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Archiv "Sucht: Mehr Kooperation erforderlich" (23.11.2001)

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inige Vorurteile sind bereits besei- tigt: Sucht wird heute als chronische Krankheit anerkannt, deren Folgen man lindern kann; sie gilt nicht mehr als persönliches Versagen. Die Medizin ist – zumindest seit der Substitutionsbe- handlung mit Methadon – in das Dro- genhilfesystem einbezogen. Vielerorts kooperieren Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter gut miteinander. Den- noch gibt es Reibungspunkte. Mit der Rolle der Suchtmedizin im deutschen Drogenhilfesystem beschäftigten sich in diesem Monat gleich zwei Tagungen:

der 10. Kongress der Deutschen Gesell- schaft für Suchtmedizin (DGS) e.V. in Berlin und die Fachkonferenz „Sucht und Medizin“ der Deutschen Haupt- stelle gegen die Suchtgefahren (DHS) e.V. in Braunschweig.

Abstinenzdogma ist gefallen

„Es ist erstaunlich, dass sich die psy- chisch-soziale und die klinisch-psychia- trische Behandlung des Phänomens Sucht unabhängig voneinander ent- wickelt haben und erst in den letzten Jahren miteinander produktiv kommu- nizieren“, sagte Marion Caspers-Merk (SPD), Drogenbeauftragte der Bundes- regierung. Tatsächlich hatte sich seit den 70er-Jahren in Deutschland eher ei- ne Tradition der psychosozialen Be- handlung der Sucht herausgebildet.

Vertreter dieser Richtung standen einer ärztlichen Therapie kritisch bis ableh- nend gegenüber. Denn die Ärzte ver- folgten damals überwiegend einen an- deren Therapieansatz: Sie forderten Abstinenz.

Dagegen wehrt sich die Deutsche Ge- sellschaft für Suchtmedizin: „Sofortige Abstinenz ist eine Hürde, die nur wenige Süchtige überwinden können“, erklärte der Vorsitzende der DGS, Dr. med. Rai-

ner Ullmann. „Wir reagieren auf Rück- fälle nicht mit einem Abbruch der Be- handlung, sondern intensivieren die Therapie.“ Jede Verminderung des Konsums sei wünschenswert. Gleichzei- tig könnten so körperliche Komplikatio- nen und eine soziale Verelendung ver- hindert werden (harm reduction). Um Drogenkranken unbürokratisch zu hel- fen, müssten insbesondere die niedrig- schwelligen Angebote erweitert werden, erklärte Dr. med. Ingo Flenker, Vorsit- zender des Ausschusses „Sucht und Drogen“ der Bundesärztekammer. „Nur wer überlebt, hat die

Chance zur Umkehr“, betonte auch Caspers- Merk. Dabei verwies sie auf von der Bun- desregierung unter- stützte Projekte: Dro- genkonsumräume oder das Modellprojekt zur heroingestützten Be- handlung Opiatabhän- giger, das zu Beginn des kommenden Jah- res starten wird.

Letzteres wird von einer klinischen Arz- neimittelstudie beglei- tet. Deren Ziel sei es, zu prüfen, ob Drogen- abhängige durch die kontrollierte Vergabe von pharmakologisch reinem Heroin besser in das Hilfesystem in- tegriert werden kön- nen als durch bisherige Suchttherapien, erläu- terte Prof. Dr. med.

Michael Krausz vom

Institut für Interdisziplinäre Suchtfor- schung, Hamburg. Im Rahmen des Mo- dellversuchs würden gleichzeitig zwei psychosoziale Therapien evaluiert.

Eine interdisziplinäre Kooperation ist gerade bei der Behandlung Sucht- kranker unerlässlich. „Die Entwick- lung von Sucht hat viele Ursachen.

Darauf muss in der Behandlung rea- giert werden, und deshalb sind Medizi- ner, Psychologen und Sozialarbeiter er- forderlich“, betonte Prof. Dr. med.

Klaus Wanke, Vorsitzender der DHS.

Die medizinische Rehabilitation Sucht- kranker habe Erfolgschancen bis zu 75 Prozent – mehr als bei jeder anderen Indikationsgruppe. Nach einer Umfra- ge der DHS vom Mai dieses Jahres sind 40 Prozent der Bevölkerung der Ansicht, dass Abhängigkeit eine be- handelbare Krankheit ist. 34 Prozent gehen davon aus, dass Sucht zwar the- rapierbar, jedoch selbst verschuldet ist.

Lediglich in der Altersgruppe über 60 Jahre meint ein Drittel der Befrag- ten, Abhängigkeit sei eine Charakter- schwäche.

Probleme bei der Behandlung Sucht- kranker entstehen auch durch das zer- splitterte Versorgungs- system. Ärzte, Psycho- logen und Sozialarbeiter kritisieren die Vielzahl der Kostenträger und umstrittene Zuständig- keiten. Während die medizinische Versor- gung über die Gesetzli- che Krankenversiche- rung finanziert wird, tra- gen die Rentenversiche- rungsträger die Kosten für die Rehabilitation.

„Die unterschiedlichen Finanzierungssysteme verfestigen die Kluft zwischen Ärzten und Sozialarbeitern“, sagte Caspers-Merk. Als Or- ganisationsform der Zukunft verwies sie auf das Case Management.

Dies sei der Grundge- danke des Sozialgesetz- buches IX. Die Lei- stung müsse den Men- schen folgen – nicht umgekehrt. Eine Ver- einbarung der Rentenversicherungsträ- ger und Krankenkassen, die die Finan- zierung der Substitution regelt, ist seit dem 1. Juli in Kraft. Dr. med. Eva A. Richter P O L I T I K

A

A3092 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 47½½½½23. November 2001

Mehr Kooperation erforderlich

Suchtkranke sollten gleichermaßen durch Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter betreut werden.

Suchtmittel:

Zahlen und Fakten

Alkohol: Etwa 1,5 Millio- nen Deutsche sind alkoholab- hängig (16 bis 17 Prozent).

Dabei weisen zwölf Prozent riskante, vier Prozent gefähr- liche und 0,7 Prozent hochris- kante Konsummuster auf.

Tabak: 28,3 Prozent aller über 15-Jährigen sind Rau- cher (Männer 34,7 Prozent, Frauen 22 Prozent).

Psychotrope Medikamente:

Etwa 1,5 Millionen Menschen sind in Deutschland medika- mentenabhängig, davon etwa 1,2 Millionen von Benzodia- zepinderivaten.

Illegale Drogen: Etwa 250 000 bis 300 000 Personen in Deutschland konsumieren harte Drogen (Heroin, ande- re Opiate, Kokain, Amphet- amin, Ecstasy). Zwischen 120 000 und 150 000 Men- schen sind heroinabhängig.

Davon befinden sich 35 bis 40 Prozent in einer Substituti- onsbehandlung.

Sucht

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