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Archiv "Disease-Management-Programme: Ohne Ärzte zum Scheitern verurteilt" (05.10.2001)

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chon immer hat sich die Ärzteschaft dagegen gewehrt, Erfüllungsgehilfe von Krankenkassen und Regierun- gen zu sein. So auch jetzt. Denn derzeit versucht die Bundesregierung offen- sichtlich, die Therapiefreiheit und die Freiberuflichkeit der Ärzte einzuschrän- ken. Die Ausgestaltung der Disease- Management-Programme für chronisch Kranke will sie allein den Krankenkas- sen übertragen. Gemeinsam warnten deshalb am 27. September in Berlin der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, der Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung (KBV), Dr.

med. Manfred Richter-Reichhelm, und der Hauptgeschäftsführer der Deut- schen Krankenhausgesellschaft (DKG), Jörg Robbers, die Politik davor, die Ärz- te bei der Gestaltung dieser Programme zu übergehen. Wenn die Regierung das Gesetz zur Reform des Risikostruktur- ausgleichs (RSA) in der Gesetzlichen Krankenversicherung tatsächlich in der vorliegenden Form verabschiede, wäre das ein Systembruch, betonte Hoppe.

Bereits seit Wochen kritisiert die Ärzteschaft den Plan der Regierung, die Krankenkassen allein entscheiden

zu lassen, was als gute Qualität medizi- nischer Leistungen gelten kann und wie die Disease-Management-Programme für chronisch Kranke ausgestaltet wer- den sollen (DÄ, Heft 31–32/2001). Bun- desgesundheitsministerin Ulla Schmidt sieht jedoch bisher keinen Handlungs- bedarf. Experten des Bundesversiche- rungsamtes würden alle Pro-

gramme beurteilen und zer- tifizieren; Willkür der Kas- sen sei damit ausgeschlos- sen, meint Schmidt. Zudem werde den Ärzten „Gele- genheit zur Stellungnahme“

gegeben, heißt es in der Ant- wort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion.

Damit erhielten die Ärzte tatsächlich nur den Status von Erfüllungsgehilfen der Kassen. Diese könnten nach dem Gesetzentwurf künftig

sowohl medizinische Versorgungspro- gramme und deren Qualitätsanforde- rungen definieren als auch ärztliche Be- handlungsstandards und Kooperationsregeln festle- gen. „Der Gesetzentwurf lässt vollständig unbe- rücksichtigt, dass Disease- Management-Programme von den Leistungserbrin- gern medizinisch umgesetzt werden sollen“, kritisierte Robbers. Die Art und den Umfang von Versorgungs- inhalten gemeinsam abzu- stimmen sei zwingend not- wendig. „Bleibt der Ärz- teschaft und den Kran- kenhäusern weiterhin eine echte Mitwirkung versagt, werden die Disease-Management-Pro- gramme keine Akzeptanz erhalten und scheitern“, warnte auch Hoppe.

Grundsätzlich befürworten BÄK, KBV und DKG die Intention der Regie- rung, den Risikostrukturausgleich zu re- formieren, die Beitragsmittel umzulei- ten und durch spezielle Programme chronisch Kranke besser zu versorgen.

Doch: „Wenn beim Stichwort ,Disease Management‘ unter den Krankenkassen

eine Goldgräber-Stimmung ausbricht, geht es ganz offensichtlich nicht um die Qualität der Versorgung chronisch Kranker, sondern um die schnellstmögli- che Beschaffung zusätzlicher Finanzmit- tel aus dem Risikostrukturausgleich“, vermutet Richter-Reichhelm.

Tatsächlich würden schon ein halbes Jahr nach In-Kraft-Treten des Gesetzes Krankenkassen, die Disease-Manage- ment-Programme anbieten, für jeden in diesen Programmen eingeschriebenen Versicherten höhere Ausgleichszahlun- gen im RSA erhalten. Bisher werden im RSA nur Alter, Geschlecht, Invalidität und Einkommensunterschiede berück- sichtigt, nicht aber die Morbidität der Versicherten. „Da die Disease-Manage- ment-Programme eng mit den ökonomi- schen Interessen der Krankenkassen ver- knüpft sind, müssen Qualitätsstandards nach medizinischen Kriterien festgelegt werden“, bekräftigte Hoppe. Die Folgen P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 40½½½½5. Oktober 2001 AA2543

Disease-Management-Programme

Ohne Ärzte zum Scheitern verurteilt

Nach dem Willen der Regierung sollen die Krankenkassen allein die Chroniker-Programme gestalten. BÄK, KBV und DKG befürchten einen Systembruch durch die Hintertür.

