Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 44⏐⏐3. November 2006 A2907
P O L I T I K
K
aum zu glauben, aber wahr:Die voraussichtlich zum 1. April 2007 in Kraft tretende Ge- sundheitsreform dürfte auch positive Auswirkungen auf den Arbeitsalltag vieler Klinikärzte haben. Denn der Gesetzgeber hat endlich erkannt, dass viele der zahlreichen Rechnungsprü- fungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) nicht mehr als Schikane sind. „Von einzel- nen Krankenkassen wird die Prü- fungsmöglichkeit in unverhältnis- mäßiger und nicht sachgerechter Weise zur Einzelfallsteuerung ge- nutzt“, heißt es in der Begründung zum „GKV-Wettbewerbsstärkungs- gesetz“. Für manche Kassenarten ge- be es Hinweise auf Prüfquoten im Rahmen der Einzelfallprüfung in Höhe von 45 Prozent der Kranken- hausfälle. Um einem Missbrauch des
§ 275 SGB V entgegenzuwirken, wird nun eine „Aufwandsentschädi- gung“ eingeführt: Falls eine MDK- Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die auftraggebende Kasse dem Kranken- haus 100 Euro zu überweisen. Zudem sind die Prüfungen spätestens sechs Wochen nach Eingang der Rechnung einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen.
Rasenmähermethode
Weniger erfreulich ist der „Sanie- rungsbeitrag“ der Klinik zur Entlas- tung der GKV-Finanzen in Höhe von jährlich bis zu 500 Millionen Euro.
Allerdings setzt sich dieser anders zu- sammen als ursprünglich geplant:
>Jetzt sollen „nur“ noch 350 statt der gesamten 500 Millionen Euro per „Rasenmähermethode“ einge- spart werden, das heißt durch Rech- nungskürzungen bei den gesetzlich versicherten Patienten. Diese Maß- nahme ist zeitlich befristet bis zum Inkrafttreten der neuen Kranken- hausfinanzierung ab 2009.
> 100 Millionen Euro jährlich soll die Absenkung der Ausgleichs- quote für Mindererlöse von bisher 40 auf 20 Prozent zum Sparziel bei- tragen. In Fällen, in denen ein Kran- kenhaus in einem Jahr weniger Leis- tungen erbringt als zuvor mit der Krankenkasse vereinbart, halbiert sich somit die Entschädigung, die die Kasse an das Krankenhaus zahlt.
Wegen der hohen Vorhaltekosten steigt das Interesse der Krankenhäu- ser, mit den Kassen realistische Leis- tungsvolumina zu vereinbaren.
>Mit 50 Millionen Euro taxiert der Gesetzgeber die Kosten, die den Krankenhäusern dadurch entstehen, dass die Kassen ihnen die zur An- schubfinanzierung der integrierten Versorgung (IV) einbehaltenen Gel- der künftig nicht mehr zurückzahlen müssen. Bislang ist vorgesehen, dass die Kassen die einbehaltenen Mittel anteilig an die einzelnen Kranken- häuser auszahlen müssen, wenn sie nicht innerhalb von drei Jahren zur IV-Förderung verwendet wurden.
Dieser Passus fällt weg. Damit sinkt aber auch der Anreiz für die Kas- sen, das einbehaltene Prozent der Krankenhausrechnungen tatsächlich zweckgebunden zu verwenden.
Gegenüber den Eckpunkten geän- dert hat die Bundesregierung die Re- gelungen zur Öffnung der Kranken- häuser für die Erbringung ambulanter hoch spezialisierter Leistungen. An- ders als zunächst angekündigt, dürfen demnächst alle Krankenhäuser diese Leistungen erbringen: „Jedes zuge- lassene Krankenhaus ist zur Be- handlung nach § 116b SGB V be- rechtigt, wenn und soweit es im Rah- men der Krankenhausplanung des Landes auf Antrag des Krankenhaus- trägers unter Berücksichtigung der vertragsärztlichen Versorgungssitua- tion dazu bestimmt worden ist“, heißt es im Gesetz. Eine explizite Bedarfs- prüfung erfolgt nicht, die bisherige
Vertragskompetenz der Krankenkas- sen entfällt. Obsolet ist damit auch die Anschubfinanzierung für diese Leistungen in Höhe von 0,5 Prozent der Krankenhausbudgets (250 Mil- lionen Euro jährlich) – sind doch die Kassen jetzt außen vor und müssen nicht mehr zur Förderung dieser Ver- sorgungsform motiviert werden.
Angesichts des hohen Investiti- onsstaus in den Kliniken (bis zu 50 Milliarden Euro) und der ohnehin kritischen Finanzlage vieler Kran- kenhäuser dürfte der „Sanierungs- beitrag“ weitere Schließungen, Fu- sionen und Privatisierungen auslö- sen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Politik so eine Marktberei- nigung erreichen will. Die Öffnung der Krankenhäuser für die Erbrin- gung ambulanter hoch spezialisierter Leistungen eröffnet ihnen die Mög- lichkeit, höhere Umsätze zu erzie- len. Dies geht allerdings zulasten der niedergelassenen Fachärzte. Denn für diese gelten weiterhin die Ho- norarbudgetierung und die engen Grenzen der Bedarfsplanung; auch die Zulassungsbeschränkungen blei- ben für sie erhalten – ein klarer Fall von Ungleichbehandlung. I Jens Flintrop
GESUNDHEITSREFORM/KRANKENHÄUSER
Wenig Licht, viel Schatten
Die Kliniken sollen mit bis zu 500 Millionen Euro jährlich zur Sanierung des Gesundheitswesens beitragen – obwohl die meisten schon heute rote Zahlen schreiben.
Haben gut lachen:
Angela Merkel und Ulla Schmidt am 27. Oktober im Bundestag. Allen Widerständen zum Trotz beschloss die Regierung die Gesundheitsreform.
Foto:ddp