Chronische Erkrankungen im Kindesalter
und ihre Folgezustände
Bericht über das 6. Hauptthema des
VII. Interdisziplinären Forums der Bundesärztekammer
"Fortschritt und Fortbildung in der Medizin"
vom 12. bis zum 15. Januar 1983, Köln
Etwa zehn Prozent der Patienten, die heute in einer kinderärztlichen Praxis betreut werden, leiden an
"chronischen Erkrankungen". Mit diesen Worten eröffnete der Moderator, Professor K. D. Bach- mann/Münster, die sechste Veran- staltung des diesjährigen Interdis- ziplinären Forums der Bundesärz- tekammer mit dem Thema "Chro- nische Erkrankungen im Kindesal- ter und ihre Folgezustände".
Im Rahmen dieses Symposiums wurden zu den verschiedenen Krankheiten, die bereits im Kin- desalter chronisch verlaufen kön- nen, Beiträge von folgenden Refe- renten vorgetragen: Professor Dr.
H. Ch. Dominick/Münster "Chroni- sche Erkrankungen des Magen- Darm-Traktes"; Professor H. von der Hardt/Hannover "Das Kind mit Atopie-Syndrom (Asthma, Ek-
zem)"; Professor H. Olbing/Essen
"Das chronisch nierenkranke Kind
(insbesondere Harnwegsinfektio-
nen)"; Professor R. A. Pfeifter/Er-
langen "Das geistig behinderte Kind am Beispiel des DOWN-Syn- droms"; Professor H. Rem- schmidt/Marburg "Das hirnorga- nisch geschädigte Kind"; Profes- sor U. Stephan/Essen "Der Patient mit Zystischer Fibrose in Schule, Adoleszenz und Erwachsenenal- ter"; Professor B. Weber/Berlin
"Das Kind mit Diabetes mellitus".
Als geladene Gäste für die Diskus- sion mit dem Plenum standen zur Verfügung: Dr. Waltraud Kruse/
Aachen, Allgemeinmedizin, und Med.-Dir. Dr. Sigrid Leidei/Köln.
Unter den verschiedenen Ursa- chen für körperliche und/oder gei- stige Behinderungen haben si.ch die Verkehrsunfälle von 1971 (72 499) bis 1981 (55 355) deutlich vermindert.
Renale Ursachen
Als erster Referent erläuterte Pro- fessor H. Olbing/Essen die renalen Ursachen chronischer Erkrankun- gen. Derzeit gilt für die akuten Harnwegsinfektionen nach wie vor Co-Trimoxazol (z. B. Bactrim®, Drylin® usw.) als Mittel der ersten Wahl (3- bis S-Tage-Behandlung);
eine primäre Enuresis nocturna ohne pathologischen Harnbefund sollte bis zum 5. Lebensjahr ohne eingreifende diagnostische Me- thoden durch "Biasenkonditionie- rung" behandelt werden.
Diabetes mellitus
Diabetes mellitus kommt bei Kin- dern fast ausschließlich als Insu- lin-Mangeldiabetes vor (Professor B. Weber/Berlin). Sowohl für die Einstellung des Stoffwechsels als auch für die Therapie-Kontrolle werden neben der Herstellung von individuellen Mischungen der ver- schiedenen Insulinarten (Alt- und Verzögerungsinsuline) auch die regelmäßige Selbstkontrolle (4- bis 5mal täglich) der Harn- (even- tuell auch Blut-)Giukosekonzen- tration als besonders bedeutsam und bewährt empfohlen. Weiter- hin stellt die Kontrolle des Hämo-
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin KONGRESS-BERICHT
globins A1c einen wesentlichen Fortschritt in der Beurteilung der Qualität der Einstellung des Koh- lenhydrat-Stöffwechsels dar.
Hirnorganische
Schäden im Kindesalter
Unter den Ursachen für hirnorga- nische Schäden im Kindesalter (Professor H. Remschmidt/Mar- burg) werden die prä- und perina- tale Entstehung mit 7 bis 10 Pro- zent und die posttraumatische Entstehung {bei 6- bis 14jährigen) mit etwa 9 Prozent angenommen.