Dr. med. Manfred Richter-Reichhelm, Vorsitzender der KBV:

„Den Kassen geht es offensichtlich nicht um eine qualitativ ho- he Versorgung chronisch Kranker, sondern um zusätzliche Gel-

der aus dem RSA.“ Foto: Bernhard Eifrig

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der BÄK: „Sollte das Gesetz in der vorliegenden Form verabschiedet werden, wäre dies ein Systembruch ohnegleichen.“ Foto: dpa

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von uneinheitlichen Qualitätsstandards sind absehbar: Vage Anforderungsprofi- le würden es den Kassen erlauben, Leitli- nien unterschiedlich zu interpretieren und die Disease-Management-Program- me je nach Wettbewerbsinteresse der einzelnen Kasse zu organisieren. Damit dienten diese Programme eher der Pati- entenselektion als einer verbesserten Versorgung chronisch Kranker, prophe- zeite Richter-Reichhelm.

Auch auf Probleme in der Praxis wies der KBV-Vorsitzende hin: „Kein Arzt wird sich darauf einlassen, nach Gut- dünken einzelner Krankenkassen un- terschiedliche Leitlinien für Patienten unterschiedlicher Kassenzugehörigkeit zu befolgen oder für eine Hand voll Pa- tienten einer einzelnen Kasse zusätzlich in Dokumentations- oder Kommunika- tionsformen zu investieren.“ Ferner be- ziehe sich die RSA-Gutschrift für Versi- cherte in Disease-Management-Pro- grammen immer auf die Durchschnitts- ausgaben dieser Patientengruppe in allen Leistungsbereichen und nicht nur auf die Ausgaben, die auf die spezi- elle chronische Erkrankung zurückzu-

führen sind. Die Behandlung der ande- ren Erkrankungen müsse unter allen Umständen im Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen bleiben, forderte Richter-Reichhelm.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen seien an Integrationsverträgen nach

§ 140 b SGB V zu beteiligen. „Wir lau- fen Gefahr, dass wir über eine Pro- gramm- in eine Kontrollmedizin gera- ten“, sagte Hoppe. „Am Ende dieses Weges stünde dann der Kassenversor- gungsstaat.“ Der Präsident der Bundes- ärztekammer warnte gleichzeitig vor einer „Checklistenmedizin“ und einer normierten Arzt-Patienten-Beziehung.

Wenn die Kassen die Behandlungsstan- dards definierten, bliebe die individuel- le Betreuung der Patienten auf der Strecke.

Koordinierungsaussschuss wäre ein geeignetes Gremium

Möglichkeiten, die Ärzte einzubezie- hen, gäbe es. Ein geeignetes Gremium wäre zum Beispiel der Koordinierungs- ausschuss. Dieser Ausschuss, dem 21 Mitglieder, unter anderem Vertreter der BÄK, der KBV, der DKG, der Kassen- zahnärztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbände der Krankenkas- sen sowie die Vorsitzenden des Bundes- ausschusses Ärzte und Krankenkassen und des Bundesausschusses Zahnärzte und Krankenkassen und des Ausschus- ses Krankenhaus, angehören, konstitu- ierte sich in der vergangenen Woche.

