• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Programmatik sozialistischer Systemveränderung" (06.07.1978)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Programmatik sozialistischer Systemveränderung" (06.07.1978)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

FORUM

I. Hamburger Modell

Spätestens seit sich Prof. Deneke, der Hauptgeschäftsführer der Bun- desärztekammer und des Deutschen Ärztetages, in Davos in die Ausein- andersetzung um die Praxisklinik Mümmelmannsberg, Hamburg, ein- geschaltet hat, wird die offizielle Po- sition der Ärzteschaft zu Möglichkei- ten einer Integration von stationärer und ambulanter Behandlung un- durchsichtig. Oder ist sie schon im- mer so unklar und auf bloße Denk- modelle zugeschnitten gewesen, daß es im konkreten Fall nur einer entsprechenden Interpretation eini- ger sozialdemokratischer Politiker bedarf, um aus einer Gemein- schaftspraxis mit Belegbetten ein Modell zu machen, das „zumindest indirekt sozialistischen Plänen dient"? Die Verwirrung wird voll- ständig, wenn man feststellt, daß in dieser Ablehnung Einigkeit mit der Gewerkschaft ÖTV besteht. Diese sieht die Dinge allerdings gerade umgekehrt und befürchtet, daß die niedergelassenen Ärzte durch eine solche Einrichtung ihre Vormacht- stellung auf wirtschaftlich attraktive Bereiche der stationären Versor- gung ausdehnen.

Bisher schien es so, als wolle die Ärzteschaft der Forderung nach vor- und nachstationärer Behandlung durch die Krankenhäuser als Institu- tion mit Vorschlägen entgegentre- ten, die es im Bereich der Grund- und Regelversorgung eigenverant- wortlichen selbständigen Ärzten er- möglichen, ihre Patienten sowohl stationär als auch ambulant zu be- handeln. Als solche Möglichkeiten wurden vorgestellt das kooperative Belegarztwesen, die Praxisklinik, die Klinik für primärärztliche Versor-

gung und die Gemeinschaftspraxis mit Belegbetten. Die Vorteile dieser Modelle sind bekannt und oft genug bei Ärztetagen und in ärztlichen Standeszeitungen herausgestellt worden.

Der Patient hat die freie Arztwahl sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich, die Kontinuität der Behandlung ist sichergestellt, unnötige Doppeluntersuchungen unterbleiben, ebenso unnötige War- tezeiten auf Operationstermine, und die Entlassung kann frühzeitig erfol- gen. Kostenersparnisse in erhebli- chem Umfang sind dadurch möglich und mehrfach nachgewiesen, für die Belegkrankenhäuser auch durch den Krankenhausbericht der Bundesre- gierung vom 30. Dezember 1975.

Alle diese Vorteile gelten nicht für die vor- und nachstationäre Be- handlung durch das Krankenhaus als Institution. Dort kann sich der Patient in der Regel seinen Arzt nicht selbst wählen, die Behandlung erfolgt nicht kontinuierlich durch denselben Arzt, der reibungslose In- formationsfluß ist erfahrungsgemäß nicht gesichert, und unterschiedli- che Auffassungen der Ärzte in der Ambulanz und auf der Station füh- ren zu zusätzlichen Untersuchungen auch nach der stationären Aufnah- me. Große Krankenhäuser her- kömmlicher Struktur sind begreif- licherweise in der Regel auch nicht in der Lage, ihre Aufnahmen und ihren Operationsplan so abzustim- men, daß Wartezeiten auf einen Operationstermin vermeidbar sind.

Den von ärztlicher Seite vorgeschla- genen Organisationsformen ist ge- meinsam, daß vorhandene medizi- nisch-technische Einrichtungen und Betten von mehreren Ärzten zusam-

men genützt werden. Bei der Praxis- klinik und Gemeinschaftspraxis mit Belegbetten sind die Einrichtungen für stationäre und ambulante Be- handlung räumlich einander zuge- ordnet und werden meist von den sie tragenden Ärzten finanziert. Bei Belegärzten ist die räumliche Tren- nung von Praxis und Klinik die Re- gel, Träger der Klinik ist im allgemei- nen die öffentliche Hand oder eine gemeinnützige Einrichtung. Da die Tendenz bundesweit dahin geht, Be- legkrankenhäuser trotz ihrer erwie- senen Vorteile in Chefarztkranken- häuser umzuwandeln, verdienen Ei- geninitiativen der Ärzteschaft, wie sie in Hamburg gezeigt werden, um so mehr die uneingeschränkte Un- terstützung aller ärztlichen Organi- sationen. Die Besonderheit an der Praxisklinik Mümmelmannsberg vermag ich nur darin zu sehen, daß hier der Staat endlich einmal der oft gestellten Forderung nachgekom- men ist, ein von ärztlicher Seite vor- geschlagenes Modell mitzufinanzie- ren.

