruhephasen und nicht während Futteraufnahme oder Wiederkau- aktivität. Holtenius et al. (2000) fanden ebenfalls eine verlangsamte Labmagenausflussrate nach Insulininfusion sowohl bei hyperglykämischen als auch bei normoglykämischen Tieren, wobei der Effekt durch die Hyperglykämie signifikant verstärkt wurde. Pravettoni et al.

(2004) beschreiben eine Assoziation zwischen steigender myoelektrischer Labmagenaktivität und sinkenden Blutglukose- und -insulinkonzentrationen nach chirurgischer Korrektur der linksseitigen LMV.

Die konkrete Ursache einer solchen insulinabhängigen Labmagenatonie ist unklar. Möglich

(27)

wäre ein elektrolytabhängiger Mechanismus. Untersuchungen an isolierter Labmagen- muskulatur haben gezeigt, dass die Kontraktionsaktivität sowohl durch Zusatz von Insulin als auch durch Absenken der extrazellulären Kaliumkonzentration in physiologischer Größen- ordnung signifikant reduziert werden konnte (Türck und Leonhard-Marek 2010). Da Insulin die Aufnahme von Kalium in Muskelzellen vermittelt (Clausen und Flatman 1987, Hundal et al. 1992, McDonough et al. 2002), könnte beiden Effekten ein kaliumabhängiger Mechanis- mus zu Grunde liegen, zum Beispiel über die Natrium/Kalium-ATPase. Diese These wird unterstützt durch die Beobachtung, dass der Insulineffekt durch den Na/K-ATPase-Blocker Ouabain unterbunden werden konnte. Andererseits könnten auch Kaliumkanäle beteiligt sein, da der Insulineffekt auch in Anwesenheit der Kaliumkanalblocker Barium sowie Glybenclamid, als Blocker für ATP-abhängige Kaliumkanäle, nicht auftrat (Türck und Leonhard-Marek 2010).

Elektrolythaushalt und Säure-Basen-Haushalt

Wie oben erläutert, könnten Eletrolytimbalancen in der Ätiologie der LMV entscheidend mitwirken. Bei betroffenen Rindern werden besonders häufig Hypokaliämien, Hypo- calciämien und Hypochlorämien (Robertson 1966, Svendsen 1969a, Özkan und Poulsen 1986, Taguchi 1994) beobachtet. Pathologische Variationen des Säure-Basen-Haushalts und des Elektrolythaushalts treten oft zusammen auf und hängen zum Teil auch ursächlich zusammen. Sie sind daher im gleichen Kapitel aufgeführt. Tiere mit LMV zeigen oft eine metabolische Alkalose (Svendsen 1969a, Schotman 1971, Vörös et al. 1985, Sahinduran und Albay 2006), die bei schwerem Verlauf in eine Azidose umschlagen kann (Fubini et al. 1991, Sahinduran und Albay 2006).

Hypokaliämie

Bei vielen an LMV erkrankten Rindern werden niedrige Kaliumkonzentrationen im Blut gemessen. Beispiele aus zahlreichen Untersuchungen sind in Tabelle 1 aufgeführt. Dabei sind – soweit angegeben – auch jeweils die Werte der Kontrollgruppen berücksichtigt.

Da Kalium im Körper vor allem intrazellulär vorkommt und damit auch die Konzentration in den Erythrozyten diejenige des Plasmas um ein Vielfaches übersteigt, ist bei der Messung der Kaliumwerte im Blut sowohl die Entnahmetechnik als auch die Zeit zwischen Blutentnahme

(28)

und Untersuchung bzw. Zentrifugation von überragender Bedeutung. Delgado-Lecaroz et al.

(2000) beschreiben eine hoch signifikante Korrelation zwischen der Höhe der gemessenen Kaliumkonzentrationen und der Zeit, die zwischen Entnahme und Untersuchung verstrich (p

= 0,0001). Auf diese Weise können Blutkaliumspiegel leicht höher eingeschätzt werden, als sie tatsächlich sind, was den Nutzen gepaarter Kontrolltiere hervorhebt. Kalium kann in Vollblut, Blutserum oder Blutplasma bestimmt werden. Der Kaliumgehalt von Vollblut ist sehr instabil und kann sich schon nach kurzen Transport- oder Lagerungszeiten massiv verändern, während er in abzentrifugierten Blutproben längere Zeit stabil bleibt (Schulze 2008). Seamark et al. (1999) beschreiben beim Menschen zuverlässigere Messwerte in Serumproben als in Plasmaproben. Die mittlere Differenz zwischen Serum- und Plasma- kaliumspiegeln lag hier bei 0,2 mmol/l, wobei der Serumkaliumspiegel jeweils höher war.

