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Archiv "Erkrankungen der Niere (15): Maligne Hypertonie Pathophysiologie – Klinik – Therapie" (03.08.1992)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

ZUR FORTBILDUNG

Extreme Blutdruckerhöhung und rasch fortschreitende arterioläre Ne- krosen im Nieren-, Retina- und Hirnkreislauf bestimmen den aggressi- ven Verlauf der malignen Hypertonie. Heute können sich bei rechtzeiti- gem Einsatz wirksamer Antihypertensiva die akuten hypertensiven Ge- fäßschäden zurückbilden. Die Rolle lokaler Gefäßfaktoren rückt in den Mittelpunkt des Interesses bei der Entstehung des malignen Hoch- drucks.

Jürgen Wagner', Eberhard Ritz' und Detlev Ganten2

Erkrankungen der Niere (15)

Maligne Hypertonie

Pathophysiologie Klinik Therapie

Maligne Hypertonie

Die maligne Verlaufsform der Hypertonie ist durch eine rasch fort- schreitende Schädigung des Gefäß- systems und den Verlust der Nieren- funktion gekennzeichnet. Unbehan- delt ist die Prognose so schlecht wie bei Malignomen: Die Ein-Jahres- überlebensrate beträgt nur 10 bis 15 Prozent (1).

Obwohl sich die maligne Hyper- tonie zumeist auf dem Boden eines vorbestehenden primären oder se- kundären Hochdrucks entwickelt, stellt sie nicht einfach den „Zeitraf- fer" dieser Hochdruckformen dar.

Vielmehr hat sie sowohl pathophy- siologisch als auch klinisch ihre eige- nen Charakteristika: Im Gegensatz zur langsam fortschreitenden Ar- teriolosklerose bei primärer Hyper- tonie ist der maligne Hochdruck durch die akute Gefäßwandnekrose gekennzeichnet. Besonders betrof- fen sind hierbei die renalen und reti- nalen Stromgebiete. Bevor antihy- pertensive Behandlung und Nieren- ersatztherapie zur Verfügung stan- den, verstarben bei der malignen Hy- pertonie 70 Prozent der Patienten in der Urämie, jeweils aber nur 10 bis 20 Prozent aufgrund kardialer und zerebraler Ursachen (1). Hingegen tritt der Tod bei primärer Hyperto- nie meist infolge arteriosklerotischer Komplikationen ein (Herzinfarkt, plötzlicher Herztod und zerebraler

Infarkt), die Niereninsuffizienz spielt mit vier bis fünf Prozent nur ei- ne untergeordnete Rolle.

Trotz der Häufigkeit von Hoch- druckkrankheiten in der Gesamtbe- völkerung ist die maligne Hypertonie heute in den entwickelten Ländern selten. In den fünfziger Jahren wur- de die maligne Hypertonie bei ein bis sieben Prozent der Hypertoniker nach einer durchschnittlichen Hoch- druckdauer von 7,7 Jahren beobach- tet (1, 2, 3). Der breite Einsatz mo- derner antihypertensiver Therapie und die verbesserte Behandlung der

1 Rehabilitationszentrum für chronisch Nie- renkranke (Ärztlicher Leiter: Prof. Dr. med.

Eberhard Ritz) Klinikum der Universität Hei- delberg

2 Deutsches Institut für Bluthochdruckfor- schung (Wissenschaftlicher Direktor: Prof.

Dr. med. Detlev Ganten), Heidelberg, und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Me- dizin, Berlin

schweren Hypertonie haben die Häufigkeit maligner Hypertonie in den letzten Jahren deutlich gesenkt.

Eine maligne Hypertonie, die bei zuvor normotensiven Individuen auftritt, wird nur selten beobachtet.

Dagegen kann jede primäre oder se- kundäre Hypertonie in den malignen Hochdruck übergehen. Unter den senkundären Hypertonieformen füh- ren besonders häufig vorbestehende Nierenerkrankungen zur malignen Hypertonie, zum Beispiel die mesan- giale IgA-Glomerulonephritis (4).