Der Bau eines „Bettenhügels" trotz vorhandenen „Bettenberges" ist bei einem Pflegesatz von 120 DM ge- genüber 160 DM bis 250 DM dann sinnvoll, wenn durch eine zusätzli- che Senkung der Verweildauer für gleichartige Fälle die Fallkosten re- duziert werden können. Für 900 ei- gene in einer Praxis mit Belegbet- ten behandelte Fälle wurde bei Zu- grundelegung der durchschnittli- chen Verweildauer von AOK-Patien- ten und eines durchschnittlichen

Pflegesatzes von 140 DM eine Ein- sparung von 1,5 Millionen DM erreicht.

Wenn in Hamburg die Wirtschaft- lichkeit und Effektivität durch einen Ausschuß aus Gesundheitsbehörde, Kassen und KV überprüft werden soll, so ist dies eine Forderung, von der man nur wünschen kann, daß sie auch für andere Krankenhausfor- men Anwendung findet, in die öf- fentliche Gelder in einer ganz ande- ren Größenordnung investiert wur- den. Erbringen diese Kontrollen den Nachweis, daß die Klinik zumindest in bestimmten Bereichen deutlich kostengünstiger arbeitet als aufwen-

Programmatik sozialistischer Systemveränderung

Zu dem Beitrag von Prof. J. F. Volrad Deneke, Heft 15/1978, Seite 878

1614 Heft 27 vom 6. Juli 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze Notizen Systemveränderung

dige Großkrankenhäuser, so werden die politisch verantwortlichen Stel- len,nicht daran vorbeikommen, die beabsichtigte Schließung von Kran- kenhäusern mit weniger als 100 Bet- ten (die ja sehr häufig Belegkran- kenhäuser sind) unter dem Ge- sichtspunkt der Wirtschaftlichkeit neu zu überdenken. Spitzenfunktio- nären der Ärzteschaft müßte be- kannt sein, daß die rigorose Hand- habung des im Kostendämpfungs- gesetz neu formulierten Paragra- phen 371, wie sie zur Zeit in einigen Bundesländern erfolgt, zu einer aku- ten Gefährdung gerade dieser Kran- kenhäuser und der darin tätigen Ärz- te geführt hat. Angriffe gegen eine von Ärzten getragene Belegabtei- lung aus den eigenen Reihen müs- sen deswegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt als besonders instinktlos bezeichnet werden.

In Anbetracht der günstigen Ent- wicklung anderer Praxiskliniken kann das Projekt Mümmelmanns- berg nur dann scheitern, wenn es seine Gegner unter den Ärzten von Anfang an in Mißkredit bringen.

Dann wäre es auch möglich, daß sich bei den in Hamburg ja schon lange angelaufenen Untersuchun- gen die vor- und nachstationäre Be- handlung durch, Krankenhäuser trotz der oben dargelegten Nachteile als kostengünstiger erweist als die integrierte Krankenhausbehandlung durch niedergelassene Ärzte. Nichts könnten sich Systemveränderer mehr wünschen als diesen Nach- weis. Wenn es stimmt, daß hinter der Auseinandersetzung um die Pra- xisklinik Mümmelmannsberg zwi- schen der KV und der Ärztekammer Hamburg (und darüber hinaus) nicht sachliche, sondern persönliche Dif- ferenzen stehen, dann hätten wir Ärzte diese Systemveränderung auch verdient. Aber selbst wenn es dazu nicht kommt, bedeuten höhere Kosten im Krankenhausbereich bei der Plafondierung der Gesamtaus- gaben im Gesundheitswesen weite- re Kürzungen für den kassenärztli- chen Sektor.

Dr. med. Kurt K. Fritz Chirurgische Privatklinik Pestalozzistraße 19-21 7100 Heilbronn

II. Grundverschieden

. . . Eine Verbesserung der innerärzt- lichen Zusammenarbeit, zum Bei- spiel zwischen Klinik und Praxis, und ein „integriertes System medi- zinischer Versorgung" ist doch nicht nur quantitativ grundverschie- den.

Auch irrt Herr Deneke, wenn er die Frage stellt, warum die Hamburger Sozialdemokraten wohl für einen kleinen „Bettenhügel" Millionen ausgeben, während sie gleichzeitig in der gleichen Stadt einen großen Bettenberg abbauen. Denn nicht die Hamburger Sozialdemokraten, son- dern die Gesundheitsminister bezie- hungsweise Senatoren aller Bun- desländer haben ihre Zustimmung geben müssen, bevor das Modell vom Bund mitfinanziert wurde.