Donnelly et al. (1995) fanden geringfügige Unterschiede zwischen Serumproben und heparinisierten Plasmaproben von Menschen, die bei Erhöhen der eingesetzten Heparinmenge deutlicher wurden. Die Autoren schreiben den geringen Abweichungen jedoch keine klinische Bedeutung zu. Andere Untersuchungen beschreiben dagegen eine "Pseudohyperkaliämie" in Serum- gegenüber Plasmaproben auch bei Untersuchung innerhalb einer Stunde nach der Entnahme (Nijsten et al. 1991, Fukusawa et al. 2002, Sevastos et al. 2006, Sevastos et al.

2008, Ong et al. 2010, Review: Asirvatham et al. 2013). Diese kann Werte von ca. 0,4 mmol/l oder mehr erreichen und wird vor allem über eine Freisetzung von Kalium aus den Thrombozyten bei der Blutgerinnung erklärt. Sie tritt hauptsächlich in Blutproben von Patienten mit Thrombozytose oder Erythrozytose (Johnson und Hughes 2001, Sevastos et al.

2008, Ong et al. 2010) sowie bei hochgradiger Aktivierung der Thrombozyten (Fukusawa et al. 2002) zu Tage. Bei Vorliegen einer Hypokaliämie könnte der Effekt jedoch weniger ausgeprägt, oder sogar abwesend sein (Sevastos et al. 2006, Sevastos et al. 2008). Die Autoren empfehlen die Verwendung von Plasma als Untersuchungsmaterial. Dies könnte bedeuten, dass die angegebenen Werte für den Blutkaliumspiegel im Falle von Serumproben eventuell fälschlich erhöht sein könnten. Offensichtlich höhere Werte für Serum- gegenüber Plasmaproben werden in den vorliegenden Untersuchungen (siehe Tabelle 1) jedoch nicht beobachtet.

Das Untersuchungsmaterial (S – Serum, P – Plasma oder VB – Vollblut) der verschiedenen Studien ist in der folgenden Tabelle 1 jeweils angegeben.

(29)

Der beim Rind in der Praxis angewandte Referenzbereich für physiologische Blutkalium- konzentrationen liegt zwischen 3,9 und 5,3 mmol/l im Serum (Hitachi (917) Reference Ranges – Cornell University; Divers and Peek 2008). In Tabelle 1 sind unter "Kontrolle"

weitere durch verschiedene Autoren ermittelte Blutkaliumkonzentrationen bei klinisch gesunden Rindern dargestellt; die Mittelwerte liegen zwischen 4,1 und 5,8 mmol/l. Zum Vergleich sind die Werte der an LMV erkrankten Tieren aufgelistet.

Tabelle 1: In der Literatur genannte Kaliumkonzentrationen im Blut von an linksseitiger oder rechtsseitiger LMV erkrankten Rindern, sofern vorhanden im Vergleich zu den jeweiligen gesunden Kontrolltieren.

N gibt die Anzahl der untersuchten Tiere an, (S), (P) oder (VB) das Untersuchungsmaterial Serum, Plasma oder Vollblut. Die mit # gekennzeichneten Untersuchungen differenzieren nicht zwischen rechts- bzw. linksseitiger LMV. Die entsprechenden Werte sind hier ggf. in der

„LMV links“-Spalte mit angegeben. Die mit ~ angegebenen Werte wurden aus Graphen abge- lesen. Mit * gekennzeichete Werte sind gegenüber der Kontrolle statistisch signifikant (p ≤ 0,05).

