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Archiv "Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Hirnödems" (10.06.1976)

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Tabelle 1: Wichtigste Ursachen des Hirnödems Zerebrale endogen Raumforderung

Noxen Entzündung

Apoplex

Status epilepticus

exogen Trauma

Intoxikation

Extrazerebrale pulmonal Hypoxie bei Ateminsuffizienz

Noxen Hyperkapnie

hämodynamisch Abnahme des HMV Hypertonie

Schock

Stoffwechsel Diabetes mellitkis Niereninsuffizienz Leberkoma Eklampsie

toxisch Infektionskrankheiten Sepsis

allergisch Anaphylaktischer Schock Ätiologie

des Hirnödems

Bei vielen, nicht zwangsläufig tödli- chen Gehirnerkrankungen führt ein begleitendes Hirnödem zum Tode des betroffenen Patienten. Voraus- setzung für die Funktionsfähigkeit des Zentralnervensystems ist ande- rerseits ein ungestörter Ablauf von

Atmung, Kreislauf und Stoffwech- sel. Das Gehirn kann bei Störun- gen dieser vitalen Funktionen, also auch bei Noxen extrazerebraler Art, in stereotyper Weise mit der Einlagerung von Flüssigkeit und Proteinen reagieren. Ein Hirnödem kompliziert daher das finale Sta- dium verschiedenster interner Er- krankungen (Tabelle 1).

Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ

Pathophysiologie, Klinik und Therapie des Hirnödems

Ulrich Fuhrmeister und Siegmar F. Berndt

Neurologische Universitätsklinik Würzburg (Direktor: Professor Dr. Hans Georg Mertens)

Die Behandlung des Hirn- ödems ist nicht nur bei neu- rologischen Akutsituationen ein vitales therapeutisches Problem. Auch extrazerebra- le Noxen (Hypoxie, Substrat- mangel bei Störungen von Kreislauf, Atmung, Stoffwech- sel) können ein lebensge- fährliches Hirnödem auslö- sen. Die theoretisch be- gründete Unterteilung in ein vasogenes und ein zytotoxi- sches Ödem ist am Kranken- bett nicht möglich, aber auch nicht erforderlich. Wahl und Dosierung der einzusetzen- den Pharmaka (Osmothera- peutika, Diuretika. Steroid- hormone) werden allein von der Akuität der klinischen Symptome, nicht vom Ödem- typ bestimmt.

Pathophysiologie des Hirnödems Die klinischen Symptome des Hirn- ödems werden bestimmt einmal durch die pathophysiologische Verknüpfung zwischen Hirndurch- blutung und Hirndruck, zum ande- ren durch anatomische Besonder- heiten, nämlich die Unterteilung des Schädelinnenraumes durch Duraduplikaturen und die daraus folgenden Einklemmungsvorgänge ( 5)").

Der Zusammenhang zwischen Hirnkreislauf und Hirnödem basiert auf einer im Prinzip bereits 1783 formulierten Erkenntnis, der Mon- ro-Kellie-Doktrin (20). Danach ste- hen Liquor, Blut und Gehirn in dem von Schädelkapsel und Wirbelske- lett umschlossenen, in seiner Grö- ße praktisch nicht veränderlichen Hohlraum in einem reziproken quantitativen Verhältnis zueinan- der. Das Volumen eines Bestand- teils kann sich nur auf Kosten der anderen Kompartimente ändern

*) Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf das in den Sonderdrucken mit- veröffentlichte Literaturverzeichnis.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 24 vom 10.Juni 1976 1601

(2)

Blut Liquor Parenchym

Schutzreflexe:

Autoregulation des Hirnkreislaufs Vermehrte Sauerstoffausschöpfung

Cushing-Reflex

kapsel in einem reziproken, quantitativen Verhältnis zueinander

(Abbildung 1). Deshalb muß eine Massenzunahme von Hirnsubstanz folgerichtig zu einer Abnahme der

Hirndurchblutung führen.