Seine Gründung zog sich lange hin und war von vielen Querelen begleitet (DÄ, Heft 27/2001). „Ursprünglich war die Bundesärztekammer im Gesetzestext von der Mitgliedschaft im Koordinie- rungsausschuss ausgeschlossen“, be- richtete Prof. Dr. med. Friedrich-Wil- helm Kolkmann, Präsident der Lan- desärztekammer Baden-Württemberg, bei einem Gesprächsforum „Qualitäts- sicherung im Gesundheitswesen“ am 21. September in Berlin. Erst später wurde ihr ein Sitz zugestanden. Offen- sichtlich war die Regierung bereits da- mals bestrebt, das Mitspracherecht der Ärzte einzuschränken. Beschlüsse im Ausschuss – auch über verbindliche Be- handlungskriterien – sollten mehrheit- lich gefasst werden. „Die Vertreter der Ärzteschaft hätten dann in ausschließ- lich ärztlichen Angelegenheiten von nichtärztlichen Mitgliedern überstimmt werden können“, sagte Kolkmann. Erst in letzter Minute konnte die BÄK eine einvernehmliche Beschlussfassung im Koordinierungsaussschuss durchsetzen.

Dieser soll nun „auf der Grundlage evidenzbasierter Leitlinien die Kriterien für eine . . . zweckmäßige und wirtschaft- liche Leistungserbringung für minde- stens zehn Krankheiten pro Jahr beschließen“. So regelt es zumindest

§ 137 e SGB V. Nach dem Willen der Bundesregierung soll es dabei auch blei- ben. Denn der § 137 f, der dem Gesetz-

entwurf zufolge neu ins das SGB V ein- gefügt werden soll, erteilt allein den Kas- sen die Aufgabe, die Ausgestaltung der Chronikerprogramme sowie die Qua- litätssicherungsmaßnahmen zu definie- ren. Der Koordinierungsausschuss soll dem Bundesgesundheitsministerium le- diglich bis zu sieben geeignete chronische Erkrankungen empfehlen. „Dies steht im eklatanten Widerspruch zum politisch gewünschten Prinzip einer gemeinsamen Selbstverwaltung“, kritisierte Robbers.

Um die medizinische Qualität der Pro- gramme zu sichern, müsse dem Koordi- nierungsausschuss die Definition der Anforderungsprofile für die Disease- Management-Programme übertragen werden, forderten die Vertreter der Ärz- teschaft geschlossen in Berlin.

Am selben Tag beriet jedoch schon der Bundesrat in erster Lesung den Ge- setzentwurf zur Reform des RSA. Bei den unionsgeführten Ländern stieß er auf Kritik. Baden-Württembergs Sozial- minister Dr. rer. nat. Friedhelm Repnik (CDU) befürchtet, dass die finanziellen Interessen der Krankenkassen in den Mittelpunkt gerückt werden. Ulla Schmidt will hingegen das Gesetz mög- lichst schnell über die parlamentari- schen Hürden bringen, um den Wettbe- werb der Krankenkassen um gesunde Versicherte zu beenden. Als Start für die Disease-Management-Programme ist der 1. Januar 2002 angepeilt.

Die Kassen sitzen indes schon in den Startlöchern. Sie wollen die Program- me möglichst schon vorzeitig einführen.

Der Bundesverband der Betriebskran- kenkassen startete bereits am 1. Juli ein Pilotprogramm für Diabetiker, an dem sich 29 Betriebskrankenkassen beteili- gen. Bis Ende 2001 sollen 4 000 Diabe- tiker durch das telematikgestützte Sy- stem „BKK Medical Contact“ telefo- nisch beraten werden. In den nächsten Monaten will die BKK weitere Projekte starten. Richter-Reichhelm lehnt sol- che Programme ab. Ein Call-Center sei kein Disease-Management, telefoni- sche Beratung keine leitliniengestützte Medizin. Auch Hoppe prophezeit den Programmen der Kassen keinen Be- stand: „Wenn der Gesetzgeber nicht im Sinne partnerschaftlicher Lösungen nachbessert, werden sie ein Flop. Ärzte und Patienten werden die Programme nicht akzeptieren.“ Dr. med. Eva A. Richter P O L I T I K

A

A2544 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 40½½½½5. Oktober 2001

Jörg Robbers, Hauptgeschäfts- führer der DKG:

„Der Gesetz- entwurf steht im eklatanten Widerspruch zum Prinzip einer gemeinsamen Selbstverwal- tung.“

Foto: Johannes Aever- mann

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