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Archiv "Erkrankungen der Niere (9): Diagnostik und Therapie des Harnsteinleidens" (17.10.1991)

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(1)

Winfried Vahlensieck

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

ZUR FORTBILDUN

In Deutschland (einschließlich der fünf neuen Bundesländer) ist insge- samt mit rund 2,5 Millionen Hamsteinbildnem und etwa 250 000 akuten Harnsteinepisoden pro Jahr zu rechnen. Pathogenetisch handelt es sich fast immer um ein multifaktorielles Geschehen, zu dessen Aufdek- kung Untersuchungsprogramme aufgezeigt werden. Dazu gehört auch eine exakte Steinanalyse. Die verschiedenen Möglichkeiten zur Harn- steinentfemung, Indikationen und Erfolgsquoten werden dargelegt Da es sich bei drei Fünfteln der jährlichen Hamsteinepisoden um Rezidive handelt, werden alle Modalitäten einer Rezidivprophylaxe dargestellt, mit denen es heute möglich ist, die Rezidivquote auf unter fünf Prozent zu senken.

Erkrankungen der Niere (9)

Diagnostik und Therapie des Harnsteinleidens

W

ährend das Harn-

steinleiden bei Kindern relativ sel- ten vorkommt (1,6), ergaben 1980 und 1985 von uns zusammen mit dem Institut für angewandte Sozialwis- senschaft (INFAS) durchgeführte Repräsentativerhebungen zur Prä- valenz und Inzidenz des Harnstein- leidens bei über 18jährigen in der Bundesrepublik Deutschland, daß etwa zwei Millionen Einwohner Harnsteinbildner waren (Präva- lenz). Ferner war davon auszuge- hen, daß jährlich rund 200 000 Menschen eine oder mehrere Harnsteinepisoden erlitten (Inzi- denz). Unter Einbeziehung der neuen Bundesländer dürfte die Prävalenz mit 2,5 Millionen und die Inzidenz mit 250 000 Harnsteinepi- soden anzusetzen sein. Bei zwei Fünfteln der Fälle handelt es sich um Erstmanifestationen und bei drei Fünfteln um Rezidive (6). Die Zahl der Ersterkrankungen kann zweifelsohne durch allgemeine prä- ventive Maßnahmen (ausreichende Flüssigkeitszufuhr, gesunde Ernäh- rung) vermindert werden, die der Bevölkerung im Rahmen der Ge- sundheitserziehung vermittelt wer- den müßten. Aber auch die Rezi- divquote ist erheblich zu senken, wenn man sich durch ausführliche

Ernährungsanamnesen sowie exak- te Untersuchungen, insbesondere Steinanalysen und Stoffwechselun- tersuchungen, Aufschluß über die Pathogenese verschafft und damit eine effektive Rezidivprophylaxe möglich macht.

Art und Diagnostik der Kausalfaktoren

In Tabelle 1 sind die Kausalfak- toren der Harnsteinbildung darge- stellt. Bei der Klärung der Pathoge- nese muß bedacht werden, daß es sich immer um ein multifaktorielles Geschehen handelt und daß das Zusammentreffen bestimmter, zur Steinbildung disponierender Fak- toren individuell sehr unterschied- lich und schließlich sowohl tempo- rär wie permanent sein kann. Im Einzelfall gilt es entweder, alle Kausalfaktoren zu entdecken oder - wenn dies nicht möglich ist - ein- zelne gefundene Faktoren in häufi- gere Konstellationsmuster einzu- ordnen. Die im folgenden für ein- zelne Kausalfaktoren genannten Prozentsätze resultieren aus Lite- raturmitteilungen sowie

eigenen

Befunden bei 800 (457 Männern, 343 Frauen) Harnsteinrezidivbild- nern, die wir zwischen 1977 und 1986 eingehend untersuchten (5).

