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Archiv "Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung: Einblicke in eine unfaire Welt" (20.03.2009)

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A540 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 12⏐⏐20. März 2009

W

ettbewerb und amyotrophe Lateralsklerose (ALS)? Prof.

Dr. med. Thomas Meyer verzieht das Gesicht. Diese beiden Begriffe hört der Neurologe gar nicht gerne in einem Satz. „Es geht doch nicht um Wettbewerb. Es geht um eine menschliche Katastrophe“, betont der Leiter der ALS-Ambulanz am Berliner Universitätsklinikum Cha- rité. Aus ärztlicher Sicht hat er recht.

ALS ist eine sehr seltene, tödlich ver-

laufende Nervenkrankheit. Sie macht Betroffene erst bewegungs-, dann atemlos und bringt sie schließlich um.

ALS ist aber auch eine Indikation für Wettbewerb – ob es Meyer gefällt oder nicht. Denn sie gehört zu den neuromuskulären Leiden und damit zu einem von 15 möglichen Anwen- dungsfeldern des § 116 b im Sozial- gesetzbuch (SGB) V.

Dieser Paragraf sieht vor, dass Krankenhäuser unter bestimmten Bedingungen Patienten mit selte- nen Erkrankungen oder besonderen Krankheitsverläufen ambulant be- handeln können, so wie bislang nur die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Damit wird die Konkurrenz

zwischen den Sektoren forciert – al- lerdings nicht zu fairen Bedingun- gen. Neben neuromuskulären Er- krankungen wie der ALS sind onko- logische Erkrankungen, Mukoviszi- dose oder schwere Verlaufsformen von Rheuma im Gesetz aufgelistet.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kann diese Liste ergänzen und muss die personellen und quali- tativen Voraussetzungen für die Leis- tungserbringung festlegen.

Wenn man sich in den Bundeslän- dern umhört, stellt man allerdings fest: Noch ist der Wettbewerb kei- neswegs voll entbrannt. Zahlreiche Anträge von Kliniken auf Zulassung zur spezialärztlichen ambulanten Be- handlung sind von den Kranken- hausplanungsbehörden noch gar nicht bewilligt. Die ALS-Ambulanz der Charité gehört zu den Ausnah- men. Sie erhielt die erste von bislang fünf Genehmigungen, die das Land Berlin nach § 116 b erteilt hat.

Meyer und sein Team aus Ärzten, Krankenschwestern und einer Ernäh- rungsberaterin bieten Diagnostik und Behandlung in Zusammenarbeit mit anderen Versorgern an. Im Mittel-

punkt stehen optimale Medikation, Ernährung und Atemhilfe. „ALS- Kranke sind komplexe Patienten mit einem umfassenden Beratungsbe- darf“, sagt Neurologe Meyer. „Neh- men Sie nur mal die Beatmung. Nicht alle brauchen sie, nicht alle wollen sie, es gibt invasive und nicht invasive Formen. Man muss das ganze Spek- trum kennen und vielleicht auch 100 beatmete Patienten gesehen haben, um beurteilen zu können, welche Optionen es gibt und wann unter Umständen ein Verzicht angezeigt ist. Das kann ein Kollege draußen, der nur eine Handvoll ALS-Patienten gesehen hat, kaum beurteilen.“

Horst Ganter, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Muskel- kranke, sieht das ähnlich. Seine Pa- tientenorganisation hat zwei Jahre lang im G-BA dafür gekämpft, dass Spezialambulanzen wie die an der Charité die Versorgung von Kranken übernehmen können. Dass alle Pa- tienten mit neuromuskulären Erkran- kungen im niedergelassenen Bereich optimal versorgt werden, bestreitet er: „Manche Patienten haben eine Odyssee von drei, vier oder fünf Jah- ren hinter sich, bis ihre Erkrankung richtig diagnostiziert wird.“ Schließ- lich gebe es mehr als 800 Erkran- kungsformen. Außerdem werde an den Zentren geforscht, was in den Praxen kaum eine Rolle spiele.

Nicht jeder Patient mit einer neu- romuskulären Erkrankung müsse an einer universitären Spezialambulanz betreut werden, räumt Ganter ein.

