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Archiv "Erkrankungen der Niere (14): Therapie des nephrotischen Syndroms im Kindesalter" (08.05.1992)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

ZUR FORTBILDUNG

Kari Schärer und Anne-Margret Wingen

nter einem nephrotischen Syndrom (NS) versteht man, wenn es im Kindes- alter auftritt, eine starke Proteinurie, die 40 mg/m 2 Körper- oberfläche pro Stunde (entspre- chend etwa 1 g/m 2/24 Stunden) über- schreitet, bei gleichzeitiger Erniedri- gung des Serumalbuminspiegels un- ter 2,5 g/dl. Meistens bestehen hier- bei periphere Ödeme, vorzugsweise im Gesicht. Für die Therapie des nephrotischen Syndroms im Kindes- alter hat sich die Kenntnis gewisser Definitionen bewährt.

Ätiologie und Pathogenese

Wir befassen uns in dieser Über- sicht ausschließlich mit dem idiopa- thischen NS, da Fälle mit klar defi- nierter Ätiologie im Kindesalter re- lativ selten sind (etwa zehn Prozent).

Während der letzten Jahre hat sich der Eindruck verstärkt, daß das idio- pathische NS eine immungenetische Grundlage hat, abzuleiten vom be- vorzugten Vorkommen bestimmter HLA-Gewebegruppen (Klasse-I- und Klasse-Il-Antigene), die be- kanntlich eng an die Wirkung der so- genannten Immun-Response-Gene gekoppelt sind. Es wurde eine Reihe von Dysfunktionen des Immunsy- stems beschrieben, wie zum Beispiel die erhöhte Produktion bestimmter Lymphokine, welche die Antikörper- synthese unterdrücken.

Klinik

Das nephrotische Syndrom be- ginnt gewöhnlich schleichend mit Anorexie, Erbrechen, Diarrhoe oder

Das nephrotische Syndrom im Kin- desalter ist pathogenetisch noch weitgehend ungeklärt. Die Thera- pie bleibt deshalb gewöhnlich em- pirisch. Seit fast vierzig Jahren ha- ben sich Kortikosteroide zur Initial- behandlung bewährt. Patienten mit häufigen Rezidiven sind durch eine chronische Steroidintoxikati- on gefährdet. Sie werden heute oft erfolgreich zytostatisch mit Cyclo- phosphamid oder Ciclosporin A behandelt. Wegen deren Neben- wirkungen und der fast immer günstigen Langzeitprognose ste- roidsensibler Patienten ist Zurück- haltung in der Anwendung von Zy- tostatika angebracht und eine eng- maschige und langfristige Nach- kontrolle erforderlich.

Infektionen der oberen Luftwege, die von zunehmenden Ödemen mit Gewichtszunahme und abnehmen- der Urinmenge begleitet sind. Die Feststellung einer massiven Prote- inurie (etwa mittels entsprechender Teststäbchen auf Albustix®) führt meistens rasch zur Diagnose. Im.

Urin findet sich in etwa einem Vier- tel aller Patienten eine (meist mikro- skopische) Hämaturie. Der Blut- druck ist gelegentlich erhöht. Die Diagnose wird durch quantitative Proteinbestimmungen im Urin und Serum bestätigt.

Universitäts-Kinderklinik, Sektion für Pädiat- rische Nephrologie

(Geschäftsführender ärztlicher Direktor:

Prof. Dr. med. Hans Joachim Bremer) Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Pathophysiologie

Eine individuelle Therapie des NS muß die komplexen pathophysio- logischen Veränderungen berück- sichtigen. Die glomeruläre Basal- membran ist eine Struktur, die phy- siologischerweise für negativ gelade- ne Makromoleküle wie Albumin kaum durchlässig ist. In ihr enthalte- ne negativ geladene Proteoglykane, die vorwiegend aus Heparinsulfat bestehen, sorgen für eine elektrosta- tische Barriere. Beim NS ist offenbar die Anionendichte der Lamina densa interna in der Basalmembran redu- ziert, was die verstärkte Durchlässig- keit für Albumin erklärt.