Pathomorphologie und urodynamische Disposition

Zur Harnsteinbildung disponie- rende pathomorphologische Verän- derungen, die in der Regel mittels Sonographie und/oder Urogramm aufgedeckt werden, sind angeborene oder erworbene, intraparenchymale Hohlräume, in denen es zu Sedimen- tationen kommen kann, wie zum Beispiel pyelogene Zysten oder Markzysten (Markschwammniere bei 0,7 bis 25 Prozent der Harnstein- bildner). Andererseits kann es auf- grund verschiedenster Einflüsse (zum Beispiel Intoxikationen, Durchblutungsstörungen) zu intrare- nalen Gewebsdegenerationen oder Nekrosen mit sekundärer Kalzifizie- rung kommen (Nephrokalzinose bei HPT, Inkrustationen nekrotisierter Papillen). Von Bedeutung ist in die- sem Zusammenhang, daß wir bei 2,8 Prozent der männlichen und 3,8 Pro- zent der weiblichen Harnsteinrezi- divbildner einen Diabetes mellitus feststellten.

Auch urodynamische Störungen

sind wichtige Kausalfaktoren, da -

Urologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Winfried Vahlensieck) Rheinische Friedrich- Wilhelms-Universität Bonn

(2)

abgesehen von der an Grenzflächen fixierten Steinentstehung oder einer plötzlichen Massenausfällung - Kri- stallbildungen und Aggregationen zu Steinen nicht im strömenden Urin, sondern nur im Bereich von Urinsta- sen denkbar sind. Primär gebildete Kristalle und Kristallaggregate kön- nen dann ihrerseits wieder als Fän- ger für andere Kristalle oder Kristal- laggregate wirken, und daraus er- klärt sich das häufige Auftreten von Mischsteinen.

Pathomorphologische Verände- rungen beziehungsweise urodynami- sche Störungen werden bei Routi- neuntersuchungen nur in etwa zehn Prozent der Fälle erfaßt, doch liegt der Prozentsatz wesentlich höher, wenn man die Untersuchung mittels Sonographie sowie Urogramm mit Schicht- und gegebenenfalls Spätauf- nahmen sowie Isotopenclearance op- timiert.

Disponierende Harnkompositionen

Bedeutsame Teilfaktoren der Harnsteinbildung sind auch alle Ur- sachen, die zu einer zur Steinbildung disponierenden Situation im Urin führen, bei der es im Gefolge einer Überschreitung des Löslichkeitspro- duktes dann zu einer Nukleation kommen kann. Hinweise darauf kön- nen sich sowohl aus Blut- wie aus Ur- inuntersuchungen ergeben (4,6).

In Tabelle 2 sind die Blut- und Urinparameter dargestellt, die als minimales Untersuchungspro- gramm anzusehen sind, aber doch schon wesentliche Hinweise auf pat- hogenetisch wichtige Veränderun- gen geben können. Von Bedeutung sind bei den Serumparametern im Hinblick auf die bekannten Schwan- kungen Wiederholungsuntersuchun- gen unter standardisierten Bedin- gungen und eine Erweiterung des Untersuchungsspektrums (Tabelle 4), falls das Minimalprogramm keine Hinweise ergibt.

Einen kritischen Kalziumwert im Serum (über 2,7 mmo1/1) fanden wir bei fünf Prozent unserer Rezidiv- steinbildner, und es empfehlen sich in solchen Fällen Parathormon-

Tabelle 1: Kausalfaktoren der Harnsteinbildung (6)

• pathologische Nierenmor- phologie

• Störung der Urodynamik a) Dystopien von Nieren

und Harnwegen b) angeborene oder erwor-

bene Harnwegsengen c) funktionelle Dyskine-

sien

• disponierende Harnkom- position

a) Harnübersättigung durch - ungenügende Harndilution

- vermehrte Ausschei- dung lithogener Sub- stanzen

b) disponierender Urin-pH c) Inhibitormangel

Tabelle 2: Minimales Untersu- chungsprogramm bei Uroli- thiasis

• Serum:

Harnsäure Kalzium Kreatinin Phosphat

• Urin:

