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Archiv "Qualitätssicherung: Tumorboards – Bessere Kooperation erforderlich" (06.08.2012)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 31–32

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6. August 2012 A 1547

T H E M E N D E R Z E I T T H E M E N D E R Z E I T

QUALITÄTSSICHERUNG

Tumorboards:

Bessere Kooperation erforderlich

Alle Beteiligten sollten sich über die Trag- weite ihrer Beiträge im Klaren sein

und auch in der hektischen Alltagsroutine ein faires kollegiales Verhalten pflegen.

J

eder erfahrene Onkologe weiß, dass es im Versorgungsalltag ganz unterschiedliche, vordergründig sehr gegensätzliche, im Endeffekt jedoch durchaus gleichwertige Be- handlungskonzepte gibt – innerhalb eines Spektrums von ultraradikal ag- gressiv multimodal bis mild fraktio- niert sequenziell oder gar abwartend (watch and wait). Oft ist je nach Al- ter und Komorbidität ein palliativ langfristiges Konzept im Endergeb- nis besser als ein radikal kuratives mit schweren vital bedrohlichen Ne- benwirkungen und Folgezuständen.

Es ist die Herausforderung an den multidisziplinär vernetzten Onkolo- gen, die therapeutischen Modalitäten Operation, Bestrahlung, interventio- nelle Lokalmaßnahmen, Hormon- therapie, Immuntherapie und Che- motherapie in einem strategischen Gesamtkonzept zu positionieren.

Nicht selten eine philosophische Frage

In letzter Konsequenz zählt der so- genannte Patient Reported Outcome – als härtestes Kriterium ein mög- lichst langer Zugewinn an Leben mit guter Qualität, optimal natür- lich Tumorheilung. Ob nun bei- spielsweise beim metastasierten Ko- lonkarzinom eine Radikaloperation mit synchroner Entfernung einiger Lebermetastasen oder ein sogenann- tes Konversionskonzept mit mehr- fachen Partialresektionen (plus/mi- nus Chemotherapie) oder ein multi- modales Konzept mit neoadjuvanter Chemoimmuntherapie und verzöger- ter Operation oder sogar nur Radio-

frequenzablation zur Tumorstabili- sierung oder gar -elimination führt, ist letztlich nicht selten eine philo- sophische Frage. Beim älteren Pa- tienten mit Prostatakarzinom ist je nach Komorbidität und individuel- ler Lebenserwartung ein palliatives Konzept mit antihormoneller Thera- pie unter Umständen sinnvoller als eine Radikaloperation mit dem Ri- siko der Inkontinenz und Impotenz.

Solche Entscheidungen sollten heutzutage in entsprechend inter- disziplinär besetzten Tumorboards (TB) getroffen werden. Doch auch auf dieser Ebene ist in der Praxis festzustellen, dass Entscheidungen von der jeweiligen Dominanz und Spezialisierung und natürlich den individuell gemachten lokalen Er- fahrungen der anwesenden Board- mitglieder abhängen. Ist der Vorsit- zende ein renommierter Chirurg, werden Entscheidungen sicherlich

„chirurgielastig“ sein. Ebenso wer- den die Präsenz und Verfügbarkeit eines exzellenten interventionellen Radiologen (und natürlich die loka- le Verfügbarkeit solcher Optionen) das Konzept maßgeblich beeinflus- sen. Die Leitlinien tragen diesem Umstand Rechnung durch mehr oder minder breite Empfehlungs- korridore und teilweise recht un- konkrete liberale Vorgaben.

S3-Leitlinien sind zwar omnipo- tent, aber nur bei ständiger Aktuali- sierung. Die Umsetzung und An- passung an den individuellen Fall erfordern immer noch große prakti- sche Erfahrung und Expertise. Je- des Tumorboard ist so gut wie die

geleistete Vorbereitung, die damit realisierte Transparenz und die Er- fahrung und Expertise der anwesen- den Fachärzte. Insofern gibt es schon Unterschiede und manchmal auch die ehrliche Erkenntnis, exter- ne Expertise hinzuziehen zu müs- sen. In 25 Jahren onkologischer Tä- tigkeit war es jedoch stets möglich, mit Fachkenntnis und qualifizierter Argumentation eine interdiszipli - näre Einigung zu erzielen.