Die palliative Versorgung am Lebens- ende etwa sei nicht mehr ans Kran- kenhaus gebunden. Und manche Muskelerkrankung verlaufe so lang- sam, dass Betroffene nach der Dia- gnosestellung durchaus von ihrem niedergelasssenen Neurologen und ihrem Hausarzt betreut werden könnten. Nur: Das treffe nicht auf ÖFFNUNG DER KRANKENHÄUSER FÜR DIE AMBULANTE VERSORGUNG

Einblicke in eine unfaire Welt

Der neue § 116 b SGB V erleichtert es den Kliniken, ambulant Leistungen zu erbringen. Inzwischen ist der Wettbewerb mit den niedergelassenen Fachärzten in Gang bekommen – und sorgt bei vielen für Verdruss.

Foto:dpa

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 12⏐⏐20. März 2009 A541 ALS-Patienten zu, stellt Ganter klar.

„Da ist immens viel nötig in der Ver- sorgung. Allein wegen der Rasanz der Erkrankung können die Nieder- gelassenen schlecht mithalten.“

Das sieht die Kassenärztliche Ver- einigung (KV) Berlin anders. „ALS ist keine Erkrankung, für die man ei- ne Universitätsklinik braucht“, meint KV-Vorstand Dr. med. Uwe Kraffel.

Er befürchtet, dass die Ambulanz vor allem an Patienten interessiert ist, die noch mobil sind und die man in Stu- dien aufnehmen kann. Am Ende ih- res Lebens müssten ALS-Kranke dann aber aufwendig versorgt und gepflegt werden. Dann, lässt Kraffel durchblicken, seien die niedergelas- senen Kollegen wieder gut genug.

Die KV hat sich denn auch gegen die Bewilligung des Antrags nach

§ 116 b für die ALS-Ambulanz aus- gesprochen; so wie gegen jeden An- trag, zu dem sie bislang befragt wur- de. Ihr Hauptargument: Es gibt ge- nug Ärzte, auch hoch spezialisierte.

„In Berlin gilt doch das Hausarzt- prinzip“, sagt Kraffel ironisch, „in je- dem Haus ein Arzt, in jedem Block ein Onkologe.“

Ihn ärgert, dass die Kliniken mit ihren Anträgen nach § 116 b in den

ambulanten Markt drängen, ob es sinnvoll ist oder nicht. Unterneh- men kann die KV nichts dagegen.

Die ambulante Versorgung nach

§ 116 b unterliegt nicht der Bedarfs- planung wie bei den Vertragsärzten, kennt keine Mengenbegrenzungen – und die KV kann höchstens Stel- lungnahmen abgeben. Die Zulas- sungsentscheidung liegt allein bei den Landesbehörden. Ein unfairer Wettbewerb sei das, meinen alle KVen in Deutschland unisono.

Um einen fairen Wettbewerb zwi- schen Niedergelassenen und Kran-

kenhäusern ging es der Politik aber auch nicht, als sie mit der jüngsten Gesundheitsreform die Öffnung der Kliniken für die ambulante Versor- gung forcierte. Die Absicht, die Kli- niken verstärkt in die ambulante fachärztliche Behandlung einzubin- den, zieht sich wie ein roter Faden durch die achtjährige Amtszeit von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (Kasten: Kliniköffnung).

Durch die ambulante Versorgung im Krankenhaus entfalle das leidige

Hin und Her zwischen möglicher- weise notwendigen Krankenhaus- aufenthalten und regelmäßigen Besuchen beim niedergelassenen Facharzt, heißt es dazu auf der Internetseite des Bundesgesund- heitsministeriums (BMG). Im Kran- kenhaus erfolge die gesamte Be- handlung abgestimmt aus einer Hand; der Patient profitiere.