Hirndruckschwankungen geringe- ren Ausmaßes allerdings können durch verschiedene Schutzmecha- nismen kompensiert werden. Dies geschieht einmal durch die Autore- gulation des Hirnkreislaufs. Hier- durch können Druckänderungen bis zu 30 Torr durch reaktive Vaso- dilatation ausgeglichen werden.

Daneben kann die Sauerstoffaus- schöpfung aus dem Blut intensi- viert werden. Die Vergrößerung der arterio-venösen Sauerstoffdifferenz wird jedoch durch Behinderung der Sauerstoffdiffusion in ödematö- sem Gewebe wieder zunichte ge- macht. Die klinische Bedeutung des Cushing-Reflexes — Erhöhung des Liquordrucks im Tierexperi-

Abbildung 2: Zerebraler Kreislaufstillstand bei perakutem Hirnödem. Das linksseitige Karotisangiogramm zeigt im seit- lichen und im Anterior-posterior-Bild einen Abbruch der Kontrastmittelsäule und eine fehlende Füllung der zerebralen Gefäße: der Patient ist hirntot

1602 Heft 24 vom 10. Juni 1976 DEUTSCHES _ÄRZTEBLATT

(3)

ment führt zur Steigerung des arte- riellen Blutdrucks (4) - ist umstrit- ten.

Sind die geschilderten Kompen- sationsmechanismen erschöpft, so kommt es zur Drosselung der arte- riellen Blutzufuhr zum Gehirn, also zu Hypoxidose und zum Absinken energiereicher Phosphatverbindun- gen im Gewebe. übersteigt der in- trakranielle Druck schließlich den Perfusionsdruck des Blutes, tritt ein totaler zerebraler Kreislaufstop ein (Abbildung 2).

Häufiger hat die Kammerung des Schädels verhängnisvolle Folgen für den Patienten. Durch Falx und Tentorium entstehen drei getrennte Räume (Abbildung 3). Bei steigen- dem Hirndruck kommt es durch Massenverlagerung zur Einklem- mung von Hirnteilen im Tentorium- schlitz und im Foramen occipitale magnum. Bei supratentoriellem Druckanstieg wird das Mittelhirn durch mediale Teile des Temporal- lappens komprimiert. Die Folgen sind Koma mit Mydriasis, Tempera- turentgleisungen und Streckkrämp.

fen. Eine Kompression der Medulla oblongata durch die Kleinhirnton- sillen führt zu reflektorischer Nak- kensteife mit Erbrechen, Bradykar- die, zuletzt zu zentralem Atemstill- stand.

Klinische Symptome des Hirnödems Bei der Häufigkeit und Gefährlich- keit des Hirnödems überrascht die Tatsache, daß bisher kein prakti- scher Test zu seinem Nachweis existiert. Der Arzt muß die Diagno- se Hirnödem am Krankenbett stel- len. Die Lumbalpunktion, diagno- stisch in dieser Frage wenig ergie- big, ist beim akuten Hirnödem kon- traindiziert, da sie für den Patien- ten die Gefahr einer Einklemmung heraufbeschwört.

Den oben geschilderten dramati- schen Einklemmungssymptomen gehen oft diskretere Warnzeichen voraus. Eine Mittelhirnkompression kann sich durch Parästhesien im Gesicht ankündigen. Nacken-Hin-

(mod. n. Kautzky u. Zülch

Mittelhirn- einklemmung

N.III-+Mydriasis A. cerebri posterior Liquorzirkulation

ralx

Aktuelle Medizin

Tonsillen-Einklemmung

Atemlähmung

Abbildung 3: Kammerung des Schädelinnenraumes und Mechanismus der Einklemmung (Zisternenverquellung) bei Hirndruck

terkopf-Schmerzen werden über spinale Wurzeln des Nervus acces- sorius geleitet und signalisieren ei- ne drohende untere Einklemmung.

Erster Hinweis auf Atemstörungen kann vermehrtes Gähnen sein.