LMV links Kontrolle LMV rechts [K+]

(mmol/l)

N [K+]

(mmol/l)

N [K+]

(mmol/l) N

Zwengauer 2010 (S) ~ 3,2-4,3 80 keine ~ 2,9-3,7 20

Kalaitzakis et al. 2010b

(S) 4,0* (3,9-4,5) 46

ge- 5,15

(4,4-5,6) 10

0 keine Hepa-

tolipidose 4,1* (3,8-4,4) sam

t

ggr. Hepato- lipidose

3,7* (3,2-4,4) mgr. Hepato-

lipidose

3,2* (3,1-3,7) hgr. Hepato-

lipidose Alkassem 2009 (VB)# ~ 2,7-3,8* 61 ~ 3,9-4,1 13

Cardoso et al.2008 (S) 5,33 ± 0,97 20 5,80 ± 0,99 20 Abd El-Raof und Ghanem

2007 (S) 3,5 ± 0,17* 4 4,6 ± 0,21 5 3,2 ± 0,1* 3

Sahinduran und Albay 2006 (P)

keine 2,81 ± 0,04 48

Casenave 2005 (P) # < 4

> 4

35 25

keine

(30)

Dinges 2004 (S) 3,5 22 keine 3,1 15 Zadnik 2003 (S) 3,9 ± 0,5* 57 5,1 ± 0,4 43 4,1 ± 0,7* 16 Delgado-Lecaroz et al.

2000 (P)

4,7 ± 1,0* 103 5,1 ± 0,8 96

Roussel et al. 2000 (S) keine 3,1

(2,2-4,1)

18

Meylan 1999 (S) keine 3,38 ± 0,72 75 produktiv

3,01 ± 0,49 26 nicht prod.

Fubini et al. 1991 (P) keine 3,3 ± 0,7 346 produktiv

keine 3,1 ± 0,6 88 verwertet

keine 3,4 ± 0,7 24 verendet

Janowitz 1990 (P) 3,83 ± 0,63* 39 4,45 ± 0,41 30 3,68 ± 0,54* 36 Vörös und Karsai 1987 (P) ~ 3,9* 7 ~ 4,6 32

Özkan und Poulsen 1986

(S) ~ 3,08 11 keine

Vörös et al. 1985 (k.A.) 3,9 ± 0,6 26

Braun et al. 1988 (S) 3,66 ± 0,12* 36 4,2 ± 0,7 25 3,7 ± 0,22* 16

Lattmann 1984 (S) 3,91 ± 0,64 20 4,11 ± 0,33 20 3,37 ± 0,42* 10 ohne Reflux

3,77 ± 0,74 30 3,15± 0,52* 10 mit Reflux

Meermann und Aksoy 1983 (S)

3,8 ± 0,5 11 4,1 ± 0,4 20 3,5 ± 0,4 7 ohne Reflux

3,6 ± 0,2 19 3,0 ± 0,4* 7 mit Reflux

Hjortkjær und Svendsen 1979 (k.A.)

~ 2,5-3,3 21 prä-OP

~ 3,0-4,0 21 post-OP Gingerich und Murdick

1975 (S)

3,49 ± 0,66 15 3,06 ± 0,55 5

Svendsen 1969 (VB) 4,5 3 3,41 3

Robertson 1966 (k.A.) <3,9 3,9-5,8

>5,8

19 25 2

keine

Das Vorliegen einer Hypokaliämie bei Rindern mit Labmagenerkrankungen ist nicht unstrittig. Immer wieder werden in Untersuchungen auch bei einem Großteil der Tiere Blutkaliumspiegel gemessen, die im physiologischen Rahmen liegen (Dirksen 1961, Janowitz 1990, Delgado-Lecaroz et al. 2000, Zadnik 2003, Wittek et al. 2005, de Cardoso et al. 2008).