Darüber hinaus sind die Experten im BMG von einer größeren Versor- gungsqualität im Krankenhaus über- zeugt: „Menschen, die an schweren oder seltenen Krankheiten leiden und

eine spezialisierte Versorgung benötigen – vor allem Krebspatien- ten –, sollen eine bestmögliche Be- handlung erhalten.“ Es ist aber auch seit Langem bekannt, dass der Minis- terin die angeblich zu teure „doppel- te Facharztschiene“ ein Dorn im Auge ist. Wenn kostenintensive me- dizinischen Hochleistungsgeräte nur noch von den Kliniken angeschafft werden und so deren Auslastung steigt, sinken die Kosten für die ge- setzliche Krankenversicherung, lau- tet ihre Rechnung.

Meyer von der ALS-Ambulanz verzieht wohl auch bei solchen The- sen das Gesicht. Sie hören sich so schön rational an, nur: Die Bezah- lung im Gesundheitswesen ist häu- fig genug irrational. Seine Ambu- lanz ist zwar jetzt zur ambulanten Versorgung zugelassen und rechnet auf der Basis des Einheitlichen Be- wertungsmaßstabs ab, allerdings nicht mit der KV, sondern direkt mit den Kassen. Das Geld, maximal 120 Euro je Patient und Quartal, reicht ihm allerdings genau so wenig wie den Niedergelassenen. Immer- hin, die Charité kann ihre Ambu- lanz quersubventionieren; das funk- tioniert in den Praxen nicht.

Im Übrigen ein weiterer Grund, weshalb die niedergelassenen Ärzte die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung als unfair empfinden: In die Kliniken flie- ßen Subventionen, aber auch For- schungsmittel der Industrie oder teil- weise Spenden, die Ambulanzen zu-

gutekommen können.

KLINIKÖFFNUNG: POLITIK IN ZWEI AKTEN

Im Jahr 2004 erhielten die Krankenkassen per Ge- setz die Möglichkeit, mit Krankenhäusern neuartige Verträge abzuschließen. Diese sollten hoch spezia- lisierte Leistungen ambulant erbringen sowie seltene Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen ambulant behandeln dürfen (§ 116 b SGB V, alte Fassung). Die Krankenkassen hielten sich jedoch zurück. Einerseits konnten sie nur wenige Versorgungslücken ausmachen. Ande- rerseits fürchteten sie doppelte Ausgaben: Für die ambulante Versorgung ihrer Versicherten durch niedergelassene Ärzte und Psychologische Psycho- therapeuten zahlten sie damals eine Kopfpauscha- le an die Kassenärztlichen Vereinigungen. Ambu- lante Leistungen, die im stationären Bereich er- bracht werden, hätten sie zusätzlich und somit quasi doppelt vergüten müssen. Grundsätzlich rich- tet sich die Vergütung für ambulante Leistungen in den Kliniken nach dem Einheitlichen Bewertungs- maßstab (EBM) im vertragsärztlichen Bereich.

Um die Öffnung der Kliniken für die ambulante fachärztliche Versorgung voranzubringen, strich

der Gesetzgeber mit der Gesundheitsreform die Vertragskompetenz der Kassen. Seit April 2007 entscheidet die Krankenhausplanungsbehörde des Bundeslandes, ob ein Krankenhaus ambu- lante Leistungen nach § 116 b SGB V erbringen darf. Dabei ist die vertragsärztliche Versorgungs- situation zu „berücksichtigen“ und eine einver- nehmliche Lösung zwischen allen Beteiligten

„anzustreben“.

Eine Bedarfsplanung und -prüfung wie im ver- tragsärztlichen Bereich gibt es also nicht; auch Mengenbeschränkungen sind für die Kliniken nicht vorgesehen. Allerdings hat der G-BA inzwischen für viele Leistungen nach § 116 b SGB V Mindest- mengen festgeschrieben. Damit soll die Qualität der ambulanten Leistungserbringung im Kranken- haus gesichert werden. Inzwischen haben die Krankenhäuser bundesweit mehr als 1 000 Anträ- ge zur ambulanten fachärztlichen Leistungserbrin- gung nach § 116 b SGB V eingereicht. Anfang März 2009 hatten die Krankenhausplanungs- behörden der Länder 175 Anträge davon bewilligt.

Die ambulante Versorgung im Krankenhaus unterliegt nicht

der Bedarfsplanung und kennt keine Mengenbegrenzungen.