Heidbreder et al. (5) fanden, daß bei gegebener Blutdruckhöhe das Auftreten „maligner" Augenhinter- grundsveränderungen bei Nierenin- suffizienz mehrfach höher ist als bei primärer Hypertonie. Auffallend hoch ist die maligne Hypertonie auch bei Reflux- und Analgetika- nephropathie. Von praktischer Be- deutung ist der Befund von Davis et al. (6), wonach sich angiographisch bei 23 Prozent der Patienten mit ma- ligner Hypertonie eine Nierenarteri- enstenose findet.

Pathogenese

Wesentliches Kennzeichen der malignen Hypertonie ist die fixierte schwere Erhöhung des diastolischen Blutdrucks mit Werten häufig über 120 mmHg Es existiert jedoch keine scharfe Trennlinie zum nichtmali- gnen Hochdruck. Den Übergang in die maligne Phase bestimmen sowohl die Dauer des vorbestehenden Hochdrucks als auch die Anstiegsge- schwindigkeit der arteriellen Druck- werte. Die Gefäßreaktion auf eine arterielle Blutdruckerhöhung wird jedoch auch durch humorale und lo- kal in der Gefäßwand gebildete Fak- toren beeinflußt. Zeichen maligner Hypertonie finden sich unter Um- A1 -2624 (42) Dt. Ärztebl. 89, Heft 31/32, 3. August 1992

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Tabelle 1: Hypertensive Retinopathie

Stadium krankhafte Veränderungen Arterioläre Vasokonstriktion Arteriovenöse Kreuzungszeichen Kupferdrahtarterien

Hämorrhagien (rund) harte Exsudate schwere arterioläre Vasokonstriktion Silberdrahtarterien Streifenhämorrhagien

weiche Exsudate (Cotton wool) Makuläre Sternfigur

Bilaterales Papillenödem III

IV ständen daher bereits bei diastoli-

schen Werten um 100 mmHg Riva- Rocci, während andererseits manche Patienten langfristig massiv erhöhte Blutdruckwerte tolerieren, ohne daß eine maligne Phase auftritt.

Hieraus wird deutlich, daß die Entwicklung der malignen Hyperto- nie bei vorbestehendem Hochdruck vom Zustand des Gefäßsystems selbst abhängt Fehlt bei rasch ansteigen- den Blutdruckwerten, zum Beispiel bei der Nierenarterienstenose, die Zeit zu strukturellen vaskulären An- passungsprozessen, kann sich das Vollbild der malignen Hypertonie rasch entwickeln. Hingegen werden bei lange bestehendem arteriellem Hochdruck durch kompensatorisch hypertrophierte Gefäßwände weitaus höhere Blutdruckwerte toleriert.

Der morphologische Vergleich der Gefäßschädigung in der nicht- malignen und malignen Phase der Hypertonie zeigt deren unterschied- liche Pathogenese: In der nichtma- lignen, fälschlicherweise „benigne"

genannten Phase, findet sich typi- scherweise eine Arteriolohyalinose mit myointimaler Proliferation, in der malignen Phase hingegen die fibri- noide Arteriolonekrose (Abbildung 1). In der Niere, einem Prädilektions- ort für die Gefäßschädigung bei ma- ligner Hypertonie, werden die fibri- noiden Nekrosen an den afferenten Arteriolen gefunden. An den größe- ren Interlobulararterien kommt es zu einer proliferativer Endarteriitis.

Diese schreitet rasch fort, bis sich un- ter extremer Verdickung der Gefäß- intima das Bild der klassischen

„Onion-skin"-Läsion herausbildet:

Die hyperplastischen Intimazellen ordnen sich im Querschnittsbild zwie- belschalenartig um das Gefäßlumen an. Schließlich kommt es durch den zunehmenden Verschluß vorgeschal- teter Gefäße zur ischämischen Ver- ödung der Glomeruli.

Die vaskulären Veränderungen spiegeln sich — für die Diagnostik faßbar — auch an den Retinalgefäßen wider und sind durch Funduskopie nachweisbar. Die typischen Retina- läsionen sind zum wesentlichen dia- gnostischen Kriterium der malignen Hypertonie geworden (Abbildung 2).