In mehreren dieser Studien weisen die untersuchten Tiere andererseits zwar einzeln betrachtet durchaus physiologische Blutkaliumwerte auf, die Messwerte bei den Kontrolltieren liegen

(31)

aber durchweg höher (siehe Tabelle 1), sodass trotzdem Hinweise auf einen pathophysiologi- schen Zusammenhang bestehen (Janowitz 1990, Delgado-Lecaroz et al. 2000, Zadnik 2003, de Cardoso et al. 2008). In anderen Untersuchungen wird ein Anstieg der Blutkaliumkonzen- trationen nach chirurgischer Korrektur der LMV beobachtet, obwohl diese zum Teil auch prä- operativ im physiologischen Rahmen lagen. Beispielsweise ermittelt Zwengauer (2010) einen hochsignifikanten Anstieg der Kaliumwerte nach Labmagenoperationen von ca. 3,6 mmol/l auf ca. 4,3 mmol/l bei linksseitiger und von ca. 3,2 mmol/l auf ca. 4,2 mmol/l bei rechtsseiti- ger Verlagerung. Einen ähnlichen Verlauf beobachten auch Svendsen (1969a), Hjortkjær und Svendsen (1979), Janowitz (1990) sowie Bajcsy et al. (1997).

Auffällig ist, dass Tiere mit rechtsseitiger LMV mit oder ohne Labmagentorsion häufig niedri- gere Kaliumwerte im Blut aufweisen als Tiere mit linksseitiger LMV (Lattmann 1984, Jano- witz 1990, Taguchi 1994, Rohn et al. 2004, Zwengauer 2010). Möglicherweise hängt dies mit der stärker ausgeprägten Blockade der Ingestapassage gegenüber der linksseitigen LMV zu- sammen. Allgemein werden bei rechtsseitiger Verlagerung des Labmagens ein schwererer Verlauf sowie deutlichere Veränderungen der Blutwerte beschrieben als bei linksseitiger Ver- lagerung (Svendsen 1969a, Schotman 1971, Meermann und Aksoy 1983, Lattmann 1984).

Der schwerere Verlauf könnte möglicherweise eine Folge des reduzierten Blutkaliumspiegels sein – oder aber das stärkere Absinken desselben, beispielsweise durch eine stärker beein- trächtigte Futteraufnahme, erst auslösen. Dadurch dass viele Studien Fälle von abomasalem Volvulus, die aufgrund der oft völlig blockierten Ingestapassage einen besonders schweren Verlauf aufweisen, zusammen mit den Fällen von rechtsseitiger LMV auswerten, könnte die Schwere des Verlaufs der rechten LMV aber auch überschätzt werden (Taguchi 1994).

Auch bei Rindern mit experimentell induzierter Pylorus- oder Duodenalstenose bzw.

Diversion des Labmageninhalts durch Duodenalkanülen sinkt der Blutkaliumspiegel oft kurz- fristig stark ab. Aufgrund der Annahme, dass die Veränderungen bei LMV durch eine Passagestörung im proximalen Gastrointestinaltrakt mitverursacht werden (Hammond et al.

1964), werden entsprechende Experimente häufig als Modell für Labmagenerkrankungen eingesetzt (Gingerich und Murdick 1975, Avery et al. 1986, Lunn et al. 1990, Smith et al.

1990, Ward et al. 1994). Smith et al. (1990) sowie Ward et al. (1994) beobachteten eine Abnahme des Blutkaliumspiegels während der ersten Phase der Chymus-Diversion, der auf die Kaliumverluste mit dem Chymus zurückgeführt werden kann. Dann folgte eine relativ

(32)

konstante Plateauphase und gegen Ende der Untersuchung wieder ein Anstieg des Blut- kaliumspiegels. Parallel dazu schlug die metabolischen Alkalose im terminalen Stadium in eine metabolische Azidose um (Hjortkjær und Svendsen 1979, Özkan und Poulsen 1986, Fubini et al. 1991, Sahinduran und Albay 2006).

Vogel et al. (2012) betrachteten 29 spontan erkrankte Rinder mit duodenalem Volvulus.

Aufgrund der Schwere der Hypokaliämie bei diesen Tieren im Vergleich zu experimentell induzierten Fällen stellen die Autoren die Frage, ob der Volvulus die Hypokaliämie auslöst, oder ob die Hypokaliämie der Obstruktion möglicherweise vorangegangen sein könnte und über einen paralytischen Ileus die Torsion mit ausgelöst haben könnte (Vogel et al. 2012).

Die Kaliumkonzentration im Blut kann bei der Behandlung von Rindern mit LMV auch als prognostischer Parameter dienen. Meylan (1999), Rohn et al. (2004) und Kalaitzakis et al.