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A542 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 12⏐⏐20. März 2009 Auf der individuellen Ebene zwi-

schen den Ärzten gebe es aber keine Konflikte, betont Meyer. „Wir ver- sorgen doch nur einen Teil der Pati- enten komplett, die anderen betreuen wir gemeinsam und kollegial.“

Rasch sucht er auf seinem Schreib- tisch nach dem Brief, den er gerade an eine Fachärztin diktiert hat. Und berichtet von einem Neurologen, der ihm regelmäßig aus der Praxis Pati- enten überweist, um seine Diagnose zu erhärten oder für sie die Beat- mungs- und Ernährungsberatungs- kompetenz der Ambulanz zu nutzen:

„Wegen uns gibt es keine Unruhe.“

Dass der Wettbewerb im Rahmen des §116 b sie bevorzugt, würden oh- nehin nicht alle Krankenhäuser un- terschreiben. Denn ohne Weiteres dürfen sie nicht in die ambulante Ver- sorgung einsteigen. Größtes Hinder- nis sind einer Umfrage im Rahmen des Krankenhaus-Barometers der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zufolge die Mindestmengen, die der G-BA festgelegt hat. Wer

Patienten mit neuromuskulären Er- krankungen ambulant versorgen will, muss pro Jahr mindestens 50 Kranke behandeln. Bei Tumorerkrankungen liegen die Zahlen höher, im Fall gynäkologischer Tumoren beispiels- weise bei 330 Patienten pro Jahr. 41,5 Prozent der Kliniken gaben an, we- gen zu hoher Mindestmengen keinen Antrag nach § 116 b SGB V gestellt zu haben (siehe Grafik 1).

Dass der G-BA Mindestmengen beschlossen hat, ärgert Ulla Schmidt

genauso wie DKG-Hauptgeschäfts- führer Georg Baum. Letzterer fordert deshalb: „An gesetzlichen Korrektu- ren am § 116 b SGB V führt kein Weg vorbei. Gute Möglichkeiten zur besseren Versorgung von Patienten mit besonders qualifiziertem Be- handlungsbedarf bleiben derzeit weitgehend ungenutzt.“

Bislang gilt aber: Noch halten sich die Anträge nach § 116 b, vor allem aber die Bewilligungen in Grenzen. Das gilt selbst in Groß- städten, wo die Konkurrenz zwi-

schen vielen hoch spezialisierten Praxen und zahlreichen Kliniken am größten ist und deshalb am ehes- ten Konflikte zu erwarten sind.

Selbst in Hamburg, dessen zu- ständige Behörde bei der KV als ausgesprochen genehmigungs- freundlich gilt, wurden bislang nur 20 Bescheide nach § 116 b ver-

schickt. In Berlin liegen zwar rund 150 Anträge vor, doch erst fünf sind bewilligt worden. „Wir nehmen an, dass noch Anträge zurückgezogen werden“, sagt Dr. Gisela Unger, Re- ferentin für Krankenhausplanung beim Senat Berlin.

Viele Kliniken, so scheint es, ha- ben erst einmal sehr allgemein gehal- tene Anträge zu verschiedenen Be- handlungsfeldern gestellt, nach dem Motto: Dabei sein ist alles. Weil je- doch in vielen Bereichen Mindest-

mengen gelten oder nachgewiesen werden muss, dass tatsächlich be- stimmte Fachärzte und nicht der ärzt- liche Nachwuchs die ambulante Ver- sorgung übernehmen werden, ver- folgt man die Erstanträge nun häufig nicht weiter.

Die KV findet gleichwohl, dass die Position der niedergelassenen Ärzte zu wenig anerkannt wird. „Die Senatsverwaltung setzt sich mit den Argumenten und Hintergründen gar nicht auseinander, das erkennt man an den Bescheiden“, sagt einer, der

nicht genannt werden will. Die KV habe bisher alle Anträge abgelehnt, moniert Senatsreferentin Unger,

„selbst bei sehr seltenen Erkrankun- gen wie der ALS, wo eine Ambulanz sinnvoll ist“. Unger lässt aber auch durchblicken, dass der Gesetzgeber die Landesbehörden in eine wenig komfortable Situation gebracht hat.