Patient im Meer der ungefilterten Informationen In letzter Konsequenz haben Tumor- board-Entscheidungen den Wunsch des Patienten zu berücksichtigen. Es macht keinen Sinn, im Tumorboard die Entscheidung für eine risikobe- haftete Operation zu fällen, wenn der Patient kategorisch eine Operation ablehnt. In der Regel ist der Patient im Tumorboard ja nicht persönlich anwesend. Entscheidungen werden objektiv evidenzbasiert nach Leitli- nien über seinen Kopf hinweg getrof- fen. Lehnt der Patient nun – gegen jegliche Evidenz und aus ärztlicher Sicht völlig unbegründet – diese Ent- scheidung später ab, ist sein Wunsch mit der entsprechenden Dokumen- tation gleichwohl zu respektieren.

Ein großes Problem stellt das heutzutage nahezu unerschöpfliche Informations- und Beratungsange- bot auf den verschiedensten Ebenen dar. Von Apothekerzeitung, Phar- ma-Broschüren, Boulevardpresse über Angebote aus dem Internet (Wikipedia, Chatforen, Google-lan- cierte Homepages) bis hin zu den Trotz Leitlinien:

Umsetzung und Anpassung an den individuellen Fall erfordern in den Tumorboards immer noch große prakti-

sche Erfahrung und Expertise.

Foto: Your Photo Today

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A 1550 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 31–32

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6. August 2012 schaffen und einen Verhaltensko-

dex zu vereinbaren:

Der erstbehandelnde bezie- hungsweise vorstellende Arzt sollte das weitere Konzept behalten.

Die Interessen des Erstmei- ners sollten kollegial geachtet wer- den. Empfehlungen eines Arzt- oder Institutswechsels sollten nicht gegeben werden.

Nur im Ausnahmefall und ge- genseitigen Einvernehmen sollte sich der Zweitmeiner in die laufende The- rapie einschalten oder diese überneh- men. Diesbezügliche Patientenwün- sche sollten zunächst bis zu einer kol- legialen Klärung abgewiesen werden.

Zweitmeinung und Tumor - board sollten nicht zu wirtschaft - lichen Zwecken, Konkurrenz und Patientenrekrutierung missbraucht werden.

Studienprojekte des Erstmei- ners sollten unbedingt beachtet und unterstützt werden.

Auch bei Meinungsdifferenz sollte der Zweitmeiner die Erstmei- nung respektieren und objektiv prü- fen, ob sie als Alternative zu tolerie- ren ist. Die Zweitmeinung sollte sachlich und ohne diskriminierende Kritik geäußert werden.

Bei einer offensichtlichen Fehlentscheidung sollten eine kol- legiale Aussprache und gegenseiti- ge Abstimmung erfolgen.

Auch vom Patienten sollte ei- ne gewisse Verbindlichkeit und Kontinuität eingefordert werden.

Unnötig ist eine Überexpertise als letzte Entscheidungsinstanz, womöglich noch als Schiedsamt mit bürokratischer Funktionärsbe- setzung. Diese Instanz ist ohne jeg- liche Frage nach objektiver Aufklä- rung der Patient selbst im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts, allerdings auch mit einer gewissen Verbindlichkeit. Alle Beteiligten sollten sich über die Tragweite ihrer Beiträge im Klaren sein und auch in der hektischen Alltagsroutine ein faires kollegiales Verhalten pflegen, auch wenn der staatlich geförderte Wettbewerb ein solches Verhalten geradezu konterkariert.

verschiedensten Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Krebsinforma- tionsdienst und anderen kranken- haus- und universitätsbasierten Be- ratungszentren, schließlich natür- lich gut gemeinten Empfehlungen von Freunden und Verwandten er- trinkt der nicht- oder teilinformierte Patient in einem Meer von ungefil- terten Informationen. In Ballungs- gebieten wie München ist es mitt- lerweile üblich, nicht nur eine sec - ond opinion, sondern gleich mehre- re weitere opinions einzuholen, meistens unkoordiniert und unab- hängig voneinander.