Keith, Wagener und Baker (7) teil- ten die hypertensiven Gefäßschäden

Abbildung 1: Fibrinoide Nekrosen renaler Arteriolen. Ablagerung von eosinophilem fibrinoidem Material in der Gefäßwand. (Wir danken Herrn Professor Waldherr, Patholo- gisches Institut der Universität Heidelberg, für die freundliche Überlassung der Abbil- dung)

an der Retina in vier Stadien ein (Tabelle 1): Stadium I und II kenn- zeichnen den arteriolären Gefäßum- bau mit Gefäßkaliberschwankungen und Kreuzungszeichen. Sie sind nicht spezifisch für „Hypertonie"

und werden auch bei normotensiven älteren Individuen gefunden. Erst das Auftreten weicher, „baumwoll- flockiger" (Cotton wool) Exsudate und streifenförmiger Retinablutun- gen ohne (Stadium III) oder mit Pa- pillenschwellung (Stadium IV) ist für

die maligne Hypertonie typisch. Die Retinaveränderungen besitzen auch prognostische Aussagekraft: Nach den Erstbeschreibern verstarben un- behandelt 80 Prozent der Patienten mit Papillenschwellung innerhalb ei- nes Jahres.

Pathophysiologie

Der Verlust der vaskulären Au- toregulation stellt den Ausgangs- punkt der akuten Gefäßwandschädi- gung bei maligner Hypertonie dar.

Dem Übergang in die fibrinoide Nekrose der Arteriole liegt eine Stö- rung der Gefäßkontraktilität zugrun- de: Nebeneinander werden Gefäß- segmente mit maximaler Vasokon- striktion und maximaler Vasodilata- tion beobachtet (8). In den über- dehnten dilatierten Segmenten zer- reißt das Endothel (9), worauf Plas- mabestandteile und Fibrinogen in die Gefäßwand eindringen und zur Nekrose der Media führen. Es kommt zur Schwellung der Gefäß- wand, Thrombose und Okklusion

des Gefäßlumens.

Die Retinagefäße veranschauli- chen diesen Ablauf: Fokale Zerstö- rung des Endothels und Gefäßne- krosen führen zu Blutungen aus peri- papillären Kapillaren. Weiche Exsu- date (Cotton wool) stellen Areale in allen Stadien der ischämischen In- farzierung von Retinaneuronen dar.

Initial wird der axonale Transport unterbrochen; es kommt zu mito- chondrialer Schwellung und Trü-

Dt. Ärztebl. 89, Heft 31/32, 3. August 1992 (45) A1-2625

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Tabelle 2: Endothelabhängige Faktoren und ihre Wirkung auf das Gefäßsystem

■ Vasokonstriktion Angiotensin II Endothelin Thromboxan A2

Superoxyd Anion

■ Vasorelaxation endogene Nitrate (NO) Prostazyklin

Gefäßmuskelproliferation Stimulation:

PDGF FGF-1 IGF-1 Endothelin Angiotensin II Interleukin I

Inhibition:

TGF-r3

Endogene Nitrate Prostaglandine Heparansulfat

PDGF: Thrombozytenwachstumsfaktor; FGF-1: Fibroblasten-Wachstumsfaktor-1; IGF-1: In- sulin-Wachstumsfaktor-1; TGF-beta: Transformierender Wachstumsfaktor-ß

bung der transparenten Retinaab- schnitte. Die Papillenschwellung entspricht einem „Cotton-wool-Ex- sudat", das heißt einer ischämischen Schädigung des Nervus opticus. Ent- gegen früheren Ansichten ist sie nicht auf eine Erhöhung des intra- kraniellen Drucks zurückzuführen.

Lokale Gerinnungsaktivierung und Thrombenbildung an geschädig- ten Gefäßen sind Grundlage der bei maligner Hypertonie häufig nach- weisbaren mikroangiopathischen hä- molytischen Anämie, die durch das Auftreten von Fragmentozyten (zer- störten Erythrozyten), und eine LDH-Erhöhung gekennzeichnet ist.

Umstritten bleibt, ob für die Entwicklung der Gefäßwandnekrose bei maligner Hypertonie die Erhö- hung des Blutdrucks alleine aus- reicht. Die unterschiedlich hohen Ausgangsblutdruckwerte bei Auftre- ten einer malignen Hypertonie spre- chen dafür, daß zusätzlich humorale oder lokal im Endothel gebildete Faktoren bestimmen, wann der Übergang in die maligne Phase er- folgt.