Sie müssen einerseits auf eine Bedarfsprüfung verzichten, sollen andererseits aber die Verhältnisse vor Ort bedenken. Als Hardliner sieht Unger ihre Behörde nicht: „Wir wis- sen, dass das Netz von Schwerpunkt- praxen in Gefahr geraten könnte, wenn keine gute Kooperation ambu- lant-stationär gewährleistet ist.“

Auf ihre gute Kooperation sind die Verantwortlichen in Schleswig- Holstein, ganz im Gegensatz zu Ber- lin, fast schon ein bisschen stolz. Die Norddeutschen gelten als ein Bei- spiel dafür, dass man den § 116 b auch kooperativ umsetzen kann.

„Man muss sich die vorhandenen Ärzte ja schon teilen zwischen ambu- lant und stationär“, begründet Bianca Hartz, Leiterin des Bereichs Zulas- sung und Praxisberatung bei der KV Schleswig-Holstein, die pragmati- sche Position ihres Hauses. „Bei uns gibt es keine vergleichbare Facharzt- und Klinikdichte wie in Berlin oder Hamburg.“

So hat die KV mehrere Kooperati- onsvereinbarungen mit Krankenhäu- sern geschlossen. Darin sichern sich die Kollegen in Praxis und Klinik kooperatives ambulantes Arbeiten durch sinnvolle Arbeitsteilung oder gemeinsame Qualitätszirkel zu. Ent-

Die KV lehnt grundsätzlich alle Anträge ab, selbst bei sehr seltenen Erkrankungen wie ALS.

Gisela Unger

GRAFIK 1

Gründe, warum Krankenhäuser keinen Antrag nach § 116 b stellen

Strategische Gründe sprechen dagegen Vergütung Arzneimittel/Sachkosten ungeklärt Vergütung ärztlicher Leistungen ungeklärt Schwierigkeiten mit Vertragsärzten Zu hohe Hürden Antragsverfahren Mindestmengen zu hoch Personelle Anforderungen zu hoch Sächliche Anforderungen zu hoch Sonstige Gründe

0 10 20 30 40 50

Krankenhäuser in % 22,5

25,6 20,0

32,5 23,1

41,5 25,6

10,3

25,5

Quelle:Deutsches Krankenhausinstitut; Foto:Vario-Images

Die Sorge,dass verärgerte nieder- gelassene Ärzte keine Patienten mehr überweisen, ist für jedes dritte Krankenhaus der Grund dafür, keinen Antrag nach § 116 b zu stellen.

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A544 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 12⏐⏐20. März 2009 halten ist auch der Hinweis, dass am-

bulant tätige Krankenhausärze Arz- nei-, Heil- und Hilfsmittel nicht durch niedergelassene Ärzte verord- nen lassen.

Die Kooperation funktioniert in Schleswig-Holstein aber auch noch eine Ebene weiter oben. Dort sitzt die KV, anders als in den meisten ande- ren Bundesländern, in der Beteilig- tenrunde zur Krankenhausplanung, wird über anstehende Anträge nach

§ 116 b unterrichtet und kann direkt Bedenken und Anregungen vorbrin- gen. Ein Stimmrecht hat sie jedoch nicht. Im Gegenzug wird aber erwar- tet, dass nicht nur gemeckert und ge- mauert wird.

„Wir sind quasi zur Kooperation gezwungen worden“, sagt auch Hartz. Die Gesundheitsministerin persönlich, Dr. Gitta Trauernicht (SPD), forciert einvernehmliche Absprachen zwischen dem ambu- lanten und dem stationären Sektor (siehe Interview). Viele erteilte Zu- sagen nach § 116 b beruhen denn auch auf bereits bestehenden Er- mächtigungen von Krankenhaus- ärzten. In der Beteiligtenrunde wur- den viele Anträge zurückgestellt und noch einmal geprüft, aber in- zwischen ist auch klar: Die meisten wurden genehmigt.

Kooperation statt Konfrontation – die Ärzteknappheit im Norden, sonst eine Quelle der Klage, bringt die Be- teiligten offenbar auf gute Gedanken.