Ausgesprochene Papillenpromi- nenz ist selten; beim Hirnödem sind die Sehnerven allenfalls öde- matös, ihre Grenzen verwaschen.

Der Pupillenlähmung geht oft eine doppelseitige Miosis voraus. We- gen seines exponierten Verlaufs ist auch der Nervus abducens häufig betroffen.

Bei generalisiertem Ödem führt Ischämie der Hirnrinde zu Bewußt- seinstrübung, später zum Koma mit Krampfanfällen. Kopfschmerzen werden besonders durch intrakra- nielle Druckschwankungen hervor- gerufen. Perifokale Ödeme bei Tu- mor, Abszeß oder Hirninfarkt ver- stärken dagegen bestehende Herd- symptome.

Histologische Befunde beim Hirnödem

Die klassische Unterscheidung zwischen einer trockenen, intrazel-

lulären Volumenzunahme des Ge- hirns, als Hirnschwellung bezeich- net (18), und einem feuchten, inter- stitiellen Hirnödem mußte im Lich- te neuer mikroskopischer und ex- perimenteller Befunde modifiziert werden (Abbildung 4).

Man charakterisiert Hirnödeme heute nach ihrem Entstehungsmo- dus, als vasogenes ödem, wenn die auslösende Noxe eine Öffnung der Blut-Hirn-Schranke bewirkt;

beim vasogenen ödem ergießen sich Blutbestandteile in das Inter- stitium der weißen Substanz. Pro- totyp ist das ödem nach Trauma oder zerebralem Insult. Der zytoto- xische Ödemtyp beginnt mit einer toxischen Schädigung der Zell- membranpermeabilität der Astro- glia. Unter Natrium- und Wasser- einstrom und Kaliumverlust entwik- kelt sich ein Astrozytenhydrops (10). Dieser Ödemtyp kann zum Beispiel beim Leberkoma vorkom- men.

Klinisch ist eine Trennung ver- schiedener ödemtypen nicht mög- lich. Sie kommen oft nebeneinan- der vor, die Behandlung ist diesel-

be. !>

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 24 vom 10.Juni 1976 1603

(4)

Therapie des Hirnödems

Hirnödem erzeugt Hirnödem (Ab- bildung 5). Therapeutisch kommt es daher darauf an, diesen ver- hängnisvollen Kreislauf frühzeitig zu durchbrechen. Neben Pharma- katherapie werden allgemeine Maßnahmen wie Sauerstoffbeat- mung, Hyperventilation und kon- trollierte Blutdrucksenkung ange- wandt. Hyperventilation führt durch eine Herabsetzung des partiellen C02-Drucks zu einer Abnahme des Durchströmungs- und damit auch des Hirnvolumens. Hypotension vermindert den Abstrom von Blut- bestandteilen durch die geschädig- te Blut-Hirn-Schranke.

Zur Bekämpfung des Hirnödems werden Pharmaka aus der Gruppe der Osmo- und Onkotherapeutika, der Diuretika, Steroide sowie ge- fäßabdichtende Mittel allein oder häufiger in unterschiedlicher Kom- bination eingesetzt (Tabelle 2).

Die Wirkungsweise der Osmothera- peutika folgt allgemeinen Grundre- geln (12):

Die osmotische Wirkung ist um so größer,

0

je niedriger das Molekularge- wicht der Substanz ist,

f) je weniger die Substanz ver- stoffwechselt wird,

f) je weniger die Substanz die Blut-Hirn-Schranke passiert und damit die Gefahr eines Reboundef- fektes beinhaltet.

Alle Osmotherapeutika haben Ne- benwirkungen. Sie können zu Hy- pervolämie oder bei exzessiver Diurese zu Hypovolämie mit Elek- trolytverschiebungen führen. Nur noch historische Bedeutung haben aus den genannten Gründen hyper- tone Kochsalz-, Magnesiumsulfat- und Glukoselösungen.