(Teststreifen) spez. Gewicht pH

Eiweiß Glukose Erythrozyten Leukozyten Nitrit Urikult

• Harnsteinanalyse mittels Infrarotspektroskopie oder Röntgendiffraktometrie untersuchungen. Ein kritischer Pho- sphatwert im Serum (unter 0,81 mmo1/1) kann Hinweis auf einen Mangel an Orthophosphat im Urin, das heißt auf den Mangel eines Inhi- bitors der Harnsteinbildung im Urin sein. Wir fanden einen solchen kriti- schen Phosphatwert im Serum bei et- wa 20 Prozent der rezidivierend kal-

ziumhaltige Steine bildenden Patien- ten. Kritische Harnsäurewerte im Serum (über 6,4 mg/100 ml bezie- hungsweise 0,381 nmo1/1) fanden wir bei rund 60 Prozent der Harnsäure- steinrezidivbildner und bei rund 35 Prozent der männlichen und rund 8 Prozent der weiblichen sonstigen Harnsteinrezidivbildner.

Sehr wichtige Aufschlüsse ergibt die Routine-Urinuntersuchung. Ein hohes spezifisches Gewicht kann Hinweis auf eine ungenügende Harndilution infolge unzureichender Flüssigkeitszufuhr oder im Gefolge ungewöhnlichen Flüssigkeitsverlu- stes (Klima, Arbeitsbedingungen, Sauna, Fieber und anderes mehr) sein. Sind solche Ursachen anamne- stisch auszuschließen, muß an eine Harnübersättigung im Gefolge einer vermehrten Ausscheidung von zur Harnsteinbildung disponierenden (lithogenen) Substanzen gedacht werden, welche durch Spezialunter- suchungen (siehe Tabelle 4, und die Abbildung) weiter abgeklärt werden

sollte.

Besonders wichtig sind auch wiederholte Kontrollen des Urin-pH, da zum Beispiel eine „Säurestarre"

um pH 5,5 zur Ausfällung von Harn- säure selbst dann disponiert, wenn die Harnsäureausscheidung normal ist (bei 60 bis 70 Prozent der Harn- säuresteinpatienten). Demgegen- über weist eine wiederholt stark al- kalische Reaktion auf Harninfekte mit Urease bildenden Keimen oder Ureaplasma Urealyticum hin, ver- bunden mit dem Risiko einer Ver- minderung der Löslichkeit von Pho- sphat im Urin.

Wesentliches mitentscheidendes Kriterium für die Maßnahmen zur Rezidivprophylaxe ist die Zusam- mensetzung des Harnsteines, so daß sofort nach einem spontanen Stein- abgang oder der Entfernung eine entsprechende Untersuchung erfol- gen sollte. Die exaktesten Analysen sind hier mittels Infrarotspektrosko- pie oder Röntgendiffraktion durch- zuführen. Tabelle 3 zeigt das Vertei- lungsmuster bei unseren Harnstein- rezidivbildnern. Die Bezeichnung er- folgte hier nach dem Hauptbestand- teil der Steine. Im Einzelfall ist es aber für die Vorstellungen von der Pathogenese wie für die Entschei-

(3)

unter individueller Kost ambulant oder 1. Tag stationär

Harnsteinrelevante Parameter II

unter Standardkost

9.+10. Tag:

Harnsteinrelevante Parameter Circadianer Rhythmus im 3 h-Rhythmus harnstein- relevante Parameter im Urin 11.+12. Tag:

Belastungstests I Ca-, Oxalat-, Purin-, NN4CI-

HPT-Diagnostik

tägl Ca, P im Serum Parathormon im Serum Ca, P im Harn

Serum 24 h Unn

Serum 24 h Urin

6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Tag Tag Tag Tag Tag Tag Tag Spezialuntersuchungen

6 -8. Tag:

Harnsteinrelevante Parameter taglich Serum 24 h-Urin 1. 2. 3. 4. 5.