Es resultieren aber sehr unter- schiedliche Muster von Hirnfunk- tionsstörungen, so daß bei jedem Kind das persönliche Leistungs- profil durch entsprechende Teste ermittelt und die Rehabilitation darauf eingestellt werden muß.
Die Blutspiegelkontrollen bei den oft begleitenden hirnorganischen Anfallsleiden dienen sowohl der Therapie als auch der Überprü- fung der regelmäßigen Einnahme der antikonvulsiven Medikamente (sogennannte Compliance).
Zystische Fibrose
Die zystische Fibrose (Professor U. Stephan/Essen) ist die häufigste Erbkrankheit in Europa, dennoch ist ihre Kenntnis offenbar noch nicht allgemein verbreitet.
Darum ist bei dieser Erkrankung die enge Zusammenarbeit zwi- schen Hausarzt und Klinik (bzw.
Zentrum) besonders wichtig: ..,.. chronisch rezidivierende Bron- chitis, gehäufte Durchfälle, aber auch Analprolaps sollten Indika- tionen für die Bestimmung der NaCI-Ausscheidung im Schweiß sein, die bei Vorliegen einer zysti- schen Fibrose pathognomonisch erhöht ist.
Eine pränatale oder Heterozygo- ten-Diagnostik gibt es bei dieser autosomal-rezessiv vererbten Er- krankung bisher nicht. [>
Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 9 vom 4. März 1983 35
Zur Fortbild1lllg Aktuelle Medizin
VII. Interdisziplinäres Forum: Chronische Kinderkrankheit
Atopie-Syndrom
Bei dem Atopie-Syndrom (Profes- sor H. von der Hardt/Hannover) gab es keine neuen, aber die Beto- nung bewährter Aspekte:
..,.. Bei Asthma bronchiale ist- im Anschluß an eine ätiologische Klä- rung- die Behandlung im anfalls- freien Intervall mit Dinatrium Cor- moglicinsäure (lntal®) eine wirksa- me Maßnahme bei nachgewiese- ner Pneumallergie. Allerdings zei- gen nur etwa 30 Prozent der im Haut-Test gegen Hausstaub und Hausstaubmilben sensiblen Kin- der auch im inhalativen Provoka- tionstest eine entsprechend positi- ve Pneumallergie. Es würden also bei ausschließlich durch Hauttest nachgewiesener Überempfindlich- keit von 10 positiven Kindern nur 3 bis 4 erfolgreich mit lntal® zu be- handeln sein!
..,.. Bei der lokalen Therapie des Ekzems sind neben regelmäßiger Behandlung mit fetthaltigen Sal- ben auch die gelegentliche, aber nur kurzfristige Anwendung von Hydrocortison-Salben als bewährt anzusehen.
Chronische
Magen-Darm-Erkrankungen Unter den chronischen Magen- Darm-Erkrankungen (Professor H.
Ghr. Dominick/Münster) erfordert die Diagnose der Zöliakie, die aus- schließlich durch Dünndarm- Saugbiopsie möglich ist, insge- samt eine dreimalige Durchfüh- rung dieser wenig belastenden, diagnostischen Maßnahme: die er- ste Biopsie führt zur Verdachtsdia- gnose (subtotale Zottenatrophie), die zweite nach zwei Jahren glu- tenfreier Kost mit dem Nachweis wieder normaler Dünndarm-Zot- tenstruktur. Die dritte Biopsie folgt weitere zwei Jahre nach Belastung mit Gluten -falls keine klinischen Symptome unter der Gluten-Gabe auftreten, dann wäre die Biopsie sofort indiziert. Diese dritte Biop- sie zeigt, ob die Zottenstruktur normal geblieben ist oder ob sich
neuerlich eine subtotale Zotten- atrophie unter Gluten entwickelt hat, so daß eine lebenslängliche glutenfreie Diät notwendig ist. Der Morbus Crohn nimmt im Kindesal- ter offenbar in den letzten zehn Jahren deutlich zu, so daß rezidi- vierende Durchfälle sowie Anämie, beschleunigte BSG und erhöhtes lgA eine entsprechende stationäre Klärung der Diagnose indizieren!