Gelegentlich wird noch Harnstoff als 30prozentige Lösung einge- setzt. Wegen seines niedrigen Mo- lekulargewichts von 60 besitzt die-

ser Stoff eine starke, rasch einset- zende entwässernde Wirkung, die auch am nephrektomierten Tier nachweisbar ist. Nachteilig ist der ausgeprägte Reboundeftekt. Harn- stoff passiert die Blut-Hirn-Schranke und dringt in Interstitium und Glia ein. Dadurch kommt es schließlich zur Umkehr des osmotischen Gra- dienten mit einer Zunahme des Hirnödems über den Ausgangswert hinaus (Abbildung 6).

Mannit, ein Sechswertiger Zucker- alkohol, hat infolge eines höheren Molekulargewichts von 182 eine geringere osmotische Wirkung als Harnstoff. Seine Vorteile bestehen darin, daß er weniger leicht die Blutbahn verläßt, praktisch nicht verstoffwechselt, sondern unver- ändert durch die Nieren ausge- schieden wird und atoxisch ist. Zur klinischen Anwendung kommen 15- bis 25prozentige Lösungen (zum Beispiel als Osmofundin® 20 Pro- zent entsprechend 1100 mOsm/1).

I

! Tabelle 2: Therapie des Hirnödems

..,. Allgemeine Maßnahmen 02-Beatmung

Hyperventilation kontrollierte Hypotonie ..,. Osmotherapie Harnstoff

Sorbit Mannit Fruktose Glyzerin

..,. Onkotherapie Human-Albumin Dextran

..,. Diuretika Furosemid Acetazolamid ..,. Steroide Glukokortikoide Aldosteron Spironolacton

..,. Gefäßabdichtende Phar- maka?

1604 Heft 24 vom 10.Juni 1976 DEUTSCHES ARZTEBLA'IT

Einzelgaben sollen innerhalb von 15 bis 30 Minuten einlaufen und bei längerer Behandlung alle vier Stun- den wiederholt werden. Die Wir- kungsdauer von Mannit ist länger als die von Harnstoff und beträgt etwa 4 bis 8 Stunden.

Gelegentlich wird 15prozentiger Mannit in Kombination mit 30pro- zentiger Fruktoselösung eingesetzt, um den der Fruktose eigenen Re- bound zu mildern (14).

Sorbit, ebenfalls ein sechswerti- ger Zuckeralkohol, wird in 40- oder 50prozentiger Lösung zu 50 und 250 ml auch in Kombination mit Mannit (zum Beispiel Mannisorb®) verwendet. Sorbit wird zu Lävulose umgesetzt. Um einen hohen osmo- tischen Gradienten zu erreichen, müssen mindestens 50 ml inner- halb von 15 bis 30 Minuten einlau- fen. Sorbit hat keinen oder nur ei- nen gering ausgeprägten Rebound- effekt (Abbildung 7).

Glyzerin, bereits 1961 zur Behand- lung des Hirnödems vorgeschlagen (3) und wieder verlassen, erlebt zur Zeit eine Renaissance seiner An- wendung. Glyzerin ist eine physio- logische Substanz, die nach phar- makologischer Applikation zum Teil im Trikarbonsäurezyklus abge- baut, zum Teil aber unverändert ausgeschieden wird. Nach intrave- nöser Anwendung ist eine Reihe tödlicher Zwischenfälle infolge hä- molysebed i ngten Nierenversagens beschrieben worden. Aus diesem Grunde verbietet sich die parente- rale Anwendung dieser Substanz in höherer als 1 Oprozentiger Konzen- tration. Bei oraler Anwendung ist Glyzerin atoxisch und ebenfalls gut wirksam. Bei Bewußtlosen kann Glyzerin über eine Magensonde zu- geführt werden. Die Dosis beträgt 0,5 bis 2 g/kg Körpergewicht in 24 Stunden und wird auf 4 bis 6 Ein- zelgaben verteilt. Hierzu kann man eine 50prozentige Lösung in 0,15 m NaCI-Lösung verwenden (15).