An der Ödembildung sind intra- wie extrarenale Faktoren beteiligt, wobei die Verminderung des Plas- mavolumens und Veränderungen va- soaktiver Hormone zusammenwir- ken (Abbildung 1). Auch an den re- gelmäßig beobachteten Störungen des Lipidstoffwechsels mit Hyper- cholesterinämie sind mehrere Fakto- ren beteiligt. Die Persistenz gewisser Lipidveränderungen im Blut deutet darauf hin, daß auch nach klinischer Heilung des NS ein erhöhtes Arte- rioskleroserisiko weiterbesteht.

Kortikosteroid-Therapie bei neu aufgetretenem NS

Seit Anfang der 50er Jahre bil- det die Verabreichung von Kortiko- steroiden den Grundpfeiler der Be- handlung des NS im Kindesalter.

Obwohl die klinische Wirksamkeit von Steroiden nie durch kontrollierte Therapiestudien bewiesen wurde, verschwindet das NS ohne Steroid- behandlung nur selten spontan. Kor- tikosteroide vermögen aber offenbar

Erkrankungen der Niere (14)

Therapie des

nephrotischen Syndroms im Kindesalter

A1-1736 (68) Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992

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Nierendurchblutung 4, 11

Plasmareninaktivität

Angioter

n7I

Aldosteron f I

Distale Natriumrück-

resorption

Atrio- natriuretisches

Peptid 3 (?)

Zirkulierendes Plasmavolumen; $

Natrium- und Wasserretention I

Volumenrezeptoren

Intrarenale Fak oren

Symphatische Nervenaktivität st

Nierennerven- aktivität

Vasopressin

Wasserrückresorption

1

Veränderungen der peritubulären

Starlingkräfte

Proximale Natrium- rückresorption

Abbildung 1: Pathogenese der Ödeme beim nephrotischen Syndrom

den Krankheitsprozeß nicht zu hei- len, sondern höchstens zu unter- drücken.

Ein frisch aufgetretenes idiopa- thisches NS im Kindesalter wird heu- te vorzugsweise nach einem Vor- schlag der Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Nephrologie (APN) mit einer Prednison-Therapie behandelt, die in einer täglichen Gabe von Prednison (60 mg/m 2 Körper- oberfläche in drei Tagesdosen) wäh- rend sechs Wochen besteht, gefolgt von einer alternierenden Gabe (40 mg/m2 jeden zweiten Tag morgens als Einzeldosis) während weiterer sechs Wochen. Noch vor kurzem wurde eine kürzere Initialtherapie

mit Steroiden (insgesamt acht Wo- chen) empfohlen, doch scheint auf- grund einer kontrollierten Studie der APN durch die intensivere Behand- lung die Häufigkeit von Rezidiven geringer zu sein; es bleibt allerdings abzuwägen, ob mit dem neuen Sche- ma auf die Dauer medikamentöse Nebenwirkungen nicht verstärkt auf- treten.

Diese Therapie gestattet eine klare Differenzierung in steroidsen- sible (etwa 80 Prozent) und steroid-

resistente (etwa 20 Prozent) Patien- ten. Steroidsensible Patienten sind dadurch gekennzeichnet, daß unter der Prednisonbehandlung eine Re- mission eintritt, das heißt an drei aufeinanderfolgenden Tagen fällt die Albustix ®-Probe im Morgenurin negativ aus oder zeigt nur eine Spur Albumin an (quantitativ < 4 mg/m 2 Stunde). Steroidsensible und stero- idresistente Patienten unterscheiden sich klinisch und pathoanatomisch, obwohl es Überlappungen gibt (Ta- belle 1). Ein höheres Alter bei Er- krankungsbeginn sowie das Vorlie- gen einer Makrohämaturie, einer Hypertonie oder eines erhöhten Se- rumkreatininspiegels sind im allge-

meinen Hinweise für eine Steroidre- sistenz. Bei steroidsensiblen Fällen verschwindet im Durchschnitt die in- itiale Proteinurie schon nach acht Tagen, und der Serumalburninspie- gel normalisiert sich nach vier Wo- chen.

Falls nach vier bis acht Wochen Prednisontherapie keine Remission eingetreten ist (Steroidresistenz), wird eine Nierenbiopsie empfohlen.

Diese gestattet, schwere Glomeru- lusveränderungen von den häufige-

ren minimalen Glomerulusverände- rungen (in etwa 80 Prozent aller Kin- der mit frischem idiopathischem NS) zu unterscheiden. Die Biopsie hat damit prognostische Bedeutung. Sie erscheint schon im Initialstadium des NS angezeigt, wenn der Verlauf un- gewöhnlich ist, wie zum Beispiel bei Makrohämaturie oder erhöhtem Se- rumkreatininspiegel.