Zu den bestuntersuchten Regu- lationssystemen bei maligner Hyper- tonie gehört das Renin-Angiotensin- System: Plasma-Renin-Aktivität und Aldosteron-Spiegel sind meist er- höht und erklären die günstige Wir- kung von Konversionsenzymhem- mern in der Therapie der malignen Hypertonie. Für eine kausale Rolle von Renin spricht das hohe Risiko des Auftretens der malignen Hyper- tonie bei renovaskulärem (also hy- perreninämischen) Hochdruck, fer- ner das Auftreten fibrinoider Arte- riolonekrosen in nephrektomierten Tieren bei Renininjektion. In ande- ren Fällen scheint die Reninhyperse- kretion allerdings Folge einer mikro- zirkulatorisch bedingten Nierenisch- ämie infolge hypertensiver Gefäß- schädigung und -okklusion zu sein.

Die ausgeprägte Blutdruckerhö- hung führt zu einer Volumendepleti- on durch druckinduzierten Salz- und Wasserverlust. Der durch die Drucknatriurese entstehende Volu- menmangel „heizt" das Renin-An- giotensin-System immer weiter an.

Der hierdurch zusätzlich ansteigen- de Blutdruck verstärkt seinerseits in einem Teufelskreis erneut die

Abbildung 2: Charakteristische retinale Lä- sionen bei maligner Hypertonie. Auffällige Schwellung der Papille. Weiche, wolkige Exsudate (Cotton wool) und Streifenblutun- gen entlang der Retinalneuriten. Deutliche Verengung der Arteriolen. Hypertensive Re- tinopathie Grad N. (Wir danken Herrn Pro- fessor Gallasch, Universitäts-Augenklinik Heidelberg, für die freundliche Überlassung der Abbildung)

Drucknatriurese. Dieses System po- sitiver Rückkopplung hat seine klini- sche Entsprechung in dem akuten Gewichtsverlust, der bei Patienten in der malignen Phase des Hochdrucks oft beobachtet wird. Möhring et al.

(10) konnten entsprechend im Tier- modell durch Trinken einer Koch- salzlösung den „Circulus vitiosus"

der malignen Hypertonie durchbre- chen. Eine maligne Hypertonie wird

jedoch, wenngleich selten, auch bei Zuständen mit supprimierter Renin- aktivität, wie etwa der DOCA-Salz- Hypertonie, beobachtet. Eine hohe Reninaktivität ist also zur Auslösung der fibrinoiden Arteriolonekrose der malignen Hypertonie nicht unerläß- lich.

Der lokale Verlust der vaskulä- ren Autoregulation, gekennzeichnet durch das Auftreten überdehnter Gefäßsegmente unmittelbar neben maximal kontrahierten Abschnitten, macht die Beteiligung lokal wirksa- mer Faktoren bei der Entwicklung der Gefäßwandnekrose wahrschein- lich. Durch molekularbiologische und immunzytochemische Methoden konnte in den letzten Jahren eine Fülle in der Gefäßwand gebildeter Substanzen identifiziert werden (Ta- belle 2). Diese steuern den lokalen Gefäßtonus und beeinflussen die Gewebsperfusion; andererseits spie- len sie eine wesentliche Rolle für den Gefäßumbau und die Entwick- lung einer Mediahypertrophie bei ar- terieller Hypertonie.

So werden die Komponenten des Renin-Angiotensin-Systems auch von Endothel- und Gefäßmuskelzel- len selbst gebildet. Angioten- sin II könnte so lokal in der Gefäß- wand gebildet werden und dort vaso- konstriktorische und hypertrophie-

A1-2626 (46) Dt. Ärztebl. 89, Heft 31/32, 3. August 1992

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fördernde Wirkungen an der Gefäß- muskelzelle entfalten.

Ähnlich hochwirksam ist das von der Endothelzelle synthetisierte Endothelin, das durch eine Vielzahl von Stimuli aktiviert wird, die bei der hypertensiven Gefäßschädigung eine Rolle spielen könnten (Thrombin, Noradrenalin, mechanische Scher- kräfte). Der kürzlich beschriebene endothelabhängige Relaxationsfak- tor (EDRF), das endogene Nitrat (NO), gehört ebenso zum „Reper- toire" der Endothelzelle wie vasodi- latierende und -konstringierende Prostaglandine. NO und Prostazy- klin beeinflussen lokal auch die Thrombozytenfunktion. Eine Ver- minderung ihrer Synthese durch Endothelschädigung kann die Plätt- chenaggregation und Thrombusbil- dung mit Freisetzung von Thrombo- zytenwachstumsfaktor (PDGF) be- günstigen. Offen ist noch der Einfluß von Zytokinen und anderen Wachs- tumsfaktoren in der Genese der ma- lignen Hypertonie.