Im übrigen müßte doch der Ge- schäftsführer des Deutschen Ärzte- tages wissen, daß der Deutsche Ärz- tetag selbst Praxiskliniken gefordert hat, und zwar als eine Möglichkeit zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in Neubaugebieten wie hier in Mümmelmannsberg. Auch die finanzielle Beteiligung der öf- fentlichen Hand an solchen Vorha- ben wurde dabei gefordert.

Und letztlich wäre die logische Kon- sequenz einer Ablehnung von Pra- xiskliniken — eine Ablehnung der Be- legkrankenhäuser überhaupt.

Dr. med. Fritz Ziemendorff Reeperbahn 116

2000 Hamburg 4

Schlußwort

Die Zuschrift von Dr. med. Fritz be- trifft meine Äußerung in Davos fast überhaupt nicht, da ich mich mit der Frage der Praxiskliniken nicht aus- einandergesetzt habe. Ich habe le- diglich darauf hingewiesen, welche Fragen sich durch die sozialdemo- kratische Finanzhilfe und die aus diesem Anlaß gehaltenen Reden prominenter Sozialdemokraten auf- werfen. Auch der Beitrag von Fritz kann mich nicht davon überzeugen,

daß die Sozialdemokraten in Ham- burg Finanzhilfe ausschließlich zur Förderung ärztlicher unternehmeri- scher Privatinitiative leisten.

Zum Vergleich der Pflegesätze kann ich nur darauf hinweisen, daß die Funktionsbindung beachtet werden muß: Es ist doch ganz selbstver- ständlich, daß die Pflegesätze in sol- chen Häusern niedriger liegen müs- sen, in denen die Möglichkeit be- sonders teuerer Operationen oder die Behandlung besonders langfri- stiger Krankheiten nicht vorgesehen ist.

Es geht daher nicht an, die Pflege- kosten von Praxiskliniken mit den Pflegekosten anderer Häuser zu ver- gleichen; vielmehr muß beobachtet werden, ob sich der Entzug „preis- werterer" Fälle bei benachbarten Krankenhäusern nicht zwangsläufig kostensteigernd auswirkt.

Insoweit bleibt es dabei, daß hier zusätzlicher Bettenbau in einer Stadt finanziert wird, in der die So- zialdemokraten einen tatsächlichen oder angeblichen Bettenberg ab- bauen oder abzubauen öffentlich er- klärt haben.

Die Ablehnung des Modells von ge- werkschaftlicher Seite ist ein Tatbe- stand für sich. Bekanntlich besteht in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten zwischen SPD und Gewerkschaften ein tiefgreifender Unterschied hinsichtlich des Weges zur Sozialisierung.

Während innerhalb der SPD eine Präferenz für den Weg einer Ver- wirklichung der sozialistischen Idee über den Staat besteht, besteht in den Gewerkschaften eine Präferenz für den syndikalistischen Weg in den Sozialismus.

Die Ablehnung von Gedanken oder Methoden und Modellen ist mithin kein Indiz dafür, daß eine Förderung zur Verwirklichung antisozialisti- scher Alternativen vorliegt.

Professor J. F. Volrad Deneke Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer Haedenkampstraße 1 5000 Köln 41 (Lindenthal)

1616 Heft 27 vom 6. Juli 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Reform der ärztlichen Ausbildung habe dazu geführt, daß heute nicht nur die Forschung von der Lehre, sondern auch die Lehre von der Prüfung des Erlernten

Einschreibung und Erstdoku- mentation werden demnach jeweils zehn bis 15 Minuten benötigt, für die Folgedoku- mentation fünf bis zehn Mi- nuten, für die Korrektur zu-

Ausgangspunkt für die Auseinandersetzungen waren die Zielvereinbarungen der KV Hamburg und der Kran- kenkassen über die Ausgaben für Arznei- und Heilmittel für die Jahre 2002 und

Wegen der wachsenden Zahl an Aus- einandersetzungen zwischen Ärzten und privaten Krankenversicherungsge- sellschaften und einer steigenden Zahl von Rechtsstreiten liegt der

Diese Grundsatzpapie- re, an denen sich unsere Arbeit in der ÖH orientiert, werden aber in einer Broschüre, die an alle Studierenden der TU Graz versandt wird,

Gleichzeitig zielten die han- seatischen Kassenärzte darauf ab, Ordnung in den heteroge- nen EDV-Markt zu bringen und bei den Praxisrechnern die Spreu vom Weizen unter- scheiden

Würden die Sterbehilfeleistun- gen der gesetzlichen Kassen von bis- her bis zu 5700 DM auf höchstens 2850 DM begrenzt werden, könnten weitere Ersparnisse in Höhe von ei- ner

Für 1996 gehen KV und Kassen von einer Überschrei- tung in Höhe von rund 200 Millionen DM aus.. Dieser Betrag soll durch entspre- chende Einsparungen in 1998