„Wir haben uns stark abgestimmt mit der KV und den niedergelassenen Ärzten“, sagt Harald Stender, Ge- schäftsführer der Westküstenklini- ken Brunsbüttel und Heide. „Bei uns gibt es aber beispielsweise in ländli- chen Gebieten auch kaum niederge- lassene Onkologen. Wir hatten ins- gesamt schon bisher sehr viele Er-

mächtigungen für die Krankenhaus- kollegen.“

§116 b eröffne noch einmal zu- sätzliche Möglichkeiten, findet Stender: „Es ergeben sich neue Ver- dienstmöglichkeiten, auch für die niedergelassenen Kollegen. Sie kön- nen in der Klinik zusätzliche Leis- tungen erbringen, denn wir sind ja nicht gedeckelt.“ Und dann zählt er flott auf, was sie an Kooperation schon auf die Beine gestellt haben:

Niedergelassene Ärzte übernehmen die urologische Nachsorge nach ei- ner OP in der Klinik, Gastroentero- logen kommen aus der Praxis zu Darmspiegelungen in die Klinik,

niedergelassene Neurologen halten die Multiple-Sklerose-Sprechstunde der Klinik ab, und eine gemeinsame Herzinsuffizienz-Sprechstunde der stationären und ambulanten Kardio- logen wird auch angeboten.

Doch in Schleswig-Holstein herrscht nicht nur eitel Sonnen- schein. Wenig erfreuliche Erfahrun- gen mit der Umsetzung des § 116 b hat der Kieler Kinderkardiologe Dr.

med. Wolfgang Ram gemacht. Ihn ärgert schon, dass die Kinderkardio-

logie einfach auf die Liste des §116 b gesetzt wurde: „Das ist doch ein Fach und keine seltene Erkrankung.“

Außerdem ist er überzeugt davon, dass der Wettbewerb unfair verläuft und zulasten der niedergelassenen Kinderkardiologen gehen wird.

Das fängt für ihn schon damit an, dass die niedergelassenen Ärzte als Selbstständige die volle finanzielle Verantwortung für ihre Praxen tra- gen, die Ambulanzen jedoch bezu- schusst werden. Ein Universitätskli- nikum wie in Kiel beispielsweise werbe aktiv um Spendengelder und werde gesponsert; zudem bekämen die Kliniken noch aus ganz anderen Töpfen Finanzmittel: „Das ist für uns eine Katastrophe.“ Auch das Westküstenklinikum Heide hat gera- de 18 Millionen Euro für die Sanie- rung erhalten, dies nur am Rande.

Nichts gegen den Kinderkardiologen dort, beteuert Ram, nur: Eine andere Ausbildung oder technische Ausrü- stung als er und seine niedergelasse- nen Kollegen habe der auch nicht.

Ram und seine niedergelassenen Kollegen waren sogar vor das Bundesverfassungsgericht gezogen.

Doch das nahm ihre Beschwerde wegen einer Wettbewerbsverzer- rung nicht an. Erst müssten sie sich durch die Gerichtsinstanzen klagen, hieß es.

Auch KV-Expertin Hartz weiß, dass es eine Menge Tücken im De- tail gibt, die einen fairen Wettbe- werb verhindern können. Beispiels- weise rechnen die Kliniken, die eine ambulante Versorgung nach § 116 b anbieten, grundstätzlich mit den Krankenkassen direkt ab. Ob dabei Bildunterschrift

Bildun tersc hriftI Bildun tersc hriftI Bildun tersc hriftI Bildun tersc hriftI Bildun tersc hriftI Bildun tersc hriftI Bildun tersc hriftI Bildun tersc hriftI Schleswig-Holstein gilt als

ein Bundesland, in dem der

§ 116 b relativ kooperativ umgesetzt wird. Stimmt das?

TTrraauueerrnniicchhtt::Ja, ich denke schon. Wir haben die Öffnung der Krankenhäuser für die spe- zialisierte ambulante Versorgung zu einem gesundheitspolitischen Anliegen gemacht und dafür alle Beteiligten an einen Tisch ge- holt. Konflikte wurden ausge- macht, besprochen und Lösun- gen auf den Weg gebracht. Ich bin sehr daran interessiert, dass die Brücke zwischen dem nie- dergelassenen und dem sta- tionären Bereich gelingt.