Die Vielzahl der vom Endothel gebildeten Faktoren weisen diesem Zellsystem eine zentrale Bedeutung in der Regulation der lokalen Gefäß- kontraktilität und vaskulären Anpas- sung bei Bluthochdruck zu. Unge- klärt ist bislang, ob die hypertensive Gefäßschädigung nur die passive Folge druckbedingter Endothelläsio- nen ist, oder ob nicht eine primäre Störung der Endothelfunktion bei manchen Patienten das Auftreten der malignen Phase des Hochdrucks begünstigt. Hierfür könnten das ge- legentliche Vorkommen einer mali- gnen Hypertonie bei auffällig niedri- gen Blutdruckwerten und die familiäre Häufung der malignen Hy- pertonie sprechen.

Klinik und Diagnose Zur Vermeidung der rasch pro- gredienten Gefäßschädigung bei ma- ligner Hypertonie ist eine möglichst frühe Diagnosestellung und adäqua- te antihypertensive Therapie notwen- dig (Tabelle 3). Wegweisend kann die ausgeprägte Erhöhung des diastoli- schen Blutdrucks sein mit Werten über 120 mmHg. Niedrigere diastoli- sche Werte schließen jedoch das Vor-

liegen eines malignen Hochdrucks keineswegs aus, da der Blutdruck bei maligner Hypertonie notorisch labil ist. Ferner sollten bekannte vorbeste- hende Nierenerkrankungen oder ei- ne zunehmende Therapieresistenz den Verdacht auf den Übergang in die maligne Phase lenken.

Die definitive Diagnose erfolgt durch Funduskopie mit dem Nach- weis von Cotton-wool-Exsudaten, streifenförmigen Blutungen und Pa- pillenschwellung (Tabelle 1). Sie äu- ßert sich klinisch erst im fortgeschrit- tenen Stadium durch Verschwom- mensehen, Gesichtsfeldausfälle und rasch progredienten Visusverlust.

Da grundsätzlich jede Hyperto- nieform zur malignen Hypertonie führen kann, muß nach Diagnose- stellung eine Abklärung zum Aus- schluß einer sekundären Hochdruck- ursache, speziell einer Nierenarteri- enstenose erfolgen.

In der Anfangsphase der mali- gnen Hypertonie fehlen spezifische Symptome. Nicht selten klagen die Patienten über Kopfschmerzen oder gelegentliche Epistaxis. Häufig füh- ren aber erst Sehstörungen zum Arztbesuch. Belastungsdyspnoe, ra- scher Gewichtsverlust (als Folge ei- nes druckinduzierten Salz- und Was- serverlustes), Niereninsuffizienz und mikroangiopathisch hämolytische Anämie mit Nachweis von Fragmen- tozyten und erhöhter LDH-Aktivität sind Zeichen bereits fortgeschritte- ner Stadien.

Die wesentlichen klinischen Komplikationen der malignen Hy- pertonie sind Retinopathie, neurolo- gische Ausfälle, Linksherz- und Nie- reninsuffizienz. Zu den neurologi- schen Symptomen zählen transiente oder persistierende Herdsymptome, fokale oder generalisierte Krampf- anfälle und die hypertensive Massen- blutung. Für die neurologischen Komplikationen bei maligner Hyper- tonie wird fälschlicherweise häufig der Begriff der „hypertensiven Enze- phalopathie" gebraucht, das ein Hirnödem bei hochdruckbedingtem Autoregulationsverlust des Hirn- kreislaufs mit zerebraler Hyperper- fusion beschreibt. Dieses kann je- doch auch bei raschem und ausge- prägtem Blutdruckanstieg auftreten, ohne daß ein maligner Hochdruck vorliegt, etwa bei jüngeren Patien- ten, deren Gefäßsystem an hohe Blutdruckwerte nicht adaptiert ist.