Tag Tag Tag Tag Tag Einstellung des „Steady State"

Spezielles Untersuchungsprogramm bei Urolithiasis

Abbildung: Spezielles Untersuchungsprogramm bei Urolithiasis dungen über rezidivprophylaktische

Maßnahmen von Bedeutung, alle Bestandteile eines Harnsteines exakt zu kennen.

Falls das minimale Untersu- chungsprogramm keinerlei Hinweis auf die Pathogenese ergeben hat, sollte es wiederholt und um die im erweiterten Untersuchungspro- gramm (Tabelle 4) dargestellten Un- tersuchungen ergänzt werden. In Be- tracht kommen hier zusätzliche Un- tersuchungen zur Ausscheidung von Harnsäure, Kalium, Kalzium, Kreati- nin, Magnesium, Natrium, Oxalsäu- re, Phosphat, Zitrat und Zystin im 24-h-Urin. Bei Verdacht auf einen Hyperparathyreoidismus ist auch die Bestimmung des Parathormons an- gezeigt.

Sollten minimales und erweiter- tes Untersuchungsprogramm keine ausreichenden pathogenetischen Hinweise ergeben haben und der Pa- tient trotz an der Steinanalyse orien- tierter Rezidivprophylaxe wieder Steine bilden, ist die Durchführung eines speziellen Untersuchungspro- grammes (Abbildung) angeraten. Es handelt sich dabei um Untersuchun-

Tabelle 3: Verteilungsmuster bei Harnsteinrezidiven in un- serer Klinik

Steinart Frauen Männer

Kalzium- 67,5 83,6 oxalat

Karbonat- 20,3 5,7 apatit

Struvit 5,1 2,4

Brushit 0,3 0,0

Harnsäure 3,4 4,3

Urate 0,3 0,2

Zystin 3,1 3,8

gen zum Tages- und Nachtrhythmus lithogener Substanzen im Serum und Urin unter gewohnter Ernährung und unter einer gemäß den Empfeh- lungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungswissenschaften opti- malen Kost (Standardkost), Bela- stungstests (Ammoniumchlorid, Kal- zium, Oxalat, Purin) sowie Untersu-

Tabelle 4: Erweitertes Unter- suchungsprogramm bei Uro- lithiasis

• Serum:

Magnesium Kalium Natrium Oxalsäure Parathormon

• 24-h-Urin:

Volumen spez. Gewicht pH

Harnsäure Kalzium Kreatinin Oxalsäure Zitrat Zystin

chungen zur Inhibitorsituation im Urin. Diese Spezialuntersuchungen führen wir im Rahmen eines zehn- bis zwölftägigen stationären Aufent- haltes durch. Bei 80 bis 90 Prozent

der Rezidivsteinbildner finden wir mittels gestuften Einsatzes der ver- schiedenen Untersuchungsprogram- me die Ursachen der rezidivierenden Harnsteinbildung und können dann eine effektive Rezidivprophylaxe in die Wege leiten.

Die in Tabelle 5 dargestellten Normalwerte wurden von uns an- hand von Literaturmitteilungen wie eigenen Untersuchungen an gesun- den Kontrollpersonen festgelegt.

Werte die über den in Tabelle 5 dar- gestellten „kritischen Werten" lie- gen, sind nicht unbedingt für Gesun- de, jedoch für Harnsteinbildner als Hinweise auf die Gefahr einer Über- sättigung, Ausfällung und Nukleati- on, das heißt auf ein anzugehendes Harnsteinbildungsrisiko anzusehen.