Bei Vorliegen minimaler Glo- merulusveränderungen („Minimal Change-Nephrose") verschwindet die pathologische Proteinurie in 80 Prozent aller Fälle innerhalb von vier Wochen nach Beginn der Stan- dard-Prednisontherapie und in über 90 Prozent nach acht Wochen. Bei schweren glomerulären Veränderun- gen überwiegt der Anteil der steroid- resistenten Fälle; dabei handelt es sich meistens um eine fokal-segmen- tale Glomerulosklerose.

Kortikosteroid-Therapie des rezidivierenden und steroidabhängigen NS Ein Charakteristikum des stero- idsensiblen NS ist seine hohe Rezi- divneigung. Als Rezidiv wird defi- niert, wenn an drei aufeinanderfol- genden Tagen die Albustix®-Probe im Morgenurin 2 + (100 mg%) Al- bustix anzeigt oder die quantitative Messung über 4 mg/m 2/Stunde Al- bumin ergibt. Nach einer initialen zwölfwöchigen Prednisontherapie werden gemäß einer Studie der APN in 36 Prozent aller steroidsensiblen Fälle innerhalb des nächsten Jahres Rezidive beobachtet, und 15 Prozent aller Patienten zeigen häufige Rezi- dive, das heißt, es treten in dieser Zeit zwei oder mehr Rezidive pro Halbjahr auf. Werden Rezidive zwei- mal nacheinander bereits unter Standardrezidivtherapie oder späte- stens zwei Wochen danach festge- stellt, bezeichnet man den Patienten als steroidabhängig. Patienten mit häufigen Rezidiven („frequent relap- sers") und Steroidabhängigkeit stel- len neben den steroidresistenten Pa- tienten die Hauptrisikogruppe des NS dar, da sie oft über viele Jahre fortgesetzte Krankheitsschübe zei- gen und durch wiederholte Steroid- behandlung vermehrten Komplika- Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992 (71) A1-1737

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Wochen 12 Nephrotisches Syndrom : 1. Schub

Prednison 60 mg/m 2/d

Proteinurie t > 40 mg/m 2/h

6 40 mg/m2 /48h

0[1000000 0

Rezidiv

60 mg/

m2/d

0

> 4 mg/m2 /d

3d I 4 Wochen

Tabelle 1: Unterschiede klinischer und pathoanatomischer Merkmale zwischen Kindern mit steroidsensiblem und steroidresistentem ne- phrotischem Syndrom

normal Plasma-C3

Alter Geschlecht

(männlich/weiblich)

Hämaturie (makroskopisch) Hypertonie bei Krankheits- beginn

steroid- sensibel Kleinkinder bevorzugt

steroid- resistent kein Altersgipfel

1 : 1 2 : 1

selten selten

häufig häufig oft erniedrigt (bei membrano- proliferativer Glomerulonephritis) Chronische Niereninsuffizienz fast nie häufig

Abbildung 2: Schema der Initialbehandlung und Rezidivbehandlung des nephrotischen Syn- droms im Kindesalter, laut Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Nephrologie (1991)

tionen ausgesetzt sind (Tabelle 3), auch wenn das Leiden schließlich fast immer ausheilt.

Nach unserer Erfahrung werden bei 23 Prozent aller „frequent relap- ses" und bei zehn Prozent aller ste- roidabhängigen Fälle Spontanremis- sionen der Proteinurie ohne Steroid- therapie beobachtet. Deshalb sollte versucht werden, bei einem Rezidiv zunächst auf eine erneute Steroidbe- handlung zu verzichten. Es ist in sol- chen Fällen gerechtfertigt, zunächst unter täglicher Kontrolle Albustix®- Proben im Morgenurin, des Körper- gewichts und eventuell des 24-Stun- den-Urinvolumens bis zu zwei bis drei Wochen lang eine abwartende Haltung einzunehmen. Dem prakti- zierenden Hausarzt oder Kinderarzt kommt in dieser kritischen Krank- heitsphase bei der Führung des Pa- tienten eine besondere Bedeutung zu. Falls die Proteinurie unverändert bleibt, keine Ödeme vorhanden sind, das Gewicht aber deutlich ansteigt, kann ein Diuretikum verabreicht werden. Falls jedoch manifeste Öde- me, eine stärkerer Gewichtsanstieg (über fünf Prozent des Ausgangsge- wichts) oder eine starke Beeinträch- tigung des Allgemeinbefindens auf- treten, sollte mit dem Einsatz von Steroiden nicht gezögert werden.

