P O L I T I K LEITARTIKEL
K
omplizierter geht’s nimmer:Zur „Gesundheitsreform“ liegt mittlerweile ein halbes Dut- zend Gesetzentwürfe vor. Die Regierungskoalition hat das Reform- paket aufgeteilt in drei Gesetze für den stationären Bereich und ein Gesetz für alles übrige, insbesondere den ambu- lanten Sektor. Es gibt somit ein Gesetz zur Stabilisierung der Krankenhaus- ausgaben 1996, eine Novelle zum Krankenhausfinanzierungsgesetz und das Krankenhaus-Neuordnungsgesetz 1997 sowie schließlich das GKV-Wei- terentwicklungsgesetz. Die SPD hat bereits ein Gesundheitsstruktur-Kon- solidierungsgesetz eingebracht und so- eben ihr zweites Gesundheitsstruktur- gesetz vorgelegt. Jedes dieser Gesetze durchläuft den parlamentarischen Gang, mit Bundestag, Bundesrat, Ausschüssen, öffentlichen Anhörun- gen etc. Die Termine laufen parallel, überschneiden sich, kurz: ein Durch- einander. Das kann schließlich nur be- seitigt werden, indem sich die Akteure auf ein Verfahren einigen. Ergebnis:
ein neues Gesetz.
Wer allein aus den Gesetzestiteln argwöhnt, das Gesundheitswesen werde mit einer Unzahl neuer Vor- schriften überzogen, liegt genau rich- tig. Weder die Regierungsentwürfe noch erst recht die SPD-Vorstellun- gen zielen darauf ab, das Gesund- heitswesen von Vorschriften zu entla- sten und in die Selbstverwaltung zu überführen. Der Staat wird sich die Regelungskompetenz nicht nehmen lassen. Allenfalls wird den Selbstver- waltungen die Regelung der unange- nehmeren Aufgaben überlassen – un- ter dem kritischen Auge von Vater Staat. Er beharrt auf der Regelungs- kompetenz. Hierin sind zumindest
CDU/CSU und SPD nahe beieinan- der. Wie es um die FDP bestellt ist, mag man heute noch nicht beurteilen.
Den Liberalen könnte es so gehen wie seinerzeit beim Kuhhandel um die Pflegeversicherung. Über die wurde auch in kleinen Zirkeln im Zusam- menhang mit einem Vermittlungsver- fahren zwischen Bundestag und Bun- desrat entschieden. Die FDP hat da- mals der Pflegeversicherung entgegen ihrer Überzeugung zugestimmt, weil sie auch mit von der Partie sein wollte.
Einer rühmlichen Ausnahme sei frei- lich gedacht, des standhaften Libera- len Dieter-Julius Cronenberg.
Im kleinen Kreis
Apropos mit von der Partie: Bei dem sogenannten Lahnsteiner Kom- promiß, den die Sozialpolitiker von CDU/CSU und SPD, eskortiert von der FDP, ausgehandelt haben und der der Ärzteschaft noch in schlechtester Erinnerung ist, waren gleichfalls alle, bis auf die Grünen, mit dabei. Es be- steht genügend Anlaß, an diese alten Lasten zu erinnern. Die Konstellation in Bonn ist nämlich danach.
Vor wenigen Tagen haben Ru- dolf Dreßler seitens der SPD-Bun- destagsfraktion sowie der nord- rhein-westfälische Gesundheitsmini- ster Axel Horstmann bekundet, zu echten Verhandlungen mit der Koali- tion bereit zu sein, um eine umfas- sende Weiterentwicklung der Ge- sundheitsstrukturreform gemeinsam über die Bühne zu bringen. Beide Politiker bestanden darauf, außer- parlamentarisch zu einem Konsens zu kommen, nämlich in Arbeitsgrup- pen des Vermittlungsausschusses.
Die Absicht von Bundesgesundheits- minister Horst Seehofer, im Gesund- heitsausschuß des Bundestages über die Reformpakete zu beraten, lehnte man ab. Da die Regierungskoalition auf die SPD (und in gewissem Aus- maß auch auf die Grünen) angewie- sen ist, wenn sie die Reform insge- samt durch den Bundesrat bringen will, wird sie die Forderungen nach Verhandlungen im kleinsten Kreis erfüllen müssen. Niemand weiß, wo- hin das führt. Alles ist möglich.
Insofern ist es eigentlich müßig, heute noch im Detail die einzelnen Gesetzesvorhaben zu beschreiben.
Erinnert sei aber an den Maximalka- talog, der jetzt in die Debatte einge- bracht wird. Das ist der Entwurf des zweiten Gesundheitsstrukturgesetzes der SPD-Bundestagsfraktion. Der enthält so ziemlich alle Schrek- kensbilder, die ärztlichen Berufspoliti- kern den Schlaf rauben können. Etwa:
dauerhafte Budgetierung, Verände- rungen lediglich nach Maßgabe des Bruttoinlandproduktes; Öffnung der Krankenhäuser als Institutionen für die ambulante (fachärztliche) Be- handlung; Aufsplitterung der Ärzte- schaft in Hausärzte und Fachärzte, er- gänzt um psychotherapeutische Be- rufsgruppen; Verträge der Kassen mit einzelnen oder Gruppen von Ver- tragsärzten, auch Eigeneinrichtungen der Kassen, wenn sich Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen nicht kollektiv einigen können.
Das alles ist Spielmaterial. Irgend etwas wird aber schlußendlich in eine Gesundheitsreform, welcher Zähl- weise auch immer, eingehen – falls es zu einer solchen kommt und nicht die schlichte Budgetierung als der Weis- heit letzter Schluß übrigbleibt. NJ A-435 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 8, 23. Februar 1996 (15)