(2010b) sehen signifikant höhere Kaliumwerte bei überlebenden, produktiven Rindern als bei verendeten oder verwerteten Tieren. Insbesondere ein Anstieg der Werte kurz nach operativer Behandlung scheint eine günstige Prognose anzuzeigen (Meylan 1999). Constable et al.

(1991) und Fubini et al. (1991) können dagegen in ähnlichen Analysen mit 80 bzw. 458 Tieren keine signifikante Korrelation feststellen.

In der Praxis wird häufig eine Kaliumsubstitution bei Rindern mit LMV empfohlen, in der Regel durch orale oder intravenöse Verabreichung von Kaliumchlorid oder anderen Kalium- salzen (Sweeney 1999, Divers und Peek 2008, Constable et al. 2012).

Weitere Aspekte der Hypokaliämie sind in Kapitel 2.2.3.2 beschrieben.

Sonstige Elektrolytverschiebungen Calcium

Im peripartalen Zeitraum werden besonders bei Milchkühen relativ häufig reduzierte Blut- calciumspiegel gemessen (Goff 2008, Grabherr et al. 2009, Reinhardt et al. 2011, Oetzel und Miller 2012). Die Hypocalcämie ist auf das Einsetzen der Laktation und die damit einher- gehende massive Ausscheidung von Calcium mit der Milch zurückzuführen. Die Calcium- verluste können zu Störungen der Muskeltätigkeit bis hin zum Festliegen führen und bilden so die Ursache für das klinische Bild der Gebärparese (Mellau et al. 2004, Goff 2008, Green et al. 2008). Subklinische Hypocalcämie könnte Rinder für andere peripartale Erkrankungen prädestinieren (Reinhardt et al. 2011). So werden LMV und Gebärparese häufig in

(33)

Zusammenhang gebracht (Wallace 1974, Karatzias 1992, Correa et al. 1993) und bei Rindern mit Labmagenerkrankungen werden häufig niedrige Blutcalciumspiegel gemessen (Wallace 1974, Correa 1994, Delgado-Lecaroz et al. 2000, Zadnik 2003, Van Winden et al. 2003, Wittek et al. 2005, Sahinduran und Albay 2006). Viele Autoren berichten dabei über leicht verringerte Werte, die ggf. allerdings, analog zu Kalium, nach chirurgischer Behandlung der betroffenen Tiere ansteigen (Robertson 1966, Hjortkjær und Svendsen 1979, Meermann und Aksoy 1983, Lattmann 1984, Özkan und Poulsen 1986, Vörös und Karsai 1987, Bajcsy et al.

1997, Zadnik 2003). Als mögliche Ursache werden vor allem die reduzierte Futteraufnahme und die Stase im Magen-Darm-Trakt genannt (Robertson 1966, Özkan und Poulsen 1986, Riond 2001, Zadnik 2003).

Ob der Zusammenhang zwischen Hypocalcämie und LMV nur auf das gleichzeitige Auftreten beider Erkrankungen zu Beginn der Laktation zurückzuführen ist, oder ob eine ursächliche Beziehung besteht, wird noch kontrovers diskutiert. Chapinal et al. (2011) sahen bei Tieren mit einer postpartalen Blutcalciumkonzentrationen unter 2,2 mmol/l ein erhöhtes LMV-Risi- ko. Geishauser et al. (1999) beschrieben eine signifikante Korrelation zwischen niedrigen Blutcalciumspiegeln und LMV erst in der zweiten Woche post partum, während vorher kein statistischer Zusammenhang bestand. Elf Jahre später fanden Geishauser und Oekentorp (2010) sogar überhaupt keine signifikante Beziehung mehr. Vörös und Karsai (1987) unter- suchten Rinder schon vor dem Auftreten der LMV. Sie beobachteten ein leichtes Absinken der Blutkalziumkonzentration erst zusammen mit dem Einsetzen der LMV-Symptomatik und zie- hen daraus den Schluss, dass die Hypocalcämie möglicherweise eher als Folge der LMV an- zusehen sei. Anderseits beobachten Massey et al. (1993) ein fast fünfmal höheres LMV-Risiko bei Kühen, die bei der Geburt eine klinische oder subklinische Hypocalcämie zeigten.