Rezidive des steroidsensiblen NS werden in den meisten Fällen erfolg- reich mit der sogenannten klassischen Standardrezidivtherapie mit Predni- son (Abbildung 2) behandelt. Treten sie nur vereinzelt auf („infrequent re- lapses"), ist kaum mit wesentlichen Steroid-Nebenwirkungen zu rechnen, bei häufigen Rezidiven oder Stero- idabhängigkeit jedoch öfters. Im all- gemeinen treten Steroid-Nebenwir- kungen auf, wenn die Prednisondosis 10 mg/m2/48 Stunden übersteigt. In solchen Fällen bestehen verschiedene Alternativen (Tabelle 2):

0 Eine Dauertherapie mit klei- nen Dosen von Kortikosteroiden, al- le 48 Stunden verabreicht, in der Vorstellung, daß dadurch eine relati- ve Unterfunktion der Nebennieren- rinde überbrückt werden kann. Da- mit gelingt es, einzelne Patienten oh- ne schwerwiegende Steroidneben- wirkungen über längere Zeit prote- inuriefrei zu halten. Nach einigen Wochen bis Monaten wird die Stero-

iddosis versuchsweise reduziert. Bei einem Rezidiv sollte jedoch wieder die volle Standardrezidivtherapie eingesetzt werden. Eine solche soge- nannte „titrierende" Steroidverab- reichung über längere Zeit mit dem Ziel, die geringstmögliche Dosis, die ein Rezidiv verhindert, anzusetzen, führt meistens jedoch früher oder

später zu einer schleichenden Stero- idintoxikation. Sie sollte deshalb nur unter engmaschiger, fachärztlicher Überwachung ins Auge gefaßt wer- den. Wegen der Neigung des NS zur Spontanheilung sollte sie prinzipell nicht länger als sechs Monate erfol- gen. Eine frühere Studie der APN hat gezeigt, daß die Anzahl der Rezi- A1-1738 (72) Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992

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Tabelle 2: Wichtige klinische Komplikationen beim nephrotischen Syndrom im Kindesalter

Komplikationen im Spontan- verlauf

infolge Kortiko- steroid- behand- lung

infolge

Behandlung mit Cyclophosphamid (CPH) bzw.

Ciclosporin A (CsA)

Infektionen (bakteriell, viral u. a.)

hypovolämischer Schock

hypokalzämische Tetanie

+ (CPH, CsA)

Hypertonie zentralnervöse Störungen (Krämpfe,

Papillenödem u. a.)

+ (CsA) + (CsA)

Thromboembolien Wachstumsretar- dierung

Osteoporose

Adipositas Alopezie Katarakt

+ (CPH) + (CPH) trophische Störungen

von Haut, Nägeln, Haaren, Zähnen

hämorrhagische Zystitis

Oligospermie

+ (CPH)

+ (CPH) Knochenmarks-

depression Nephrotoxizität

+ (CPH, CsA) + (CsA) dive unter relativ hohen Prednison-

dosen (35 mg/m 2/48 Stunden wäh- rend sechs Monaten) zwar stark re- duziert wird, nach Absetzen der Therapie jedoch die frühere Fre- quenz wieder erreicht. Eigene Un- tersuchungen ergaben, daß durch ei- ne Steroid-Langzeitbehandlung die

Gesamtdosis im Vergleich zu kürzer- en Behandlungsformen nicht redu- ziert werden kann.

Beim Auftreten häufiger Re- zidive besteht auch die Möglichkeit einer sehr kurzfristigen Verabrei- chung hoher Prednisondosen (60 mg/

m2/Tag) nur so lange, bis der Urin

drei Tage hintereinander proteinfrei geworden ist. In unserer Erfahrung wird jedoch dadurch die nachfolgen- de Remissionsdauer im Vergleich zur Standardrezidivtherapie auf et- wa die Hälfte verkürzt (Abbildung 3), ohne daß die Gesamtdosis verab- reichter Steroide reduziert werden kann. Es muß erwähnt werden, daß ein plötzliches Absetzen auch von hohen Steroiddosen im allgemeinen gut vertragen wird und Zeichen ei- ner Nebennierenunterfunktion sehr selten sind.