In Tabelle 6 ist dargestellt, wie häufig wir bei den verschiedenen Harnsteinbildnern die Ausschei- dung lithogener Substanzen unter individueller Ernährung im kriti- schen Bereich fanden. Wesentlich ist dabei, daß bei allen Steinarten praktisch alle Arten von Ausschei- dungsanomalien vorkommen kön-

(4)

150 - 220 mval 30 - 90 mval 510 - 850 mg 170 - 210 mval Tabelle 5: Normbereiche im 24-h-Harn und Grenzwerte bei Urolithiasis

Meßgröße SI-Einheiten alte Einheiten Grenzwerte für Therapie- beginn bei Urolithiasis spez. Gewicht

pH Kalzium Magnesium

anorganisches Phosphat Harnsäure

Zitronensäure Oxalsäure Zystin Xanthin 2,8-DHA Natrium Kalium Ammonium Chlorid

anorganisches Sulfat Kreatinin

1,005 -1,030 5,8 -6,8

0,25 - 7,50 mmol 1,50 - 7,50 mmol

16 - 48 mmol 2,38 - 4,46 mmol 2,08 - 4,16 mmol 5_0,50 mmol 5 333 ginol 5 40 p,mol 5-0,0 p,mol 150 - 220 mmol

30 - 90 mmol 30 - 50 mmol 170 - 210 mmol 15 - 25 mmol 11,5 - 15 mmol

0,5 - 15,0 mval (10-300 mg) 3,0 - 15,0 mval (40-200 mg) 496 -1487 mg

400 - 770 mg 400- 800 mg

• 45 mg

• 80 mg 6,1 mg

▪ 0,0 .tmol

1,015 :5 5,5; > 7,0

> 5 mmol

< 3 mmol

> 0,5 mmol

>800 gmol

>150 itmol

> 0,0 gmol

< 3 mmol

> 35 mmol

> 3 mmol

490- 800 mg

1,3- 1,7 g >8 mmol (Sammelfehler)

Tabelle 6: Häufigkeit (in Prozent) kritischer Werte lithogener Substanzen im 24-h-Urin bei den am meisten auftretenden Harnsteinarten

Harnsteinart Kalzium

(über 5,0 mmol/die)

m w

Oxalat Phosphat Harnsäure

(über 0,5 mmol/die) (über 35,0 mmol/die) (über 3,0 mmol/die)

m w m w m w

60 28

Kalziumoxalat Kalziumphosphat S ruvit

Harnsäure

69 62 48 14 68

56 57 53

46 30 50 50

70 40 39 34 35 15

57 18 43 0 14 0

33 50 27 0 20 25

nen. Deutungsschwierigkeiten ma- chen uns zum Teil gewisse deutliche Geschlechtsunterschiede.

In der Tabelle 7 ist die Häufig- keit kritischer Urin-pH-Werte sowie eines Mangels an Inhibitoren wie Magnesium und Zitrat dargestellt.

Zu erwähnen ist in diesem Zusam- menhang, daß sich bei den Kalzium- oxalatsteinbildnern (n = 486) in 22 Fällen (15 Männer, sieben Frauen) ein primärer Hyperparathyreoidis- mus (HPT), in sechs Fällen (vier Männer, zwei Frauen) eine angebo- rene Hyperoxalurie, in neun Fällen (vier Männer, fünf Frauen) eine dis-

ponierende Darmerkrankung und keine renale tubuläre Azidose (RTA) fand. Bei Kalziumphosphat- steinbildnern (n = 76) fand sich viermal (Ein Mann, drei Frauen) ein HPT und einmal eine RTA.

Ein wesentlicher Hinweis auf die multifaktorielle Steinpathogenese ist schließlich die in Tabelle 9 darge- stellte Tatsache, daß bei rund 80 Prozent der Männer und rund 60 Prozent der Frauen Kombinationen von zwei und mehr kritischen Ausscheidungsparametern gefunden wurden. Im Einzelfall kann ein ein- zelner kritischer Parameter die Risi-

kosituation anzeigen, wie etwa eine Hyperoxalurie oder Zystinurie, wo- bei es schon allein aufgrund dieser exzessiven Ausscheidungen zu Stein- bildungen kommen kann. In den meisten Fällen ist aber erst die Kom- bination mehrerer kritischer Para- meter als therapeutisch angehbare Risikosituation anzusehen.