Eine subklinische Hypocalcämie könnte die Labmagenmotilität hemmen (Daniel 1983). Diese Hypothese konnte allerdings weder in vitro (Zurr und Leonhard-Marek 2012) noch in vivo (Huber et al. 1981, Madison und Troutt 1988) zuverlässig bestätigt werden.

Die Blutcalciumkonzentration wird, ähnlich wie Kalium, manchmal als prognostischer Para- meter genannt, der mit der Schwere der Erkrankung korreliert sein könnte (Bajcsy et al. 1997, Kalaitzakis et al. 2010b). Constable et al. (1991) sowie Meylan (1999) fanden aber keinen signifikanten Unterschied des Blutcalciumspiegels zwischen produktiven und verwerteten bzw. verendeten Rindern.

(34)

Chlorid

Bei Rindern mit LMV wird in der Regel ein Absinken der Chloridkonzentrationen im Blut beobachtet (Robertson 1966, Svendsen 1969a, Hjortkjær und Svendsen 1979, Braun et al.

1988, Lattmann 1984, Delgado-Lecaroz et al. 2000, Roussel et al. 2000, Sahinduran und Albay 2006). Das im Labmagen in Form von Salzsäure in hohem Maße sezernierte Chlorid wird unter normalen Bedingungen im Dünndarm wieder resorbiert (von Engelhardt et al.

1968, Demigné et al. 1981, Sklan und Hurwitz 1985, Edrise et al. 1986). Durch die gestörte Labmagenpassage bei LMV gelangt aber nicht ausreichend Chymus in den Dünndarm, sodass große Mengen Chlorid entweder im Labmagen sequestriert werden (Hammond et al. 1964, Özkan und Poulsen 1986, Vörös und Karsai 1987, Braun et al. 1990, Taguchi 1994, Meylan 1999), oder im Rahmen des abomasoruminalen Refluxsyndroms, zurück in die Vormägen gelangen (Hammond et al. 1964, Meermann und Aksoy 1983, Lattmann 1984).

Dementsprechend wird die Chloridkonzentration im Pansen auch zur Differenzierung von LMV-Patienten mit und ohne Reflux angewendet (Meermann und Aksoy 1983, Lattmann 1984). Taguchi (1995) fand bei Rindern mit linker LMV bei stärkerer Dehydrierung eine ausgeprägtere hypochlorämische Alkalose. Der im verlagerten Labmagen sequestrierte Chymus enthält große Mengen Chlorid, aber auch viel Flüssigkeit, sodass eine stärkere Dehydrierung als Hinweis auf eine massiver gestörte Ingestapassage angesehen werden könnte (Taguchi 1995).

Im Kontrast zu dieser Hypothese beschreiben Vörös und Karsai (1987) ein Abfallen der Chloridkonzentrationen im Blut gefährdeter Rinder bereits vor dem Einsetzen der klinischen LMV-Symptomatik. Sie folgern daraus, dass die Ingestapassage wahrscheinlich bereits mit Einsetzen der Labmagenatonie gestört ist, sodass eine Sequestrierung von Labmageninhalt möglicherweise schon vor der eigentlichen Verlagerung vorliegt.

Ähnlich wie bereits für Kalium und Calcium beschrieben, erholen sich auch die Chlorid- konzentrationen im Blut von Rindern mit LMV nach Reposition des Labmagens schnell und steigen innerhalb weniger Tage auf ein physiologisches Niveau an (Hjortkjær und Svendsen 1979, Bajcsy et al. 1997). Zudem kann die Chloridkonzentration im Blut nach Constable et al.

(1991) und Meylan (1999) als prognostischer Parameter verwendet werden.

(35)

Natrium

Die Natriumkonzentration im Blut ist bei an LMV erkrankten Rindern gelegentlich niedriger als bei entsprechenden Kontrolltieren (Hjortkjær und Svendsen 1979, Zadnik 2003, Sahindu- ran und Albay 2006). Besonders zur Differenzierung zwischen produktiven und später ver- werteten bzw. verendeten Patienten scheint dies gewisse prognostische Bedeutung zu haben (Fubini et al. 1991, Constable et al. 1991, Meylan 1999). Die numerischen Differenzen wer- den aber z. T. als eher gering beschrieben (Hjortkjær und Svendsen 1979) und eine viele Un- tersuchungen können keine signifikanten Unterschiede zwischen den Blutnatriumkonzentra- tionen klinisch gesunder und an LMV erkrankter Rinder feststellen (Svendsen 1969a, Meer- mann und Aksoy 1983, Lattmann 1984, Bajcsy et al. 1997, Delgado-Lecaroz et al. 2000).