Zytostatische Therapie:

Durch Cyclophosphamid (End- oxan®) kann bei Kindern mit häufi- gen Rezidiven sowohl die rezidiv- freie Zeit verlängert als auch die Re- zidivfrequenz vermindert werden. Im Durchschnitt bleiben zwei Jahre nach einer acht- bis zwölfwöchigen Cyclophosphamidbehandlung noch 50 bis 80 Prozent dieser Patienten in der Remission. Andere Zytostatika haben eine geringere Erfolgsquote oder sind toxischer.

Voraussetzung für die Anwen- dung von Zytostatika beim steroid- sensiblen NS sind schwerwiegende Nebenwirkungen durch die Steroid- therapie (Tabelle 2). Es bleibt meist eine subjektive Entscheidung des be- handelnden Arztes, die vom Patien- ten beziehungsweise seinen Eltern mitzutragen ist, bei welchem Grad von Steroidintoxikation Zytostatika indiziert sind. Da die Nebenwirkun- gen der Zytostatika langfristig schwierig voraussehbar sind und das steroidsensible NS spätestens bis zum Erwachsenenalter ohnehin meist ausheilt, ist prinzipiell eine ab- wartende Haltung angezeigt. Die Therapie sollte stets unter stationä- ren Bedingungen eingeleitet werden.

In Anlehnung an Studien der APN empfehlen wir das achtwöchige Therapieschema mit Cyclophos- phamid (Tabelle 3), womit 72 Pro- zent der „frequent relapsers" wäh- rend der folgenden zwei Jahre rezi- divfrei bleiben. Bei Steroidabhängig- keit wird Cyclophosphamid länger verabreicht. Es hat sich gezeigt, daß bei achtwöchiger Therapie nur 22 Prozent, bei zwölfwöchiger jedoch 67 Prozent der betroffenen Patienten über zwei Jahre rezidivfrei blieben.

Wegen der Möglichkeit einer toxisch Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992 (75) A1-1741

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bedingten Zystitis muß auf eine Hä- maturie (Sangur ®-Test im Urin) und reichliche Flüssigkeitszufuhr (auch nachts) geachtet werden. In etwa zwei Drittel aller Fälle tritt unter Cyclophosphamid eine meist gering- gradige und vorübergehende Alope- zie auf. Die Gefahr einer dauernden Gonadenschädigung (Oligospermie) besteht praktisch nur mit höheren als den angegebenen Dosen.

Neuerdings wird Cyclosporin A (Sandimmun®) mit gewissem Erfolg auch beim steroidsensiblem NS ein- gesetzt. Nach einer kürzlichen Lite- raturübersicht (Ponticelli und Rivol- ta) wird mit Cyclosporin A in 82 Pro- zent aller steroidsensiblen Kinder mit Minimal Change Nephrose eine komplette Remission erreicht. Im Gegensatz zum Cyclophosphamid werden jedoch damit neue Schübe meistens nur so lange vermieden, wie das Medikament verabreicht wird.

Wegen seiner potentiellen Nephro- und Hepatotoxizität soll Cyclosporin A nicht in höherer Dosierung und nur dann eingesetzt werden, wenn eine vorausgegangene Cyclophos- phamid-Therapie erfolglos war.

Therapie des

steroidresistenten NS Das steroidresistente NS ist im Gegensatz zur steroidsensiblen Form in den weitaus meisten Fällen auch gegenüber zytostatischen Medi- kamenten resistent. Eine Ausnahme bilden Patienten mit minimalen Glo- merulusveränderungen, die nach Versagen einer initialen Standard- Prednison-Therapie oftmals auf Cyc- lophosphamid ansprechen. Bei fo- kal-segmentaler Glomerulosklerose konnten randomisierte Therapiestu- dien bisher keine eindeutigen Erfol- ge mit Cyclophosphamid nachwei- sen. Cyclosporin A scheint bei diesen in etwa 50 Prozent eine volle oder partielle Remission zu ergeben. Auf jeden Fall sollte vermieden werden, Cyclosporin A bei eingeschränkter Nierenfunktion zu verabreichen we- gen der Gefahr, die Progredienz da- durch zu beschleunigen.