Gab es aber dennoch Kon- flikte?

TTrraauueerrnniicchhtt::Immer wenn es um die Sorge ging, der nieder- gelassene Bereich könne ge- fährdet sein. Ein Beispiel dafür waren tiefgehende Diskussio- nen um die Onkologie. Aber für mich steht außer Frage, dass wir die Krankenhäuser zur Überwindung einer Zweiklas- senmedizin für die spezialisierte ambulante Versorgung auch für gesetzlich Versicherte öffnen müssen.

Wie geht es nun weiter?

TTrraauueerrnniicchhtt::Die Öffnung muss

sich in der Praxis bewähren. Die ein oder andere Unwucht müs- sen wir sicher noch beheben.

Aber in Schleswig-Holstein gibt es schon seit Jahren funktionie- rende Netzwerke im niederge- lassenen Bereich. Und bei der Weiterentwicklung unserer Krankenhäuser haben wir die Verzahnung ebenfalls forciert.

Der Boden für § 116 b war also schon bereitet. Eine Umsetzung in einem überschaubaren Flächenland wie Schleswig-Hol- stein ist auch einfacher als an- derswo – zumal hier eine gewis- se skandinavische Gelassenheit herrscht.

3 FRAGEN AN …

Dr. Gitta Trauernicht (SPD),

Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein

Der Wettbewerb verläuft unfair und geht zulasten der niedergelassenen Kinderkardiologen.

Wolfgang Ram

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 12⏐⏐20. März 2009 A545 alles korrekt zugeht, weiß die KV

nicht. „Bestimmte Leistungen dür- fen nur abgerechnet werden, wenn die Ärzte eine Schwerpunktbezeich- nung vorweisen können oder eine bestimmte andere Qualifikation“, sagt Hartz. „Wir können das aber nicht prüfen, und ob die Kranken- kassen es tun, wissen wir nicht.“

Manche Vertragsärzte argwöhnen zudem, dass der ärztliche Nachwuchs ohne Facharztbezeichnung häufiger Patienten ambulant behandelt, als es zugegeben wird – ein Verdacht, der auch in Berlin geäußert wird. „Nie- dergelassene Ärzte haben eine Be- triebsstättennummer und eine lebens- lange Arztnummer“, erläutert Hartz.

Soll heißen: Wer genau was gemacht hat, geht aus der Abrechnung hervor.

„Krankenhäuser verwenden nur eine Betriebsstättennummer. Ob sie auch lebenslange Arztnummern verwen- den müssten, ist umstritten.“ Die Folge: Wer wirklich welche Leistung erbracht hat, lässt sich aus der Ab- rechnung nicht ersehen.

Wenn aber schon kleine, eher sinn- voll erscheinende Behandlungsfelder des § 116 b wie die Kinderkardiolo- gie oder ALS für Ärger und als ver- zerrt wahrgenommenen Wettbewerb sorgen, was passiert dann, wenn im- mer mehr Anträge auf onkologische ambulante Leistungen bewilligt wer- den? „Das macht uns Sorgen“, sagt die KV-Expertin Hartz knapp. Klinik- chef Stender weiß, dass vor allem die onkologischen Leistungen von den Vertragsärzten und der KV mit Argus- augen betrachtet werden. „Da muss man sich schon bedroht fühlen, denn es geht um ein Massengeschäft“, räumt er ein. „Außerdem ist der Kata- log der möglichen Leistungen nach

§ 116 b ja noch nicht abgeschlossen.

Das muss die Niedergelassenen mit Unbehagen erfüllen.“

Die Onkologie ist im Rahmen des

§ 116 b nicht ohne Grund der Be- reich, der am schärfsten beäugt wird.

Wenn man weiß, dass jedes Jahr mehr als 400 000 Bundesbürger neu an Krebs erkranken, ist es klar, dass die Krankenhäuser sicher auf Dauer ein größeres Stück vom Behand- lungskuchen abhaben wollen.