Eine ätiologische Beziehung der Blutnatriumkonzentration zur LMV ist nicht beschrieben.

Bei experimenteller Induktion einer metabolischen Alkalose durch Obstruktion des Pylorus oder proximalen Duodenums wird bei Rindern oder Schafen, im Gegensatz zu analogen Studien bei Monogastriern mit Darmverschluss (Singleton und Montalbo 1968, Barloon et al.

1989, Murciano et al. 1995, Spevakow et al. 2010) meist keine deutliche Hyponatriämie beobachtet (Hammond et al. 1964, Gingerich und Murdick 1975, Burkhalter et al. 1980 und Neathery et al. 1981). Bei Diversion des abfließenden Labmageninhalts durch Duodenal- kanülen ermittelten Lunn et al. (1990) dagegen eine deutliche Reduktion des Blutnatriumspiegels. Da bei Wiederkäuern im Obstruktionsmodell im Unterschied zu Monogastriern anstelle eines Vomitus nach außen abomasoruminaler Reflux bzw. das sogenannte "innere Erbrechen" beobachtet werden (Braun et al. 1988), könnte der Blutnatriumspiegel durch Natriumresorption im Vormagentrakt ausgeglichen werden (Lunn et al. 1990). Dies wirft die Frage auf, warum in derselben Situation andere Elektrolyte, insbesondere Chlorid und Kalium, nicht ebenfalls aus dem Pansen resorbiert werden, zumal eine Resorption beider Stoffe aus dem Vormagentrakt von Wiederkäuern möglich ist (Wylie et al. 1985, Martens et al. 1991, Dua et al. 1994). Im Pansensaft von Rindern mit LMV wird ein Absinken der Natriumkonzentrationen beschrieben, während die Kaliumkonzentrationen auf einem hohen Niveau bleiben oder sogar ansteigen (Elizondo Vazquez 1975, Meermann und Aksoy 1983, Lattmann 1984, Geishauser et al. 1996). Eine ausreichende Kaliumresorption im Pansen könnte unter anderem durch pH-Verschiebungen in Blut oder Panseninhalt oder durch erhöhte Blutinsulinkonzentrationen verhindert werden.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Der entstandene helle Niederschlag 2 löst sich auf Zusatz von 150 mmol (18.9 g) Natriumsulfit 3 bei 30 min Rühren.. Isolierung

Jahr.-Ber.. prozent AgCN war erfolglos, weil beim Erhitzen dieser Mischungen schon vor dem Schmelzen des AgCN eine starke Braunung und Entwicklung von mit

wässriger Schnupfen (brennen- des Sekret); Funktionsstörungen der Schilddrüse (Über-/Unter- funktion); Gesichtsneuralgie und Allergien wie Asthma , Heu- schnupfen; Tinnitus

Depressionen, Schlafstörun- gen und Rosacea Kalium bro- matum wird bei den folgenden Beschwerden eingesetzt: Depres- sionen, Nervenschwäche (Psy- chasthenie), Unruhe (es wirkt

scher Schnupfen, chronischer Rachenkatarrh, chronische Si- nusitis und Pansinusitis sowie Otitis media; chronische Bron- chitis; Tachykardie nach Auf - regung; chronisch

Zu beachten ist, dass unter der Therapie der Kaliumspiegel anstei- gen kann – sogar, wenn gleichzeitig Schleifendiuretika oder Thiazide, die vermehrt Kalium ausscheiden,

Treten Resorptions- und Verteilungs- störungen von Kaliumphosphat im Körper auf – bedingt durch einen pathogenen Reiz, wie es Schüßler formulierte –können Depressionen,

Kalium chloratum hat sich nicht nur bei akuten, sondern auch chronischen Entzündungen, zum Beispiel der Schleimhäute, be- währt.. Dazu zählen