Der Einsatz der Osmotherapeutika ist nicht ohne Widerspruch geblie- ben. Die Kritik gründet sich einmal darauf, daß man durch arterielle

(5)

Zytotoxisches Hirnödem Vasogenes Hirnödem

0

(Reichardt, 1957)

Öffnung der

Blut-Hirn- Schranke

Basalmembran Endothel Astrozyten

Astrozytenhydrops (Klatzko 1972)

Hirnschwellung (trocken) Hirnödem (feucht)

Abbildung 4: Histologie des Hirnödems schematisch

Hirnödem

Minder Durchblutung Natrium-Wasser

Einstrom

Energie Verlust

Abbildung 5: Circulus vitiosus der Hirnödementstehung

Aktuelle Medizin

Infusion von hypertonen Lösungen höherer Konzentration Schäden an der Blut-Hirn-Schranke setzen, also ein experimentelles Hirnödem er- zeugen kann. Weiterhin ist der os- motische Gradient und damit auch die Wirksamkeit bei gestörter Blut-Hirn-Schranke im gesunden Gewebe immer größer als in öde- matösem Gewebe. Es wird also in erster Linie gesundes Gewebe ent- quellt und dadurch der Ödem- ausbreitung sogar Vorschub gelei- stet.

Auf einer Steigerung des kolloid- osmotischen Drucks im Plasma be- ruht die Wirkung der Onkothera- peutika. Hier eignen sich 20prozen- tige Humanalbumin- sowie hochpro- zentige Dextranlösungen (zum Bei- spiel Macrodex 10 Prozent salz- frei') ).

Die Wirkung setzt erst nach län- gerer Latenz ein, ist anhaltender, aber weniger intensiv als die der Osmotherapeutika. Ein Rebound ist nur bei schwer gestörter Blut-Hirn- Schranke zu befürchten. In letzter Zeit wurden vermehrt anaphylakti- sche Reaktionen nach Dextranen beschrieben.

Von den Diuretika im engeren Sin- ne hat Furosemid (Lasix®) die ra- scheste Wirkung. Sie beruht auf ei- ner Hemmung der Resorption von Natrium und Chlorid im proximalen Nierentubulus. Bei zu forcierter Entwässerung kann es zu Hämo- konzentration, Kreislaufversagen und Thrombosen kommen. Eine weitere Gefahr ist die Hypokali- ämie. Furosemid ist das Medika- ment der Wahl für die unmittelbare Notsituation, zum Beispiel bei dro- hender Einklemmung.

Der Carboanhydrasehemmstoff Acetacolamid steigert die Diurese und hemmt die Liquorproduktion.

Das Ferment Carboanhydrase ist an intrazerebralen Wasser- und Elektrolytverschiebungen beteiligt, und man diskutiert einen nierenun- abhängigen Einfluß dieser Sub- stanz auf das Hirnödem (2). Aceta- colamid wird als Adjuvans gege- ben.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 24 vom 10. Juni 1976 1605

(6)

Abbildung 6: Schematische Darstellung der Änderung des Liquordrucks nach Harnstoffapplikation. Nach i. v. Gabe sinkt der Liquordruck kurzfristig auf Normalwerte ab. Bereits nach 2 Stunden erfolgt ein Wiederanstieg, der den Ausgangswert überschreitet (Reboundeffekt)

Abbildung 7:

Senkung des Li- quordrucks durch Furose- mid und Sorbit bei einem Pa- tienten mit Hirn- ödem. Der lum- bale Liquor- druck wurde

kontinuierlich mittels Statham- Element regi- striert. Nach in- travenöser Gabe von 20 mg La- six9 und 50 ml Sorbit sinkt der Druck von 40 auf 20 Torr ab und hält sich 80 Minuten im Normbereich bei 10 Torr. Auch die erhöhte Druckamplitude sinkt ab. Nach 150 Minuten sind die Aus- gangswerte' wie- der erreicht. Ein Reboundeffekt tritt nicht auf

6 30 min 60

Furosemid

I

Sorbit

torr 40

20

0

Diurese ro.