DOWN-Syndrom ("Mongolismus")
Bei dieser Erkrankung führen - nach Darstellung von Professor R.
A. Pfeifter/Erlangen - die verbes- serten unspazifischen Betreu- ungsmöglichkeiten (Krankengym- nastik bewirkt zum Beispiel, daß viele DOWN-Kinder nun mit zwei Jahren laufen können) zu einer deutlichen Erhöhung der Lebens- erwartung: "Ein mongoloides Kind mit einer bisherigen Lebens- erwartung von zehn Jahren kann heute 45 Jahre alt werden." Die
terminale Phase dieser älteren Pa-
tienten mit Morbus DOWN verläuft oft unter dem klinischen Bild einer Alzheimer-Erkrankung. Männliche Patienten sind fast ausnahmslos infertil, bei weiblichen Patienten sollte die operative Sterilisation empfohlen werden, obgleich so- wohl juristische als auch ethische Argumente dagegen geltend ge- macht werden können und die Realisierung bei jeder Patientin derzeit als ein nur individuell zu lösendes Problem gesehen wer- den sollte. Ganz allgemein ist die optimale Betreuung chronischer Erkrankungen im Kindesalter am besten durch eine enge Zusam- menarbeit zwischen Hausarzt und einer entsprechend erfahrenen Klinik bzw. einem Zentrum zu ge- währleisten.
Professor Dr. med.
Klaus Ditmar Bachmann Direktor der Kinderklinik der Westfälischen
Wilhelms-Universität Robert-Koch-Straße 31 4400 Münster
FÜR SIE GELESEN
Akute lymphoblastische Leukämie (ALL) und Fieber erhöhen Gefahr der Bakteriämie
Patienten mit akuter lymphoblasti- scher Leukämie (ALL) sind auf- grund ihrer Krankheits- und thera- piebedingten Immunschwäche vermehrt durch virale und bakte- rielle Infektionen gefährdet. Vor allem die bakteriämische Verlaufs- form erfordert ein rasches thera- peutisches Handeln. Der Autor hat anhand der Verläufe von 318 Kin- dern mit ALL die Häufigkeit von bakteriämischen Infektionen und ihre prädisponierenden Faktoren untersucht. Bei Diagnosestellung der ALL fieberten nahezu ein Drit- tel der Patienten über 38,5° C, nur bei 4,1 Prozent hiervon fanden sich jedoch positive Blutkulturen.
Nach Beginn der Induktionsbe- handlung waren fieberhafte Episo- den häufig. 46 Prozent der hier gewonnenen Blutkulturen zeigten Bakterienwachstum, meist gram- positive Keime. Positive Blutkultu- ren fanden sich ausschließlich bei
Patienten, deren absolute Neutro-
philenzahl unter 1000/mm3 lag. Während der remissionserhalten- den Therapiephase waren 34 Pro- zent der fieberhaften Erkrankun- gen Ausdruck einer Pneumonie, in keinem Fall fanden sich positive Blutkulturen. Von den Blutkultu- ren während fieberhafter Episo- den im Knochenmarks-Relaps wa- ren 18 Prozent positiv, es fanden sich jetzt vorwiegend gramnegati- ve Organismen. Aus den darge- stellten Erfahrungen ergibt sich die Konsequenz, daß besonders bei fiebernden Kindern in der ln- duktionsbehandlung mit absolu- ten Granulozytenwerten unter 1000/mm3 nach rascher Diagnostik unverzüglich die antibiotische Breitbandtherapie beginnen muß, um dem hohen Risiko der bakte- riellen Sepsis frühzeitig zu begeg-
oon. Krn
Green, D. M.: Fever and bacteremia in children and adolescents with acute lymphoblast1c leukemia, Am. J. Ped. Hematoi./Oncol. 4 (1982) 263, Dept. of Pediatrics, Roswell Park Memo- rial Institute, Buffalo, N. Y., USA
36 Heft 9 vom 4. März 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A