Linksherzinsuffizienz und die Entwicklung eines Lungenödems werden bei maligner Hypertonie als Ausdruck kardiovaskulären Versa- gens häufig beobachtet. Zumeist fin- det sich eine Linksherzhypertrophie, deren Grad von Dauer und Schwe- regrad eines vorbestehenden Hoch- drucks abhängt. Dagegen gehört das Auftreten eines Myokardinfarkts nicht zu den typischen Komplikatio- nen des malignen Hochdrucks.

Im Urinsediment finden sich Zy- linder, Mikrohämaturie und Prote- inurie meist unter 2g/24h, selten Tabelle 3: Maligne Hypertonie: Diagnosekriterien und Therapie

Pathogenese — Störung der vaskulären Autoregulation:

—art. Hypertonie

—humorale Faktoren

—lokale Faktoren

— fibrinoide Arteriolonekrose Klinik — hypertensive Retinopathie

—Niereninsuffizienz

—neurologische Herdsymptome

—Linksherzdekompensation

—mikroangiopathische hämolytische Anämie Therapie ■ kein hypertensiver Notfall:

—Kalziumantagonisten

—Konversionsenzymhemmer

■ hypertensiver Notfall:

—Nitroglycerin

—Labetalol

—Nitroprussid-Natrium (Diazoxid)

A1-2628 (48) Dt. Ärztebl. 89, Heft 31/32, 3. August 1992

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auch eine Makrohämaturie. Klinisch treten die Symptome der Nierenin- suffizienz erst in Erscheinung, wenn die Urämie bereits weit fortgeschrit- ten ist. Dagegen stellt die Nierenin- suffizienz einen wesentlichen pro- gnostischen Faktor dar: Frühere Stu- dien zeigten vor Einführung der mo- dernen hochwirksamen Antihyper- tensiva eine enge Beziehung zwi- schen Überlebensrate und Höhe der Serumharnstoffspiegel zum Zeit- punkt der Diagnosestellung. Aber selbst heute hängt die Prognose noch von der Nierenfunktion ab. Bing et al. (11) berichteten 1986 bei mali- gner Hypertonie mit Einschränkung der Nierenfunktion eine Zehn-Jah- res-Überlebensrate von 51 Prozent im Gegensatz zu 81 Prozent bei nor- malen Retentionswerten (11).

Therapie

der malignen Hypertonie

Unter antihypertensiver Thera- pie mit effektiver Senkung des Blut- drucks bilden sich hypertensive Ge- fäßschäden und Niereninsuffizienz bei maligner Hypertonie meist rasch zurück. Die akute fibrinoide Arterio- lonekrose schwindet im Gegensatz zur myointimalen Proliferation in- nerhalb von Tagen und führt zur Rückbildung der Organischämie

■ Obwohl die Blutdruckwerte meist exzessiv erhöht sind, muß eine abrupte Blutdrucksenkung unbe- dingt vermieden werden: Normotone Blutdruckwerte reichen bei vorge- schädigten und verengten Gefäßen mit gestörter Autoregulation oft nicht mehr aus, die Organperfusion sicherzustellen. Entsprechend sind nach zu aggressiver Blutdrucksen- kung Fälle von irreversibler Erblin- dung und Paraparese sowie (rückbil- dungsfähiger) akuter Niereninsuffi- zienz berichtet worden. Die Senkung auf Werte im noch hypertensiven Bereich, die jedoch den Patienten aus der akuten Gefahrenzone brin- gen, sind daher zunächst ausrei- chend. Über die nächsten Tage kann dann ein behutsame, die Normoto- nie anstrebende Therapie fortgesetzt werden. Aufgrund der notwendigen, engmaschigen Kontrollen und der oft schlecht steuerbaren Wirkung

der Antihypertensiva muß die Be- handlung stationär erfolgen.

Die medikamentöse Therapie ist abhängig von der klinischen Situati- on: Bei maligner Hypertonie ohne akute hypertensive Komplikationen (hypertensive Enzephalopathie oder Linksherzdekompensation mit Lun- genödem) ist eine orale Therapie mit langsamer Senkung der diastolischen Blutdruckwerte auf 100 bis 110 mmHg binnen 48 Stunden ausrei- chend. Ein Standardverfahren ist heute die Gabe von 10 bis 20 mg Ni- fedipin sublingual. Der Wirkungs- eintritt ist meist rasch, und häufig wird der Blutdruck bereits nach Ga- be der Erstdosis in den gewünschten Bereich gesenkt. Ähnlich wie Kon- versionsenzymhemmer vermindert Nifedipin trotz Blutdruckabfall die Hirnperfusion nicht (12).