Behandlungsversuche mit ande- ren Zytostatika (zum Beispiel Lae- vamisol), Methyl-Prednisolon-Puls-

therapie oder mit Plasmaaustausch- verfahren sind bei Kindern mit idio- pathischem steroidresistentem NS ebenfalls umstritten. Vorläufige Be- richte, wonach Konversionsenzym- hemmer (zum Beispiel Captopril) die Proteinurie beim NS reduzieren und dadurch die Prognose verbes- sern sollen, erfordern einer Bestäti- gung durch kontrollierte Studien.

Supportive Therapie Da bei vielen Kindern mit NS die Proteinurie persistiert oder rezi-

diviert, hat die sogenannte supporti- ve Therapie eine entscheidende Be- deutung. Deren Wirksamkeit bei der Therapie von Ödemen oder Infektio- nen ist bisher nicht hinreichend in entsprechenden Studien geprüft worden. Die folgenden Angaben sind daher weitgehend empirisch.

Ödeme können entweder durch Einschränkung der Natriumzufuhr und Flüssigkeitszufuhr (< 1 mmol/

kg/Tag) oder Diuretika (zum Bei- spiel Hydrochlorothiazid 1 bis 2 mg/

kg/Tag oder Furosemid 2 bis 4 mg/

kg/Tag) behandelt werden. Letztere werden vorzugsweise vor Beginn der Tabelle 3: Alternativen zur Behandlung des häufig rezidivierenden nephrotischen Syndroms im Kindesalter

1. Abwarten einer Spontanremission bis 2-3 Wochen nach Rezidivbeginn

2. Dauertherapie mit Prednison (zum Beispiel 5-20 mg/m2/48 Stunden) über maximal 6 Monate

3. Kurztherapie mit Prednison: 60 mg/m 2/Tag bei jedem Schub, solange signifikante Proteinurie besteht.

4. Cyclophosphamid: 2 mg/kg/Tag unmittelbar nach Remission unter Standardrezidivtherapie mit Prednison

ohne Steroidabhängigkeit: 8 Wochen lang mit Steroidabhängigkeit: 12 Wochen lang Fortsetzung der Prednisontherapie unter Cyclophosphamid:

erste 4 Wochen: 60 mg/m2/48 h

5. Woche: 40 mg/m 2/48 h

6. Woche: 30 mg/m 2/48 h

7. Woche: 20 mg/m 2/48 h

8.-12. Woche: 10 mg/m2/48 h

Bei starker Steroidtoxizität eventuell raschere Reduktion der Stero- iddosis;

wöchentliche Kontrolle der Leukozytenzahl; wenn diese < 1000/mm 3, Medikament vorübergehend absetzen.

5. Ciclosporin A: 150 mg/m 2/Tag (2 Tagesdosen), bei ungenügender Wirksamkeit von Cyclophosphamid, nach Remission unter Stan- dardrezidivtherapie

Beginn unmittelbar nach Standard-Rezidiv-Therapie

Zusätzlich Prednison: 40 mg/m 2/48 h während der ersten 4 Wochen der Ciclosporintherapie

Ciclosporin-Blutspiegel anfangs täglich, später alle 2 Wochen erfor- derlich. Erwünschte Spiegel 60-160 mg/dl (monoklonal)

Regelmäßige Kontrolle des Serumkreatinins.

Nach 6-12 Monaten Glomerulusfiltratmessung (Inulin-Clearance) und Nierenbiopsie erwünscht (Nephrotoxizität?)

A1-1742 (76) Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992

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Abbildung 3: Ku- mulativer Prozent- satz von Rezidiven bei Kindern mit häufig rezidivie- rendem nephroti- schen Syndrom (ohne Steroidab- hängigkeit), die sich bis zu 180 Tagen nach Re- missionsbeginn noch in Remission befanden. Die me- diane Remissions- zeit betrug bei in- terminierender (1) oder alternieren- der (2) Standard- rezidivbehandlung mit Prednison je 75 Tage, bei Kurz- behandlung (3) mit Prednison nur 33 Tage (aus Win- gen, A. M.; Mül- ler-Wiefel, D. E.;

Schärer, K: Acta Paediatr. Scand.

79 [1990] 305) Steroidtherapie eingesetzt und soll-

ten von einer täglichen Kontrolle von Urinvolumen und Gewicht begleitet werden. Wir verweisen auf allgemei- ne Richtlinien bei der Diuretikathe- rapie.