Doch gerade in der Onkologie sind die Sektorengrenzen bereits durchlässiger als anderswo. Bundes-

weit bestehen bereits 350 onkologi- sche Schwerpunktpraxen, in denen rund 90 Prozent aller nötigen Che- mo-, Hormon- oder Immuntherapien angeboten werden können. Dar- auf hat Priv.-Doz. Dr. med. Stephan Schmitz, Vorsitzender des Berufs- verbands der niedergelassenen Hä- matologen und Onkologen, unlängst hingewiesen. Zwei Drittel seiner 500 niedergelassenen Kolleginnen und

Kollegen arbeiten demnach mit Kli- niken zusammen, etwa ein Drittel be- teiligt sich an Integrationsverträgen.

Auch in Berlin bleiben die meis- ten niedergelassenen Onkologen ge- lassen. „In der Hauptstadt gibt es 45 niedergelassene Fachärzte für Hä- matologie und Onkologie“, berichtet Dr. med. Julia Herrenberger, Vor- standsmitglied im Bundesverband der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen. „In den nicht uni- versitäten Häusern sind es dagegen nur 17, die genug auf ihren Stationen zu tun haben. Ich sehe nicht, dass sie auch noch die ambulante Versor- gung übernehmen könnten.“

Herrenberger, die selbst in einem Medizinischen Versorgungszentrum mit mehreren freiberuflich tätigen Fachkollegen arbeitet, ist noch aus einem anderen Grund gelassen:

„Die Krankenkassen in Berlin schätzen unsere Arbeit und sehen keine Notwendigkeit dafür, dass sich Kliniken öffnen.“ Hier die nie- dergelassenen Ärzte, dort die Kran- kenhauskollegen, das sei sowieso strenggenommen Schnee von vor-

gestern, findet Herrenberger. „In Berlin gibt es für die niedergelasse- nen Onkologen gut gebahnte Wege ins Krankenhaus. Wir übernehmen doch für bestimmte Häuser die On- kologie, kooperieren, besuchen Tu- morkonferenzen.“

Herrenberger weiß aber auch, dass es Wettbewerbsverzerrungen gibt.

So erhalten die Kliniken teure Zy- tostatika oft günstiger als die nieder-

gelassenen Kollegen. Nur: Im Rah- men der anstehenden 15. Novellie- rung des Arzneimittelgesetzes soll geregelt werden, dass Rabatte für Zytostatika an die Krankenkassen zurückfließen müssen. Dann wäre der ungleiche Wettbewerb an dieser Stelle zumindest beendet.

Prof. Dr. med. Thomas Kersting, Sprecher der Geschäftsführung der der DRK-Kliniken in Berlin, sieht ebenfalls Grenzen der Krankenhäu- ser, schon wegen der Strukturen und Arbeitsabläufe: „Wir sind im Kran- kenhaus gerade nicht in der Lage, in echte Konkurrenz zu den Niederge- lassenen zu treten. Wir können nur ein bisschen spielen“, behauptete er unlängst beim Symposium für Juris- ten und Ärzte der Kaiserin-Friedrich- Stiftung in Berlin.

Das Potenzial für die Kliniken lie- ge angesichts der knapper werden- den Spezialisten sowieso nicht in der Konfrontation, sondern in der Ko- operation, betonte Kersting. Das sei es im Übrigen auch, was sich die Patienten wünschten. I Jens Flintrop, Sabine Rieser GRAFIK 2

Gestellte/geplante §-116-b-Anträge nach Erkrankungen

Onkologische Erkrankungen Mukoviszidose Gerinnungsstörungen Marfan-Syndrom Pulmonale Hypertonie Morbus Wilson Primär sklerosierende Cholangitis Tuberkulose Multiple Sklerose

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90

Krankenhäuser in %

81,9 15,4

7,3 7,0

24,9 10,7

12,1 13,0

18,2

Quelle:Deutsches Krankenhausinstitut; Foto:Fotolia

Lukrative Krebs- patienten:Vor allem auf ambulan- te Leistungen im Bereich der Onkolo- gie haben die Kran- kenhäuser ein Auge geworfen.

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