Therapie

Bei der Behandlung (2, 3, 6) ist zwischen den Maßnahmen zur Harn- steinentfernung und den Notwendig-

(5)

Säurestarre eingeschränktes Hypo-Magnesiurie Säurevermögen

m w m w

m w

18

11 17 18 33 38

0 0 39 53 13 25

0 0 86 73 43 45

67 50 0 0 33 50

Harnsteinart

Kalziumoxalat Kalziumphosphat Struvit

Harnsäure

Hypo-Zitraturie

m w

49 47

35 62

86 73

60 25

Tabelle 8: Häufigkeit (in Pro- zent) der Kombinationen meh- rerer kritischer Ausschei- dungsparameter im 24-h-Urin Anzahl

kritischer Parameter 0

1 2 3

4 und mehr

Männer Frauen

8 33 36 19 4 3

19 26 37 15

r

Tabelle 9: Normalisierung kritischer Ausscheidungsparameter unter Standardkost bei den häufigsten Harnsteinarten (Prozent der Fälle mit kritischen Ausgangswerten)

'Harnsteinart Kalzium m w

011111.1.1

Oxalat Phosphat Harnsäure m w m w m w Kalziumoxalat

Kalziumphosphat Struvit

15 5 4 11

12 9 19

37 13 22 15 14 0

36 35 26 23 43 18

43 0 29

Harnsäure 67 25 20 0 13 25 27 25

L

Tabelle 7: Häufigkeit (in Prozent) kritischer pH- und Inhibitorwerte im 24-h-Urin bei den am meisten auftre- tenden Harnsteinarten

keiten der Rezidivprophylaxe zu un- terscheiden, soweit nicht Maßnah- men zur Harnsteinentfernung (Auf- lösung von Steinen oder Austreibung von Kristallen beziehungsweise Stei- nen) bereits gleichzeitig der Rezidiv- prophylaxe dienen.

Harnsteinentfernung:

Bei Harnsäuresteinen ist fast im- mer durch eine Neutralisierung be- ziehungsweise Alkalisierung des Ur- ins eine Auflösung zu erreichen.

Dies ist durch den Konsum des Saf- tes von Zitrusfrüchten oder den Konsum von Zitrusfrüchten oder durch Medikamente (Zitratgemi- sche), bei gleichzeitiger Steigerung der Diurese mittels einer Flüssig- keitszufuhr von zwei bis drei Litern Flüssigkeit pro Tag zu erreichen.

Hilfreich ist dabei auch eine gleich- zeitige Senkung des Harnsäurespie- gels im Serum, mit konsekutiver Ver- minderung der Harnsäureausschei- dung durch diätetische Maßnahmen (Einschränkung des Konsums von tierischem Eiweiß und Alkoholika) sowie Allopurinol-Präparate.

Eine medikamentöse Harnstein- austreibung ist bei kleinen Nieren- steinen und abgangsfähig erschei- nenden Harnleitersteinen angezeigt.

Durch eine konsequente Behand- lung (optimale Spasmo-Analgesie, steinaustreibende Medikamente, Wärmeapplikationen und Bewe- gung) lassen sich über 80 Prozent dieser Steine zum Spontanabgang bringen.

Wenn allerdings der konservati- ve Steinaustreibungsversuch mit zu starken Koliken belastet wird oder

zu langsam vorangeht, ist die Frage der raschen instrumentellen Entfer- nung des Steines zu diskutieren.

Schlingen oder sonstige Steinfänger haben hier noch ebenso ihren Platz, wie etwa eine transurethrale, trans- ureterale Steinzertrümmerung mit elektrohydraulischen Druckwellen, Ultraschall oder Laser (LISL = lase- rinduzierte Stoßwellenlithotripsie).

All diese Verfahren werden auch dann eingesetzt, wenn die heute

meist übliche extrakorporale Zer- trümmerung (ESWL = Extrakorpo- rale Stoßwellenlithotripsie oder EPL

= Extrakorporale piezoelektrische Stoßwellenlithotripsie) versagt.