So 0 ml

20

1414isteltritiliele111011111

ag '

0-

40-

20-

0

60 90 min 120

120 150 min 180

Liquordruck (cm H2O)

80

60

40

20

1606 Heft 24 vom 10. Juni 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Der Einsatz von Glukokortikoiden spielt heute eine hervorragende Rolle zur Bekämpfung des Hirn- ödems. Während deren Wirkung zur Reduktion perifokaler Tumor- ödeme vom Kliniker allgemein ak- zeptiert wird, ist der therapeutische Nutzen beim ischämischen Insult und beim Hirntrauma noch umstrit- ten.

Im Schrifttum finden sich Erfolgs- meldungen und Berichte über fehlende Effektivität, aber auch An- gaben über Verschlechterung nach Glukokortikoiden (7, 8). Diese Dis- krepanz ist möglicherweise nur vorgetäuscht und hängt von der verabfolgten Dosis ab. Offensicht- lich sind nur hohe Dosen, an deren Einsatz noch vor wenigen Jahren niemand dachte, in der Lage, einen günstigen Effekt auf das Ödem auszuüben. Auf welchem Wege Glukokortikoide das Hirnödem be- einflussen, ist noch nicht zufrieden- stellend geklärt. Keinesfalls ist die Wirkung nur einem renalen, diure- tischen Effekt zuzuschreiben. Dis- kutiert wird eine „Abdichtung" der Blut-Hirn-Schranke (17), von ande- ren Autoren auch ein Antiseroto- nineffekt (16).

Von den Glukokortikoiden hat sich das Dexamethason am meisten durchgesetzt. Inwieweit bei äqui- effektiver Dosierung Dexamethason anderen Glukokortikoiden wirklich überlegen ist, sei dahingestellt.

Zwei Gründe sprechen jedoch für seine bevorzugte Verwendung: sei- ne geringe Salzretention (19) und seine pharmakokinetischen Eigen- schaften (Abbildung 8). Bei einem Vergleich der Liquorspiegel nach intravenöser Gabe von Cortisol, Prednisolon und Dexamethason zeigt letzteres die günstigsten Ver- hältnisse (1). Die Therapie wird üb- licherweise mit einer hohen Dosie- rung von 12 mg Dexamethason in- travenös begonnen, und alle 4 bis 6 Stunden werden weitere 4 mg ver- abfolgt. Bei lebensbedrohlichen Si- tuationen gibt es keine Kontraindi-

kation für Dexamethason.

Die Rolle weiterer Steroidhormone wie Aldosteron, Spironolakton und

(7)

mDexa ethason

'4

41e›.-

• Prednisolon

u_

(1) 0

E

Cortisol 100—

50—

4 8 12 16 20 24

Stunden nach Injektion Berndt u. Fuhrmeister 1973

Abbildung 8: Liquorspiegel von Glukokortikoiden nach intravenöser Injek- tion. Nach i. v. Gabe von Cortisol, Prednisolon und Dexamethason (1mg/

kg) wurden die Liquorspiegel über 24 Stunden gemessen. Dexamethason und Cortisol erreichen die höchsten Werte, der Cortisolspiegel sinkt jedoch sehr schnell ab. (Die Kurvenpunkte entsprechen den Mittelwerten aus je- weils drei Einzelmessungen)

Aktuelle Medizin

Progesteron in der Behandlung des Hirnödems wird noch disku- tiert. Mit Aldosteron, aber auch mit Spironolakton konnte die Ausbil- dung eines experimentellen Hirn- ödems, auch beim nephrektomier- ten Tier, verhindert werden (21).