In der Regel fällt der Blutdruck nicht unter den Normbereich; beim volumendepletierten Patienten kann jedoch eine unerwünschte Hypoten- sion auftreten. Zur Vermeidung ei- ner Reflextachykardie sollte unter Umständen ein Beta-Blocker hinzu- gefügt werden.

Aufgrund der Rolle des Renin- Angiotensin-Systems in derPathophy- siologie der malignen Hypertonie empfiehlt sich auch der Einsatz von Konversionsenzymhemmern (ACE- Hemmern). Captopril in niedrigen oralen Dosen von 10 (bis 50) mg oder Enalapril 5 (bis 10) mg initial sind meist innerhalb von 30 Minuten effektiv.

Die Wirkung der Konversions- enzymhemmer ist vom Grad der Voraktivierung des Renin-Angioten- sin-Systems abhängig. Tritt nach 30 Minuten kein deutlicher Blutdruck- abfall ein, so ist eine effektive Blut- drucksenkung allein mit diesen Me- dikamenten unwahrscheinlich. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz sollte zumindest initial auf den Ein- satz von ACE-Hemmern verzichtet werden. Vorsicht ist geboten bei zu- sätzlicher Gabe von Diuretika, da die Patienten häufig volumendeple- tiert sind. Allerdings ist bei Vorlie- gen einer Niereninsuffizienz mit Überwässerung eine Volumenmin- derung durch Diuretikatherapie un- bedingt angezeigt. Auch die Mög- lichkeit einer klinisch nicht erkann- ten bilateralen oder eine Einzelniere

betreffenden Nieren arterienstenose sollte erwogen werden. Hieran ist zu denken, wenn nach Einsatz von Kon- versionsenzymhemmern die Serum- Kreatinin-Konzentration rasch an- steigt oder eine Oligurie auftritt.

Eine maligne Hypertonie mit akuten neurologischen Herdzeichen oder einem Lungenödem stellt dage- gen einen hypertensiven Notfall dar.

Parenterale Gabe von Nitroglycerin über Perfusor mit anfänglich 5 bis 10 Kg/min, gegebenenfalls steigerbar bis 200 µg/min (0,5 µg/kg/min bis maxi- mal 10 µg/kg/min i. v.), oder Labeta- lol (Trandate) als 20 mg Bolus i. v.

mit nachfolgenden Gaben von 20 bis 80 mg alle zehn Minuten (Maximal- dosis 300 mg) sind hier Mittel der Wahl. Eine relative Kontraindikati- on besteht gegenüber Nitroprussid- Natrium, da aufgrund der meist vor- liegenden Niereninsuffizienz mit ei- ner Kumulation von Thiozyanat ge- rechnet werden muß.

Diazoxid gehört trotz guter Wirksamkeit heute nicht mehr zu den Mitteln der ersten Wahl, da häu- fig ein unkontrollierbarer Blutdruck- abfall auftritt. Neuere Untersuchun- gen zeigten jedoch, daß unter wie- derholter Gabe von kleineren Dosen die Steuerbarkeit dieses Medika- mentes verbessert ist (13).

Besteht bei Diagnosestellung bereits eine dialysepflichtige Nieren- insuffizienz, so kann unter antihy- pertensiver Therapie häufig eine Er- holung der Niereninsuffizienz erwar- tet werden. Die Nephrektomie zur Beherrschung des malignen Hoch- drucks läßt sich heutzutage mit den zur Verfügung stehenden Antihyper- tensiva nahezu immer vermeiden.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1 -2624-2629 [Heft 31/32]

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordem über die Verfasser.

Anschrift für die Verfassen

Prof. Dr. med. Detlev Ganten Deutsches Institut für

Bluthochdruckforschung und Abteilung für Pharmakologie der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 366 W-6900 Heidelberg

Dt. Ärztebl. 89, Heft 31/32, 3. August 1992 (49) A1-2629

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