Kleinere Harnblasensteine wer- den auch heute noch mit mechani- schen Lithotriptern (Steinzange, Steinpunch) unter Sicht direkt ent- fernt oder zertrümmert, mit soforti- ger Ausspülung aller Steinreste. An- sonsten ist die transurethrale Zer- trümmerung von Harnblasensteinen seit Jahren mittels elektrohydrauli- scher Druckwellen oder Ultraschall üblich und in fast allen Fällen erfolg- reich. Vereinzelt widerstehen die Steine allerdings aufgrund ihrer Größe und/oder Härte den Zertrüm- merungsversuchen und müssen ope- rativ entfernt werden, wenn ihre Zertrümmerung auch mit ESWL oder EPL beziehungsweise LISL nicht gelingt.

Bei den meisten Harnsteinen steht heute die extrakorporale Harn- steinzertrümmerung mit einer Des- intregrationsquote von über 90 Pro-

(6)

zent absolut im Vordergrund. Bei größeren Steinen, insbesondere Nie- ren-Ausgußsteinen, muß mit mehre- ren Sitzungen gerechnet werden. Um den Steintrümmern zum Abgang zu verhelfen und temporäre, durch Steintrümmer verursachte Harnstau- ungen zu beherrschen, sind bei etwa 10 bis 20 Prozent der Fälle Hilfsmaß- nahmen (Ureterschienen, Nierenfi- steln, instrumentelle Trümmerent- fernungen) erforderlich. Bei rund 15 Prozent dieser Patienten sind auch drei Monate nach der extrakorpora- len Steinzertrümmerung noch Rest- steine festzustellen.

Rezidivprohylaxe:

Nach jeder Harnsteinentfernung ist eine auf die spezielle Harnstein- art zugeschnittene, einfach zu prakti- zierende Diät (einschließlich ausrei- chender Flüssigkeitszufuhr von 1,5 bis 2,5 Litern) der erste Schritt zur Rezidivprophylaxe. In Tabelle 9 ist zu erkennen, bei wieviel Prozent der Patienten, die vorher kritische Aus- scheidungswerte für lithogene Sub- stanzen hatten, wir durch unsere Standardkost eine Normalisierung der Ausscheidungswerte erreichen konnten. Bei ausreichender Kompa- tibilität des Patienten gelingt damit schon bei rund 80 Prozent die Ver- hütung von Steinneubildungen oder des Wachstums von Reststeinen. Un- ter der Vorstellung der Austreibung eventuell noch vorhandener, mit Ul- traschall wie Röntgen nicht feststell- barer Kristalle sowie zur Verhütung deren Weiterwachsens oder des Weiterwachsens von Reststeinen verordnen wir den Patienten nach einer Harnsteinentfernung neben der Diät immer für ein halbes bis ein Jahr ein Medikament, das gleichzeitig der Kristall- und Stein- austreibung wie der Verhütung von Neubildungen dient (zum Beispiel Urol®).

Eine zur Diät zusätzliche medi- kamentöse Rezidivprophylaxe ist im- mer dann angezeigt, wenn es trotz sorgfältiger Beachtung der Diätem- pfehlungen zur Rezidivsteinbildung kommt und durch subtile Untersu- chung des Patienten, insbesondere auch durch spezielle Stoffwechselun- tersuchungen, ein Ansatzpunkt für

eine medikamentöse Behandlung ge- funden wurde.

Zur Verminderung der Kalzium- ausscheidung im Urin haben sich Thiazide bewährt, die auch zu einer Senkung der Oxalatkonzentration im Urin führen, während sie keinen Einfluß auf die Harnsäure- und Magnesiumausscheidung haben.

Auch durch Orthophosphat läßt sich die Kalzium-Ausscheidung im Urin vermindern und wird die inhibi- torische Aktivität im Urin durch den Anstieg von Pyrophosphat verstärkt.

Eine solche Verstärkung der Harnstein-Inhibitoraktivität im Urin ist auch durch die Verabreichung von Magnesium, insbesondere kom- biniert mit Tartrat zu erreichen.