Patienten mit Pseudotumor cerebri wurden mit diesen Substanzen ebenfalls bereits erfolgreich be- handelt (11). Empfohlen werden 200 mg Spironolakton (zum Bei-

spiel Aldactone pro injectione ®) als Kurzinfusion in sechsstündi- gen Abständen.

Die paradox erscheinende Tatsa- che, daß an der Niere antagoni- stisch wirkende Pharmaka einen gleichsinnigen Effekt auf das Hirn- ödem ausüben, läßt sich dadurch erklären, daß alle genannten Sub- stanzen als gemeinsames Wirk- prinzip über den Sterin-Ring ver- fügen.

Differentialtherapie des Hirnödems

Die Entscheidung, welche Medika- mente bei einer gegebenen klini- schen Situation eingesetzt werden sollen, hängt in erster Linie von der therapeutisch verfügbaren Zeit und damit vom Ausmaß des Hirn- ödems ab.

Bei drohender Einklemmung ist die intravenöse Gabe eines Osmo- therapeutikums zusammen mit ei- nem schnell wirkenden Diuretikum die Kombination der Wahl. Wir ge- ben im allgemeinen 250 ml Sorbit in 40prozentiger Konzentration und 20 bis 40 mg (bei älteren Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion bis zu 250 mg) Lasix®. Als Faust- regel gilt, daß in dieser kritischen Situation innerhalb kürzester Zeit eine Ausscheidung von mindestens 500 ml (Blasenkatheter!) erzwun- gen werden muß, um ausreichend Spielraum für weitere diagnosti- sche und therapeutische Maßnah- men zu gewinnen. Kriterien einer suffizienten Behandlung sind Rück- gang einer Mydriasis und Wieder- einsetzen der Spontanatmung (ein bereits beatmeter Patient sollte

aber weiter künstlich beatmet wer- den). Gegebenenfalls muß dieselbe Behandlung nach kurzer Zeit wie- derholt werden.

In weniger dramatischen Fällen ge- nügt die fraktionierte Gabe eines Osmotherapeutikums in geringerer Dosierung (zum Beispiel 50 ml Sor- bit alle vier Stunden).

Nicht akut bedrohten Tumorpatien- ten geben wir prä- und postopera- tiv sowie zur Milderung von Be- strahlungsreaktionen Dexametha- son. Glukokortikoide sollen auch den Rebound mildern und werden deshalb nach forcierter Initialbe- handlung weiter gegeben. Bei Kin- dern werden die schonenderen On- kotherapeutika bevorzugt.

Prinzipiell können alle Substanzen miteinander kombiniert werden, da Interferenzreaktionen nicht zu be- fürchten sind. Zu bedenken ist, daß bei jeder drastischen Entwässe- rung, besonders bei Patienten im Schock, für eine ausreichende, bi- lanzierte Volumen- und Elektrolyt- substitution zu sorgen ist, da eine Verminderung der zirkulierenden Blutmenge bei Hirndruck beson-

ders schnell zur zerebralen Man- geldurchblutung führen kann.

Zusammenfassung

Das Hirnödem ist eine häufige und oft zum Tode führende Begleitreak- tion neurologischer, neurochirurgi- scher und interner Erkrankungen.

Die Diagnose eines Hirnödems ist schwierig, und der Entstehungsme- chanismus ist noch nicht völlig auf- geklärt. Zur Behandlung werden hypertone Lösungen, Diuretika und Steroidhormone eingesetzt. Un- terstützende Maßnahmen sind Be- atmung, Hyperventilation und kon- trollierte Blutdrucksenkung. Die pharmakologische Wirkung, Kom- plikationen, Kontraindikationen und differentialtherapeutischer Ein- satz der aufgeführten Substanzen werden diskutiert.

Literatur bei den Verfassern Anschrift der Verfasser:

Dr. med. U. Fuhrmeister Dr. med. S. F. Berndt,

Neurologische Universitätsklinik Josef-Schneider-Straße 11 8700 Würzburg

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 24 vom 10.Juni 1976 1607

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