An den nachfolgenden Beispie- len aus der täglichen Routine eines Brustkrebs-Tumorboards niederge- lassener Onkologen und Gynäkolo- gen sollen die systemimmanenten Probleme kurz skizziert werden:

Fall 1

51-jährige privat versicherte peri- menopausale Frau, brusterhaltende Therapie (BET) mit Sentinel-Lymph - adenektomie (SLAE) rechts bei in- vasivem duktalem Mammakarzinom pT2 pN0 M0 G2, 4cm Tumor, 0/1 LK pos., ER 8/12, PR 3/12, HER 1+, uPA/PAI niedrig, Endopredict im Hochrisikobereich. Nachträglich: CIC (zirkulierende Tumorzellen) massiv vermehrt.

1. TB (Universität): 6 ×adjuvant FEC in eigener Tagesklinik

2. TB (Praxis): adjuvante Chemo, Art je nach CIC, später in Kenntnis 6 × EC-Doc

3. TB (andere Universität): primär Taxan-haltige Therapie in eigener Tagesklinik, Kritik an Endopredict und CIC-Bestimmung.

Alle: im Anschluss antihormonelle Therapie und Nachbestrahlung. Die Patientin begann schließlich beim (prominenten!) Drittmeiner die The- rapie.

Fall 2

48-jährige prämenopausale Frau, GKV-versichert, BET/SLAE re. bei in- vasivem duktalem Mammakarzinom re. pT1c pN0 M0 G2, HR pos, HER 1+, Ki 30%

1. TB (städtisches Krankenhaus): nur antihormonelle Therapie, keine adjuvante Chemotherapie, Nach- bestrahlung

2. (Praxis): wegen Ki 30% doch adju- vante Chemotherapie, dann Be- strahlung.

Nach telefonischer Absprache wurde die adjuvante Therapie mit EC-Doc in der Praxis begonnen.

Dr. med. Wolfgang Abenhardt, MOP Münchner Onkologische Praxis im Elisenhof MVZ Abenhardt@t-online.de

Fall 3

47-jährige prämenopausale Frau, GKV-versichert, invasiv lobuläres Mammaka. re. + CLIS cT4 cN0 M0 G1, ER 12/12, PR 9/12, HER 1+, Ki 5%. Adipositas, Wunsch nach Brust - erhaltung. Vorstellung durch beleg- ärztlich operativ tätigen niedergelas- senen Gynäkologen.

1. TB (Praxis): neoadjuvante Hor- montherapie (+/– Denosumab, Studie), ggf. BET je nach Verlauf und MRT-Befund, Nachbestrah- lung

2. TB (Universität): initiale Ablatio, dann adjuvante Hormontherapie.

Die Patientin folgte den – recht dras- tisch geäußerten – Bedenken des uni- versitären Zentrums und begab sich dort zur Operation, obwohl sie zwei Wochen vorher nach langfristiger Aufklärung die Studieneinverständ- niserklärung unterzeichnet hatte.

Diese drei Fälle zeigen, dass sich Patienten – zumindest in überver- sorgten Ballungszentren – Zweit- und Drittmeinungen einholen, un- abhängig vom Versichertenstatus und angebotener Kassenleistung.

Das Renommee der Institution oder des Experten spielt dabei eine ge- wichtige Rolle, und nicht selten wird dem Erstmeiner das Konzept aus der Hand genommen, wobei durchaus wettbewerbliches Verhal- ten zu verzeichnen ist. „Zentren“

nehmen gegenseitig keine Rück- sicht und entscheiden primär pro domo – mit dem Hinweis auf den Wunsch des Patienten kann letzt- lich alles gerechtfertigt werden.

Deshalb erscheint es ange- bracht, diese Problematik über- haupt zu thematisieren, Problem- bewusstsein bei Betroffenen zu

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