Wesentliche Bedeutung für die medikamentöse Rezidivprophylaxe haben auch Zitrat-Kombinationen.

Dadurch ist der Urin im neutralen beziehungsweise im schwach alkali- schen Bereich zu halten, womit so- wohl der Bildung von Harnsäurestei- nen vorgebeugt werden kann, wie der Bildung von Kalzium-Oxalatstei- nen, die im Sinne einer heterogenen Nukleation bei der Ausfällung von Harnsäure entstehen können. Au- ßerdem wird durch die Vermehrung von Zitrat im Urin mehr Kalzium ge- bunden und damit das Risiko der Kalzium-Oxalatsteinbildung vermin- dert.

Wesentliche Bedeutung hat die Applikation von Allopurinol zur Verminderung der Harnsäureaus- scheidung im Urin. Dies ist als Be- gleitmaßnahme zur Auflösung von Harnsäuresteinen in Kombination mit Zitratgemischen ebenso wichtig, wie zur Rezidivprophylaxe nach Ent- fernung von Harnsäuresteinen, wenn eine Hyperurikosurie diätetisch nicht in den Griff zu bekommen ist.

Eine entscheidende Hilfe kann Allo- purinol aber auch bei der Rezidiv- prophylaxe von Kalzium-Oxalatstei- nen sein, wenn deren Bildung durch eine Hyperurikosurie induziert wird.

Bei den sehr seltenen Xanthin- steinen wird mit hochdosierten Allo- purinolgaben versucht, die Ausschei- dungsrate von Xanthin zugunsten ei- ner vermehrten Ausscheidung von Hypoxanthin zu vermindern. Der Ef- fekt ist allerdings fraglich und die Harndilution sicher von größerer Be-

deutung. Bei den ebenfalls sehr sel- tenen 2,8-Dihydroxyadeninsteinen wirkt Allopurinol auf die Xanthino- xidase, wodurch der Abbau des Ad- enin zu 2,8-Dihydroxyadenin ge- hemmt wird.

Bei der Rezidivprophylaxe von Zystinsteinen steht die Alkalisierung des Urins mit Zitratgemischen und der Versuch, die Zystinausscheidung durch Alpha-Mercaptopropionylgly- cin oder Vitamin C zu vermindern, im Vordergrund.

Wenn nach einer Harnstein- entfernung keinerlei Rezidivprophy- laxe durchgeführt wird, ist je nach Steinart und Beobachtungszeitraum mit einer Rezidivquote von 30 bis 100 Prozent zu rechnen. Es steht aber außer Zweifel, daß durch inten- sive Bemühungen von Patienten und Ärzten, wie es etwa im „Bonner Nachsorgeprogramm" (Dt. Ärztebl.

86, Heft 25/26, 1989) geschieht, die Rezidivquote letztendlich unter fünf Prozent zu bringen ist.

Literatur

1. Brühl, P.; Hesse, A.; Gu, K. R.: Harnsteiner- krankungen im Kindesalter. Wiss. Verl. Ges., Stuttgart 1987

2. Butz, M.: Zitrat und Kalziumurolithiasis. Pe- rimed Verlag, Erlangen 1989

3. Ell, Ch.; Marberger, M.; Berlien, P., unter Mitarbeit von T. H. Schneider: Extra- und In- trakorporale Lithotripsie bei Harn-, Gallen-, Pankreas- und Speichelsteinen. Thieme Ver- lag, Stuttgart 1990

4. Hesse, A.; Claßen, A.; Rühle, G.: Labordia- gnostik bei Urolithiasis. Wiss. Verl.Ges., Stuttgart 1989

5. Klocke, K.: Ursachen rezidivierender Harn- steinbildung. Inaug. Diss., Bonn 1990 6. Vahlensieck, W.: Das Harnsteinleiden.

Springer Verlag, Berlin u. a. 1987

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med.

Winfried Vahlensieck Direktor der urologischen Universitätsklinik

Sigmund-Freud-Straße 25 W-5300 Bonn 1

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