Kinder, deren Ödeme und Kör- pergewicht trotz Diuretikabehand- lung deutlich zunehmen, sollten we- gen der Schockgefahr kurzfristig mit intravenösen, salzfreien Albuminin- fusionen behandelt weden (20pro- zentig, 1 g/kg/Tag bei Serumalbu- minspiegeln unter 15 g/l, 0,5 g/kg bei Serumalbumin über 15 g/l). Um ei- nen maximalen Diureseeffekt zu er- halten, wird am besten zusätzlich Fu- rosemid (1 bis 2 mg/kg intravenös 30 bis 60 Minuten nach Ende der Albu- mininfusion und eventuell in weite- ren vierstündigen Abständen) verab- reicht.

Bei mäßigen Ödemen wird meist eine erhöhte orale Eiweißzufuhr empfohlen. Nach neueren Erkennt- nissen ist allerdings unsicher, ob da- durch die anabole Stoffwechsellage verbessert wird. Bei bestehender Niereninsuffizienz wird deren Pro- gredienz durch eine eiweißreiche Di- ät möglicherweise verstärkt.

Kinder mit NS neigen zu Infek- tionen der Haut, Luftwege, Harnwe- ge und zur Peritonitis. Bei Auftreten entsprechender Symptome ist ein frühzeitiger Einsatz von Breitspek- trumantibiotika gerechtfertigt. Be- sonders gefährdet sind Kinder unter Steroid- oder Zytostatika-Behand- lung, die Varizellen acquirieren. In solchen Fällen sollten innerhalb von drei Tagen nach Ansteckung Vari- zellen-Zoster-Immunglobulin gege- ben und die Zytostatika abgesetzt werden. Falls der Patient mit Stero- iden behandelt wird, werden diese unverändert oder eventuell in halber Dosis weiter verabreicht. Wenn Va- rizellen beim Patienten auftreten, wird Azyclovir (600 mg/m 2/Tag) für mindestens zehn Tage empfohlen.

Impfungen können in der üblichen Indikation gegeben werden, außer wenn sich das Kind unter Steroidthe- rapie befindet. Manche Zentren empfehlen während der Remissions- zeit eine Impfung gegen Pneumo- kokkeninfektionen und Varizellen.

Eine Substitution von Vitamin D oder Thyroxin ist nur bei lang dau-

ernder schwerer Proteinurie ange- zeigt. Bei einer begleitenden Throm- boembolie, wie sie insbesondere bei Steroidresistenz gelegentlich vor- kommt, sollte Heparin (10'000 E/m 2/

Tag) und bei entsprechendem Man- gel zusätzlich Antithrombin III gege- ben werden.

In allen Fällen einer Steroidresi- stenz sollten die Patienten in bezug auf das Auftreten einer Niereninsuf- fizienz oder einer Hypertonie sorg- fältig überwacht werden. Da bei massiver Proteinurie die Glomeru- lusfiltrationsrate durch Messung der Kreatininclearance oft überschätzt wird, sind genauere Bestimmungs- methoden (zum Beispiel Insulin- Cle arance) erforderlich.

Allgemeines

Betreuungskonzept

Frisch erkrankte Kinder mit NS sollten heute an ein Zentrum für pädiatrische Nephrologie überwie- sen werden, wo man über die not- wendige diagnostische und thera- peutische Erfahrung verfügt. Der Hausarzt und/oder der praktische Kinderarzt haben jedoch bei der

kontinuierlichen Betreuung nephro- tischer Kinder eine wichtige Rolle zu erfüllen, indem sie die medikamen- töse Behandlung überwachen und in akuten Situationen (zum Beispiel bei Infektionen) rasch eingreifen kön- nen. Sie können auch helfen, die so- ziale Isolation und elterliche Über- protektion, die diese Kinder oft er- leiden, zu vermeiden. Längere statio- näre Klinikaufenthalte sind heutzu- tage nur noch selten notwendig.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -1736-1744 [Heft 19]

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Karl Schärer Universitäts-Kinderklinik Sektion für Pädiatrische Nephrologie

Im Neuenheimer Feld 150 W-6900 Heidelberg 1 Ai-1744 (78) Dt. Ärztebl. 89, Heft 19, 8. Mai 1992

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